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GLEICHHEIT/4102: EU-Gipfel verabschiedet Fiskalpakt


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

EU-Gipfel verabschiedet Fiskalpakt

Von Peter Schwarz
3. März 2012


Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben am Freitag in Brüssel den sogenannten Fiskalpakt unterzeichnet.

Das Abkommen verpflichtet die EU-Mitglieder zu strikter Haushaltsdisziplin. Sie müssen eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in der Verfassung verankern. Überschreiten sie die Schuldenobergrenze, können sie vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werden und es tritt automatisch ein Defizitverfahren in Kraft. Länder, die dem Pakt nicht beitreten, erhalten keine Hilfe aus dem Europäischen Rettungsfonds ESM.

Der Fiskalpakt erhöht den Spardruck auf die EU-Mitglieder. Er sorgt dafür, dass die Kürzung öffentlicher Ausgaben unabhängig von Wahlergebnissen und Regierungswechseln weiter geht. Er beraubt die Parlamente ihres Königsrechts, der Entscheidung über den Haushalt, und die Wähler der Möglichkeit, mit dem Stimmzettel über die zukünftige Politik zu bestimmen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete diesen zutiefst undemokratischen Vertrag, der maßgeblich auf ihre Initiative zustande kam, als "Meilenstein in der Geschichte der Europäischen Union".

Von den 27 EU-Mitgliedern haben 25 den Fiskalpakt unterzeichnet. In den meisten Ländern muss er allerdings noch durch das Parlament und in Irland durch eine Volksabstimmung ratifiziert werden, so dass er spätestens Anfang 2013 in Kraft tritt. Lediglich die britische und die tschechische Regierung haben ihre Unterschrift verweigert - nicht weil sie die vorgesehenen Sparmaßnahmen ablehnen, sondern weil ihnen der Eingriff in die nationale Souveränität zu weit geht.

Der Fiskalpakt wird die Krise der europäischen Wirtschaft weiter vertiefen. Die EU-Kommission hat bereits vor dem jüngsten Gipfel eine Analyse vorgelegt, laut der die Länder der Euro-Zone im laufenden Jahr in eine Rezession rutschen. Die Wirtschaft wird in sieben der 17 Euro-Staaten schrumpfen und in den restlichen zehn nur minimal wachsen.

Die Krise hat mittlerweile auch die wirtschaftlich stärkeren europäischen Länder erfasst. So erlebt die niederländische Wirtschaft derzeit einen drastischen Einbruch. Die Regierung muss 15 Milliarden Euro zusätzlich einsparen, um 2013 die Neuverschuldungsobergrenze von 3 Prozent zu erreichen, und droht darüber zu zerbrechen.

Die Arbeitslosenquote in der Euro-Zone erreichte im Januar mit 10,7 Prozent den höchsten Stand seit Einführung der gemeinsamen Währung. Allein im Januar verloren 185.000 Männer und Frauen ihren Job. In Spanien stieg die Arbeitslosenrate als Folge der Sparmaßnahmen der konservativen Regierung in einem Monat um 2,4 Prozent. Mit 23,3 Prozent ist nun fast jeder vierte Spanier ohne Arbeit. Bei Jugendlichen beträgt die Arbeitslosenquote sogar weit über 50 Prozent.

Der Fiskalpakt wird die Arbeitslosigkeit weiter in die Höhe treiben - und das ist gewollt. Rezession und Arbeitslosigkeit dienen als Hebel, um Löhne und Arbeitsbedingungen zu untergraben und alle sozialen Errungenschaften der letzten sechs Jahrzehnte zu zerschlagen.

Auf dem Brüsseler Gipfel war in diesem Zusammenhang auffallend viel von "Wettbewerbsfähigkeit" die Rede - ein beschönigender Ausdruck für flexible Arbeitsverhältnisse und Sozialabbau. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy versprach maßgeschneiderte Empfehlungen für mehr Jobs und wettbewerbsfähige Unternehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, nur wenn Europa es schaffe, weltweit an seiner Wettbewerbsfähigkeit zu arbeiten, habe es wirklich eine Zukunft.

Als Vorbild gilt Griechenland, wo die Regierung den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten um bis zu 50 Prozent gesenkt, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst beschlossen und die Sozial- und Gesundheitsausgaben drastisch gesenkt hat.

Ausnahmsweise stand die Griechenlandkrise diesmal nicht im Mittelpunkt des EU-Gipfels. Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker und der deutsche Finanzminister lobten sogar ausdrücklich die "Fortschritte" der griechischen Regierung, die alle geforderten Maßnahmen ergriffen habe.

Die Finanzminister der Eurozone hatten sich in der vergangenen Woche auf ein zweites Finanzpaket für Griechenland in Höhe von mehr als 130 Milliarden Euro geeinigt. Bisher ist davon allerdings noch kein Cent geflossen. Vieles deutet darauf hin, dass die EU lediglich auf Zeit spielt, um Griechenland schließlich in die Pleite zu schicken, wenn die Gläubigerbanken ausreichend gegen eine Kettenreaktion abgesichert sind.

So trafen sich die Finanzminister am Vorabend des Gipfels erneut, um jene Teile des Finanzpakets freizugeben, die direkt für die Banken bestimmt sind. Damit diese Griechenland 107 Milliarden Euro auf den Nominalwert seiner Staatsanleihen erlassen (die sie bereits weitgehend abgeschrieben haben), werden ihnen aus dem Finanzpaket 93 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, die sich wiederum zur griechischen Staatsschuld addieren.

Am Mittwochabend gaben die Finanzminister 23 Milliarden Euro für griechische Banken und weitere 35 Milliarden für internationale Finanzinstitute frei, um ihnen den Schuldenerlass zu erleichtern. Weitere 35 Milliarden Euro gehen als Sicherheit an die Europäische Zentralbank, damit diese die griechischen Banken weiterhin mit Liquidität versorgt. Diese Gelder sollen allerdings erst fließen, wenn bis zum 8. März mindestens 75 Prozent der Gläubiger dem Schuldenschnitt freiwillig zustimmen.

Die restlichen 71,5 Milliarden Euro gaben die Finanzminister nicht frei. Sie sind unter anderem dazu bestimmt, einen Bankrott Griechenlands zu verhindern, wenn am 20. März Anleihen im Umfang von 14,5 Milliarden Euro fällig werden. Dieses Geld soll erst fließen, wenn Vertreter der EU und des IWF nächste Woche die Umsetzung von 38 spezifischen Sparmaßnahmen überprüft haben, zu denen sich die griechische Regierung verpflichtet hat. Das heißt, es kann jederzeit gestoppt werden.

Zur Entspannung der Lage auf dem Gipfel trug auch ein weiteres Geldgeschenk der Europäischen Zentralbank bei. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen hat die EZB den Banken am Mittwoch über eine halbe Billion Euro zur Verfügung gestellt, für die sie bei dreijähriger Laufzeit nur 1 Prozent Zinsen zahlen müssen. Für die Banken ist dies ein Bombengeschäft. Sie investieren das Geld in Staatsanleihen und kassieren dafür den vier- bis sechsfachen Zinssatz.

Wie das sogenannte "Rettungspaket" für Griechenland dient auch diese Maßnahme dazu, Banken und Investoren gegen einen möglichen Staatsbankrott Griechenlands abzusichern, während die mit dem Fiskalpakt verbundene Spar- und Kürzungsorgie den Kontinent immer tiefer in die Krise treibt.

Noch ein weiterer Beschluss hat dazu beigetragen, die Banken und anderen Finanzinvestoren zu stärken. Der zuständige Internationale Derivateverband (ISDA) hat am Donnerstag entschieden, dass der Schuldenschnitt bei griechischen Staatsanleihen kein "Kreditereignis" darstelle. Das bedeutet, dass die Kreditausfallversicherungen (CDS) für griechische Staatsanleihen, mit denen zum Teil hohe Spekulationsgewinne erzielt wurden, nicht fällig werden. Vor allem amerikanische Banken, die große Mengen derartiger CDS halten, dürften darauf mit Erleichterung reagieren.

Sollte Griechenland in den nächsten Wochen tatsächlich Pleite gehen, wären die privaten Investoren weitgehend aus dem Schneider. Die Verluste fielen auf die öffentlichen Haushalte zurück, die sie nach den Vorgaben des Fiskalpakts umgehend auf die arbeitende Bevölkerung abwälzen würden.

Die Regierungen können dabei auf die volle Unterstützung der Gewerkschaften zählen, die bei der Umsetzung der Spar- und Kürzungsmaßnahmen eng mit ihnen zusammenarbeiten.

Um die wachsende Empörung gegen diese Maßnahmen aufzufangen, hat der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) am Vorabend des Gipfels zwar zu einem Europäischen Aktionstag gegen die EU-Sparpolitik aufgerufen. Aber diese dezentralisierten, kaum wahrnehmbaren Aktionen haben lediglich unterstrichen hat, dass die Gewerkschaften nicht die geringste Absicht haben, den Folgen des Fiskalpakts entgegenzutreten.

In Deutschland beschränkte sich der Aktionstag auf einen Fototermin des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer am Magdeburger Bahnhof und eine winzige Kundgebung am deutsch-französischen Grenzübergang bei Saarbrücken. In den meisten Gewerkschaftszentralen wusste man auf Anfrage von Journalisten gar nicht, dass überhaupt ein Aktionstag stattfindet.

In Brüssel gingen die versammelten Gewerkschaftsfunktionäre von der Protestkundgebung direkt zu einem Dreier-Sozialgipfel mit EU- und Unternehmer-Vertretern, um bei der Umsetzung des Sozialpakts mit ihnen zusammenzuarbeiten. "Die Sozialpartner müssen an allen Entscheidungen, die den Arbeitsmarkt betreffe, beteiligt werden", fordert der EGB dazu auf seiner Webseite.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 03.03.2012
EU-Gipfel verabschiedet Fiskalpakt
http://www.wsws.org/de/2012/mar2012/fisk-m03.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2012