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GLEICHHEIT/3746: Französische Regierung verhandelt über Lösung für Libyen-Krieg


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Französische Regierung verhandelt über Lösung für Libyen-Krieg

Von Patrick O'Connor
14. Juli 2011


Die französische Regierung von Nicolas Sarkozy scheint sich verstärkt um einen Handel mit der libyschen Regierung zu bemühen, um das NATO-Bombardement des ölreichen Staates zum Abschluss zu bringen. Muammar Gaddafi soll dabei übergangen werden. Die diplomatischen Manöver sind Ausdruck der Krise, in der die USA, Frankreich und Großbritannien mit ihrer illegalen militärischen Kampagne stecken, die inzwischen in den fünften Monat geht, ohne ihrem eigentlichen Ziel eines Regimewechsels in Tripolis näher zu kommen.

Am Sonntag erklärte der französische Verteidigungsminister Gerard Longuet, dass seine Regierung von dem so genannten Nationalen Übergangsrat (TNC) in Bengasi verlange, Gespräche mit der Gaddafi-Regierung aufzunehmen.

"Die Position des TNC ist weit von anderen Positionen entfernt", erklärte Longuet. Er kritisierte anscheinend die Forderung der "Rebellen", dass Gaddafi als Voraussetzung für Gespräche zuerst seinen Posten räumen müsse. "Jetzt ist die Zeit gekommen, sich an einen Tisch zu setzen... Wir [die NATO] werden die Bombardierung einstellen, sobald die Libyer miteinander sprechen und das Militär beider Seiten sich in die Kasernen zurückzieht. Sie sollten jetzt miteinander sprechen, weil es sich zeigt, dass es durch Gewaltanwendung keine Lösung gibt."

Longuet brachte ausdrücklich die Möglichkeit ins Spiel, dass Gaddafi in irgendeiner Funktion im Amt bleiben könnte. Er sagte, Gaddafi könne "in einem anderen Raum in seinem Palast mit einem anderen Titel residieren".

Washington distanzierte sich sofort von den Äußerungen des französischen Außenministers und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf die im NATO-Bündnis andauernden Spannungen. Ein Sprecher des amerikanischen Außenministeriums erklärte: "Es gibt Verwirrung in der Haltung Frankreichs". Er betonte: "Es ist Zeit, dass Gaddafi geht."

Ebenfalls am Sonntag veröffentlichte die algerische Zeitung El Khabar ein Interview mit Gaddafis Sohn Saif al-Islam, der behauptete, dass es schon Verhandlungen mit der französischen Regierung gebe. "Die Wahrheit ist, dass wir mit der französischen Regierung verhandeln und nicht mit den Rebellen", sagte Saif al-Islam. "Unsere Kontaktperson zu Sarkozy sagt uns, dass der französische Präsident sich unmissverständlich geäußert und ihm gesagt habe: 'Wir haben den [Nationalen Übergangs] Rat geschaffen und ohne unsere Unterstützung, ohne unser Geld und ohne unsere Waffen hätte der Rat nie existiert'. Sarkozy sagte: 'Wenn wir uns mit euch einig werden, werden wir den Rat zwingen, das Feuer einzustellen.'"

Paris bestreitet diese Darstellung. Es ist jedoch klar, dass es gewisse Gespräche gibt. Le Monde berichtete gestern, dass Sarkozy vor einem Monat Gaddafis Stabschef Bachir Saleh getroffen habe. Das Büro des Präsidenten lehnte einen Kommentar zu der Meldung ab.

Der französische Außenminister Alain Juppé erklärte unabhängig davon auf Radio France Info: "Es hat Kontakte gegeben, aber es haben noch keine richtigen Verhandlungen stattgefunden. Das libysche Regime schickt seine Emissäre überall hin, in die Türkei, nach New York, nach Paris. Wir treffen Abgesandte, die sagen, 'Gaddafi ist bereit abzutreten, lasst uns darüber reden'."

Juppé fügte hinzu: "Es gibt einen Konsens darüber, wie die Krise beendet werden kann, und zwar muss Gaddafi die Macht abgeben. Das war vor zwei oder drei Monaten noch keineswegs klar."

Diesem Konsens hat sich dem französischen Außenminister zufolge inzwischen auch die Afrikanische Union angeschlossen. Am Sonntag besuchte Juppé die Zentrale der Afrikanischen Union in Äthiopien und erklärte anschließend, führende Repräsentanten der Organisation stünden "der Position Frankreichs und der Koalition jetzt näher als vorher". Die Afrikanische Union hatte bisher die Position der russischen Regierung unterstützt. von der NATO einen sofortigen Waffenstillstand verlangt und die Möglichkeit offen gelassen, dass Gaddafi an der Macht bleiben könne.

In Paris stimmte die Nationalversammlung gestern der Fortsetzung militärischer Operationen in Libyen mit 482 zu 27 Stimmen zu. Die Abgeordneten von Sarkozys UMP und der oppositionellen Sozialistischen Partei stellten sich gemeinsam hinter die Kriegspolitik.

Premierminister Francois Fillon sagte vor der Abstimmung in der Kammer: "Eine politische Lösung in Libyen ist dringender denn je und sie beginnt Gestalt anzunehmen." Er enthüllte keine Details einer möglichen "Lösung", betonte aber, Voraussetzung sei, dass "Oberst Gaddafi die Macht abgibt".

Die diplomatischen Manöver Frankreichs stimmen mit den zentralen strategischen Zielen des Kriegs der NATO gegen Libyen überein. Der Feldzug zielt darauf ab, Gaddafi von der Macht zu vertreiben und ein Marionettenregime in Tripolis zu installieren, das weitgehend aus ehemaligen hohen Vertretern des Gaddafi-Regimes besteht, und den großen Ölkonzernen erlaubt, die lukrativen Bodenschätze des Landes auszubeuten. Darüber hinaus soll es Washington und seinen europäischen Verbündeten als Plattform dienen, von der aus sie ihre Operationen nach Tunesien, Ägypten und nach ganz Nordafrika ausdehnen können.

Es ist ihnen aber nicht gelungen, diese Ziele mit militärischen Mitteln zu erreichen, trotz viermonatiger ununterbrochener Bombeangriffe, trotz der Bewaffnung der "Rebellen", der Entsendung von Sondertruppen und anderer Berater nach Bengasi und mehrfacher Mordversuche an Gaddafi und seiner Familie und trotz Appellen an Gaddafis inneren Kreis, sich gegen ihren Führer zu wenden. Verhandlungen werden jetzt als ein mögliches Mittel betrachtet, um das militärische Patt zu durchbrechen.

Diese Entwicklungen unterstreichen den Zynismus mit dem die NATO behauptet, für "Demokratie" in Libyen zu kämpfen. In Wirklichkeit versuchen die Obama-Regierung und ihre europäischen Partner Gaddafi zu stürzen, seinen repressiven Machtapparat aber zu erhalten. Ein ungenannter "hoher westlicher Diplomat" sagte dem britischen Telegraph: "Es herrscht allgemeine Übereinstimmung unter westlichen Diplomaten, dass die im westlichen Teil Libyens bestehenden staatlichen Strukturen im Fall eines schnellen Zusammenbruchs des Gaddafi-Regimes nicht völlig abgelehnt werden sollten."

Der Nationale Übergangsrat, der selbst zu großen Teilen aus langjährigen Regierungsmitgliedern besteht, hat weitere führende Positionen für künftige Überläufer des Regimes in der ungewählten Regierung reserviert, die nach einem Sturz Gaddafis eingesetzt werden soll. Das Mitglied des TNC, Naji Barakat, erklärte, dass es in Tripolis nur dreißig oder vierzig Personen gibt, mit denen der TNC nicht bereit sei zusammenzuarbeiten.

Die "demokratischen" Federn, mit denen sich die so genannten Rebellen schmücken, wurden kürzlich durch die Terrorherrschaft weiter kompromittiert, die sie in den eroberten Dörfern und Städten in den Nafusa-Bergen südlich von Tripolis entfesselten.

In einem Menschenrechtsbericht hieß es heute: "Rebellen und ihre Anhänger haben Eigentum beschädigt, einige Häuser angezündet, Krankenhäuser, Wohnungen und Läden geplündert und mehrere Personen geschlagen, die Regierungstruppen unterstützt haben sollen." Ein Bericht in der New York Times aus dem Dorf Qawalish scheint zu belegen, dass Anti-Gaddafi-Milizen brutale Kollektivstrafen gegen Stammesangehörige verhängen, die Anhänger der Regierung sein sollen. Sie zwangen ganze Dórfbevölkerungen, aus ihren Häusern zu fliehen, die sie dann plünderten und in Brand steckten.

Ein derartiges Vorgehen angeblich von Gaddafis Kämpfern diente als zentraler Vorwand für die NATO-Intervention, aber jetzt sind es die Marionettentruppen der Imperialisten, die Zivilisten bedrohen.

Es bleibt abzuwarten, zu was die französische Verhandlungsoffensive zur Beendigung der NATO-Angriffe führt. Es besteht kein Zweifel, dass die USA, Frankreich und Großbritannien gleichzeitig die Vorbereitungen auf eine Verschärfung des Kriegs, bis hin zur Entsendung von Bodentruppen, vorantreiben, falls die Verhandlungen ergebnislos verlaufen sollten.

Francois Fillons Ansprache in der Nationalversammlung gestern enthielt mehrere kaum verschleierte Drohungen. Einem Reuters-Bericht zufolge erklärte der Premierminister, dass Gaddafi "mit dem Rücken zur Wand" stehe, es sei aber nicht das Ziel, ihn zu "eliminieren". Fillon fuhr fort: "Wir sind noch nicht am entscheidenden Punkt angelangt. Aber wir müssen jetzt entschlossener denn je sein. Und die internationale Gemeinschaft muss sich jetzt als standhaft erweisen." Der Zweck der Abstimmung und der Diskussion in der Nationalversammlung sei es, Gaddafi zu zeigen, dass Frankreich und die NATO "fest entschlossen" seien.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.07.2011
Französische Regierung verhandelt über Lösung für Libyen-Krieg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2011