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GLEICHHEIT/3678: M-15 Proteste in Spanien - Wie vorwärts für die "Zornigen"?


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

M-15 Proteste in Spanien:
Wie vorwärts für die "Zornigen"?

Von Chris Marsden
1. Juni 2011


Die Massendemonstrationen in Spanien, die am 15. Mai begannen, sind ein Resultat der enormen Wut über die Sparmaßnahmen der Regierung der Sozialistischen Partei (PSOE). Diese Maßnahmen sollen trotz der weit verbreiteten Not und Arbeitslosigkeit durchgesetzt werden. Bei den 18 bis 25jährigen - dem Kern der los indignados (die Zornigen) - beträgt die Arbeitslosigkeit nahezu 50 Prozent.

Auffallend bei den Protesten ist die Ablehnung der offiziellen Parteien, vor allem der Sozialistischen Partei (PSOE), sowie der Gewerkschaften, die außer einem symbolischen eintägigen Proteststreik am 29. September letzten Jahres nichts gegen die Angriffe auf die Arbeiter und die Jugend unternahmen. Auch die von den Stalinisten geführte Vereinigte Linke (IU) konnte nicht von den immer stärker werdenden sozialen Protesten profitieren, denn überall, wo sie sich in regionalen und lokalen Behörden eine Basis verschaffen konnte, hat sie über lange Zeit immer wieder Kürzungen durchgesetzt.

Die Massenbewegung gewann unter der arbeitenden Bevölkerung beträchtliche Sympathie. Bei den Regional- und Gemeindewahlen drückte sie ihre politische Entfremdung von der PSOE aus, indem sie mehr als eine Million leere oder ungültige Stimmzettel abgab.

Auch in anderen europäischen Ländern hat die spanische Bewegung Solidaritätsaktionen ausgelöst - so in Italien, Deutschland, Großbritannien und Belgien. Der Guardian beschrieb dies als eine "von jungen Menschen geführte Rebellion,...die sich über Südeuropa ausbreitet ...und sich einig in ihrer Ablehnung der führenden Politiker und wütend über die Sparmaßnahmen ist".

Am Mittwoch erlebte Griechenland das wichtigste Nachbeben des politischen Erdbebens: 15.000 demonstrierten in Athen und 30.000 landesweit gegen die Kürzungen der sozialdemokratischen PASOK-Regierung, die vom Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank diktiert worden waren. Die Demonstranten riefen in Sprechchören vor dem griechischen Parlament "Diebe, Diebe" und forderten: "Es ist höchste Zeit, dass die Verursacher der Krise verschwinden."

Die M-15 Proteste werden schon "Spanische Revolution" genannt. Auf ihrem gegenwärtigen Niveau jedoch, wo es an einem klaren Programm, einer Perspektive und Führung fehlt, wird sich die Massenbewegung jedoch als ungeeignet erweisen, die herrschenden Eliten in die Knie zu zwingen, die entschlossen sind, die Lasten aus Bankenrettungen und der Rezession auf die arbeitende Bevölkerung Europas abzuwälzen.

Es sei daran erinnert, dass im März 300.000 von der Website "The Scraping-By-Generation" (Generation am Abgrund) mobilisierte Demonstranten in elf Städten Portugals auf die Straße gingen. Selbst diese Bewegung ist heute erlahmt, obwohl sich die großen Parteien im Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 5. Juni mit Ankündigungen enormer Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen überbieten, womit sie die 78 Milliarden Euro für das Rettungspaket der Europäischen Union und des IWF aufbringen wollen.

Einigen der Beteiligten wird zunehmend bewusst, dass ihre Proteste in einer Sackgasse enden werden, sollten sie sich darauf beschränken, die Sit-Ins so lange wie möglich durchzuhalten. Bisher wurde eine Atmosphäre kultiviert, in der Bemühungen, über "mehr Proteste" in "mehr Städten" hinauszugehen, als Versuche denunziert werden, "sich die Bewegung unter den Nagel zu reißen".

Die M-15-Proteste werden von mehreren Internet-Kampagnen gesteuert, die unisono betonen, es gebe "keine Führung" und die Bewegung habe eine "horizontale Struktur". Gleichzeitig verlangen sie, dass keine andere Gruppierung den Protesten ihre politische Ausrichtung "aufzwingen" darf.

Dennoch stecken dahinter definitive politische Tendenzen. Die Bewegung Real Democracy Now (Wirkliche Demokratie Jetzt), die von verschiedenen Anti-Globalisierungs-Bewegungen angeregt, und über mehr als ein Jahrzehnt in ihren tonangebenden Kreisen kultiviert wurde, tritt für ein paar beschränkte Reformen im Sozialbereich und der Wahlgesetzgebung ein. Sie fordert jedoch genau die Parteien und Organisationen nicht heraus, die für die heutige missliche Lage der Arbeiter und der Jugend verantwortlich sind. Eine weitere Gruppe, "nolesvotes", ist eine Schöpfung prominenter Geschäftsleute, von denen einer ein soziales Netzwerk betreibt.

Die verschiedenen ex-linken Gruppierungen treten als "revolutionär" und "sozialistisch" auf und sind bereit eine Politik durchzusetzen, die auf eine Amnestie für die PSOE und die Gewerkschaftsbürokratie hinausläuft. Miteinander glorifizieren sie alle die Spontaneität der Bewegung sowie deren fehlende Perspektive. Damit töten sie die kritischen Fähigkeiten der Bewegung der Jugendlichen und der Arbeiter ab.

Miguel Urban von der dem Vereinigten Sekretariat angegliederten Gruppierung Izquierda Anticapitalistica schreibt von einer unvollendeten "Erzählung", einem "Diskurs und einer Praxis, die so gut wie möglich auf ihrem Weg zusammengehalten werden müssen."

En Lucha appelliert, an "die enorme Energie, Courage und Kreativität, die in den Camps zu Tage tritt,...[diese] muss in große materielle Stärke der Arbeiterklasse umkanalisiert werden". Damit ist gemeint, sie im Schlepptau des Gewerkschaftsapparates zu halten, als "etwas was wir, wenn auch nur vorübergehend, schon beim Generalstreik am 29. September sehen" konnten.

Die Gruppe El Militante gibt sich beim Gelübde ihrer politischen Loyalitäten etwas ungeschminkter und betont, die Zukunft der Protestbewegung M-15 hänge davon ab, dass die Führung durch die "Gewerkschaftsführer der CCOO und UGT akzeptiert werde. Diese müssten ihre Verantwortung übernehmen und angesichts der Angriffe auf die Arbeiterklasse, die Jugend , die Arbeitslosen und die Rentner reagieren."

Diese Tendenzen behaupten, ihre Perspektive werde durch den Arabischen Frühling bestätigt. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall.

In Ägypten und Tunesien wurden Diktatoren durch viel umfassendere Protestbewegungen gestürzt, als die in den letzen Wochen in Spanien. Sie hinterließen jedoch weiter funktionierende diktatorische Regimes. Im Gegensatz zu einer von den Massen erstrebten echten demokratischen Umwälzung setzten die Parteien der Bourgeoisie durch ständig brutalere Unterdrückung der Arbeiterklasse alles daran, den Reichtum weniger Privilegierter zu retten. Dies alles wurde unter aktiver Mitarbeit der Gewerkschaftsführer durchgeführt. Diese saßen in verschiedenen Beratungsgremien über "demokratische Reformen", während gleichzeitig ihre Mitglieder angegriffen, und ihre Streiks verboten wurden. Inzwischen existieren alle sozialen Übel wie Massenarbeitslosigkeit und zermürbende Armut weiter, die die Unzufriedenheit der Massen ausgelöst hatten.

Arbeiter und Jugendliche in Spanien, in Europa und in der ganzen Welt sind mit den gleichen Problemen konfrontiert.

Die Arbeitsklasse ist nicht nur in einen Kampf gegen korrupte Politiker verwickelt. Diese Politiker sind nichts als gut entlohnte Verteidiger der Kapitalistenklasse und eines Systems, das auf der immer brutaleren Ausbeutung der arbeitenden Massen basiert.

Die globale Wirtschaftskrise, die 2008 ausbrach, ist nicht gelöst. Täglich verschlimmert sie sich. Die arbeitende Bevölkerung trägt die ganze Last. Banker und Spekulanten belohnen sich dagegen mit gigantischen Boni und Gehaltserhöhungen. Dies sind keine Fehlentwicklungen, die durch Appelle und Reformen korrigiert werden können. Sie zeigen, dass der Wesenskern des Kapitalismus. Marx stellte fest: "Die Anhäufung von Reichtum auf dem einen Pol der Gesellschaft bedeutet die Anhäufung von Elend und Überarbeitung auf dem anderen."

Der Erhalt des Lebensstandards und grundlegender Sozialleistungen für die arbeitenden Menschen ist mit dem Fortbestand des Profitsystems nicht weiter vereinbar. Nichts weniger als eine grundlegende sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft kann das leisten. In Spanien und auf Weltebene wird die Arbeiterklasse in einen politischen Kampf gegen die kapitalistische Ordnung gestoßen. Auf der Tagesordnung steht jetzt der Kampf für eine Arbeiterregierung, die die Kommandobrücken der Wirtschaft in gesellschaftlichen Besitz überführt und die Banken und Konzerne der demokratischen Kontrolle der Arbeiter selbst unterstellt.

Dies erfordert den Aufbau einer neuen politischen Partei und einer neuen Führung, die den Kampf für die sozialen Interessen der Arbeiterklasse und der jungen Generation anleitet, die unter den gegenwärtigen Bedingungen keine Zukunft haben. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale, seine europäischen Sektionen und die World Socialist Web Site setzen sich für den Aufbau einer solchen Partei in Spanien und weltweit ein.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 01.06.2011
M-15 Proteste in Spanien:
Wie vorwärts für die "Zornigen"?
http://www.wsws.org/de/2011/jun2011/span-j01.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2011