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GLEICHHEIT/3658: Europäische Finanzminister verzögern neuen Bailout für Griechenland


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Europäische Finanzminister verzögern neuen Bailout für Griechenland

Von Stefan Steinberg
19. Mai 2011


Das zweitägige Gipfeltreffen der europäischen Finanzminister in Brüssel endete gestern ohne eine Einigung bezüglich dem Hauptproblem: Der griechischen Wirtschaftskrise, die zunehmend außer Kontrolle gerät.

Am Montag einigten sich die Finanzminister auf Bedingungen für ihr Darlehen im Wert von 78 Milliarden Euro an Portugal. Portugal werden dafür tiefgreifende Kürzungen der Sozialausgaben und ein umfangreiches Privatisierungsprogramm auferlegt. Die Finanzminister haben sich außerdem darauf geeinigt, Mario Draghi, den Chef der italienischen Zentralbank und ehemaligen Angestellten von Goldman Sachs, zum neuen EZB-Chef zu ernennen.

Am Dienstag brachen dann allerdings die Verhandlungen über die Frage zusammen, wie das Ausbluten der griechischen Wirtschaft gestoppt werden soll. Konflikte erwuchsen auch wegen einem Punkt, der nicht offiziell auf der Tagesordnung stand, der aber hinter den Kulissen die Diskussionen auf dem Gipfeltreffen dominierte: über die Notwendigkeit, einen Ersatz für den Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn zu finden, der jetzt unter der Anklage eines Sexualdelikts ohne Kaution in New York City in Haft sitzt.

Im Mai 2010 erhielt Griechenland als erstes europäisches Land 110 Milliarden Euro durch einen Bailout der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds. Das Ziel des Bailouts war es, die Forderungen europäischer Banken und Finanzhäuser zu schützen, die stark in die griechische Wirtschaft investiert hatten. Der Bailout gewährte Griechenland Kredit zu hohen Strafzinsen für mehrere Jahre. Als Gegenleistung wurde von Griechenland gefordert, die Staatsausgaben zu kürzen und seine Schulden abzubauen.

Ein Jahr später hat sich die griechische Wirtschaftskrise deutlich verschlimmert. Nachdem die Regierung eine Reihe von Sparmaßnahmen durchgesetzt hatte, hat sich die Verschuldung des Landes dramatisch erhöht, weil das Sparprogramm der EU und des IWF das Land in eine tiefe Rezession getrieben hat.

Da die Finanzminister der Eurozone bei dem Treffen in Brüssel zu keinem Ergebnis kommen konnten, wurde eine endgültige Entscheidung auf das nächste EU-Treffen im Juni vertagt. Der einzige Vorschlag, den die versammelten Finanzminister vorweisen konnten, waren weitere Kürzungen der griechischen Sozialausgaben - vor allem durch Privatisierung von wichtigen Dienstleistungen wie den Strom- und Telefonanbietern, die immer noch teilweise im Staatsbesitz sind.

Die vollständige Privatisierung dieser Firmen wird eine großartige Gelegenheit für Privatfirmen sein, sie aufzukaufen. Dadurch werden sie in der Lage sein, den Kunden die Preise für diese wichtigen Dienstleistungen zu diktieren.

In einem Kommentar zum Versagen der europäischen Führung, sich über Griechenland einig zu werden, lamentierte Der Spiegel: "Wenn die Medizin nicht wirkt, wird die Dosis erhöht. Das heißt, den Sanierungsplan, den die Retter des Euro in Brüssel verfolgen, wird weiter verschärft. Neue Sparrunden und Darlehen würden nicht nur Griechenlands Verschuldung erhöhen und die Wirtschaft weiter belasten, sie würden Griechenland auch für Jahrzehnte als Europas 'Sorgenkind' brandmarken, das von der Gunst der Geldgebernationen abhängig ist und von Inspektoren der EU-Kommission, der EZB und des IWF regiert wird. Diese Aussicht beschreibt die Londoner Financial Times als 'politischen Albtraum'."

Die Haupt-Verwerfungslinie innerhalb der Eurozone liegt zwischen Deutschland auf der einen Seite und der Mehrheit der anderen Länder und der EZB auf der anderen. Deutschland hat sich vor kurzem für eine Umschuldung griechischer Schulden stark gemacht.

Diese Option würde für europäische Banken schwere Verluste bedeuten, vor allem für die Hauptgläubiger Griechenlands- die französischen Banken und die EZB, die seit der europäischen Schuldenkrise in großen Mengen griechische Staatsanleihen aufgekauft hat. Vor kurzem warnte ein führender Angestellter der Europäischen Zentralbank, Lorenzo Bini Smaghi, dass eine Umschuldung Griechenlands zu einer "wahren Kernschmelze" in Europa führen würde.

Die deutschen Banken halten nicht so viele griechische Schuldtitel. Der größte deutsche Investor bei griechischen Schulden ist die Hypo Real Estate (HRE), die nach der Finanzkrise von 2008 verstaatlicht wurde. Das bedeutet, für Verluste die die HRE durch ihre Beteiligung an griechischen Schulden erleiden würde, würden letzten Endes nicht die Banken, sondern die Steuerzahler geradestehen.

Die Mehrheit der EU-Staaten, unter Führung von Frankreich und unterstützt durch die EZB, fordern eine Lösung, die beinhalten würde, dass Deutschland als größte Wirtschaftsmacht des Kontinents mehr für die notleidende griechische Wirtschaft zahlt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel steht unter wachsendem Druck derjenigen, die vehement gegen weitere Finanzhilfen sind und fordern, den Staatsbankrott Griechenlands in Kauf zu nehmen. Diese Ansicht wird auch von zahlreichen Bundestagsabgeordneten ihrer eigenen Koalition vertreten.

Erst letztes Wochenende erklärte ein Drittel der Delegierten auf einer Parteikonferenz der marktliberalen Freien Demokratischen Partei, die zur Regierungskoalition gehört, dass sie gegen weitere finanzielle Hilfen Deutschlands an Griechenland seien. Nachdem bereits die Regierungen Finnlands, Irlands und Portugals durch die europäische Schuldenkrise zu Fall gebracht wurden, droht sie nun, auch zu einer Regierungskrise in Deutschland zu führen.

Kontrovers diskutiert wurde auf dem Gipfeltreffen auch über einen möglichen Ersatz für den fehlenden Gast: IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn. Strauss-Kahn hätte an dem Gipfeltreffen teilnehmen sollen, aber wurde in letzter Minute durch zwei niedriger gestellte IWF-Mitglieder ersetzt, da er in New York wegen versuchter Vergewaltigung eines Zimmermädchens verhaftet wurde.

Sowohl Deutschland wie auch die EU-Kommission erklärten sofort, dass der Nachfolger von Strauss-Kahn aus Europa stammen sollte. Traditionell war während der Nachkriegszeit der Vorsitzende des IWF ein Europäer mit einem Amerikaner als Stellvertreter. Im Austausch dafür war der Chefposten der Weltbank immer von einem Amerikaner besetzt.

Diese jahrzehntelange Vereinbarung wird jetzt plötzlich durch die Verhaftung von Strauss-Kahn gefährdet. Die Spitzen der europäischen Finanzwelt befürchten dass ein nichteuropäischer Kandidat, der sich im europäischen Bankensystem nicht auskennt oder ihm sogar feindlich gesinnt ist - die Verhandlungen, die nötig sind um die Eurozone vor dem Zusammenbruch oder dem Auseinanderbrechen zu schützen, stören oder zum Scheitern bringen würde.

Angela Merkel drückte die Besorgnis mehrerer europäischer Staatschefs aus als sie vor Reportern erklärte: "Wir wissen, dass auch Entwicklungsländer mittelfristig ein Recht auf die Chefposten des IWF und der Weltbank haben. Ich denke aber, dass Europa in der derzeitigen Lage, in der wir viel über den Euro diskutieren müssen, gute Kandidaten anzubieten hat."

Merkels Kommentare, die von EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso und dem belgischen Finanzminister Didier Reynders bekräftigt wurden, waren ein Versuch, Territorien abzugrenzen, während die Art der europäischen Staatschefs, die Krise zu kontrollieren, aus dem Ausland zunehmend in die Kritik gerät.

Letzten Montag haben amerikanische, chinesische und kanadische Abgesandte bei einem Treffen in Washington ihre zunehmende Verärgerung über die Unfähigkeit der Europäer geäußert, die Krise in den Griff zu bekommen und die Märkte zu beruhigen.

Laut einem EU-Diplomaten haben "die USA, Kanada und Peking der EU verständlich gemacht: "Ihr müsst das auf die Reihe kriegen um die Spekulationen zu stoppen."

Zwar sind sich die europäischen Nationen einig, dass Strauss-Kahns Nachfolger ein Europäer sein soll, aber ansonsten gibt es wenig Konsens darüber, wer als Kandidat in Frage kommt.

Bereits als potenzielle Kandidaten genannt wurden die französische Finanzministerin Christine Lagarde, der türkische Finanzminister Kemal Derwis, der ehemalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück und sogar der ehemalige britische Premier Gordon Brown.

In den vergangenen zehn Jahren haben sich Deutschland und Frankreich ein Wettrennen um Führungspositionen in europäischen und internationalen Finanzinstitutionen geliefert. Im Lichte ihrer unterschiedlichen Konzepte für die Euro-Krise ist es schwer, sich vorzustellen, wie man sich auf einen Kandidaten einigen sollte.

Gordon Brown gilt nicht als ernsthafter Kandidat - Großbritannien gehört nicht zur Eurozone, und der derzeitige Premierminister David Cameron ist gegen seine Nominierung. Der türkische Kandidat dagegen gilt als Vertreter der aufstrebenden Wirtschaftsmächte. Trotz der Bemühungen der türkischen Regierung wird der Türkei die EU-Mitgliedschaft bisher immer noch verweigert.

In einer Zeit, in der Europa unter zunehmenden Druck von Amerika und China gerät, hat der plötzliche Wegfall des IWF-Chefs die Antagonismen zwischen den wichtigsten Mächten des Kontinents noch vertieft.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.05.2011
Europäische Finanzminister verzögern neuen Bailout für Griechenland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2011