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GLEICHHEIT/3505: Proteste erschüttern algerisches Regime


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Proteste erschüttern algerisches Regime

Von Alex Lantier
11. Februar 2011


Ein nationaler Streik im Gesundheitsdienst Algeriens gegen das Militärregime von Präsident Abdelasis Bouteflika wurde gestern in Algerien fortgesetzt. Proteste von arbeitslosen Jugendlichen und Arbeitern breiteten sich im ganzen Land aus.

Das Bouteflika-Regime wird von einer Welle revolutionärer Arbeiterkämpfe in Nordafrika und dem Nahen Osten, besonders in Ägypten und Tunesien, erschüttert. Einem Kommuniqué der herrschenden Nationalen Befreiungsfront (FLN) vom 5. Februar zufolge will Bouteflika die Notstandsgesetzte aufheben, die vor neunzehn Jahren, zu Beginn des algerischen Bürgerkriegs, verhängt worden waren.

Im letzten Monat rebellierte die Jugend in Algerien gegen hohe Lebensmittelpreise und die Kürzung staatlicher Subventionen, sowie gegen steigende Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt.

Gestern setzten Krankenschwestern und -pfleger und Sanitäter den am Vortag begonnenen unbegrenzten Streik fort. Das streikende Personal garantierte nur einen minimalen Notdienst in Krankenhäusern und Ambulanzen. Das Regime lehnt es ab, mit der kleineren Algerischen Sanitäter Gewerkschaft (SAP) zu verhandeln, und zieht es vor, sich mit der offiziellen UGTA auseinanderzusetzen.

Die Beschäftigten im Gesundheitsdienst haben wenig Vertrauen in Verhandlungen mit den Behörden. Auf einem Plakat vor der Klinik für Brandverletzungen in Algiers stand: "Spart es euch, Versprechungen am Laufmeter abzugeben."

Medienberichten zufolge beteiligt sich die große Mehrheit der Beschäftigten im Gesundheitswesen an dem Streik. Sie verlangen Lohnerhöhungen, eine Ausbildung an der Universität und die Wiedereinstellung entlassener Gewerkschaftsdelegierter.

SAP-Sprecher Lounes Ghachi erklärte: "Krankenhausdirektoren erhielten die Weisung, den Streik mit Drohungen und Einschüchterung zu beenden, aber es ist ihnen nicht gelungen, die Entschlossenheit des Hilfspersonals zu brechen."

Gestern protestierten entlassene Zeitarbeiter vor dem staatlichen Chemiewerk ENAD in Sour-El-Ghozlane und verlangten ihre Arbeitsplätze zurück. Die Entlassungen fingen im März letzten Jahres an. Interviews in Liberté zufolge drohen die Arbeiter mit Selbstmord, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

Der Werksleiter sagte zu Liberté, er lehne es ab, die Arbeiter wieder einzustellen: "Ich habe nie versprochen, sie wieder einzustellen", sagte er.

Arbeitslose Jugendliche blockieren die Nationalstraßen (RN), die einige große algerische Städte miteinander verbinden. Jugendliche in Naciria und Bordj-Menaïel (Boumerdès) blockierten gestern die Nationalstraße 12 und forderten Arbeitsplätze und ein monatliches Arbeitslosengeld von 12.000 DA (ca. 120 Euro).

An den Vortagen gab es Berichte über gewalttätige Zusammenstöße zwischen der Polizei und arbeitslosen Jugendlichen, die auf der RN 12 bei Naciria zwischen Skikda und Constantine Arbeitsplätze verlangten. Die Polizei ging auch auf der Straße von Algier nach Tizi Ouzou gegen 200 Jugendliche vor.

Arbeiter der Milchfabrik "La Vallée" in Tazmalt haben die Straße von Bajaia nach Algier gesperrt und fordern die Wiedereinstellung von vierzig Arbeitern, die entlassen worden waren, als die Nachfrage nach Milchpulver zurückging.

Das ganze politische Establishment bereitet sich auf einen Aufschwung sozialer Kämpfe in Algerien vor. Es gibt Berichte über die Lieferung großer Mengen Tränengas und Kampfausrüstungen für Polizisten, die im Hafen von Algier eintreffen. Um den Unmut unter Arbeitern und Jugendlichen in für die algerische Elite harmlose Kanäle zu lenken, hat die offizielle "Opposition" schließlich doch noch zu einer Protestkundgebung aufgerufen.

Für den 12. Februar plant die Nationale Koordination für Wandel und Demokratie (CNCD) eine eintägige Demonstration in Algier. Die CNCD ist eine Koalition aus Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften und offiziellen Oppositionsparteien, die vom Bouteflika-Regime toleriert werden, ähnlich der Sammlung für Kultur und Demokratie (RCD). Die Behörden in Algier haben eine offizielle Erlaubnis für die Demonstration verweigert, aber die CNCD erklärt, sie werde dennoch demonstrieren.

Es scheint, dass die Behörden die Demonstration nutzen wollen, um unzufriedene Jugendliche zu identifizieren und das Ausmaß der Opposition gegen das Regime zu testen. Radio Kalima zufolge organisieren Vertreter örtlicher Behörden Treffen mit Jugendlichen und "Jugendgruppen", die möglicherweise an der Kundgebung teilnehmen könnten, um sie von einer Teilnahme abzubringen.

"Berichte über diese Diskussionen werden den Bürgermeistern in Algier vorgelegt, die sie sofort an das Innenministerium weiterleiten, das die Operation gegen die Kundgebung am 12. Februar koordiniert", berichtete der Sender.

Die Hauptfurcht des Regimes und der offiziellen Opposition ist, dass die Arbeiterklasse, wie in Ägypten, massenhaft den Weg des revolutionären Kampfs gegen das Regime beschreitet.

In einem Interview mit der führenden Tageszeitung El Watan sagte der Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist Mokrane Ait Larbi: "Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu sehen, dass das Regime keine breite Legitimation genießt, und dass die Opposition schwach und diskreditiert, sprich: nicht existent ist."

Larbi fügte hinzu: "Die Veränderung des Systems durch eine Aufstandsbewegung kann nicht ausgeschlossen werden." Er hoffe, dass eine Veränderung "friedlich" geschehen werde.

Die Äußerungen zeigen, dass die privilegierten kleinbürgerlichen Schichten Angst vor einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse haben. Noch deutlicher war ein pessimistischer Artikel des RCD-Führers Said Saidi in Causeur.

"2010 gab es in Algerien 9.700 Fälle von oppositionellem Aufruhr unterschiedlicher Größe", schrieb Saidi. "Nimmt man hinzu, dass die Mittelschichten, die in Tunesien die Revolution begleiteten und kanalisierten, in Algerien praktisch nicht existieren, dann sind die Konsequenzen klar. Die Sturköpfigkeit des Regimes und die lang unterdrückte Erbitterung im Volk kann zu einer Explosion führen, die beispiellose nationale und regionale Konsequenzen hat."

In seinem Artikel mit der Überschrift "Algerien: die historische Sackgasse" brachte Saidi die Philosophie des bürgerlichen Nationalismus in Ägypten auf den Punkt, die auch die Philosophie der FLN im Krieg gegen den französischen Imperialismus und seine eigene war.

"Das junge und noch unsichere algerische Nationalbewusstsein entstand im Widerstand gegen die [französischen] Kolonialherren, welche die gesellschaftlichen Normen und Gemeinschaftswerte zerstörten", erklärte er. "Als die größer gewordenen Mittel dem [gegenwärtigen] Regime noch üblere Raubzüge ermöglichten, brachte dies eine Wut hervor, die der Exodus von Managern und Jugendlichen nicht verwässern konnte. Die Wahrheit ist: wir stecken in einer historischen Sackgasse."

Das ist in der Tat die historische Situation, mit der es die Militärregimes in Nordafrika, ihre offiziellen "Oppositionsparteien" und ihre Anhängsel, die "Menschenrechts"-Gruppen, zu tun haben. Und die Arbeiterklasse geht in der ganzen Region in revolutionäre Kämpfe.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 11.02.2011
Proteste erschüttern algerisches Regime
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2011