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GLEICHHEIT/3370: Terrorwarnung als Vorwand für Angriff auf Grundrechte


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Terrorwarnung als Vorwand für Angriff auf Grundrechte

Von Martin Kreickenbaum
24. November 2010


Seit Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) am vergangenen Mittwoch von einer konkreten Bedrohung durch Terroranschläge in Deutschland warnte, hat sich das Bild der Republik deutlich gewandelt. Auf Flughäfen und Bahnhöfen patrouillieren schwerbewaffnete Polizisten mit Maschinenpistolen und schusssicheren Westen, selbst Polizeischüler werden mit martialischer Ausrüstung auf Streife geschickt.

Im Hintergrund werden fieberhaft neue Möglichkeiten der polizeilichen Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung geprobt. Das verstärkte Abhören von Telefon- und Internetkommunikation wird geprüft. Die Überwachung von Ein- und Ausreise wird verschärft. Hinzu kommt ein mediales Dauerfeuer von Bedrohungsszenarien, die in Fernseh- und Zeitungsberichten durchgespielt werden

Während einige Sicherheitspolitiker auf der politischen Bühne gezielt ein Klima der Angst und Hysterie vor Terroranschlägen schüren, wird hinter den Kulissen an der Durchsetzung eines neuen umfangreichen Sicherheitspaketes gearbeitet. Dessen Kernstück soll die Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung sein, die das Bundesverfassungsgericht erst im März dieses Jahres gekippt hat. Aber auch die Inhaftierung von angeblichen "Gefährdern" und der Bundeswehreinsatz im Innern stehen wieder auf der Agenda.

Schon das seltsame zeitliche Zusammentreffen der Erklärung des Bundesinnenministers vom Mittwoch mit dem Beginn der Innenministerkonferenz am Donnerstag und dem Fund einer Bombenattrappe in der namibischen Hauptstadt Windhuk, die angeblich für ein Air-Berlin-Flugzeug nach München bestimmt war, sollte stutzig machen. Am Samstag wusste das Nachrichtenmagazin Der Spiegel dann von konkreten Anschlagsplänen auf das Berliner Reichstagsgebäude zu berichten. Die Informationen waren dem Magazin anscheinend gezielt vom Bundeskriminalamt zugespielt worden.

Jeder einzelne dieser Fälle ist mehr als dubios und wirft viele Fragen auf.

Beim angeblichen Bombenfund in Windhuk wurde die Öffentlichkeit von den Sicherheitsbehörden 27 Stunden lang mit falschen Informationen gefüttert. Die Meldung über den Bombenfund wurde am Donnerstag um 10.42 Uhr vom Bundeskriminalamt lanciert. Innenminister de Maiziere persönlich hatte es dazu angehalten. Das BKA meldete, namibische Sicherheitskräfte hätten ein "verdächtiges Gepäckstück" isoliert und daraufhin die deutsche Botschaft informiert. Das verdächtige Gepäckstück habe bereits auf einem Gepäckwagen gelegen und sei für die Verladung in eine Air-Berlin-Maschine nach München vorgesehen gewesen.

In Namibia hatte der Pilot des Flugzeugs die Startvorbereitungen nach dem Bombenalarm abgebrochen, alle 296 Passagiere und sämtliches Gepäck wurden einem abermaligen Sicherheitscheck unterzogen und die Maschine konnte ihren Flug erst mit sechsstündiger Verspätung antreten.

Doch nach und nach mussten die deutschen Sicherheitsbehörden zurückrudern. Aus einem "sehr gefährlich" aussehenden Gepäckstück mit raffiniertem Zündmechanismus wurde ein dilettantischer Zünder. Auf dem Paket selbst waren Aufkleber angebracht, die das Gepäckstück als "Test" und "non-hazardous (ungefährlich)" deklarierten. Schließlich kam heraus, dass es sich gar nicht auf einem Gepäckwagen befunden hatte, sondern nur in der Abfertigungshalle des Flughafens von Windhuk in der Nähe der Abfertigungszone für den Air Berlin-Flug befand. Es war nicht eingecheckt worden und hatte auch keinen Gepäckanhänger. "Damit hatte das Objekt kein Ziel, keine Fluggesellschaft und keinen Eigentümer", wie Air-Berlin-Sprecherin Sabine Teller der Süddeutschen Zeitung erklärte.

Das Gepäckstück war demnach gar nicht für den Flug nach München vorgesehen, Innenminister de Maiziere beharrte am Donnerstag dennoch weiter auf der Version, die das BKA verlautbart hatte. Erst am Freitag gab der Innenminister Entwarnung und berichtete, dass es sich um einen sogenannten Realtestkoffer gehandelt habe, mit dem die Sicherheitskontrollen von Flughäfen regelmäßig überprüft werden. Der Koffer selbst war von einem kleinen kalifornischen Sicherheitsunternehmen hergestellt worden, dessen Besitzer Larry Copello aber öffentlich keine Angaben darüber machen konnte, wer den Koffer erworben hatte.

Ungeklärt ist bis heute, in wessen Auftrag der Testkoffer überhaupt auf dem Flughafen deponiert wurde. Am Sonntag wurde zwar der Chef der Flugsicherheit des Flughafens Windhuk festgenommen, da er auf Videoaufnahmen als derjenige identifiziert wurde, der den Koffer in den Abfertigungsbereich der Air Berlin-Maschine gestellt hatte. Aber es ist unwahrscheinlich, dass er dies aus eigenem Antrieb tat.

Viel wahrscheinlicher ist, dass deutsche oder befreundete Geheimdienstmitarbeiter hinter der ganzen Aktion stehen. Dafür spricht, dass die Firma von Larry Copello unter strenger Überwachung steht und Realtestkoffer nur an Sicherheitsbehörden verkauft. Der fragliche Koffer soll schon seit vier bis fünf Jahren im Umlauf sein - genügend Zeit, die Spuren zu verwischen und den Koffer geheimdienstlich für innenpolitische Zwecke einzusetzen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass der Bundesnachrichtendienst Gefährdungsplots selbst inszeniert, war er doch auch schon mal am Handel mit angereichertem Uran beteiligt. Auch der Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz war schon entsprechend tätig, als er 1978 ein Loch in die Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle sprengte um einen Terroranschlag vorzutäuschen.

Den Hardlinern der Sicherheitspolitik kam der Bombenalarm aus dem fernen Windhuk jedenfalls sehr zupass. Sie überschlugen sich am Rande der Innenministerkonferenz förmlich mit Vorschlägen, die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten drastisch auszuweiten und die Bevölkerung zur Denunziation von Muslimen aufzurufen.

Voran schritten die Innenpolitiker der CSU Norbert Geis und Hans-Peter Uhl. Geis forderte im Boulevardblatt Bild "Gefährder vorläufig festzunehmen". Er wärmte damit einen Vorschlag auf, den der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereits 2007 unterbreitet hatte: Personen sollen ohne Prozess und ohne eine Straftat begangen zu haben alleine aufgrund ihrer Gesinnung inhaftiert werden können.

Dieser Vorschlag ist bisher auf starken Widerstand gestoßen. Kritiker betonen, er führe in Konsequenz dazu, jede Rechtsstaatlichkeit auszuhebeln und in Deutschland ein Straflager nach dem Vorbild von Guantanamo zu schaffen.

Hans-Peter Uhl sprach sich nicht nur für die personelle und finanzielle Aufrüstung von Polizei- und Geheimdiensten aus, sondern forderte auch den Einsatz einer Spionage-Software, um verschlüsselte Kommunikation über das Internet abzuhören. Damit verbunden ist ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre und die informationelle Selbstbestimmung. Vor allem politisch missliebige Personen würden einer permanenten Überwachung durch die Sicherheitsbehörden ausgesetzt.

Im Zentrum der Forderungen steht aber die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, die den Sicherheitsbehörden praktisch unbeschränkten Zugang zu sämtlichen Telefon- und Internetdaten verschafft.

Auch SPD-Politiker schließen sich mittlerweile dieser Forderung an. So haben sich der Innenminister Nordrhein-Westfalens, Ralf Jäger, und der einflussreiche Innenexperte der SPD Dieter Wiefelspütz zustimmend zu entsprechenden Plänen geäußert. Wiefelspütz sagte der Mitteldeutschen Zeitung: "Wir müssen die Sicherheitsarchitektur unseres Landes weiterentwickeln und auf die Höhe des digitalen Zeitalters bringen. Das Postkutschenzeitalter ist zu Ende. Terroristen bedienen sich modernster Kommunikationsformen. Dem muss man Rechnung tragen."

Ziel dieser Kampagne ist unter anderem die amtierende Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die zu den Beschwerdeführern gehörte, als das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kippte. Das Gericht hatte die alte Regelung als verfassungswidrig eingestuft, weil die Sicherheitsbehörden mit den gespeicherten Daten exakte Persönlichkeits- und Bewegungsprofile der gesamten Bevölkerung hätten erstellen können. Das ging den Verfassungsrichtern zu weit.

Die Verfassungsrichter ließen der Politik aber eine Hintertür offen, indem sie Vorgaben für ein neues Gesetz machten, das vor Gericht stand halten kann. Dieser Vorgang war nicht nur ungewöhnlich, das Gericht wich damit auch von seiner seit 1983 geltenden Rechtsprechung ab. Damals hatte es im Urteil zur Volkszählung jede anlasslose Datenspeicherung als grundgesetzwidrig eingestuft.

Seit dem Urteil über die Vorratsdatenspeicherung schwelt innerhalb der Regierungskoalition ein Streit um die Neuauflage des Gesetzes. Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung berufen sich auf eine EU-Richtlinie, die die Speicherung von Telekommunikationsdaten für alle Mitgliedsstaaten vorschreibt. Allerdings ist diese Richtlinie erst in wenigen Ländern umgesetzt worden und steht selbst unter Beschuss. Ein Evaluierungsbericht, der die Erfolge der Vorratsdatenspeicherung zeigen sollte, wurde verschoben, da keine Daten vorlägen. "Wenn es keine Daten über Erfolge gibt, dann gibt es auch keine Erfolge", schlussfolgert die Süddeutsche Zeitung völlig richtig.

Umso notwendiger ist es daher für sicherheitspolitische Hardliner, in Deutschland Tatsachen zu schaffen, um den Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung in anderen EU-Staaten zu brechen. Genau hier setzen die Terrorwarnungen der vergangenen Tage an. Obwohl die Sicherheitsbehörden nach eigenen Angaben bereits seit vier Wochen über angebliche konkrete Anschlagspläne informiert waren, haben sie diese erst am Vorabend der Innenministerkonferenz bekannt gemacht.

Innenminister de Maizière hat damit ein Thema in den Fokus gerückt, das gar nicht auf der Agenda der IMK stand, die sich turnusmäßig eher mit Bleiberechtsregelungen für geduldete Flüchtlinge, den Folgen von Zwangsprostitution und Menschenhandel und Gewalt gegen Polizisten befassen wollte. Im Zeichen des Terrors erhob sie nun aber die Forderung an Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, zügig einen Entwurf zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung vorzulegen. "Jede weitere Verzögerung erleichtert lediglich den Straftätern ihr Handwerk", heißt es in der Erklärung der Innenminister von Bund und Ländern.

Die Bundesjustizministerin selbst sprach im Interview mit der Süddeutschen Zeitung relativ offen über schwelende Konflikte bei den Sicherheitsbehörden und wandte sich gegen eine weitere Verschärfung der Sicherheitsgesetze.

"Wir haben im ersten Regierungsjahr der Illusion widerstanden, von dem Schutz der Freiheit zu reden und in Wirklichkeit den Abbau von Freiheitsrechten zu betreiben", sagte sie. "Erstmals seit nunmehr zwölf Jahren gibt es am Ende eines Regierungsjahres keine Verschärfung von Sicherheitsgesetzen. Seit Jahren wurde die Innen- und Rechtspolitik von einer beispiellosen Erosion der Grundrechte geprägt. Noch nie sind durch immer neue sogenannte Sicherheitsgesetze so viele Eingriffe in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen der Bürgerinnen und Bürger erfolgt wie in den letzten zwölf Jahren."

Zur Vorratsdatenspeicherung sagte Leutheusser-Schnarrenberger, das alte Gesetz habe die "Bürgerrechte stranguliert, weil es eine uferlose Datenspeicherung und einen schier unbegrenzten staatlichen Zugriff auf die gespeicherten Daten ermöglicht hat."

Innenminister de Maiziere, der immer zu den Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung gehörte, hat zunächst erreicht, was er wollte. Obwohl er öffentlich immer vor der Instrumentalisierung der Terrorgefahr für die Verschärfung von Gesetzen warnt, nutzt er die Hysterie, um die Sicherheitspolitik zu verschärfen.

Es ist absehbar, dass bald weitere Hürden fallen sollen. So zielt die Bemerkung des scheidenden Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft GdP, Konrad Freiberg, die Polizei sei auf Terrorangriffe nicht vorbereitet, letztlich darauf, die Bundeswehr mit Terrorabwehrmaßnahmen im Inneren zu betrauen.

Und auch der im Spiegel lancierte Bericht, ein Terrorkommando plane im Februar oder März einen Überfall auf den Reichstag, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden. Das Bundeskriminalamt hat diese Informationen - unabhängig vom Wahrheitsgehalt - gezielt durchsickern lassen. Wenn den Sicherheitsbehörden bereits im Frühjahr derartige Pläne bekannt waren, warum wurde dann die Öffentlichkeit erst jetzt informiert?

Es gibt viele Anzeichen dafür, dass im Innenministerium und in den Sicherheitsbehörden Kräfte arbeiten, die eine eigene Agenda verfolgen und sich jeglicher demokratischen Kontrolle entziehen. Schritt für Schritt werden Bürgerrechte abgebaut und die Weichen in Richtung Polizeistaat gestellt. Keine Partei wagt es, diesem Staat im Staat entgegenzutreten und ihn öffentlich anzuprangern.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 24.11.2010
Terrorwarnung als Vorwand für Angriff auf Grundrechte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2010