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GLEICHHEIT/3128: Die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW und die Rolle der Linkspartei


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW und die Rolle der Linkspartei

Von Ulrich Rippert
25. Juni 2010


Anfang der Woche haben SPD und Grüne einen neuen Anlauf zur Regierungsbildung an Rhein und Ruhr unternommen. Sie wollen nun in Nordrhein-Westfalen eine rot-grüne Minderheitsregierung bilden.

Seit der Landtagswahl am 9. Mai wird in Düsseldorf über die Zusammensetzung der künftigen Landesregierung gestritten. Sowohl die Wahl wie die Regierungsbildung im bevölkerungsreichsten Bundesland haben große Auswirkungen auf die Bundespolitik. Die Wahl galt als Test für die schwarz-gelbe Koalition in Berlin, und mit dem nun geplanten Regierungswechsel verlieren Union und FDP ihre Mehrheit im Bundesrat.

Während dem Wahlkampf erhielten SPD und Grüne auffallend viel Unterstützung von den Medien, während CDU und FDP teilweise hart kritisiert wurden. Teile der herrschenden Elite halten die Koalition aus Union und FDP, die in der vergangenen Wahlperiode in NRW an der Macht war und seit dem Herbst vergangenen Jahrs auch in Berlin regiert, für zu schwach, um die bevorstehenden sozialen Angriffe durchzusetzen. Die NRW-Wahl betrachteten sie als Chance, SPD und Grüne wieder stärker in die Regierungsbildungsverantwortung einzubinden.

Doch dann machte das Wahlergebnis diesen Plänen zunächst einen Strich durch die Rechnung. Trotz massiver Stimmenverluste für CDU und FDP blieb die CDU mit knapp 6.000 Stimmen Vorsprung stärkste Partei und erhob Anspruch auf das Amt des Ministerpräsidenten.

Schwarz-Gelb war abgewählt, aber auch Rot-Grün hatte keine Mehrheit. Nun folgten Sondierungsgespräche von SPD und Grünen mit der Linkspartei und der FDP, wobei die SPD erstere bereits nach einem Tag platzen ließ, während die Gespräche über eine Ampel-Koalition (rot-gelb-grün) mit der FDP am Veto der Bundeszentrale und des Parteivorsitzenden Guido Westerwelle scheiterten.

Auch tagelange Gespräche über die Bildung einer Großen Koalition von CDU und SPD brachten kein Ergebnis. Trotz weitgehender Übereinstimmung in inhaltlichen Fragen brach die SPD die Gespräche ab. Sie wollte nicht Juniorpartner in einer Regierung sein, die vom bisherigen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers geführt wird. Die Ablehnung einer Koalition mit Rüttgers wurde in Berlin auch als Absage an eine Zusammenarbeit mit der CDU zur Unterstützung von Kanzlerin Merkel gewertet.

Ein weiterer Versuch, mit der FDP ins Gespräch zu kommen, brachte deutliche Gegensätze innerhalb der FDP ans Licht. Vor allem der Flügel um FDP-Landeschef Pinkwart neigte zu einem Seitenwechsel. Er scheiterte aber schließlich erneut.

Die SPD-Landesleitung erklärte daraufhin, sie sehe unter diesen Bedingungen keine Möglichkeit, eine SPD-geführte Regierung zu bilden. Eine rot-grüne Minderheitsregierung sei politisch zu instabil. Auf einer Pressekonferenz kündigte SPD-Landeschefin Hannelore Kraft stattdessen an, die SPD werde die CDU-FDP-Regierung, die geschäftsführend im Amt bleibe, durch eine "schlagkräftige Opposition ermatten".

Daraufhin hagelte es Kritik in den Medien und aus der SPD-Zentrale. Mehrere Zeitungen, allen voran die Süddeutsche und die Frankfurter Rundschau, warfen der NRW-SPD "unpolitisches Verhalten" vor und drängten auf die Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung. Auch der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel ließ keinen Zweifel daran, dass er eine Minderheitsregierung bevorzuge, um über den Bundesrat mehr Einfluss auf die Bundespolitik auszuüben.

Als dann in der vergangenen Woche FDP-Landeschef Pinkwart erklärte, die FDP werde ihre Minister zwar nicht aus der geschäftsführenden Landesregierung abziehen, betrachte aber den Koalitionsvertrag der vergangenen Legislaturperiode als "abgearbeitet", vollzog die SPD eine Wende um 180 Grad. Hannelore Kraft erklärte nun, sie strebe eine rot-grüne Minderheitsregierung an und werde sich Mitte Juli zur Ministerpräsidentin wählen lassen.

Kurz danach kündigte der amtierende Ministerpräsident Rüttgers an, er werde nicht gegen Kraft antreten, und die CDU werde auch keinen anderen Kandidaten aufstellen. Damit dürfte ihrer Wahl nichts mehr im Wege stehen.

Kraft hat mit ihrem Sinneswechsel auf den wachsenden Druck von Teilen der Wirtschaft und der herrschenden Elite reagiert, die angesichts der bevorstehenden Sparmaßnahmen mit sozialen Konflikten rechnen. Sie wollen die SPD, die Grünen und die mit ihnen eng verbundenen Gewerkschaften stärker in die Regierungsverantwortung einbinden, um jeden sozialen Widerstand zu unterdrücken. Angesichts der Krise der Regierung Merkel-Westerwelle blicken diese Kreise sehnsüchtig auf die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer zurück, die aus ihrer Sicht die erfolgreichste Regierung in den vergangenen Jahren war.

Minderheitsregierungen hat es bisher zwar in Deutschland nur in wenigen Einzelfällen gegeben. Sie gelten als politisch instabil und nicht durchsetzungsfähig. Doch mehrere Kommentare haben darauf hingewiesen, dass dies in NRW kein Problem sein dürfte. Rot-Grün fehlt zwar eine Abgeordnetenstimme zur absoluten Mehrheit, doch sie kann mit der Unterstützung oder Enthaltung der elf Abgeordneten der Linkspartei rechnen. Selbst bei der Wahl zur Ministerpräsidentin ist nach dem dritten Wahlgang nur noch die relative Mehrheit nötig. Über diese verfügt Kraft mit zehn Stimmen Vorsprung gegenüber CDU und FDP. Vieles deutet aber darauf hin, dass die Linkspartei schon im ersten, geheimen Wahlgang für Kraft votieren wird.

Das Parteiengeschacher in Düsseldorfer zeigt allem eines: Es gibt zwischen den Parteien keinerlei grundsätzliche Differenzen. In der Frage drastischer Sozialkürzungen zur Finanzierung der Milliardenunterstützung für die Banken stimmen sie alle überein. Alle vorstellbaren Koalitionsmöglichkeiten wurden in den vergangenen Wochen durchgespielt. Sie scheiterten nicht an grundsätzlichen, sondern an parteitaktischen Differenzen. Es wurde klar, dass im großen politischen Lotterbett gegenwärtig jeder mit jedem kann.

Die Linkspartei bildet dabei keine Ausnahme, im Gegenteil. Sie spielt in der Vorbereitung einer rot-grünen Minderheitsregierung eine Schlüsselrolle. Hannelore Kraft erklärt zwar bei jeder Gelegenheit, dass eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei gegenwärtig nicht in Frage komme. Bei genauer Betrachtung wird aber deutlich, dass die Entscheidung für eine rot-grüne Minderheitsregierung mit einer Neubewertung der Linkspartei verbunden ist. Die SPD-Führung und Teile der herrschenden Elite sind zum Schluss gelangt, dass es angesichts der zu erwartenden sozialen Konflikte sinnvoll wäre, auch die Linkspartei stärker in die Regierungsverantwortung einzubinden.

Kraft hat das in einem Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel sehr deutlich gemacht. Sie stütze sich zwar nicht direkt auf die Linke, aber sie wisse sehr genau, dass die Linkspartei bei wichtigen Gesetzesinitiativen nicht mit der CDU stimmen werde. Wörtlich sagte Kraft: "Für fast alle Gesetze reicht die einfache Mehrheit. Die hat Rot-Grün nur dann nicht, wenn die Linkspartei geschlossen mit der CDU und FDP stimmt." Das aber sei nicht zu erwarten.

Bei der Linkspartei selbst herrscht seit dem Schwenk der SPD sowohl in Düsseldorf wie in Berlin Begeisterung. Ihre Vertreter überschlagen sich regelrecht, um die Werbetrommel für Rot-Grün zu rühren. Ausgerechnet Hannelore Kraft, die vor ihrer politischen Karriere als Unternehmensberaterin tätig war, dem rechten Parteiflügel angehört und Mitglied der letzten, von den Wählern abgestraften Landesregierung unter Peer Steinbrück war, stellt die Linkspartei nun als Schlüsselfigur für einen "politischen Neuanfang" dar.

Während die unsoziale Politik der Regierung Schröder-Fischer noch frisch in Erinnerung ist und Sozialdemokraten und Grüne auf Protestkundgebungen gegen Merkels Sparpaket mit Rufen begrüßt werden: "Hartz VI - das wart ihr!", versucht die Linkspartei nach Kräften neue Hoffnungen auf Rot-Grün zu schüren.

Einer der Hauptdemagogen aus dem Karl-Liebknecht-Haus ist Ulrich Maurer. Der schwäbische Rechtsanwalt war über drei Jahrzehntelang SPD-Funktionär, innenpolitischer Sprecher des Parteivorstands und im Schattenkabinett von Rudolf Scharping als Innenminister vorgesehen. Zwei Jahre nach seinem SPD-Austritt wurde er dann Beauftragter des Linkspartei-Vorstands für den Parteiaufbau West.

In mehreren Interviews bot Maurer der SPD und den Grünen Unterstützung und Zusammenarbeit an. "Wir haben immer gesagt, dass wir zu einer Koalition mit der SPD und den Grünen bereit sind", betonte er gegenüber der Frankfurter Rundschau. Auf die Frage, was die Forderung der Linkspartei nach einem "Politikwechsel" konkret bedeute, antwortete Maurer, im Landtag müsse umgehend über die sofortige Abschaffung der Studiengebühren beraten und beschlossen werden. Er erwarte, dass "Frau Kraft bald das Gespräch mit uns suchen wird", fügte er hinzu.

Die Behauptung der Linkspartei, eine rot-grüne Regierung sei weniger unsozial als eine schwarz-gelbe, ist falsch. Die rot-grüne Bundesregierung hat während ihrer Regierungszeit (1998 bis 2005) einschneidendere Sozialkürzungen durchgesetzt als alle konservativen Regierungen zuvor. Seitdem sind beide Parteien noch weiter nach rechts gerückt.

Die Linkspartei übernimmt mit ihrer Propaganda für Rot-Grün eine wichtige Aufgabe im Interesse führender Wirtschaftsverbände, die selbst einen Regierungswechsel befürworten, aber nicht allzu offen darüber sprechen wollen, weil sonst jedermann sehen könnte, woher der Wind weht. Nicht zufällig gehört das Düsseldorfer Handelsblatt, ein Sprachrohr der Wirtschaft, ein Hauptkritiker von Schwarz-Gelb.

Dabei spielt folgende Überlegung eine Rolle: Unter Westerwelles Führung hat die FDP marktliberale Positionen eingenommen, die einen weitgehenden Rückzug des Staats aus der Wirtschaft und die Privatisierung staatlicher Leistungen anstreben. Bereits die Finanz- und Wirtschaftskrise erforderte aber das massive Eingreifen des Staats in Form von milliardenschweren Rettungspaketen. Noch wichtiger aber ist die Rolle eines starken Staats bei der Durchsetzung von drastischen Sparmaßnahmen, um die Last der Wirtschaftskrise auf die Bevölkerung abzuwälzen.

Der Ruf nach einer Rückkehr der SPD an die Regierung, oder zumindest die verstärkte Einbindung der SPD in die Regierungsverantwortung auf Landes- und Bundesebene, ist mit der Stärkung des Staatsapparats verbunden, der gebraucht wird, um soziale Konflikte zu unterdrücken. Dabei spielt auch die enge Beziehung der SPD und teilweise auch der Grünen zu den Gewerkschaften eine wichtige Rolle. Die reformistischen Gewerkschaften sahen ihre Aufgabe immer darin, den Klassenkampf zu dämpfen und zu unterdrücken. In Krisenzeiten treten sie noch sehr viel bewusster und schärfer als Garant der bürgerlichen Ordnung auf, als in Zeiten des sozialen Friedens.

Die Linkspartei unterstützt den Ruf nach einem starken Staat und versucht dabei, möglichst viel Verwirrung über Staatsmacht und Sozialstaat zu schaffen. Sie betrachtet den Sozialstaat als Mittel zur Stabilisierung der bürgerlichen Herrschaft und bestreitet, dass die Verteidigung sozialer Rechte und Errungenschaften eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse auf sozialistischer Grundlage erfordert.

Der größte Teil der Linkspartei stammt aus der PDS, die nach der Wende nicht nur den Parteiapparat, sondern auch einen Großteil der Kader und Strukturen der SED übernommen hat. In den Ost-Bundesländern ist sie seit der Wende das wichtigste Instrument, um Kürzungen und Sparmaßnahmen durchzusetzen und Widerstand von unten zu verhindern. Ihr Zusammenschluss mit einem Flügel der Gewerkschaftsbürokratie aus dem Westen zur Linkspartei erfolgte zu einem Zeitpunkt, als die Gewerkschaften sich immer enger an den Staatsapparat anpassten und teilweise mit ihm verschmolzen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 25.06.2010
Die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW und die Rolle der Linkspartei
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2010