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GLEICHHEIT/3103: Rechtsruck in den Niederlanden


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Rechtsruck in den Niederlanden

Von Peter Schwarz
12. Juni 2010


Nach Ungarn und Großbritannien sind die Niederlande das dritte wichtige EU-Mitglied, in dem inmitten der tiefsten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren äußerst rechte Parteien als Sieger aus den Parlamentswahlen hervorgingen.

Es gibt natürlich Unterschiede zwischen der ungarischen Fidesz, den britischen Tories und den niederländischern Rechtsliberalen (VVD). Aber allen drei ist gemeinsam, dass sie einen rigiden Sparkurs im Interesse des Finanzkapitals mit Ausländer- oder Islamfeindlichkeit und einer rechten, nationalistischen Opposition gegen die EU verbinden.

In Ungarn und den Niederlanden sind außerdem mit Jobbik und der Partei für die Freiheit (PVV) des Rechtspopulisten Gert Wilders Gruppierungen mit offen faschistischen Zügen drittstärkste Kraft geworden. Diese Parteien verbinden eine Pogromhetze gegen Roma und andere Minderheiten (Jobbik), bzw. gegen Moslems (PVV), mit sozialer Demagogie und rhetorischen Attacken auf das Finanzkapital. Beide sind Abspaltungen der jeweiligen Wahlsieger Fidesz und VVD und stehen diesen nahe.

Dieser Rechtsruck bedarf einer Erklärung. Er ist auf starke politische Schwankungen im Kleinbürgertum zurückzuführen. Die Folgen der Wirtschaftskrise haben nicht nur die Arbeiterklasse getroffen, die sich bei Wahlen zunehmend der Stimme enthält, sondern auch die Mittelschichten, die verunsichert sind und sich in wachsendem Maße bedroht fühlen.

Von den Sozialdemokraten erwarten diese Schichten keine Rettung mehr. Die Sozialdemokraten haben als Regierungspartei (Ungarn, Großbritannien) oder als Juniorpartner einer konservativen Regierung (Niederlande) über Jahre hinweg die staatlichen Ausgaben gekürzt, die Steuern und Abgaben für den Mittelstand erhöht, alle Wünsche des Finanzkapitals erfüllt und das Diktat der Brüsseler EU-Behörden durchgesetzt.

Daher wenden sich Teile der Mittelschichten Figuren zu, die sich mit der Aura des "starken Manns" umgeben. Viktor Orban (Fidesz), David Cameron (Tories), Nick Clegg (britische Liberale) und Mark Rutte (VDD) ähneln sich nicht nur politisch, sondern auch in ihrem äußeren Auftreten. Alle vier sind aalglatte Karrieristen, die dem sozialen und nationalen Egoismus frönen und für einen schwachen Sozialstaat und einen starken Polizeistaat eintreten.

Der Niederländer Mark Rutte ist in dieser Hinsicht charakteristisch. Der 43-Jährige begann seine Karriere als Personalmanager beim Verbrauchsgüterkonzern Unilever (Umsatz 40 Milliarden Euro), trat 2002 als Staatssekretär der Regierung Balkenende bei und trimmte die VVD auf einen strikt neoliberalen Kurs. Das von ihm verfasste Parteiprogramm tritt für einen "kleinen und kompakten Staat" ein, der die Sozialausgaben auf ein Minimum beschränkt. Im Wahlkampf warb Rutte für Kürzungen im Sozialbereich, höhere Studiengebühren, die Erhöhung des Renteneintrittalters auf 67, eine restriktive Immigrationspolitik, mehr Polizei, den Bau neuer Atomkraftwerke und die Reduzierung des holländischen EU-Beitrags sowie gegen den EU-Beitritt der Türkei.

Während Rutte auf diese Weise den Egoismus der Besserverdienenden ansprach, zielte die hysterische Islamophobie seines ehemaligen Parteifreunds Wilders auf die Ängste der unteren Mittelschichten. Wilders schob Einwanderern islamischen Glaubens die Verantwortung für sämtliche gesellschaftlichen Übel zu - Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, Kriminalität - und versuchte so, die soziale Wut von den Verantwortlichen an der Spitze der Gesellschaft auf die ärmsten und unterdrücktesten Schichten abzulenken. Wie soziologische Studien belegen, wurde er vorwiegend von Angehörigen der Mittelklasse gewählt, die sich von der Globalisierung bedroht fühlen, um ihren sozialen Status fürchten und sich nach einem starken Mann sehnen.

Dass Wilders mit seinem durchsichtigen Manöver Erfolg hatte, verdankt er in erster Linie der Sozialistischen Partei (SP), die sich - ähnlich wie die Linke in Deutschland oder die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) in Frankreich - lange Zeit als linke Alternative zur diskreditierten Sozialdemokratie ausgab.

1972 aus einer unbedeutenden maoistischen Organisation hervorgegangen, hatte die Sozialistische Partei seit Mitte der 1990er Jahren unzufriedene Wähler aus der Mittelschicht angezogen, die sich enttäuscht von der Sozialdemokratie abwandten. Sie wurde zu einem Sammelbecken für Gewerkschafter, Feministen, Attac-Mitglieder, ex-Radikale und religiöse Weltverbesserer. Ihren Höhepunkt erreichte sie 2006, als sie ihre Stimmenzahl fast verdreifachte und 25 der 150 Parlamentssitze gewann.

Doch die Sozialistische Partei vertrat keine unabhängige Perspektive. Sie verstand sich vor allem als linkes Feigenblatt für die Gewerkschaften, die wiederum eng mit der Regierung zusammenarbeiteten. Während sich die Wähler der Sozialistischen Partei radikalisierten, rückte diese näher an die sozialdemokratische PvdA heran, die im Frühjahr 2007 in eine Koalitionsregierung mit dem konservativen CDA eintrat. Innerhalb der Sozialistischen Partei wurde sogar offen darüber diskutiert, nicht nur mit der PvdA, sondern auch mit dem konservativen CDA Koalitionen zu schließen.

Auch den Kampagnen gegen den Islam schloss sich die Sozialistische Partei an. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und der Ermordung des niederländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn im Mai 2002 brachte sie im Parlament einen Gesetzentwurf ein, der islamische Geistliche verpflichten sollte, einen Kurs zur Integration in die niederländische Kultur zu absolvieren; andernfalls sollten sie ihren legalen Status verlieren.

Bei den jüngsten Wahlen erhielt die Sozialistische Partei nun die Quittung. Sie verlor zehn ihrer 25 Parlamentssitze. Viele ihrer Wähler wechselten direkt zu Wilders' Rechtspopulisten, die 15 Sitze hinzugewannen und nun mit 24 Abgeordneten hinter den Rechtsliberalen (31) und Sozialdemokraten (30) drittstärkste Partei sind.

Der Wahlerfolge der Rechten in den Niederlanden ist, wie auch in Ungarn und Großbritannien, nicht Ausdruck einer allgemeinen Rechtsentwicklung der Gesellschaft. Die Stimmung breiter Schichten der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums ist eher links und oppositionell. Aber diese Stimmung findet keinen politischen Ausdruck, weil sozialdemokratische, ex-kommunistische und "linke" kleinbürgerliche Organisation darum wetteifern, dem Kapital zu Diensten zu sein.

Das Anwachsen rechter Tendenzen in den Mittelschichten ist das Ergebnis davon. Es ist keineswegs unvermeidlich, wie schon Leo Trotzki in seinen Analysen des deutschen Faschismus erklärte. Das Kleinbürgertum ist durchaus in der Lage, sein Schicksal mit dem der Arbeiter zu verknüpfen. Aber dafür muss es "die Überzeugung gewinnen, dass das Proletariat fähig ist, die Gesellschaft auf einen neuen Weg zu führen". Gewinnt es diese Überzeugung nicht, weil die Arbeiterklasse gelähmt und unentschlossen ist, besteht die Gefahr, dass Parteien Einfluss gewinnen, die das Ziel verfolgen, "das Kleinbürgertum bis zur Weißglut zu bringen und seinen Hass und seine Verzweiflung gegen das Proletariat zu richten". (Leo Trotzki, "Der einzige Weg")

Das niederländische Wahlergebnis stellt eine Warnung dar. Die Krise der kapitalistischen Gesellschaft hat einen derartigen Fäulnisgrad erreicht, dass ultrarechte Kräfte wieder Einfluss gewinnen, wenn die Arbeiterklasse nicht in die Offensive geht und sich von den Fesseln der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Apparate und ihrer kleinbürgerlichen Anhängseln befreit. Das erfordert ein internationales sozialistisches Programm und den Aufbau einer neuen Partei, einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.06.2010
Rechtsruck in den Niederlanden
http://wsws.org/de/2010/jun2010/holl-j12.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2010