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GLEICHHEIT/3100: G-20 empfiehlt Wendung um 180 Grad - von Konjunktur- zu Sparmaßnahmen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

G-20 empfiehlt Wendung um 180 Grad: von Konjunktur- zu Sparmaßnahmen

Von Nick Beams
11. Juni 2010
aus dem Englischen (7. Juni 2010)


Die Finanzminister der führenden Wirtschaftsnationen der Welt reagierten auf die Zuspitzung der globalen Finanzkrise in den vergangenen zwei Monaten mit einer Wendung um 180 Grad in der Ausgabenpolitik.

Das Kommuniqué des Finanzministertreffens im südkoreanischen Busan vom 4. und 5. Juni machte deutlich, dass die Konjunkturpakete, die im September 2008 nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers aufgelegt worden waren, beendet, und durch Sparprogramme ersetzt werden sollen.

Als die Finanzminister im April zusammentrafen, war das Fazit ihres Kommuniqués: "In Wirtschaftsräumen, in denen das Wachstum immer noch stark von der Unterstützung der Politik abhängt, sollte diese bei tragfähigen öffentlichen Finanzen fortgesetzt werden, bis der Aufschwung wieder sicher über den Privatsektor gesteuert werden kann und sich noch deutlicher stabilisiert."

Heute hört sich das ganz anders an: "Die jüngsten Ereignisse unterstreichen die Bedeutung stabiler öffentlicher Finanzen und die Notwendigkeit für unsere Länder, glaubwürdige Wachstum fördernde Maßnahmen einzuleiten, sowie für Finanzstabilität zu sorgen, die auf die nationalen Besonderheiten abgestimmt und maßgeschneidert ist. Die Länder mit ernsten finanziellen Problemen müssen das Konsolidierungstempo erhöhen."

Der neue britische Finanzminister George Osborne versuchte den Politikwechsel auf seinem Konto zu verbuchen und sagte, die neuen Verlautbarungen seien ein "wichtiger Fortschritt", um die Zustimmung der G-20 zu "einer deutlichen Änderung der Tonlage in Fragen der finanziellen Stabilität" zu gewinnen.

In dem politischen Umschwung drückt sich die überwältigende Stärke der Finanzmärkte aus, sowie der Einfluss, den diese auf Regierungsprogramme ausüben. Am Eröffnungstag wurde die Versammlung scharf an diese Macht erinnert, als die Märkte in Ungarn ins Trudeln gerieten. Der ungarische Premierminister hatte erklärt, das Land steuere möglicherweise auf eine Krise wie in Griechenland zu.

Der Ausbruch der griechischen Staatsschuldenkrise und die darauf folgenden Finanzturbulenzen in der Eurozone waren für das globale Finanzkapital ein eindeutiges Zeichen, dass die Zeit für das Ende der Konjunkturprogramme und für die Verschärfung der Einschnitte in alle öffentlichen Sozialprogramme gekommen ist.

Zwar enthielt das Kommuniqué den obligatorischen Hinweis auf die "Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit", die Einstellung der Finanzspritzen weist jedoch, wie andere Beschlüsse auch, auf sich verschärfende Zerwürfnisse innerhalb der G-20 hin.

Was die Konjunkturprogramme der Regierungen angeht, ist der Wirtschaftsraum des einen Landes der Exportmarkt des anderen. Daher teilte der amerikanische Finanzminister Tim Geithner den G-20 Finanzministern im Vorfeld des Treffens schriftlich seine Bedenken mit, wonach die Einstellung von Konjunkturprogrammen jede Wirtschaftserholung schwächen könne.

"Finanzreformen sind Voraussetzung für Wachstum", schrieb er, "aber sie werden keinen Erfolg haben, wenn wir nicht in der Lage sind, das Vertrauen in die weltweite Erholung zu stärken. Die Herausforderung besteht darin, zu zeigen, dass wir leistungsfähig genug sind, finanzielle Stabilität mittelfristig zu gewährleisten, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, dazu sei ein allgemeines undifferenziertes Vorgehen zur Durchsetzung von Konsolidierungsplänen zwingend. Die notwendige und unvermeidliche Einstellung der fiskalischen und monetären Konjunkturmaßnahmen muss so austariert werden, dass sie mit einer stärkeren Erholung unserer Wirtschaftsräume einhergeht."

Mit anderen Worten heißt das, dass langfristig alle Konjunkturmaßnahmen zurückgefahren werden müssen. Falls jedoch alle Regierungen gleichzeitig derartige Programme auflegen würden, könnte dies zu einem deutlichen Einbruch der Weltwirtschaft führen, wenn die private Nachfrage keine entsprechenden Wachstumsraten generieren kann.

Geithner warnte in seinem Brief davor, dass wegen des Rückgangs der privaten Nachfrage in den USA die amerikanische Wirtschaft die weltweiten Exporte nicht länger absorbieren könne, und dass "die weltweiten Wachstumsraten ohne weitere Fortschritte bei der Neujustierung der globalen Nachfrage geringer ausfallen werden, als es andernfalls möglich wäre. In diesem Zusammenhang sind wir über die abzusehende schwache Inlandsnachfrage in Europa und Japan besorgt."

Weitere Sorgen wurden geäußert. Der frühere südafrikanische Finanzminister Trevor Manuel sagte auf einer Pressekonferenz am Rande des Treffens, es sei wichtig zu verstehen, "wie brüchig die Erholung der Weltwirtschaft ist." Die Spitzenpolitiker der Welt hätten die Chance "zu verhindern, dass die Welt in eine neue Rezession gerät", und er betonte, dass "Länder, die multilateral keinerlei Verantwortung zeigen und danach streben, über andere Länder zu bestimmen", anfangen müssen, anderen Perspektiven Beachtung zu schenken.

Der chinesische Finanzminister Xie Xuren ermahnte die G-20 Länder, beim Ausstieg aus Konjunkturprogrammen Vorsicht walten zu lassen. In einer Stellungnahme auf der Website der chinesischen Zentralbank schrieb er, China verfolge weiterhin eine "proaktive" Finanz- und eine "moderat lockere" Geldpolitik.

Es gibt auch Anzeichen für Streitigkeiten über die vorgeschlagenen Reformen zur internationalen Bankenregulierung. Die USA und Großbritannien haben einen Vorstoß unternommen, die Aufstockung von Kapital und die Liquidität der Banken verbindlich festzulegen. Aus Furcht, dies könne europäische Banken zu einer Kapitalaufstockung zwingen, haben europäische Mächte die Umsetzung dieser Maßnahmen abzuwenden bzw. hinauszuzögern versucht. Sie argwöhnen, dies führe zu Einschnitten bei der Kreditvergabe, womit der Weg für das Eindringen amerikanischer und britischer Banken in ihre eigenen Märkte frei wäre.

Die französische Finanzministerin Christine Lagarde bestritt, dass Frankreich dieses Prozedere verzögern wolle und erklärte, sie wünsche seinen planmäßigen Abschluss bis Ende 2012. Aber dann schien ihre Sorge doch durch, als sie hinzufügte: "Wir müssen hochgesteckte technische Vorarbeiten zu dieser Frage durchführen und sie ist zu kompliziert, um unter Zeitdruck durchgepaukt zu werden."

Letzten Monat behauptete Nicolas Vernon vom Bruegel-Think-Tank in Brüssel in einem Artikel, Vertreter europäischer Nationalbanken hätten den "bedenklichen Zustand" einiger wichtiger europäischer Banken verschleiert, um zu vermeiden, dass sie zu Übernahmekandidaten werden, falls ihr tatsächlicher Zustand bekannt würde.

Anscheinend bekamen die Vorschläge für eine internationale Bankenabgabe auf dem G-20 Treffen den Todesstoß versetzt. Sie stießen bei Japan, Kanada und Australien auf energischen Widerstand. Ihre Banken hätten keine direkten Hilfen bekommen und deshalb könne von ihnen auch kein Beitrag zu den Abgaben gefordert werden.

Das Kommuniqué der G-20 stimmte zu, dass die Banken zu den Kosten der Interventionen der Regierungen beitragen sollten, fügte jedoch an, diese Maßnahmen sollten "unter Beachtung der Umstände und Optionen der einzelnen Länder" festgesetzt werden. Die Financial Times meinte dazu, dies sei eine typische Formulierung in einem Kommuniqué, mit der eine Empfehlung beerdigt wird.

Siehe auch:
Europas Finanzkrise verursacht Turbulenzen
auf den globalen Märkten (27. Mai 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/mai2010/econ-m27.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 11.06.2010
G-20 empfiehlt Wendung um 180 Grad: von Konjunktur- zu Sparmaßnahmen
http://wsws.org/de/2010/jun2010/g20-j11.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2010