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GLEICHHEIT/3040: Unterhauswahl in Großbritannien - eine historische Verschiebung


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Unterhauswahl in Großbritannien: eine historische Verschiebung

Von Chris Marsden
1. Mai 2010
aus dem Englischen (30. April 2010)


Gleichgültig, wie die Unterhauswahl am 7. Mai ausgeht, das politische Leben Großbritanniens hat schon jetzt eine tektonische Verschiebung durchgemacht.

Der bemerkenswerteste Aspekt des bisherigen Wahlkampfs ist der andauernde Niedergang der Labour Party. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie eine zukünftige Koalitionsregierung aussehen könnte, aber eine Koalitionsregierung ist ziemlich wahrscheinlich. Dies ergibt sich vor allem aus dem Zusammenbruch der Wählerbasis der Labour Party.

Schon 2005 errang Labour nur noch 33 Prozent der Stimmen. Aber jüngste Umfragen lassen erwarten, dass die Partei hinter die Konservativen und die Liberaldemokraten auf den dritten Platz abrutschen könnte. Eine Umfrage sah Labour nur noch bei 18 Prozent. Das wäre das erste Mal seit 1910, dass Labour hinter den Liberalen zurückbliebe.

Bis jetzt hat Labour immer noch die Hoffnung genährt, dass sie am Ende doch noch die Mehrheitspartei einer Regierung sein könne. Diese Hoffnung stützt sich auf das britische Mehrheitswahlrecht, das sich vollkommen auf den jeweiligen Wahlkreis ausrichtet. Labour hofft auf diese Weise noch eine Koalition mit den Liberaldemokraten bilden zu können, deren Wahlchancen vor allem wegen der Enttäuschung der Wähler über Labour zugenommen haben. Aber inzwischen wird eher eine Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten erwartet.

Es ist schwierig, den Ausgang der Wahl genauer vorauszusagen. Die Lage ist zurzeit so sprunghaft, dass niemand weiß, wie viele Wähler bei ihrer erklärten Präferenz bleiben werden. Ein Drittel der Labour-Wähler erklärt, dass sie möglicherweise für eine andere Partei stimmen werden.

Auch weiß keiner, wie viele Wähler vom gesamten politischen System derart abgestoßen sind, dass sie gar nicht erst zur Wahl gehen.

Sicher ist allerdings, dass sich Labour von dieser krachenden Niederlage bei der Wahl nicht wieder erholen wird - und das ist gut so. Die Socialist Equality Party in Großbritannien und ihre Kandidaten weigern sich strikt, zur Wahl von Labour als dem angeblich "kleineren Übel" aufzurufen, wie das sämtliche kleinbürgerlichen ex-radikalen Gruppen tun. Wir charakterisieren Labour als eine rechte Partei der Wirtschaft, die nicht besser ist als die Tories, eine Partei der Sozialkürzungen, des Militarismus und des Kriegs. Das hat sie dreizehn Jahre lang an der Regierung bewiesen.

Diese Einschätzung ist nicht nur richtig, sondern sie wird zunehmend auch von Arbeitern und Jugendlichen geteilt, die ähnliche Schlussfolgerungen ziehen und für die Partei von Tony Blair und Gordon Brown nur noch Verachtung übrig haben.

Der Zusammenbruch der Labour Party ist Ausdruck der veränderten Beziehung zwischen den alten Organisationen, die einmal die Arbeiterbewegung waren, und der breiten Masse der Arbeiterklasse.

Seit mehr als zehn Jahren handelt Labour als lupenreiner Vertreter der globalen Finanzaristokratie, im Vertrauen darauf, dass ihr von der Arbeiterklasse keine wirkliche Gefahr droht. Die Teilnahme der Labour-Regierung am Irakkrieg traf auf Ablehnung und Empörung, aber diese konnte keinen politischen Ausdruck finden, weil das politische Monopol Labours von den Gewerkschaften und ihren pseudo-linken Anhängseln sorgfältig verteidigt wurde.

Das ist heute alles anders. Der Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise 2008 hat zu einer Verschärfung der Klassengegensätze geführt, die nicht länger im Rahmen der offiziellen Politik gehalten werden können. Dutzende Millionen Menschen, die in den letzten zehn Jahren in der Lage waren, mithilfe von Hypothekenkrediten und persönlichen Darlehen ihren Kopf über Wasser zu halten, sind jetzt mit dem Absturz ihres Lebensstandards konfrontiert.

Die Arbeitslosigkeit droht über die drei Millionen Marke zu steigen. Ein großer Teil der Bevölkerung ist akut von Arbeitsplatzverlust, Lohnkürzung oder Zwangsversteigerung bedroht.

Mehr als ein ganzes Jahrhundert lang waren die Labour Party und die ihr angeschlossenen Gewerkschaften der wichtigste Mechanismus, mit dessen Hilfe die Kämpfe der Arbeiterklasse auf begrenzte Reformen beschränkt wurden, die das Überleben des Kapitalismus nicht gefährdeten.

Das New Labour Projekt liegt mit seiner ganzen Perspektive in Trümmern. Diese ging davon aus, dass Labour mit der Rückendeckung der Finanzoligarchie auch noch eine bedeutende politische Kraft bleiben könnte, ohne den Kapitalismus reformieren zu wollen. Das Resultat dieser Strategie ist das endgültige Ende der Labour Party.

Das bedeutet eine tiefe Krise für die britische Bourgeoisie.

In der vergangenen Woche warnten herrschende Kreise, die drei großen Parteien müssten zu der Wählerschaft ehrlich sein und dürften den Umfang und die Brutalität der bevorstehenden Kürzungen nicht verschweigen. Besonders in einem Bericht des Instituts für Haushaltsstudien (IFS) heißt es, die von Labour und den Liberaldemokraten geplanten Kürzungen seien mit denen zu vergleichen, die Labour in den 1970er Jahren durchgesetzt hat.

Jene Maßnahmen führten 1978-79 zum "Winter der Unzufriedenheit", der dem Sturz der Callaghan-[Labour]-Regierung voranging. Das IFS nennt die von den Tories geplanten Kürzungen die schärfsten seit dem Zweiten Weltkrieg. Siebzig bis achtzig Prozent dieser Kürzungen sind noch nicht benannt worden, und tatsächlich wird es noch weitere geben.

Diese Warnungen sind von der Sorge geprägt, dass ohne eine Übereinkunft über die notwendigen Maßnahmen keine Partei oder Koalition das erforderliche Mandat haben werde, um solche Sparmaßnahmen durchzusetzen. Das Problem ist, dass es unmöglich ist, die Zustimmung der Bevölkerung dafür zu bekommen. Niemand wird sich mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes, eines auskömmlichen Lohns, seiner Rente oder sogar seiner Wohnung einverstanden erklären.

Vor allem ist die Labour Party nicht mehr in der Lage, mit Hilfe der Gewerkschaften die politische Loyalität breiter Arbeiterschichten auszunutzen, um solche Angriffe durchzusetzen.

Der Zusammenbruch der Labour Party ist daher das Omen für enorme Klassenkämpfe, d.h. für Kämpfe, die unvermeidlich zu einer grundlegenden politischen Umorientierung in Großbritannien führen werden.

Die gesamte bürgerliche Politik gerät aus den Fugen. Die Vorstellung, dass Arbeiter ihre Interessen über das Parlament durchsetzen könnten, ist diskreditiert. Das ist ein notwendiger erster Schritt auf dem Weg zu einer neuen, wirklich sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse. Deshalb ist die Wahlteilnahme der Socialist Equality Party, wie auch der Aufbau der SEP so wichtig. Denn die neue Entwicklung muss einen bewussten Ausdruck bekommen, und die Arbeiterklasse braucht eine Perspektive, ein Programm und eine Führung.

Siehe auch:
Wahlmanifest der Socialist Equality Party zu
den britischen Parlamentswahlen 2010
(10. April 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/apr2010/sep-a10.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 01.05.2010
Unterhauswahl in Großbritannien: eine historische Verschiebung
http://wsws.org/de/2010/mai2010/brit-m01.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2010