Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/2634: Fristlose Kündigung wegen Handy-Aufladens am Arbeitsplatz


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Oberhausener Arbeiter kämpft gegen Unternehmerwillkür
Fristlose Kündigung wegen Handy-Aufladens am Arbeitsplatz

Von Dietmar Henning
13. August 2009


Unternehmen in Deutschland fühlen sich offensichtlich durch die wirtschaftsfreundliche Politik und Rechtsprechung gestärkt und zu immer dreisteren Angriffen auf die Beschäftigen ermutigt.

Nachdem die Lebensmittel-Kette Kaiser's-Tengelmann Anfang des Jahres die Kassiererin Barbara Emme, genannt "Emmely" fristlos gekündigt hatte, weil sie angeblich 1,30 Euro an Pfandbons unrechtmäßig abgerechnet hatte, ist Anfang Juni ein Oberhausener Arbeiter fristlos entlassen worden, weil er sein Handy am Arbeitsplatz aufgeladen hatte. Der Wert des Stroms: 0,014 Cent oder nicht einmal ein Siebentausendstel Euro.

Der aus Pakistan stammende Arbeiter Mohammed Sheikh lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und arbeitet seit 14 Jahren in dem Oberhausener Industrieunternehmen Jawa (Hermann Wagener vormals Otto Janoha) das Dichtungen für Industrieanlagen herstellt.

Am 5. Juni wurde er wegen "Stromklaus" fristlos entlassen. Im Kündigungsschreiben heißt es: "Sehr geehrter Herr Sheikh, hiermit beenden wir das Arbeitsverhältnis mit Ihnen fristlos. Heute Morgen haben wir feststellen müssen, dass Sie Ihr Handy während der Arbeitszeit in unserem Stromnetz aufgeladen haben. Auf Nachfrage wurde uns von Kollegen bestätigt, dass Sie Ihr Handy jeden Morgen an einer Steckdose an Ihrem Arbeitsplatz aufladen. Hierbei handelt es sich um einen Straftatbestand..."

Später schob der Chef des Unternehmens nach, dass der 51-jährige Sheikh mit eben jenem Handy auch noch die Maschine fotografiert habe, an der er arbeitet. Auch das sei verboten. Den Grund für das Verbot nannte er nicht. "Dass Herr Sheikh damit Industriespionage hätte betreiben wollen, zu dieser Behauptung hat sich auch die Firma nicht verstiegen", sagte Sheikhs Anwalt, der Arbeitsrechtler Hans Henning Klingen. "Das hätte ohnehin niemand geglaubt, denn da gibt es nichts zu spionieren. Herr Sheikh presst simple Dichtungen."

Mohammed Sheikh hat eine einfache Erklärung für die Fotos. Sein fünfjähriger Sohn habe einfach einmal sehen wollen, was sein Vater den ganzen Tag so macht. Er habe sich anschließend auch an die Anweisung des Chefs gehalten, dies in Zukunft zu unterlassen. Auch gegen die Strafe für das Foto, ein halber Stundenlohn, habe er nicht protestiert.

Sein Anwalt Klingen hält das schon für rechtswidrig. Doch seinem Mandanten sei das Verhältnis zu seinem Arbeitgeber wichtiger gewesen als die Geldstrafe. "Offenbar hat ihm das nichts genutzt", so Klingen.

Mohammed Sheikh war über die fristlose Kündigung nicht nur überrascht, sondern zutiefst empört. Gegenüber dem WDR sagte er, dass er nachts kaum noch Ruhe finde und sich über die Zukunft seiner Familie große Sorgen mache. "Ich muss arbeiten. Wie soll ich sonst meine Familie ernähren. Ich habe unsere Wohnung gekauft." Sheikh lebt seit mehr als 20 Jahren in der Ruhrgebietsstadt Oberhausen. Sein ältester Sohn ist 25 Jahre alt. Dessen Mutter, Sheikhs erste Frau, ist verstorben. Mit seiner zweiten Frau hat Mohamed Sheikh drei weitere Kinder im Alter von fünf und vier Jahren sowie drei Monaten.

Er und seine Familie bezogen seit der fristlosen Kündigung Hartz IV. Das Arbeitsgericht Oberhausen gewährte ihm daher Prozesskostenhilfe. Eine Sprecherin des Arbeitsgerichts erklärte gegenüber den Medien, es sei ihrer Meinung nach der geringste Betrag der jemals zur Begründung einer fristlosen Kündigung angeführt worden sei.

Bei einem ersten Gütetermin legte das Arbeitsgericht Oberhausen dem Unternehmen offensichtlich auch nahe, nicht auf diese Kündigung bestehen zu wollen. Der Richter hatte eine Einigung vorgeschlagen, nach der Sheikh weiterbeschäftigt werden sollte, wenn er sich im Gegenzug dazu verpflichte, künftig am Arbeitsplatz weder zu fotografieren noch sein Handy aufzuladen.

Sheikh wäre dazu bereit gewesen, auch wenn - wie sein Anwalt betont - andere Kollegen das eigene Radio oder Kaffeemaschinen über das Stromnetz der Firma laufen lassen und dies bisher niemand beanstandet hatte. Doch das Unternehmen lehnte diesen Vergleich zunächst ab.

Als Grund für seine Entlassung vermutet Sheikh, dass ein neu eingestellter Arbeiter seinen Job für wesentlich weniger Geld erledigen würde. Er hat sich in den 14 Jahren Arbeit für Jawa auf jeden Fall keines Vergehens schuldig gemacht. Schon vor einigen Jahren scheiterte die Firma vor Gericht mit dem Versuch, ihn zu entlassen.

Mit dem "Stromklau" dachte Jawa offensichtlich, es hätte einen Grund gefunden, den Arbeiter loszuwerden. Denn es entspricht der "ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts", so Rechtsexperten, dass Eigentums- oder Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Der Arbeitnehmer breche durch "die Eigentumsverletzung unabhängig vom Wert des Schadens in erheblicher Weise das Vertrauen des Arbeitgebers".

Mit diesem Argument, der "Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber", hatte Ende Februar das Berliner Landesarbeitsgericht auch die Kündigung der Kaiser's-Kassiererin Emmely gerechtfertigt. Obwohl ihr der "Diebstahl" von zwei Pfand-Bons im Wert von 1,30 Euro nicht einmal nachgewiesen werden konnte.

Nachdem die Kündigung von Mohammed Sheikh über die Grenzen Deutschlands hinaus Wellen schlug und Sheikh sich gerichtlich zu Wehr setzte, zog Jawa Mitte vergangener Woche die Kündigung vorläufig zurück.

Nun arbeitet Mohammed Sheikh erst einmal wieder an seinem alten Arbeitsplatz. Doch für wie lange, das ist schwer vorhersehbar. Sein Anwalt Klingen erklärte der WSWS, man müsse abwarten, wie lange dies gut gehe. "An Herrn Sheikh soll es nicht liegen."


Entlassungen für die Arbeiter, Millionen für die Banker

Rechtsanwalt Klingen betonte: "So ein Fall ist mir in mehr als dreieinhalb Jahrzehnten als Jurist noch nicht untergekommen." In der Tat scheint der ganze Fall absurd. Doch reiht er sich in Wirklichkeit in eine Reihe ähnlicher Prozesse der letzten Monate ein. Nach dem Fall Emmely sorgte vor kurzem der Streit um den Arbeiter Mehmet G. für Schlagzeilen. Der Müllmann hatte ein Kinderbett, das er entsorgen sollte, für sein kleines Kind mitnehmen wollen und war deshalb ebenfalls fristlos entlassen worden. Das Arbeitsgericht Mannheim erklärte am 30. Juli zwar die Mitnahme des auf den Müll geworfenen Betts für rechtswidrig, aber die Kündigung für unwirksam. Zwei Tage vor dem Mannheimer Urteil hatte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt die Revision der Berliner Kassiererin Emmely zugelassen. Hier ist also das letzte Wort noch nicht gesprochen.

In ähnlichen Fällen gehen die Auseinandersetzungen nicht so glimpflich für die Beschäftigten aus. Gerichte bestätigten sowohl die Entlassung einer Küchenhilfe, die zwei Brötchen aus dem Krankenhaus mitgenommen hatte, als auch einer Supermarktkassiererin, die einen Fehlbetrag von 1,36 Euro in ihrer Kasse hatte. Die Gerichte berufen sich dabei alle auf den "Leitfall" von 1984, als das Bundesarbeitsgericht die Kündigung einer Bäckereiverkäuferin bestätigte, die ein Stück Bienenstich im Wert von 60 Pfennigen (heute etwa 30 Cent) ungezahlt gegessen hatte.

Doch während diese Fälle sich häufen, ist bislang nicht einer der Bank- und Fondsmanager, die mit gewaltiger krimineller Energie die Wirtschaft ausgeplündert und Millionen eingesackt haben, zur persönlichen Verantwortung gezogen worden. Im Gegenteil, sie werden von den Gerichten mit Nachsicht behandelt und können sogar noch Millionen-Boni vor Gericht erstreiten, obwohl sie Milliarden verzockt haben. Denn: "Vertrag ist Vertrag".

Der erste große Prozess um Millionenabfindungen für Investmentbanker der Dresdner Bank in Deutschland, der am Donnerstag vergangener Woche hätte stattfinden sollen, ist wegen Krankheit des Richters verschoben worden. In diesem Prozess fordert Jens-Peter Neumann, der ehemalige Kapitalmarktchef der Dresdner Bank, 1,5 Millionen Euro Abfindung - zusätzlich zu einem Bonus von drei Millionen Euro, den er bereits erhalten hat.

Die Dresdner Bank fuhr im vergangenen Jahr einen Betriebsverlust von 6,3 Mrd. Euro ein, die zum Großteil Neumann zu verantworten hatte. Die Bundesregierung stellte der Commerzbank für die Übernahme der Dresdener Bank mehr als 18 Milliarden Euro zur Verfügung.

Nach der Übernahme der Dresdner Bank im Januar hielt die Commerzbank Bonus- und Abfindungszahlungen zurück. Das führte zu mindestens zwölf Klagen von Bankern in Frankfurt und London, unter ihnen Neumann. Mit Erfolg: Mitte Juli verurteilte ein Gericht in London die Bank zur Auszahlung von insgesamt zehn Millionen Euro an vier Investmentbanker. Darunter ist auch der Ex-Vertriebschef der ehemaligen Dresdener-Bank- Tochter Dresdner Kleinwort, Stefan Gütter. In anderen Fällen hat sie sich außergerichtlich mit Bankern geeinigt und Millionen gezahlt. Auch Neumann hat große Chancen, die ihm vertraglich zugesicherten Millionen zu erhalten. Beim Verzocken von Milliarden kennen die Gerichte keine "Störung des Vertrauensverhältnisses".

Der Grund für die Renaissance dieser Klassenjustiz liegt in den gesellschaftlichen Entwicklungen. Der Reichtum der Einen bedingt die Armut der Anderen. Je mehr die Spaltung der Gesellschaft zutage tritt, umso offener stellt sich die Berliner Politik auf die Seite der Abzocker in Unternehmen und Banken. Dies wiederum ermuntert die Unternehmen noch weiter, rigoros gegen ihre Beschäftigten vorzugehen. In gleicher Weise zeigt die Justiz wieder ihren Klassencharakter. Das geltende Recht ist das Recht der Neumanns und Gütters, nicht der Mohammeds und Emmelys.

Siehe auch:
Ein Fall von Klassenjustiz - Zum Berliner Urteil
gegen die Kassiererin Emmely (21. März 2009)


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2009 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 13.08.2009
Oberhausener Arbeiter kämpft gegen Unternehmerwillkür
Fristlose Kündigung wegen Handy-Aufladens am Arbeitsplatz
http://wsws.org/de/2009/aug2009/stro-a13.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2009