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GLEICHHEIT/2550: Obamas Finanzreform - Freie Fahrt für die Wall Street


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Obamas Finanzreform: Freie Fahrt für die Wall Street

Von Barry Grey
19. Juni 2009
aus dem Englischen (18. Juni 2009)


Präsident Obama bezeichnete die neue Bankenaufsicht, die er am Mittwoch ankündigte, als eine "Generalüberholung des ganzen Finanz-Regelwerks". Geplant seien "Veränderungen in einem Ausmaß, wie es sie seit den Reformen zurzeit der Großen Depression nicht mehr gab", so Obama.

Was diese Versprechungen wert sind, zeigte sich an der Reaktion der Wall Street. Die Börse reagierte gleichsam mit einem Schulterzucken. Der Dow Jones und der S&P-500-Index endeten schwach rückläufig und der Nasdaq mit einem bescheidenen Gewinn. Wenn Obamas Vorschläge auch nur ansatzweise ein Feldzug gegen das betrügerische Verhalten wäre, das die aktuelle Krise hervorgebracht hat, dann hätten die Märkte sicherlich mit massiven Verkäufen reagiert.

Die Insider wissen genau, dass sie nichts zu fürchten haben. Obamas Plan ist in allen wesentlichen Punkten mit Lobbyisten der Wall Street und Topmanagern abgestimmt.

Die New York Times beschrieb am Mittwoch den Prozess, wie der Plan zustande kam: "Allein in den letzten beiden Wochen konsultierte die Regierung Führungsmitglieder von Goldman Sachs, MetLife, Allstate, JPMorgan Chase, Credit Suisse, Citigroup, Barclays, UBS, Deutsche Bank, Morgan Stanley, Travelers, Prudential und Wells Fargo, um nur einige zu nennen. Regierungsbeamte diskutierten den Plan des Präsidenten auch mit den führenden Lobbyisten und Finanzhandelsgesellschaften in Washington."

Die Regierungsbeamten, die sich mit den Vertretern der Bankenwelt trafen, sind selbst Insider der Wall Street. An ihrer Spitze stehen zwei Protégés von Robert Rubin, dem Vorstandsvorsitzenden von Goldman Sachs und der Bank of America, nämlich Finanzminister Timothy Geithner, und Lawrence Summers, Direktor von Obamas Nationalem Wirtschaftsrat. Geithner war Präsident der Federal Reserve Bank in New York, ehe er Obamas Schatzkanzler wurde, und Summers war Finanzminister unter Bill Clinton. Beide trugen entscheidend dazu bei, die staatlichen Überwachungsrichtlinien aufzuweichen, und haben so der Spekulationsorgie den Weg bereitet, die dem großen Finanzkrach von 2008 voranging.

Der von Obama vorgelegte Plan beinhaltet größere Vollmachten der amerikanischen Notenbank bei der Kontrolle der mächtigen Finanzhäuser, Banken und Finanzgesellschaften, und strengere Regeln für Kapitalreserven und Liquiditätsanforderungen, eine geringfügige staatliche Aufsicht über einige Hedge-Fonds, eine private Verrechnungsstelle für bestimmte Formen des Derivatenhandels und die Bedingung für Kreditgeber, einen geringen Anteil der Darlehen, die sie den Banken als Sicherheit verkaufen, zurück zu behalten.

Alle diese Anforderungen können von den Banken leicht umgangen werden. Darüber hinaus sind die politischen Kräfte, die für ihre Durchsetzung verantwortlich sind, mit Händen und Füßen an die Wall Street gekettet.

Der größte Teil der bestehenden staatlichen Aufsichtsorgane bleibt unverändert. Obama machte zwar viel Aufhebens um ein neu geschaffenes Gremium, die Comsumer Financial Protection Agency (Behörde für Konsumentenschutz bei Finanzprodukten). Er sagte, diese neue Behörde werde Konsumenten vor räuberischen Praktiken der Immobilienfinanzierer und Kreditkarten-Gesellschaften schützen. Dieses Amt wird jedoch keine Befugnisse haben, die nicht schon bisher das eine oder andere Amt hatte.

Ein wichtiger Punkt von Obamas Finanzplan ist der Vorschlag, der Fed und der Federal Deposit Insurance Corporation zu erlauben, große Banken und Finanzhäuser zu beschlagnahmen und abzuwickeln, wenn deren Bankrott eine "systemische Bedrohung" darstellen sollte. Dies hat man als notwendig erachtet, gerade weil kein einziger anderer Vorschlag die spekulativen Praktiken der Banken, Hedge-Fonds, Versicherungsgesellschaften und anderen Finanzhäuser ernsthaft beeinträchtigt, und weil diese früher oder später zwangsläufig wieder zu einem Finanzkollaps führen werden. Das führt aber nur dazu, dass die Rettungsmaßnahmen für das Finanzsystem mit Steuergeldern fest eingerichtet, statt wie heute von Fall zu Fall entschieden werden.

Obamas Rede ist typisch für sein Auftreten: populistische Gebärden und halbherzige Drohungen an die Banker, verbunden mit Lobreden auf den Kapitalismus und die freie Marktwirtschaft.

Als "wichtigen Auslöser" der Krise bezeichnete er das Versagen staatliche Kontrolle und "Missbrauch und Maßlosigkeit" an der Wall Street. Er sprach über die Ausuferung komplexer Finanzinstrumente, wie zum Beispiel der Besicherung durch Vermögenswerte, die "schnelles Geld" erzeugten, aber gleichzeitig "auf Sand gebaut" seien. Managerprämien, so sagte er, seien eher für Rücksichtslosigkeit als für Verantwortungsbewusstsein bezahlt worden.

Er sprach über "systematischen und System immanenten Missbrauch" und über "das Versagen des gesamten Systems", was zu "schrecklichen Leiden im Leben einfacher Amerikaner" geführt habe: "Rentner haben den größten Teil ihrer Lebensersparnisse verloren, Familien wurden durch den Arbeitsplatzverlust zerstört und Kleinunternehmer gezwungen, ihre Tore zu schließen."

"Millionen Amerikaner", fuhr er fort, "die hart gearbeitet und sich vernünftig verhalten haben, mussten erleben, wie ihr Lebenstraum durch die Verantwortungslosigkeit anderer und durch die Unfähigkeit ihrer Regierung, eine vernünftige Kontrolle auszuüben, zerstört wurde. Dieses Versagen hat unsere gesamte Wirtschaft unterhöhlt."

Obama zeichnete das Bild eines korrupten Wirtschaftssystems, das die Menschen ausbeutet und Leiden und gesellschaftliche Verwüstung hervorbringt, - und ging zum Alltagsgeschäft über: Schließlich müssen das System weiterlaufen und die Profite weiter sprudeln.

Er beeilte sich, seinem wichtigsten Publikum, der Wall Street, zu versichern: "Ich bin immer ein entschiedener Anhänger des freien Marktes gewesen. Er war die Lokomotive des amerikanischen Fortschritts und wird es immer sein... Ich bin der Meinung, dass unsere Aufgabe nicht ist, Reichtum zu verunglimpfen, sondern ihn zu verbreiten."

Das war ein Signal an jene, die davon profitiert haben, dass sie das Land und die Welt in eine wirtschaftliche Katastrophe gestürzt haben. Sie sollen wissen, dass sie auch weiterhin profitieren werden und keine Folgen für ihre Verbrechen zu befürchten haben. Wenn alles vorbei ist, werden sie mehr Geld machen denn je.

Am Montag veröffentlichte die New York Times einen Artikel mit dem Titel "Die Banken kehren zu großen Boni zurück". Er begann so: "Der Boden ist bereitet für die Rückkehr zu Superboni für die Banker". Weiter hieß es da, Wall-Street-Banker und Händler erwarteten wieder "Schlagzeilen-trächtige Boni von zehn Millionen Dollar und mehr".

Der Vergleich von Obamas Plan mit den Regulierungsreformen der 1930er Jahre ist irreführend. Mitten in der Depression erließ Roosevelt weit reichende Strukturreformen, um die Banken unter Kontrolle zu nehmen und den amerikanischen Kapitalismus vor der drohenden sozialen Revolution zu retten. Ein Eckpunkt dieser Reformen war das Glass-Steagall-Gesetz von 1933, das die Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken festlegte.

Glass-Steagall wurde 1999 von der Clinton-Regierung aufgehoben. Das war ein Meilenstein in der Deregulierung der Banken. Es war Teil eines Prozesses, der bis Anfang der 1980er Jahre zurückreicht. Damals stürzte sich die herrschende Elite zusehends in Finanzmanipulationen, um Profite zu scheffeln und sich persönlich zu bereichern. Gleichzeitig schloss sie große Teile der Industrie und führte einen gnadenlosen Kampf gegen die Arbeitsplätze und Löhne der Arbeiterklasse.

Im Ergebnis nahm die soziale Ungleichheit gewaltig zu, und es entstand jene Finanzoligarchie, die heute das politische Leben des Landes dominiert. Beide Parteien stehen vor der Wall Street stramm und sind unfähig, irgendetwas gegen die Ausplünderung des gesellschaftlichen Reichtums zu unternehmen.

Obama und die Demokratische Mehrheit des Kongresses haben eine Wiederbelebung von Glass-Steagall ausgeschlossen. Sie lehnen die Begrenzung von Vorstandsgehältern ab. Auch ist nirgendwo die Rede von einer Schließung der Casinos für Credit Default Swaps, besicherte Schuldverschreibungen, strukturierte Investitionsinstrumente und was der exotischen Spekulationsformen mehr sind, obwohl sie eine zentrale Rolle beim Finanzkrach gespielt haben.

Nicht die Größe und Macht der Großbanken werden beschnitten, sondern die Regierung benutzt die Krise, um eine weitere Konzentration des Bankensektors voranzutreiben. Was ist das Ergebnis des Verschwindens von Bear Stearns, Lehman Brothers, Merrill Lynch, Wachovia und der Washington Mutual, um nur die größten Bankenpleiten zu nennen? Die vier größten US-Banken halten jetzt siebzig Prozent der gesamten Einlagen des Landes, gegenüber weniger als fünfzig Prozent Ende 2000. Dieser Konzentrationsprozess wird sich unter Obamas Regulierungssytem weiter beschleunigen.

Obamas Plan beruht auf einer Lüge. Die Krise ist nicht in erster Linie die Folge von Fehlern oder von Fehlverhalten von Bankern oder der Finanzaufsichtsbehörden - auch wenn die durchaus zahlreich und verheerend waren. Vielmehr ist sie Ausdruck davon, dass das System, das Obama besingt - der Kapitalismus - gescheitert ist.

Es gibt keine Lösung im Rahmen dieses Systems, sondern nur eine sozialistische. Sie beginnt mit der Verstaatlichung der Banken unter der demokratischen Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung. Die Finanzoligarchie muss entmachtet und die Wirtschaft so umgestaltet werden, dass sie den Bedürfnissen der Gesellschaft dient und nicht dem privaten Profit. Das erfordert den Aufbau einer unabhängigen, politischen Bewegung der Arbeiterklasse, die sich gegen die Obama- Regierung und beide Parteien der Wirtschaft richtet.

Siehe auch:
In Kalifornien unterstützt Obama Angriffe auf die
Arbeiterklasse (17. Juni 2009)

Die zwei Gesichter des Barack Obama (16. Februar 2008)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.06.2009
Obamas Finanzreform: Freie Fahrt für die Wall Street
http://wsws.org/de/2009/jun2009/obam-j19.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2009