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GLEICHHEIT/2499: GSG 9-Einsatz in Somalia - Piraterie als Vorwand für Grundgesetzänderung


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

GSG 9-Einsatz in Somalia
Piraterie als Vorwand für Grundgesetzänderung

Von Ludwig Weller
14. Mai 2009


Mit über dreiwöchiger Verspätung hat die deutsche Öffentlichkeit erstmals über einen groß angelegten Einsatz der Elitepolizeieinheit GSG 9 und der Bundeswehr vor der somalischen Küste erfahren. Der auf hoher Regierungsebene ausgearbeitete Einsatzplan sah vor, dass Elitekämpfer der GSG 9 den deutschen Frachter "Hansa Stavanger" stürmen, der am 4. April von somalischen Piraten entführt worden war. Die Operation wurde schließlich im letzten Moment gestoppt, weil die US-Regierung einen zugesagten Hubschrauberträger zurückzog.

Es handelte sich um eine der größten Geheimoperationen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Unmittelbar nachdem somalische Piraten die "Hansa Stavanger" geentert und die Crew, zu der auch fünf deutsche Seeleute gehören, in Gefangenschaft genommen hatten, entschloss sich die Bundesregierung für eine militärische Befreiungsaktion.

Innenminister Schäuble (CDU) war zusammen mit Außenminister Steinmeier (SPD) federführend bei der Planung der umfassenden Operation, die leicht zu einem Blutbad hätte führen können. Der Spiegel, der offensichtlich über Insiderinformationen verfügt, hat ausführlich über die Vorbereitungen der Aktion und über heftige Kompetenzkonflikte zwischen dem Innen-, dem Verteidigungs- und dem Außenministerium berichtet.

Die drei Ministerien beauftragten eine kleine Gruppe von Staatssekretären und Spitzenbeamten mit der Durchführung der Operation. Sie bildeten laut Spiegel gleich am Morgen nach der Entführung einen Krisenstab, der täglich im Berliner Verteidigungsministerium tagte.

Reinhard Silberberg wurde zum Leiter des Krisenstabs ernannt. Steinmeiers Staatssekretär im Auswärtigen Amt steht der SPD nahe und gilt seit langem als Verfechter eines härteren militärischen Auftretens Deutschlands in der Welt.

Innenminister Schäuble schickte seinen Staatssekretär August Hanning in den Krisenstab. Hanning war bis 2005 Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND). Er unterstützt seit Jahren Schäubles Kurs, den Sicherheitsapparat aufzurüsten und gleichzeitig demokratische Grundrechte abzubauen. Während des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm trug er die Verantwortung für einen völlig überzogen Polizeieinsatz, bei dem über 1.000 Menschen in Gewahrsam genommen wurden.

Da einem Einsatz des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr rechtliche Probleme im Wege standen, entschloss sich der Krisenstab für den Einsatz der Anti-Terroreinheit GSG 9. Als Spezialeinheit der Bundespolizei ist sie Schäubles Innenministerium unterstellt und benötigt im Gegensatz zum KSK keinen Einsatzbefehl des Bundestags.

Zunächst setzte das Verteidigungsministerium die ohnehin im Indischen Ozean operierenden Fregatten "Rheinland-Pfalz" und "Mecklenburg-Vorpommern" der Bundesmarine zur Verfolgung der flüchtenden Piraten ein. Staatssekretär Silberberg sprach sich zu diesem Zeitpunkt für einen kurzen Prozess aus: "Solange nur fünf Piraten an Bord sind, können wir zuschlagen und die Sache schnell beenden." Doch die Piraten konnten entkommen und zusätzliche Verstärkung an Bord holen.

Nach Angaben des Spiegels wetterten Schäuble und sein Staatssekretär daraufhin, das Militär sei zu "zaudernd". Schäuble verlangte, man solle die USA um Unterstützung bitten, und setzte sich gegen das Außenministerium durch, das warnte, man begebe sich damit in zu große Abhängigkeit. Die USA erklärten sich zur Unterstützung bereit und stellten der GSG 9 den Hubschrauberträger USS Boxer zur Verfügung.

Der Spiegel beschreibt den Umfang des einsatzbereiten Kommandos: "Am Karfreitag, endlich, kann die Bundesregierung handeln. Zwei Antonow An-124, drei Iljuschin Il-76, eine Transall und ein Airbus fliegen am Ostersonntag Waffen, Sprengstoff und sechs 'Puma'- und 'Bell'-Hubschrauber nach Mombasa. Das Technische Hilfswerk organisiert die Logistik, von der GSG 9 kommt, nach dem Vorauskommando, nun der Rest der Truppe, mehr als 200 Mann." Zusätzlich als Flankenschutz begleiten vier deutsche Kriegsschiffe mit 800 Mann Besatzung die USS Boxer.

Trotz einiger Bedenken, auch aus der GSG 9-Leitstelle in Potsdam, die angesichts von 30 gut bewaffneter Piraten und Dutzenden Geiseln ein Blutbad fürchtet, halten die Staatssekretäre Hanning und Silberberg am Einsatz fest und wollen ihn spätestens in der Nacht zum 1. Mai ausführen lassen.

Aus dem Spiegel-Bericht wird auch ersichtlich, wie eng Außenminister Steinmeier bei dieser Militäroperation involviert war. Da er sich während den entscheidenden Stunden auf einer Afghanistan-Reise befand, ließ er sich ständig über ein Telefon mit Verschlüsselungsfunktion über das Geschehen informieren.

Der Einsatz kam schließlich nicht zustande, weil die Obama-Administration die Operation am 29. April stoppte. Obamas Sicherheitsberater James Jones ließ Bundeskanzlerin Merkel telefonisch mitteilen, das US-Militär halte die gewaltsame Befreiung für zu gefährlich, man wolle die Boxer nicht länger bereitstellen.

Der Spiegel, der seit langem eine schlagkräftigere deutsche Armee fordert, kommentierte die gescheiterte Operation mit den Worten: "Die Absage ist ein herber Schlag für Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Sie wollten diese Geiselkrise militärisch beenden, wenn es denn irgendwie ginge, sie hatten dafür die Zustimmung der Bundeskanzlerin, die sich regelmäßig unterrichten ließ. Schäuble und Steinmeier sind die Dollar-Diplomatie der vergangenen Jahre leid, sie wollten endlich einen Präzedenzfall mit internationaler Strahlkraft: Seht her, die Deutschen zahlen nicht mehr an Gangster oder Terroristen, die Deutschen können auch anders."

Und er kommt dann zu dem Schluss: "In Berlin geht es jetzt um die Frage, was schiefgelaufen ist. Drei Wochen dauerte die Operation, sie hat die Staatskasse mehr Millionen gekostet als alle Lösegeldzahlungen der vergangenen Jahre zusammen. Die GSG 9, das hat der Versuch gezeigt, kann ohne bessere Logistik, ohne verfügbare Flugzeuge und Schiffe, im Ausland nicht schnell genug operieren. Es läge nahe, alles in den Händen der Bundeswehr zu bündeln."

Genau diese Linie verfolgen die Union, aber auch Teile der SPD seit langem. Erst letzte Woche forderte Schäuble erneut eine Änderung des Grundgesetzes und erhielt dabei auch die Unterstützung von Bundeskanzlerin Merkel. Im Kern geht es Schäuble darum, die in der Verfassung festgeschriebene Trennung zwischen Armee und Polizei aufheben. Bundeswehrsoldaten sollen sowohl im Ausland als auch im Inland jederzeit als Polizisten eingesetzt werden können.

Auch Heribert Prantl stellt in einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung diesen Zusammenhang her: "Schäuble benutzt die Piraterie als Enterhaken, um zu erreichen, was er schon immer wollte: den umfassenden Einsatz der Bundeswehr als General-Sicherheitstruppe."

Als Schäuble noch Innenminister war, nahm er demonstrierende Kurden, die eine Autobahn blockiert hatten, zum Anlass, nach der Bundeswehr zu rufen. Zur Fußball-WM in Deutschland versuchte er eine Hysterie zu entfachen, um die militärische Sicherung der Stadien durchzusetzen. Jetzt benutzt er die Piraterie als weiteren Vorwand, um sein Ziel zu erreichen.

Dabei können deutsche Soldaten laut dem Mandat, das der Bundestag am 19. Dezember letzten Jahres mit großer Mehrheit erteilte, feindliche Schiffe schon jetzt nicht nur angreifen, sondern auch versenken. Solche Einsätze sind in die Operation Atalanta eingebunden, die im November 2008 von der Europäischen Union als Anti-Piraterie-Maßnahme beschlossen wurde.

Die SPD lehnt zwar eine Grundgesetzänderung, die der Bundeswehr im Ausland auch Polizeiaufgaben überträgt, vor den Bundestagswahlen ab. Doch es gibt deutliche Stimmen innerhalb der SPD, die Zustimmung signalisieren. Der SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold fordert die Zusammenlegung der beiden Elitetruppen GSG 9 und KSK, sie müssten zumindest "gemeinsam üben und gemeinsam agieren".

SPD-Fraktionschef Peter Struck kommentierte: "Deutschland kann Geiselkrisen wie diese offenbar aus eigener Kraft nicht lösen, sondern ist auf fremde Hilfe angewiesen... Wir müssen uns ernsthaft die Frage stellen, ob wir eigene Möglichkeiten aufbauen, um uns für ähnliche Fälle zu wappnen."

Schäubles hartnäckiges Bestreben, die Bundeswehr als "General-Sicherheitstruppe" im In- und Ausland jederzeit ohne parlamentarische Hürden einsetzen zu können, entspricht den wachsenden Ambitionen der herrschenden Elite in Deutschland, ihre Interessen notfalls mit Gewalt durchzusetzen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.05.2009
GSG 9-Einsatz in Somalia
Piraterie als Vorwand für Grundgesetzänderung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2009