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GLEICHHEIT/2486: Chrysler in der Insolvenz


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI)

Chrysler in der Insolvenz

Von Tom Eley und Barry Grey
5. Mai 2009
aus dem Englischen (2. Mai 2009)


Am Donnerstag gab Präsident Obama auf einer Pressekonferenz bekannt, Chrysler, der drittgrößte amerikanische Autohersteller, werde den Konkurs nach Kapitel elf des Konkursgesetzes beantragen. Obama sagte, dieser Schritt "sichert Arbeitsplätze", und der Prozess werde kurz und schmerzlos abgehen.

Innerhalb weniger Stunden wurden diese Aussagen als Lügen entlarvt. Alle Chrysler-Werke werden für die Dauer des Insolvenzverfahrens geschlossen, und mindestens sechs von ihnen werden nie wieder öffnen. Analysten mutmaßen außerdem, dass das Insolvenzverfahren bei den Gerichten festsitzen wird und der Konzern in die Liquidation abrutschen könnte. Viele Chrysler-Arbeiter werden ihre Fabrik nie wieder betreten.

Obama versuchte am Donnerstag, die Schuld dafür einigen Hedge-Fonds und anderen Gläubigern zuzuweisen, die es abgelehnt hätten, Chrysler einen Teil seiner Schulden zu erlassen. Tatsächlich aber hat die Obama-Regierung Chrysler in die Insolvenz getrieben.

Die Regierung hat in Zusammenhang mit der Autoarbeitergewerkschaft United Auto Workers (UAW) und mit Chrysler und Fiat die Insolvenz als Drohkulisse aufgebaut, um die Autoarbeiter zu massiven Zugeständnisse zu erpressen. Einen Tag später wurde Chrysler dann doch nach Chapter elf in die Insolvenz geschickt.

In dieser Verschwörung hat die UAW eine entscheidende Rolle gespielt. Sie hat jeden Widerstand der Arbeiter verhindert.

In einer Presseverlautbarung bemühte sich die UAW-Spitze gar nicht erst, den Arbeitern zu erklären, warum ihre Zustimmung zu neuen, weitgehenden Zugeständnissen den Konkurs nicht abwendete und keine Arbeitsplätze rettete. In der Erklärung gab sie bekannt, die UAW werde das Insolvenzgericht nutzen, die Zugeständnisse, die sie den Arbeitern abgerungen hatte, offiziell zu machen. "Die UAW wird gemeinsam mit der Regierung, Chrysler und Fiat das Insolvenzgericht drängen, die Tarifverträge, denen die UAW-Mitglieder zugestimmt haben, sofort in Kraft zu setzen", hieß es da.

Wenn Chrysler das Insolvenzverfahren tatsächlich überleben sollte, wird die UAW der Mehrheitseigner sein. Vielleicht wird die Gewerkschaft auch schon bald vierzig Prozent von General Motors besitzen, das ebenfalls vor dem Bankrott steht.

Diese Ereignisse zeigen, dass die UAW nur noch dem Namen nach eine Gewerkschaft ist. Sie ist ein Wirtschaftsunternehmen, das in Zukunft den größten Teil seines Einkommens aus der verschärften Ausbeutung seiner "Mitglieder" ziehen wird, während die Mitgliedsbeiträge wegen der schwindenden Anzahl der Mitglieder immer weniger werden.

Die Verwandlung der UAW in ein Wirtschaftsunternehmen ist das Ergebnis eines Jahrzehnte dauernden historischen Prozesses. Sie wurzelt in der rechten politischen Perspektive der UAW und der ganzen offiziellen Gewerkschaftsbewegung.

Wenn die Autoarbeiter gegen die Zerstörung ihrer Arbeitsplätze, ihres Lebensstandards und ihrer Arbeitsbedingungen kämpfen, wird die UAW ihnen als ihr schlimmster Feind entgegentreten. Deshalb müssen diese Kämpfe jetzt mit der Organisierung von Basiskomitees, die von der UAW unabhängig sind, beginnen. Diese Kämpfe müssen sich auf die politischen Lehren der gesamten Erfahrung stützen, die dem heutigen Desaster vorangegangen sind.

Die politische Perspektive, die zum Zusammenbruch der UAW und zu ihrer Verwandlung in ein Instrument zur Ausbeutung der Arbeiter geführt hat, besteht aus mehreren, mit einander zusammen hängenden Komponenten.

• Die Verteidigung des Kapitalismus und der Kampf gegen den Sozialismus: In den Massenkämpfen der 1930er Jahre, in denen die UAW entstand, waren die militantesten Arbeiter und Arbeiterführer an der Basis von den Idealen des Sozialismus inspiriert. Aber die Gewerkschaftsführer lehnten schon früh jede radikale Umstrukturierung oder demokratische Reform des amerikanischen Wirtschaftslebens ab, von seiner revolutionären Umgestaltung auf der Grundlage sozialistischer Prinzipien ganz zu schweigen. Als die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg zur dominierenden kapitalistischen Macht wurden, stellte sich die UAW hinter das Streben der herrschenden Elite nach globaler Hegemonie. Das äußerte sich auf internationaler Ebene in der Unterstützung für die Politik des Kalten Kriegs und in antikommunistischer Hexenjagd im Inland. Die UAW führte eine Säuberung der Gewerkschaft von den sozialistischen und radikalen Elementen durch, die bei der Bildung der Gewerkschaft eine so wichtige Rolle gespielt hatten.

Die Gewerkschaftsbürokratie, die auf dieser reaktionären Politik aufblühte, identifizierte ihre Interessen mit der Rentabilität der Großen Drei amerikanischen Autoproduzenten. Das bedeutete, dass die Arbeitsplätze und -bedingungen der Arbeiter vollständig von der wirtschaftlichen und industriellen Überlegenheit der Vereinigten Staaten abhängig gemacht wurden. Sobald diese Position ins Wanken geriet, begann die UAW mit den Konzernen zusammenzuarbeiten. So wurden die Errungenschaften, die die Arbeiter vorher in militanten Kämpfen erreicht hatten, eine nach der andern aufgegeben.

• Nationalismus: Die Gleichsetzung der Arbeiterinteressen mit denen der Kapitalbesitzer ging mit Nationalismus einher. Die UAW wies das grundlegende Prinzip zurück, dass Arbeiter in allen Ländern gemeinsam kämpfen müssen und ihre Interessen nur durchsetzen können, wenn sie sich mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern zusammenschließen. Als die Weltwirtschaft immer mehr zusammenwuchs und von transnationalen Konzernen beherrscht wurde, die weltweit operierten und den Globus auf der Suche nach den billigsten Arbeitskräften abgrasten, erwies sich die Orientierung der UAW endgültig als Sackgasse für die Arbeiter. Anstatt die Autokonzerne unter Druck zu setzen, um ihnen Zugeständnisse an die Arbeiter abzuringen, begann die UAW die Arbeiter unter Druck zu setzen, um ihnen Zugeständnisse an die Konzerne abzuringen. Sie versuchte die amerikanischen Arbeiter gegen ihre Kollegen in Kanada, Mexiko, Europa und Japan in Stellung zu bringen. Sie versuchten, die Arbeiter davon zu überzeugen, dass sie niedrigere Löhne und die Vernichtung von Arbeitsplätzen akzeptieren müssten, um "ihre" amerikanischen Konzerne konkurrenzfähig zu machen. Das Ergebnis war eine Abwärtsspirale bei Löhnen und Lebensstandard, und diese hat zu der jetzigen Katastrophe geführt.

Bündnis mit der Demokratischen Partei: Schon in den Klassenschlachten, in denen die UAW entstand - wie die Besetzungsstreiks in Flint und anderen Städten - wies die UAW-Führung die unabhängige politische Organisierung der Arbeiterklasse zurück und führte sie stattdessen ins Schlepptau der Demokratischen Partei. Diese Orientierung auf die Demokraten war der politische Ausdruck ihrer Verteidigung des Kapitalismus'.

Damit beraubte sie die Arbeiterklasse der Möglichkeit, eine wirkungsvolle politische Opposition gegen die seit drei Jahrzehnten andauernde Offensive der herrschenden Klasse zu leisten, die mit der Sanierung von Chrysler 1979-80 begann. Diese Offensive wurde von den Demokraten nicht weniger geführt als von den Republikanern.

Diese Politik fand ihre Höhepunkt in der Wahl Obamas, die die Unterstützung der UAW hatte, und der Bildung einer Regierung, die als direktes Werkzeug der Wall Street arbeitet. Das Bündnis der UAW mit den Demokraten nimmt jetzt die Form einer Einheitsfront der Obama-Regierung mit der UAW für die Durchsetzung von Armutslöhnen und schlimmen Arbeitsbedingungen an, wie es sie seit den gewerkschaftslosen Zeiten der 1930er Jahre nicht mehr gegeben hat.

Es ist dringend notwendig, dass die Arbeiter die notwendigen Lehren aus der gesamten Erfahrung ziehen, die in dem Bankrott von Chrysler und dem drohenden Bankrott von General Motors ihren Höhepunkt findet.

Die Arbeiter müssen die militanten Traditionen vergangener Generationen wiederbeleben. Sie sollten die Gewerkschaftsbosse der UAW aus den Betrieben vertreiben, so wie die Pioniere der Industriegewerkschaften in den 1930er Jahren mit der AFL gebrochen haben, um gegen den Despotismus und die Ausbeutung in den Fabriken zu kämpfen. Sie sollten Fabrikkomitees wählen und Demonstrationen, Streiks und Fabrikbesetzungen gegen Entlassungen, Betriebsschließungen und die verräterischen Tarifverträge der UAW zu organisieren. Sie sollten sich an alle Autoarbeiter in den USA, Kanada, Mexiko, Europa und Asien wenden, um einen gemeinsamen Kampf zu organisieren.

Das ist vor allem ein politischer Kampf. Er muss von einer neuen politischen Perspektive angeleitet werden. Arbeiter müssen mit der Demokratischen Partei und dem Zwei-Parteien-System brechen und für den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei der Arbeiterklasse kämpfen. Nur mit ihrer eigenen Partei kann die Arbeiterklasse im Kampf für eine Arbeiterregierung ihre Lösung der Wirtschaftskrise durchsetzen.

Eine Politik im Interesse der Arbeiter beinhaltet die Forderung nach sicheren und anständig bezahlten Arbeitsplätzen, Krankenversicherung, Renten, anständigen Arbeitsbedingungen und Demokratie am Arbeitsplatz. Im Zentrum einer solchen Politik steht die Forderung nach der Enteignung der Autoindustrie und der Banken unter demokratischer Kontrolle der Arbeiterklasse. Der Kampf für diese sozialistische Politik muss in den Vereinigten Staaten und international gemeinsam geführt werden.

Die Industrie muss der Kontrolle der Finanzoligarchen entrissen werden, und sie muss international entsprechend den gesellschaftlichen Bedürfnissen organisiert werden, und nicht im Interesse privaten Profits.

Siehe auch:
Warum die UAW und die Demokraten Wirtschaftsnationalismus schüren
(19. Dezember 2008)

Autoarbeiter brauchen eine sozialistische Strategie
(18. Dezember 2008)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 05.05.2009
Chrysler in der Insolvenz
http://wsws.org/de/2009/mai2009/chry-m05.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2009