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DAS BLÄTTCHEN/947: Propaganda


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 4/2009 - 16. Februar 2009

Propaganda

Von Peter Petras


Früher war das einfacher. Früher konnte man Kriegspropaganda rasch als solche identifizieren. Da kamen lauthalse Reden, selbst den Zeitungsseiten sah man noch das Geschrei an. Vollmundige Erklärungen wurden in die Welt gesetzt. Vielleicht war die von Saddam Hussein eine der letzten dieser Art, gemeint ist das großmäulige Wort von der "Mutter aller Schlachten" 1990. Dann haben die High-Tech-Waffen der USA seine Panzerarmee zermahlen, und die in der Wüste eingegrabenen Soldaten wurden einfach mit Bulldozern zugeschoben, wie später berichtet wurde; die Bilder sollen so fürchterlich gewesen sein, daß auch das Pentagon sie unter Verschluß hielt.

Das alles war einmal. Wir leben, zumindest was den postmodernen Teil der "westlichen Zivilisation" betrifft, in einer Welt, da Offiziere außer Dienst unauffällig in Zivil herumlaufen, und Kriegsziele als moralische Aufgaben ("Menschenrechte", "Rechte der Frauen" im Falle Afghanistans) oder als reine Notwehr ("Kampf gegen den Terror") vermarktet werden.

So geschah und geschieht es weiter auch im Falle des Gaza-Krieges Israels. Wie das subtil gemacht wird, war jüngst in der Berliner Zeitung (31. Januar/1. Februar 2009) nachzulesen. Der Text wurde im Wochenend-Magazin plaziert, im Feuilleton. Die Autorin, Gunda Wöbken-Ekert, gab einen Erlebnisbericht unter der Überschrift: "Ganz normale Ausrutscher". Der Untertitel lautete: "Für Juden wird das Leben in Deutschland schwerer. Eine Betrachtung". Vor einigen Monaten noch hatten die großen Blätter berichtet, daß immer mehr junge jüdische Israelis, deren Eltern beziehungsweise Großeltern aus Deutschland stammten und die so ein Anrecht auf eine deutsche Staatsbürgerschaft haben, in dieses Land kämen und hier studierten. Das soll jetzt nicht mehr gewesen sein? Und die große Zahl jüdischer Menschen, die nach 1989 aus Osteuropa nach Berlin und andere Städte gekommen ist? Das alles wird jetzt in das Licht des "Schwerer-Werdens" getaucht.

Zunächst werden zutreffend die Folgen des Geschichtsrevisionismus' im heutigen Deutschland beschrieben: Auf den Hinweis des alten Mannes aus Amerika, als Jude von den Nazis vertrieben worden zu sein, kommt die Antwort eines zufällig am Tisch sitzenden deutschen Paares, daß das ja eine "traurige Zeit" gewesen sei, ihre Eltern hätten "auch sehr gelitten, in den Bombennächten". Die Deutschen als Opfer und die Aufrechnung als Exkulpierung angesichts des Judenmords. Nach diesem scheinbar zufällig herausgegriffenen Genrebild wird der Artikel schon politisch. Es wird auf die Kritik aus der Linkspartei an der Rede des Berliner Landesvorsitzenden, Klaus Lederer, auf der Pro-Israel-Kundgebung während des Krieges verwiesen, namentlich auf die "Linken-Vorstandsmitglieder Christine Buchholz und Sahra Wagenknecht". Dann folgen wieder Genrebilder vom bürgerlichen Small Talk an westdeutschen Professorentischen, wo denn auch wieder Sätze fielen wie: Das "internationale Judentum" kontrolliere weltweit die Medien, oder "Juden hätten so viel Geld" und würden den Berliner Grundbesitz in Händen halten. Nach zehn Jahren Geschichtsrevisionismus, vermittelt durch die öffentlich-rechtlichen Medien, ist in Deutschland vieles wieder öffentlich sagbar, was zuvor nur im engeren Familienkreis gesprochen, aber immer gedacht wurde. Danach folgt im Artikel der Verweis auf neuere Forschungen zum Antisemitismus und die neuesten Zahlen des Bundesinnenministeriums über rechtsextreme und antisemitische Taten in Deutschland. Sie sind wieder angestiegen.

Nachdem das alles ruhig und überzeugend erzählt ist, kommt der Gaza-Krieg. Zunächst der Verweis auf einen nicht genannten Holocaust-Überlebenden, der gesagt habe, Juden müßten "ein Recht darauf haben zu überleben, auch in Israel". Wer wollte das bestreiten? Aber rechtfertigt das die vielen toten Palästinenser in Gaza? In der Argumentation werden zunächst Norbert Blüm und der Islamwissenschaftler Udo Steinbach getadelt, weil sie im Fernsehen Israels Kriegsführung kritisiert hatten. Dann folgt die rhetorische Frage, weshalb denn in Deutschland über die palästinensischen Opfer geredet werde, nicht aber über die israelischen Kinder, die zur Trauma-Behandlung mußten, weil die Raketen der Hamas auf ihre Städte "geregnet sind". Nun folgen die bekannten Argumentationslinien, die die israelische Armeeführung seit Anfang dieses Krieges verbreitet hat: Die israelischen Soldaten hätten strikten Befehl, nicht auf Zivilisten zu schießen, und die Hamas hätte "Frauen und Kinder als Schutzschilde" benutzt. Daß das nicht erklärt, weshalb dann so viele Opfer in der palästinensischen Zivilbevölkerung zu beklagen sind, wird nicht problematisiert.

Die Weglassungen sind überhaupt aufschlußreich. So moniert die Autorin, daß in einem Buchladen "zum 60jährigen Bestehen des Staates Israel unter anderen das Buch 'Die Israel-Lobby' im Schaufenster (lag), dessen Autoren beklagen, daß die amerikanischen Juden die Außenpolitik im Griff und damit auch die gutmeinende Politik der USA Israel gegenüber zu verantworten hätten". Im Kontext des Artikels, der betrachtet, weshalb für Juden das Leben in Deutschland schwerer werde, müßte man vermuten, dies sei eine antisemitische Hetzschrift deutscher Rechtsradikaler. Die nicht erwähnten Autoren jedoch sind die renommierten US-amerikanischen Politikwissenschaftler John J. Mearsheimer von der Universität Chicago und Stephen M. Walt von der Harvard University, die die Bush-Regierung dafür kritisiert haben, daß ihre einseitig auf Israel orientierte Politik die verfahrene Situation im Nahen Osten mitzuverantworten und den eigenen Interessen der USA geschadet habe.

Zwischendurch wird im Artikel die wiederum rhetorische Frage gestellt: "Wie kommt es, daß so viele Deutsche für den Nahostkonflikt brennen, und so wenige für Darfur?" Eine Antwort wird nicht gesucht. Es ist ein Vorwurf. Aber erstens stimmt es nicht, daß sich niemand in Deutschland für Darfur interessiert. Und zweitens, selbst wenn es stimmte: Sollen wir alle zu den 1.300 Toten des Bombardements auf Gaza schweigen? Was ist eigentlich mit den Trauma-Behandlungen für die palästinensischen Kinder?

Wenn die Autorin darüber geschrieben hätte, daß die Besatzung des palästinensischen Gebietes seit 1967 der eigentliche Grund für den anhaltenden Konflikt ist, wenn sie gefragt hätte, warum der Oslo-Friedensprozeß (1993 bis 1995) gescheitert ist, und gesagt hätte, daß es eine Tragödie für Israel ist, daß Premierminister Jitzchak Rabin, der den Friedensprozeß mit dem damaligen Palästinenser-Präsidenten Jassir Arafat begonnen und dafür den Friedensnobelpreis erhalten hatte, am 4. November 1995 deshalb von einem jüdischen Fundamentalisten und Rechtsextremisten ermordet wurde - wenn sie das alles geschrieben hätte, dann wäre es ein guter, nachdenkenswerter Artikel gewesen. So aber ist es ein Text, der das Publikum für die israelische Kriegsführung einnehmen soll, und die Kompilation der recht genau beobachteten Bilder aus dem derzeitigen deutschen Alltag und der zusammengetragenen Fakten und Zahlen zielt nur darauf, Kritik daran unmöglich zu machen.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 4, 12. Jg., 16. Februar 2009, S. 11-14
Herausgegeben vom Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2009