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DAS BLÄTTCHEN/943: Geistiger Neubeginn


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 2/2009 - 19. Januar 2009

Geistiger Neubeginn

Von Heerke Hummel


Will DIE LINKE gut durch dieses "Superwahljahr" kommen, muß sie auch plausible Angebote für eine nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik vorlegen. Ohne eine theoretische Wertung der tiefgreifenden Veränderungen in den Produktions- und Austauschbeziehungen der Weltgesellschaft geht das nicht. Sie beinhalten eine hochgradige Vergesellschaftung (gesellschaftliche Existenzweise) des Menschen und seiner Auseinandersetzung mit der Natur. Die Trennung des Geldes vom bestimmten realen Sachwert (Gold) im Jahre 1971 ermöglichte die schrankenlose Aufblähung des Finanzsystems, unabhängig von den in der Realwirtschaft gebundenen Werten. Dieses quasi neue Geld (und seine Bewirtschaftung) ist dem Wesen nach nicht mehr Sache von Privaten, sondern öffentliche Angelegenheit. Der Staat mit seiner Notenbank als Herausgeber und "Hüter" des Geldes hat mit seinem ganzen Gesetzesapparat dafür zu sorgen, daß das Geld seine ökonomischen Funktionen erfüllt und der gesellschaftliche Reproduktionsprozeß als Einheit von Produktion und Konsumtion funktioniert. Was gerade in der ganzen Welt in Form staatlicher Bemühungen um finanzielle und sachlich-strukturelle Stabilität in der Wirtschaft vor sich geht, geschieht leider nicht aus theoretischer Einsicht, sondern der praktischen Not gehorchend und daher mangelhaft.

Wer heute Geld besitzt, hat - ökonomisch gesehen, wenn auch noch nicht de jure fixiert - staatlich sanktionierten Anspruch auf Produkte und Leistungen der Gesellschaft zum entsprechenden Betrag. Bis 1971 hafte er - auf der Rechtsgrundlage des Abkommens von Bretton Woods - mit je 35 US-Dollar Anspruch auf 1 Feinunze Gold, das bei der Zentralbank der Vereinigten Staaten lagerte. Diesen Anspruch hatte der Staat mit der Geldpolitik seiner Notenbank zu garantieren, und darin erschöpfte sich seine aus den Bedingungen des Warenaustauschs resultierende ökonomische Funktion. Nun aber, in der neuen ökonomischen Konstellation, hat der Staat dafür zu sorgen, daß mit dieser "Quittung für geleistete gesellschaftliche Arbeit" im Gegenzug auch wirklich sachliche Ergebnisse gesellschaftlicher Arbeit aus dem allgemeinen Fonds (auf dem Markt) erworben werden können. Dieser Veränderung in der ökonomischen Basis der Gesellschaft muß durch einen entsprechenden Wandel ihres geistigen, politischen und juristischen Überbaus Rechnung getragen werden. Hier soll nur auf drei das Unternehmertum betreffende Aspekte hingewiesen werden:

Erstens: Als "gesellschaftliche Arbeitsquittung" drückt das Geld einen Anspruch seines Besitzers auf einen entsprechenden Teil des Produkts der Gesellschaft, also ihres Produktionsfonds, und damit auf Teilhabe am Produktivvermögen der Gesellschaft aus. Der gesamte gesellschaftliche Produktionsfonds ist daher - ökonomisch gesehen - nicht mehr Privateigentum von Unternehmern, sondern Produktivvermögen der Gesellschaft als ganzes. Diesen bereits gegebenen ökonomischen Sachverhalt gilt es in unserem Rechtssystem klar zu fixieren. Dem kommt der Umstand entgegen, daß heute der sogenannte Eigenkapitalanteil sogar auch in den mittelständischen Unternehmen ohnehin nur noch zirka ein Viertel des Betriebsvermögens ausmacht, während die überwiegende Masse geliehenes "Fremdkapital" darstellt.

Zweitens: Der Unternehmer selbst - und erst recht der Manager einer "Kapitalgesellschaft" - ist so gesehen zu einem "Betriebsleiter im Auftrag der Gesellschaft" geworden, ausgestattet mit bestimmten Kompetenzen und Vollmachten, die es rechtlich noch klarer zu umreißen gilt, ohne in kleinliche Bevormundung zu verfallen. Und auch in dieser Hinsicht hat sich in der Praxis bereits ein sichtbarer Wandel vollzogen: Der Unternehmer kann schon lange nicht mehr nach persönlichem Gutdünken handeln, sondern ist an zahllose Rechtsvorschriften und Normen gebunden, bis hin zur Gestaltung seiner betriebswirtschaftlichen Rechnungsführung, Arbeits- und Lohngestaltung und so weiter. Klare rechtliche Regelungen und Grenzen seiner Kompetenzen und Verantwortung könnten ihm künftig durchaus größere "unternehmerische Freiheit" und Sicherheit gewähren, als er heute genießt.

Drittens: Die vielbeschworene Sozialpflichtigkeit des Unternehmers leitet sich aus seiner verantwortungsvollen Stellung im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß als Existenzgrundlage der menschlichen Gemeinschaft ab und ist unter anderem im Artikel 14 des deutschen Grundgesetzes rechtlich begründet. Sie wird heute in erster Linie durch den von der Gesellschaft selbst erzeugten Druck der ökonomischen Zwänge beeinträchtigt. Hier soll vor allem auf den Zwang zu bedingungsloser Gewinnmaximierung und Verzinsung geliehenen Geldes hingewiesen werden. Beiden Faktoren liegt letztlich der allgemeine Irrtum dieser Gesellschaft zu Grunde, Geld und Finanzwerte aller Art für Reichtum zu halten, obwohl diese lediglich Ansprüche ausdrücken beziehungsweise eine ideelle Darstellung verausgabter gesellschaftlicher Arbeit sind. Der Zins als Kostenfaktor bläht, da er keinen wirklichen gesellschaftlichen Aufwand von Arbeit darstellt, in der Betriebswirtschaft die Kosten der Produktion künstlich auf und begründet - neben anderen Ursachen - gesellschaftlich eine inflationistische Entwertung des Geldes.

Die Leichtigkeit, mit der derzeit rund um den Globus vom Staat Gelder in nie gekannter Menge zur Krisenbewältigung hingeblättert werden, markiert das gründliche Versagen einer ökonomischen Theorie, die mehr als drei Jahrzehnte lang den Staat aus der Wirtschaft verbannen wollte. Nun gilt es zu verstehen, was da in der Tiefe der vom Gold-Dollar befreiten Wirtschaft vor sich geht und daß nicht, wie jetzt beschlossen, einfach noch mehr Geld erzeugt, sondern das vorhandene mit der Macht des Staates umverteilt und künftig eine realwirtschaftlich begründete Geld- und Finanzwirtschaft betrieben werden muß, damit der produzierte Sachreichtum der Gesellschaft ohne Verschuldung konsumiert werden kann, Produktion und Verbrauch also in ein letztlich auch ökologisch vernünftiges Gleichgewicht kommen.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 2, 12. Jg., 19. Januar 2009, S. 11-13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2009