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DAS BLÄTTCHEN/1906: Keine Rüstungskontrolle für den Weltraum in Sicht


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
22. Jahrgang | Nummer 12 | 10. Juni 2019

Keine Rüstungskontrolle für den Weltraum in Sicht

von Jerry Sommer


Etwa 2.500 aktive Satelliten kreisen im Weltall. Für den Alltag der Menschen, für das Funktionieren von Gesellschaft und Wirtschaft werden sie immer wichtiger. Auch das Militär setzt auf satellitengestützte Kommunikation. Etwa 40 Prozent aller Satelliten kommen aus den USA - die meisten der militärisch genutzten Satelliten gehören den US-Streitkräften. Doch die Trump-Administration sieht die US-Dominanz bedroht. Der amtierende US-Verteidigungsminister Patrick Shanahan stellte Ende März fest, es gebe Handlungsbedarf: "Mein Ziel ebenso wie das Ziel des Ministeriums ist es, die US-Dominanz im Weltraum noch weiter auszubauen."

Dazu arbeiten die USA auch an Waffen, die im Weltall stationiert werden sollen. 380 Millionen Dollar will das Pentagon ausgeben, um bis 2023 eine weltraumgestützte Teilchenstrahlenwaffe zu entwickeln. Außerdem werden Studien über weltraumstationierte Laserwaffen zur Raketenabwehr erstellt. Doch solche Systeme können nicht nur zur Abwehr von Raketen, sondern auch zum Abschuss von Satelliten eingesetzt werden. Deshalb warnt die Weltraumexpertin Laura Grego von der US-Wissenschaftlerorganisation "Union of Concerned Scientists" vor im Weltraum stationierten Waffen: "Wenn solche Pläne umgesetzt werden, wäre das eine sehr besorgniserregende Entwicklung. Erstmals würde damit eine bisher respektierte Grenze überschritten."

Noch sind keine Waffen im Weltraum stationiert. Manche Beobachter halten die US-Pläne zwar für unrealistisch. Aber schon entsprechende Planungen bleiben nicht ohne Folgen, erklärt Götz Neuneck vom Hamburger "Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik": "Auch andere Staaten würden dann in eine Form von Wettrüsten einsteigen. Es wäre klüger, man würde so etwas von vorne herein verbieten."

Völkerrechtlich ist die militärische Nutzung des Weltraums zurzeit nicht grundsätzlich verboten. Es gibt zwar den Weltraumvertrag von 1967. Er verbietet allerdings lediglich die Stationierung von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen im All.

Objekte im Weltraum können aber auch von der Erde aus zerstört werden. Es hat bereits mehrere solcher Tests gegeben. Ende März vernichtete Indien einen eigenen Satelliten mittels einer vom Boden gestarteten Rakete. Solche Anti-Satelliten-Waffen besitzen auch die USA, Russland und China.

Eine andere Möglichkeit ist, von der Erde aus die Satelliten zu beeinflussen: zum Beispiel Satelliten durch Jamming - das Bestrahlen von Satelliten -, durch Cyberangriffe und Laserwaffen zu blenden.

Inzwischen sind auch manövrierbare Satelliten entwickelt, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden könnten, sagt der Weltraumexperte Daniel Porrass vom UN-Institut für Abrüstungsforschung in Genf: "Einige Wartungssatelliten können Weltraumschrott einsammeln, was sehr nützlich ist. Aber sie können auch Satelliten kapern. Zum Beispiel hat die Universität von Surrey kürzlich eine Harpune entwickelt, die Objekte im All aufspießen und entfernen kann. Das kann sehr sinnvoll sein - diese Harpune ist aber zugleich auch eine potenzielle Waffe."

Die Gefahr einer Militarisierung des Weltraums beschäftigt schon seit Jahrzehnten die Vereinten Nationen. China und Russland haben 2014 einen Entwurf für einen Vertrag vorgelegt, der die Stationierung von Waffen im Weltraum sowie die Androhung und Anwendung von Gewalt gegen Weltraumobjekte verbietet. Doch bis heute hat es hierüber keine Verhandlungen gegeben. Sie sind auch nicht zu erwarten. Denn die USA lehnen jegliche weitere vertragliche Begrenzung von Waffensystemen im Weltraum ab. Begründung: Damit würden auch US-Raketenabwehrsysteme im All verboten, die die USA schützen könnten. Diese Verweigerungshaltung kritisiert Laura Grego von der US-Wissenschaftlerorganisation "Union of Concerned Scientists": "Ich glaube nicht, dass das im US-Interesse ist. Schließlich haben die USA im Weltraum am meisten zu verlieren. Wir sollten lieber darüber nachdenken, wie wir die Sicherheit im Weltraum erhalten. Ohne die Begrenzungen von Technologien und Einschränkungen von Verhaltensweisen werden die Risiken aber zunehmen. Darin sehe ich keine Vorteile."

In der UN-Generalversammlung werden jedes Jahr mit großer Mehrheit Resolutionen verabschiedet, die sich gegen eine Stationierung von Waffen im Weltraum aussprechen. Washington hat im Dezember zum ersten Mal gegen eine solche Entschließung gestimmt - in den vergangenen Jahren hatten sich die USA in der Regel enthalten. Deutschland und die meisten anderen Bündnispartner der USA votierten hingegen meistens dafür oder enthielten sich in wenigen Fällen wie die US-Regierung.

Allerdings: Kein NATO-Mitglied möchte in konkrete Vertragsverhandlungen mit Russland und China sowie den vielen anderen Staaten eintreten, die einen Verbotsvertrag unterstützen. Zweifellos sind eine Reihe von Fragen schwierig und umstritten: Was wird als Weltraumwaffe definiert? Wie könnte ein Vertrag verifiziert werden? Diese Fragen dürften aber kein Grund sein, Vertragsverhandlungen abzulehnen, meint der Hamburger Sicherheitsexperte Götz Neuneck: "Es ist ein Fehler des Westens alle Vorschläge, die von Russland kommen, gleich als abstrus anzusehen. Man sollte Russland vielmehr testen. Das tut man aber nicht mehr. Man stellt fest und verurteilt - wie beim INF-Vertrag. Natürlich bleiben da viele Fragen offen. Aber wenn man überhaupt den Willen hat, kooperativ so etwas auszuarbeiten, wäre man schon einen Schritt weiter."

Im März haben in Genf Regierungsexperten in einem speziellen Forum darüber beraten, wie ein Rüstungswettlauf im All durch eine vertragliche Vereinbarung verhindert werden könnte. Dieses Gremium war auf Beschluss der UN-Vollversammlung eingesetzt worden. Allerdings gingen die Experten ohne eine Annäherung der Positionen wieder auseinander. Eine Vereinbarung über ein Stationierungsverbot von Waffen im Weltraum ist im Moment offenbar nicht möglich. Daniel Porrass vom UN-Institut für Abrüstungsforschung in Genf hält einen Vertrag im Augenblick allerdings auch nicht für besonders dringlich. Denn eine Stationierung von Raketenabwehrwaffen im Weltraum sei noch nicht unmittelbar zu erwarten. Die Technologie sei nicht ausgereift und die Kosten dürften immens sein. Deshalb solle man zunächst kleinere Schritte anstreben, schlägt Daniel Porrass vor: "Vielleicht kann man vereinbaren, gegenseitig keine Satelliten anzugreifen und zu zerstören, die für GPS-Positionsbestimmungen verwendet werden. Oder zumindest könnte man übereinkommen, im Konfliktfall GPS zwar zu blockieren oder zu hacken, aber die GPS-Satelliten nicht zu zerstören. Denn das wäre auch nach einem Ende des Konflikts für die kritische Infrastruktu r extrem gefährlich. Und der Schrott im All könnte so groß werden, dass bestimmte Umlaufbahnen nicht mehr benutzbar wären."

Auch freiwillige und einseitige Maßnahmen der Staaten - wie zum Beispiel ein Informationsaustausch über Satellitenstarts, Satellitenlasten und Weltraumstrategien - könnten helfen, Vertrauen zu schaffen. Dadurch könnte eventuell auch der Weg freigemacht werden für spätere vertragliche Regelungen. Die Chancen würden steigen, wenn sich Staaten wie Deutschland und andere westliche Mittelmächte noch stärker eigenständig positionieren.

Für Laura Grego kommt diesen Staaten auch eine wichtige Rolle zu, um doch noch ein umfassendes Stationierungsverbot von Waffen im Weltraum zu erreichen: "Staaten wie Deutschland, Frankreich, Kanada und Großbritannien könnten einen wichtigen Impuls geben. Sie sollten konkrete Veränderungsvorschläge zum russisch-chinesischen Vertragsentwurf machen und ihn nicht einfach ablehnen. Sie könnten zum Beispiel sagen: So sieht unser Vorschlag für die Verifikation aus."

Doch danach sieht es im Augenblick nicht aus. Rüstungskontrollvereinbarungen für den Weltraum sind nicht in Sicht.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag des Autors für die Senderreihe "Streitkräfte und Strategien" (NDR-Info, 1.6.2019).

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 12/2019 vom 10. Juni 2019, Online-Ausgabe
E-Mail: redaktion@das-blaettchen.de
Internet: https://das-blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2019

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