Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


DAS BLÄTTCHEN/1646: "Man wird hart auf See."


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
19. Jahrgang | Nummer 24 | 21. November 2016

"Man wird hart auf See."

von Manfred Orlick


Wer in den 1950er und 1960er Jahren als jugendlicher Leser in der DDR keine Westverwandtschaft hatte, für den waren die Abenteuerbücher von Karl May gewissermaßen tabu. Der musste mit den "Lederstrumpf-Erzählungen" von James F. Cooper, mit Friedrich Gerstäcker oder Robert Louis Stevenson "vorliebnehmen". Sie waren aber weit mehr als ein "Karl-May-Ersatz", sie boten aufregende Abenteuerlektüre, die man verschlang - nicht selten mit der Taschenlampe unter der Bettdecke.

In diese Reihe meiner jugendlichen "Bestseller"-Autoren, deren Bücher in der Stadtbibliothek leider meist ausgeliehen waren, gehört unbedingt auch Jack London. Der amerikanische Schriftsteller starb vor hundert Jahren, am 22. November 1916, im Alter von vierzig Jahren, und er hinterließ ein Werk, das Leser, nicht nur jugendliche, bis heute fasziniert.

Wer war dieser Jack London? Damals war er einfach nur einer meiner Lieblingsautoren. Erst später erfuhr ich anhand seiner Biografie, dass er auch Journalist, Kriegsberichterstatter, Kohlenschlepper, Robbenfänger, Austernräuber, Vagabund, Alkoholiker, Goldsucher, Matrose und Sozialist war.

Jack London (eigentlich John Griffith Chaney) wurde als uneheliches Kind eines irischen Astrologen am 12. Januar 1876 in San Franzisco geboren. Nachdem der Vater verstorben war, wuchs er bei der Mutter in ärmlichen Verhältnissen auf. Bereits mit 13 Jahren verließ er die Schule, um mit verschiedenen Gelegenheitsjobs die Familie zu unterstützen. Für den Halbwüchsigen ein hartes Leben, das allein durch seinen Lesehunger einige Lichtblicke erhielt. Als 15-Jähriger kaufte er sich eine heruntergekommene Schaluppe und versuchte sein Glück als einer der Austernpiraten, die in der Bucht von San Francisco die Muschelbänke ausraubten. Ein lukrativer Job, der ihn aber schon früh zum Alkohol führte.

Wenig später stand er als Patrouillenführer einer Fischereistreife auf der anderen Seite und arbeitete nun gegen seine ehemaligen Kumpane, gegen Austernräuber und Schmuggler. Dann heuerte er auf einem Robbenfänger an, mit dem er bis nach Japan und Sibirien kam. Auch diese Erfahrungen sind in seinen Büchern wiederzufinden - siehe Überschrift.

Zurück in Kalifornien arbeitete er als Heizer und Kohlenschlepper in einem Heizwerk. Schließlich durchquerte er als "Hobo" (Eisenbahntramp) die USA, worüber er später in seinem autobiographischen Roman "Abenteuer des Schienenstranges" ausführlich berichtete. Das Leben als Tramp veränderte die Weltsicht des 19-Jährigen, und er kam dabei mit sozialistischen Ideen in Berührung.

1895 holte London sein Abitur nach, während er sein Geld in einer Dampfwäscherei verdiente. In dieser Zeit entstanden auf einer geliehenen Schreibmaschine die ersten Geschichten, von denen er allerdings keine verkaufen konnte. Als 1897 am Klondike River Gold gefunden wurde, brach London mit einem Schwager nach Alaska auf, das schnellen Reichtum versprach. Der Legende nach sollen sich in seiner Ausrüstung auch einige Bücher befunden haben, darunter neben der "Entstehung der Arten" von Charles Darwin "Das Kapital" von Karl Marx, und so war der Sozialismus möglicherweise auch am Klondike River ein Diskussionsthema.

Der erhoffte Goldgewinn blieb allerdings aus, und so kehrte London nach einem Jahr enttäuscht und völlig mittellos nach Kalifornien zurück, wo er fast reumütig eine Postausbildung absolvierte. Nebenbei setzte er jedoch seine literarischen Bemühungen fort - dieses Mal mit mehr Erfolg. Nachdem einige seiner Geschichten und Reportagen in Zeitungen gedruckt worden waren, erschien 1900 ein erster Sammelband. Seine Storys wurden ein großer Erfolg, denn sie trafen die allgemeine Aufbruchsstimmung um die Jahrhundertwende.

Was folgte, war ein umfangreiches literarisches Werk, das wie im Akkord entstand. Wie früher bei seinen miesen Gelegenheitsjobs schuftete London jetzt am Schreibtisch, scheinbar mit der Stechuhr im Rücken. Von 1900 bis zu seinem Tod 1916 verfasste er über 50 Romane und Sachbücher - darunter solche Klassiker wie "Ruf der Wildnis", "Der Seewolf", "Wolfsblut" oder "Lockruf des Goldes". Weiterhin entstanden zahllose Kurzgeschichten und Artikel mit einem breiten Themenspektrum. Das erreichte der Autor nur durch eine strenge Arbeitsdisziplin; so soll sein tägliches striktes Schreibpensum 1000 Wörter betragen haben.

Sein Privatleben in diesen anderthalb Jahrzehnten war ebenfalls turbulent. London war zweimal verheiratet. Als Underground-Reporter lebte er einige Wochen in den Elendsvierteln des Londoner East End, und als Kriegsberichterstatter im Russisch-Japanischen Krieg geriet er sogar in Gefangenschaft. 1901 war London der neu gegründeten "Socialist Party" beigetreten und kandidierte zweimal (erfolglos) für das Bürgermeisteramt von Oakland.

Beeinflusst von den sozialen und ideologischen Widersprüchen der frühen sozialistischen Bewegung unternahm er im Winter 1905/06 mehrere Vortragsreisen, auf denen er sich für den Sozialismus aussprach. Doch dann kaufte sich der Sozialist London die Yacht "Snark" und entfloh der amerikanischen Wirklichkeit mit einer geplanten Weltumseglung, die er jedoch nach zwei Jahren abbrechen musste. Danach zog sich London auf eine Farm zurück, die er 1910 erworben hatte und als sein eigentliches Lebenswerk betrachtete. Die Schriftstellerei sah er lediglich als Broterwerb zur Aufrechterhaltung seiner Ranch an, die er als modernen Landwirtschaftsbetrieb führen wollte.

Geschwächt von harter Arbeit, aber auch von jahrelangem Alkoholkonsum, starb Jack London frühzeitig. Um seinen Tod ranken sich verschiedene Gerüchte: Lange kursierte die Vermutung von einem Selbstmord, die sich jedoch nach neueren Erkenntnissen als haltlos erwiesen hat.

Seinem Nachruhm hat dies nicht geschadet: Noch heute steht der Name Jack London für Freiheit, Draufgängertum, Entfaltung des Individuums, wilde unberührte Natur ... und für spannende und unterhaltsame Lektüre.

*

Quelle:
Das Blättchen Nr. 24/2016 vom 21. November 2016, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 19. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
... und der Freundeskreis des Blättchens
Verantwortlich: Wolfgang Schwarz
Fritz-Reuter-Str. 8, 12623 Berlin
Fax: 030 . 70 71 67 25
Redaktion:
Margit van Ham, Wolfgang Brauer, Alfons Markuske, Detlef-Diethard Pries
E-Mail: hwjblaettchen@googlemail.com
Internet: www.Das-Blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang