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DAS BLÄTTCHEN/1602: "Ich bin ein Gemisch von Hamlet und Don Quixote"


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
19. Jahrgang | Nummer 12 | 6. Juni 2016

"Ich bin ein Gemisch von Hamlet und Don Quixote"

von Mathias Iven


Der dies von sich behauptete, war Richard Wagner. Aufgezeichnet hat den Ausspruch seine Frau Cosima am 7. August 1878. In welchem Kontext es zu diesem Ausspruch kam, was für Hindernisse zu überwinden waren und welche Stationen Wagner auf dem Weg vom "Trivialkomponisten" hin "zu einem alle bisherige Opernwelt über den Haufen werfenden musikdramatischen Revolutionär" durchlief, zeigt die soeben erschienene "Wagner-Chronik" des aus Güstrow stammenden, sich seit Jahrzehnten mit Wagner beschäftigenden Musik- und Theaterwissenschaftlers Eckart Kröplin.

Es ist das Los des Revolutionärs, dass er gegen Unverständnis und Vorurteile zu kämpfen hat, dass er mit den Traditionen seiner Zeit brechen muss. Seiner ersten Frau Minna hatte Wagner im Mai 1849 erklärt: "Meine Welt ist nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft." Und Ende des Jahres hieß es in einem an seinen Musikerkollegen Theodor Uhlig gerichteten Brief: "Meine sache ist: revolution zu machen, wohin ich komme." Doch der Wagnerschen Revolution entgegen standen das Publikum, vor allem aber die Kritiker. Da waren Urteile an der Tagesordnung wie: "Man vermißte Melodie, man fand viel Bizarres, Unstetes, Zerfahrenes." Und über eine "Tristan"-Aufführung hieß es kurz und bündig: "Es war ein ununterbrochenes Geheul, wobei es natürlich auf Treffen der in der Partitur vorgeschriebenen Noten gar nicht mehr ankommen konnte." Nicht besser wurde die Situation dadurch, dass Wagner zugleich Text und Musik lieferte. Entsprechend urteilte der dem "Gesamtkunstwerk" ablehnend gegenüberstehende Dresdner Kritiker und Intimfeind Wagners Julius Schladebach am 23. Oktober 1845 über den "Tannhäuser": "Dichter und Componist in einer Person - die Gefährlichkeit, das Mißliche dieser Situation leuchtet auch aus diesem Werke wieder hervor."

Nimmt man all das zu Wagners Leben und Schaffen Überlieferte, so offenbart sich ein "flirrendes Bild von Vielseitigkeit und Vieldeutigkeit". Oft genug stehen sich widerspruchsvolle Positionen und Meinungen gegenüber. Umso mehr Beachtung verdient Kröplins Chronik, die bestrebt ist, "eine objektive und nuancenreiche Sicht auf [Wagners] Lebenslauf und auf sein Werk zu vermitteln". Kröplin sieht Wagners Leben als eine "Folge von existentiellen Umbrüchen und Katastrophen, als eine Folge auch von Fluchten und Exilaufenthalten". Er hat Zeit seines Lebens, ob öffentlich oder privat, die verschiedensten Rollen gespielt, stets "in theatralischer Haltung, immer in Maske und Kostüm". Abhängig von der Situation, bestimmt von Lust und Laune "war er im Leben der Volkstribun Rienzi oder der Rebell Tannhäuser oder der Weltversteher Wotan [...] oder auch der altersweise Sachs, war er Revolutionär oder der Unpolitische, der Republikaner oder der Monarchist, der Narr oder der Träumer, der liebende Mann und Freund oder der rücksichtslose Egozentriker, der große Weltveränderer oder der reine Künstler".

Schon seine Zeitgenossen erkannten diesen Zwiespalt in Wagners Persönlichkeit. Bereits 1872 hatte der Münchener Psychologe Theodor Puschmann erklärt: "Wagner ist psychisch nicht mehr normal, leidet heute an gewissen Symptomen der Geisteskrankheiten." Und Friedrich Nietzsche stellte in seiner 1876 erschienenen Schrift "Richard Wagner in Bayreuth" fest: "Das Leben Wagner's, ganz aus der Nähe und ohne Liebe gesehen, hat [...] sehr viel von der Comödie an sich, und zwar von einer merkwürdig grotesken."

Im Wagner-Jubiläumsjahr 2013 kamen zwar etliche neue Publikationen auf den Markt, doch handelte es sich dabei vorrangig um Spezialuntersuchungen, die Wagners Lebensgang oft nur wenig Aufmerksamkeit schenkten. Eigentlich erstaunlich, haben sich doch in der Zwischenzeit aus den weit fortgeschrittenen Gesamtausgaben seiner musikalischen Werke und Briefe vielerlei neue Fakten und Einsichten ergeben, die einer Lebensbeschreibung ausreichend Material liefern könnten.

Kröplin hat all das Vorhandene gesichtet und "kritisch ergänzend oder korrigierend" zu den bisherigen biographischen Darstellungen in Beziehung gesetzt. Dabei ging es ihm um nichts weniger als um die Erfassung aller wichtigen Daten und Geschehnisse von Wagners Biographie und Schaffen, bei gleichzeitiger Einbeziehung kunst- und zeitgeschichtlicher Parallelereignisse, "die mehr oder minder auch für Wagner von Bedeutung waren". Außerdem galt es, so schreibt er in seinem Vorwort, Wagners vielfältige persönliche und berufliche Beziehungen zu dokumentieren sowie die "Darstellungen von Freunden und Feinden, von Bekannten, Kollegen und Zeitgenossen sowie auch immer wieder Reaktionen der Presse entsprechend zu berücksichtigen".

Die zahlreichen, als Beleg dienenden Zitate unterstreichen dementsprechend den Anspruch "einer authentischen und anschaulichen Beleuchtung von Wagners Lebensgang". Allerdings ist der Verzicht auf detaillierte Quellennachweise "zugunsten einer flüssigen Lesbarkeit" nicht nachvollziehbar und enttäuschend. Bei solcherart Darstellung, wie es eine Chronik nun einmal ist, hat die Verwendung von Siglen durchaus ihre Berechtigung und würde dem Textfluss nichts anhaben.

Eckart Kröplin
Richard Wagner-Chronik
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016
572 Seiten, 99,95 Euro

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 12/2016 vom 6. Juni 2016, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 19. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2016

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