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DAS BLÄTTCHEN/1518: Auf der Quarantänestation


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
18. Jahrgang | Nummer 17 | 17. August 2015

Auf der Quarantänestation

von Jörn Schütrumpf


Politisch kann man sich schlagen lassen müssen, aber besiegt werden kann man politisch nur, wenn man sich selbst aufgibt, meinte einst Paul Levi (1883-1930), der erste KPD-Chef. Er wurde mehrmals geschlagen, aufgegeben hat er sich nie, zu Kreuze gekrochen ist er auch nicht. Die Sieger aller Richtungen haben sich an ihm für diese Unbeugsamkeit gerächt und ihn erfolgreich - vergessen gemacht.

Über der Erpressung Griechenlands - Syriza ist geschlagen, aber, zumindest bisher noch, nicht besiegt - liegt mehr als ein Hauch Brest-Litowsk. Deutschland hat Erfahrung, am Boden Liegenden die Luft zu minimieren: Am 7. Mai 1918 unterschrieb das geschlagene Rumänien den Friedensvertrag von Bukarest. Zusammen mit seinen Verbündeten Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei hatte Deutschland - die Frühjahrsoffensive 1918 an der Westfront lief nach dem Ausscheiden Sowjetrusslands aus dem Krieg bestens - gar nicht erst den Anschein zu erwecken versucht, verhandeln zu wollen; Deutschland hatte schlichtweg diktiert. Denn Deutschland, von oben bis unten, schwebte im Siegesrausch; der Platz an der Sonne schien nur noch eine Frage der Zeit. Generalquartiermeister Ludendorff war aus dem Häuschen, der Kaiser hocherfreut. Rumäniens Außenminister Constantin Arion sprach von einem "Dokument von unserer Zeiten Schande".

Rumänien hatte - neben der Abtretung von Gebieten reich an Bodenschätzen - Überschüsse an Getreide aller Art, sowie Öl, Futtermitteln, Hülsenfrüchten, Geflügel, Vieh, Fleisch, Gespinstpflanzen und Wolle abzuliefern. Deutschland sicherte sich zudem auf 90 Jahre das Recht der alleinigen Ausbeutung der Petroleumquellen. Auch der Petroleumhandel ging an die Mittelmächte. Rumänien wurde so letztlich gezwungen, sich wirtschaftlich den Mittelmächten, insbesondere Deutschland, völlig auszuliefern.

Als die Westmächte ein Jahr später - die deutsche Frühjahrsoffensive 1918 war in einem Debakel geendet - im Versailler Frieden Deutschland ähnlich harte Bedingungen diktierten, wollte die Empörung nicht enden - zumindest in Deutschland; das hatte man nun wirklich nicht erwartet und konnte es überhaupt nicht verstehen...

In Brest-Litowsk, ein paar Monate vor dem Bukarester Frieden, hatte Deutschland den Russen noch weit Grausameres diktiert: Schließlich war dort, anders als in Rumänien, kein König aus Deutschland an der Tête, sondern dort waren es (zuvor aus Deutschland finanzierte) Revolutionäre, von denen, bei Erfolg, Ansteckungsgefahr drohte. So wie sie heute befürchtet wird, falls es nicht gelingt, Syriza auf den Knien zu halten: Spanien, Portugal, Italien und, besonders gefährlich, Frankreich leiden an der gleichen Immunschwäche wie Griechenland - abwehrlos gegen die deutsche Austeritätspolitik. Solange sich die dortigen Regierungen nicht verbünden, wird Berlin sie so behandeln, wie sie sich benehmen: als Wichte. Dass das so bleibt, dafür bieten die jetzigen Gewählten die Gewähr; Deutschland will diesen Krieg unbedingt gewinnen.

Im Moment kann Deutschland vor Kraft kaum laufen - die Euro-Krise samt Gar-nicht-Zinsen wirkt auf den deutschen Staatshaushalt wie ein Frischzellenkur: Allein 100 Milliarden Euro Zinsen wurden in den vergangenen Jahren gespart - hat jetzt das Hallenser Institut für Wirtschaftsforschung ausgeplaudert; der Applaus offiziellerseits blieb nicht nur wegen der Sommerpause unhörbar. So erfolgreich war seit Bismarck nur die Wehrmacht - zwischen 1939 und 1941. Bismarck war im Berliner Regierungsviertel allerdings der letzte Politiker, der wusste, wann es genug ist... (Der hatte seine Karriere jedoch auch nicht wie Schäuble in einer Steuerverwaltung von Baden begonnen, sondern zuvor die Welt gesehen, nicht zuletzt als Gesandter in Peterburg und dort gelernt, zu verstehen, wie schnell Kräfteverhältnisse kippen können.)

Angela Merkel ist freilich nicht Wilhelm Zwo, schon weil sie ihrem Personal zeitgemäße Toiletten nicht verweigert, und Wolfgang Schäuble auch nicht Ludendorff. Aber der "hässliche Deutsche" hat nun wieder ein Gesicht, ihr Gesicht.

Angela Merkel hat sich ins Abseits gesiegt: Griechenland ist in der Situation von 1944, doch Tsipras in einer günstigeren Lage als die damaligen Partisanen - weil kein Churchill samt seinen Panzerschiffen am Firmament droht... Tsipras und seine Genossen können, wenn die Diktate im Einzelnen "ausgehandelt" sind, alles sagen, was sie wollen und wann sie wollen - weil a) das Verbrechen offen zu Tage liegt und b), was für Angela Merkel noch viel schlimmer sein wird, Tsipras nicht mehr sanktioniert werden kann: Er hat sich öffentlich demütigen lassen wie seit dem Anschluss Österreichs 1938 kein europäischer Politiker, zugleich aber hat Schäuble, ohnehin eine tragische Figur, in seinem Wahn mehr Folterwerkzeuge verbraucht als unter parlamentarischen Verhältnissen langfristig tolerierbar ist. (In einer Diktatur kann das nicht passieren.) Wenn Tsipras dieses Spiel durchhält, fügt er der politischen Weltgeschichte eine neue Nuance hinzu. Das hatten wir lange nicht...

P.S.: Egal, wo künftig deutsche Diplomaten auftreten, wird die Temperatur im Raum um ein paar Grad sinken; die Nachkriegszeit endete am 13. Juli 2015.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 17/2015 vom 17. August 2015, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 18. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2015

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