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DAS BLÄTTCHEN/1040: Von Chaos zu Chaos - 50 Jahre nach dem Jahr Afrikas


Das Blättchen - Nr. 14 vom 19. Juli 2010
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft

Von Chaos zu Chaos. 50 Jahre nach dem Jahr Afrikas

Von Bernhard Spring


Am Ende des Jahres 1960 hatte sich die Zahl der Staaten auf dem schwarzen Kontinent verdreifacht. Frankreich, Großbritannien, Belgien und Italien hatten zwischen dem 1. Januar und dem 28. November insgesamt 17 ihrer afrikanischen Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen, doch die jahrhundertealte Vergangenheit europäischer Kolonisation stürzte die jungen Staaten schnell in ein innen- wie außenpolitisches Chaos.

Die Ursprünge der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung reichen bis in das Jahr 1919 zurück, als die Hälfte der Erdoberfläche kolonialisiert worden war. Zur selben Zeit forderten die Abgeordneten des 1. Panafrikanischen Kongresses in Paris die Freiheit für ihre Heimatländer und erzielten den bescheidenen Erfolg, daß der Völkerbund im selben Jahr zumindest die Endlichkeit der Kolonien festlegte. Drei Jahre darauf wurde Ägypten als erstes afrikanisches Land unabhängig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg machten sich verstärkt Auflösungserscheinungen in den europäischen Kolonialreichen bemerkbar, da in ihnen eine gebildete, wirtschaftlich einflussreiche Siedlerschicht politische Selbstbestimmung forderte. Zugleich regte sich auch in Europa die Kritik am Kolonialismus und den blutigen Unterdrückungskriegen, wenn auch nicht nur aus humanitären Gründen: Afrika wurde zunehmend als unrentabel empfunden, weshalb sich immer mehr Kolonialmächte aus ihren Domänen zurückzogen. Sie hinterließen in Afrika künstliche Staatsgebilde ohne Nationalgefühl und politisches Bewußtsein. Die Herrschaft wurde häufig von einer kleinen, europäischen Oberschicht ausgeübt, die ihre Interessen gegen die afrikanische Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen versuchte. Die ethnischen, religiösen und wirtschaftlichen Gegensätze der Vielvölkerstaaten führten zu Bürgerkriegen, Militärputschen und Diktaturen, von denen fast jede ehemalige Kolonie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt wurde und auch heute noch wird. So endeten erst 2007 und 2008 die Bürgerkriege in der Elfenbeinküste und dem Tschad. Der Konflikt im ehemals belgischen Kongo, der aufgrund seiner Ausmaße auch als "Afrikanischer Weltkrieg" bezeichnet wird, lief offiziell 2003 aus, doch herrscht bis heute Unruhe in der gesamten zentralafrikanischen Region.

Und auch Europa ist immer wieder an den Konflikten beteiligt, denn abhängig von den Mächtigen im Norden sind nicht nur deren verbliebenen acht afrikanische Kolonien. Durch den Verbund des Commonwealth übt Großbritannien auf 15 Länder südlich der Sahara Einfluß aus, während Frankreich über die Kopplung der Währung von 13 Staaten Afrikas an den Franc beziehungsweise an den Euro wirtschaftliche und politische Interessen durchsetzen kann. Hinzu kommen etwa 7.000 französische Soldaten, die nach wie vor in Westafrika stationiert sind - eine verschwindende Anzahl bei mehr als einer Milliarde Afrikanern, aber eine schlagkräftige Truppe inmitten von schlecht ausgebildeten Söldnerheeren. Nicht zu vergessen ist der immense und ebenso undurchschaubare wirtschaftliche Einfluß der Europäer, die das Exportwesen des schwarzen Kontinents dominieren. Auch die gigantische Auslandsverschuldung des schwarzen Kontinents, die in Liberia derzeit bei 526,24 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt, ist ein politisches Druckmittel. Zuletzt entpuppen sich sogar die Vereinten Nationen mit ihren Unterorganisationen oft als Falle für Afrika, denn jede Hilfeleistung ist an Gegenleistungen gebunden und unterstützt indirekt die herrschende Elite in den einzelnen Ländern.

Das Ergebnis ist ernüchternd. 50 Jahre nach der Unabhängigkeit regieren in Niger und der Zentralafrikanischen Republik Putschisten, die Elfenbeinküste und Nigeria kämpfen mit der Landesspaltung, und in Gabun brannte nach einem Wahlbetrug im vergangenen Herbst das französische Konsulat, während über Madagaskar internationale Sanktionen verhängt wurden. Somalia gar gilt als "gescheiterter Staat", der völlig in Anarchie versank. Die kargen Hoffnungsschimmer trügen oft: Wenn etwa Mali den USA als Stabilisierungsfaktor in Westafrika gilt, dann nur, weil die Regierung positiv gegenüber ausländischen Investoren eingestellt ist - Mali ist einer der größten Goldexporteure Afrikas, weite Ölfelder wurden erst 2005 im Norden des Landes entdeckt. Hinzu kommen reiche Vorkommen an Uran, Phosphat und Eisenerz, allesamt noch längst nicht erschlossen. Die wirtschaftliche Kolonisation lohnt sich also weiter.


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 14 vom 19. Juli 2010, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 13. Jahrgang
Herausgegeben vom Freundeskreis der Weltbühne
Redaktion: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
Telefon/Fax: 030 - 47 46 98 70
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2010