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DAS BLÄTTCHEN/1025: Sparen? Grundverkehrt!


Das Blättchen - Nr. 9 vom 10. Mai 2010
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft

Sparen? Grundverkehrt!

Von Heerke Hummel


"Die Griechen" sollen nicht streiken und demonstrieren, heißt es, sondern gefälligst arbeiten und ihre Schulden begleichen. Das würden sie wohl gerne tun, wenn man sie denn arbeiten ließe. Und wer ist "man"? Die internationale Finanzwelt und alle, die mit ihr glauben, Geld müsse sich vermehren - vor allem wenn es verliehen, mit ihm "gearbeitet" wird. Ohne daß sich dabei Geld vermehrt, darf nicht gearbeitet werden. Darum dürfen Millionen Griechen - wie die Arbeitslosen hierzulande und überall in der Welt - nicht arbeiten.

Weil so viele Millionen aus dem Arbeitsprozeß verdrängt wurden (aber doch versorgt werden müssen), kommt überall der Staat mit seinen Finanzen in die Bredouille. In Deutschland, Japan und den USA beispielsweise sogar viel mehr als in Griechenland. Denn in diesen Ländern sind die Staatsschulden viel höher. Allerdings kann deren relativer Stärke wegen das internationale Finanzkapital gegen sie noch nicht spekulieren. Als möglicherweise nächste Spekulationsopfer nach Griechenland gelten Portugal und Spanien. Weit schlechter als die griechische Regierung haben viele andere Staaten mit ihren in die Billionen gehenden Schuldenbergen gewirtschaftet. Aber nicht so korrupt, meinen Sie? Irrtum! Deutsche Spitzenkonzerne, ich nenne nur Daimler und Siemens, sind in aller Welt mit ihren Schmiergeldzahlungen aufgeflogen und vor Gericht gelandet. Korruption in Griechenland dürfte also auch mit deutscher Beteiligung verbunden sein. Und griechische Korruption dürfte mit weit weniger Verachtung von Menschenleben verbunden sein als deutsche und amerikanische, wo es großenteils um Waffengeschäfte, Rüstungs- und Kriegsfinanzierung ging und geht.

Griechenland soll nun zu ordentlichem Wirtschaften und zum Sparen gezwungen werden. Wobei und wozu? Bei den öffentlichen Ausgaben. Und das betrifft vor allem jene "kleinen" Leute, die staatlich angestellt sind oder durch staatliche Aufträge ihr Täglichbrot verdienen, höhere Steuern zahlen und noch weniger für ihren schon jetzt miserablen Lebensunterhalt zur Verfügung haben sollen. Mit dem so vorrangig auf Kosten der Lohnabhängigen eingesparten Geld sowie mit den Mehreinnahmen soll der griechische Staat seine Gläubiger bedienen, in erster Linie ausländische, darunter natürlich auch deutsche Banken, Versicherungs- und andere Kapitalgesellschaften. Was werden die damit machen? Gewiß nicht bei den Griechen einkaufen, sondern von neuem spekulieren und so Griechenland und seine Wirtschaft durch rückläufige Konjunktur in noch größere Schwierigkeiten bringen!

Jetzt sollen die Griechen sparen und demnächst auch wir Deutschen. Finanzminister Schäuble hat es bereits angekündigt. Das schwache, wenn auch kämpferische Griechenland soll ein Alibi sein, auch Deutschland und der ganzen EU einen strengen Sparkurs aufzuzwingen. Darum verdienen die streikenden und demonstrierenden Griechen unsere Solidarität. Sie führen auch unseren Kampf gegen Sozialabbau! Und was soll aus den Staatsschulden werden, fragen Sie?

Die sollen doch bitte diejenigen begleichen, die sie verursacht und dabei noch verdient haben! Das sind die Profiteure dieses Finanzsystems mit ihren Spekulationen auf Gewinn ohne Leistung. Sie zur Kasse zu bitten wäre nur gerecht - wenn es hier denn überhaupt um Gerechtigkeit geht. In Wirklichkeit geht es um die Ursachen der Schuldenkrise und deren Beseitigung. Schulden sind die Folge von Ungleichgewichten zwischen Produktion und Verbrauch. Sie entstehen, sowohl innerhalb als auch zwischen den Staaten, wenn die Einen mehr produzieren als verbrauchen und die Anderen mehr verbrauchen als sie produzieren. Innerhalb der Staaten geht dies zurück auf die Einkommensunterschiede zwischen Armen und Reichen infolge von Dumpinglöhnen einerseits und maßlosen Gehältern andererseits. Dagegen wären Mindestlöhne und Einkommensobergrenzen erforderlich.

Zwischen den Staaten gehen die Disproportionen zurück auf Ungleichgewichte in den Handels- und Leistungsbilanzen, die wiederum abhängen von Lohn- und Gehaltsrelationen, Produktivitäts- und Strukturunterschieden der Volkswirtschaften. Dies alles wird allgemein als Privatsache beziehungsweise als nationale Angelegenheit angesehen. Konkret: Es sei Privatsache von Beschäftigten, zu welchen Minilöhnen sie noch zu arbeiten bereit sind, und ebenso Privatangelegenheit von Unternehmern, mit welchen Spitzengehältern sie ihre und ihrer Mitarbeiter Leistungen honorieren. Und dem entsprechend sei es beispielsweise Sache der Griechen, wie sie ihre Wirtschaft strukturieren und organisieren. Diese Betrachtungsweise ist zwar nicht nur dem gemeinen Deutschen, sondern dem Europäer, dem Amerikaner, dem Asiaten und so weiter eigen, nichtdestotrotz aber so realitätsfern wie etwa der Glaube, die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko sei Sache der dort bohrenden Ölgesellschaft British Petrol. Die Internationalität der Finanz- und Schuldenkrise sollte uns das klar vor Augen führen! Wo sollten denn Exportüberschüsse herkommen (beziehungsweise hingehen), wie Gläubigerverhältnisse entstehen, wenn niemand gezwungen wäre, sich zu verschulden, um die Überschüsse der Reicheren zu kaufen und zu verbrauchen? Und was sollten die Reichen mit dem, was sie nicht zum Leben benötigen, anderes tun als es den Armen zu borgen, wenn schon nicht zu schenken? Aufheben, aufbewahren?

Reichtum in seiner sachlichen Gestalt (im Unterschied zu Kontobuchungen) ist von kurzer Lebensdauer und auch ohne Gebrauch sehr vergänglich. Was wir heute produzieren, muß spätestens in einem, zwei, eventuell in fünf Jahren verbraucht werden. Und was unsere Kinder und Enkel in zehn oder zwanzig Jahren benötigen, muß dann von ihnen selbst erzeugt werden. Der Vorwurf, wir Heutigen würden, wenn wir nicht sparten, sondern den Staat weiter verschuldeten, auf Kosten unserer Kinder und Enkel leben, ist so falsch wie die Vorstellung, der Mensch könnte vom Geld leben, es verzehren. Damit will ich nicht unendlicher Staatsverschuldung das Wort reden. Doch sparen, also den Verbrauch einschränken, um den Schuldenberg abzutragen, ist kein Weg aus der Krise. Schließlich sind die öffentlichen Aufwendungen für das Funktionieren dieser Gesellschaft erforderlich, und sachlich, stofflich ist alles dazu Notwendige ausreichend vorhanden - heute und morgen so wie gestern! Es geht nur ums Geld. Und dies muß sich der Staat bei denen holen, die es im Überfluß besitzen, weil sie es sich auf Kosten anderer, auch des Staates als Sachwalter allgemeiner Interessen, angeeignet haben.

Wenn die Finanzminister der EU dem griechischen Volk nun einen strengen Sozialabbau aufzwingen als Bedingung dafür, die aktuelle Krisensituation durch Kredite zu überbrücken, so bereiten sie damit nur die nächste, noch größere Krise Griechenlands und der EU vor. Denn wo soll der ganze produzierte Reichtum hin, wenn überall nur noch gespart wird? Dringend notwendig wäre es dagegen, für die Europäische Union (in Abstimmung mit anderen Wirtschaftsräumen der Welt) eine verbindliche, ökologisch nachhaltige Wirtschafts- und Finanzverfassung zu erarbeiten, mit der die aktuelle Situation wie auch die künftige Entwicklung von Wirtschaft und Finanzen harmonisiert wird, anstatt sie weiterhin dem Kasinospiel vermeintlicher Privatinteressen an den Börsen zu überlassen. Dafür sind linker Widerstand und europäische gewerkschaftliche Solidarität geboten!


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 9 vom 10. Mai 2010, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 13. Jahrgang
Herausgegeben vom Freundeskreis der Weltbühne
Verantwortlich: Wolfgang Sabath
Telefon/Fax: 030 - 47 46 98 70
E-Mail: wsabath@aol.com
Internet: www.Das-Blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2010