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DAS BLÄTTCHEN/1014: Krise - frisch gestärkt


Das Blättchen - Nr. 5 vom 15. März 2010
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft

Krise - frisch gestärkt

Von Ove Lieh


Für die Regierungszeit der schwarz-gelben Koalition, die man vielleicht einmal als die "Wespenzeit" bezeichnen wird, weil viele Leute sich eine Wespentaille anhungerten, oder auch Hornissenzeit, weil es eine so riesige Zeit war und noch dazu so schwarz und so gelb wie keine Zeit vor ihr, hat die Kanzlerin ganz klar die Direktiven vorgegeben: Wir müssen aus der Krise stärker herauskommen, als wir in sie hineingegangen sind, wenn auch vorläufig nur sicher ist, daß wir stärker verschuldet sein werden. Aber auch auf anderen Gebieten könnte durchaus eine (Ver)Stärkung eintreten. Die Politik(er)verdrossenheit der Leute, die Umverteilung von unten nach oben, das Verkehrsaufkommen wegen der Abwrackprämie.

Und der Osten. Der ist so ein Beispiel. Was war der in der Krise und wie stark ist der heute. Straßen wie geleckt, Renten wie im Westen früher, starke, schlagkräftige Jugend, starke Abwanderung. Die Einheit hat die Abwanderung in den Westen nicht gestoppt, sie hat sie nur legalisiert.

Man kann ja froh sein, daß niemand ankündigt, daß Deutschland größer aus der Krise hervorgehen wird als es hineingegangen ist.

Warum eigentlich geht es nur immer um stärker? Wäre es nicht besser, Deutschland ginge etwas klüger aus der Krise hervor? Nach klüger sieht es aber leider nicht aus. Obgleich sogar in der Regierungserklärung der Kanzlerin schon einiger Spielraum in Richtung "klüger" sichtbar wird. Nur ein Beispiel: Die Kanzlerin redet dreimal davon, daß die Karten neu gemischt werden, verrät aber nicht, wer mischt, wer gibt und schon gar nicht, wer die Karten zinkt. Wir ahnen allerdings schon wer oder was da wieder in den Skat gedrückt werden soll, sofern es sich bei dem Spiel überhaupt um Skat handelt und nicht um Doppel- oder Schafskopf. Der Vergleich mit den Karten hinkt sowieso, weil man in diesem Spiel die Karten nicht zugeteilt bekommt, sondern selber herstellt, und wer das gut kann, der hat das beste Blatt. Nun gut, so sind halt politische Reden und der Ruf nach mehr Bildung bezieht sich ja wohl hoffentlich auch auf deren Verfasser.

Im Grunde wäre man ja schon froh, wenn man wüßte, daß Deutschland überhaupt aus der Krise wieder herauskommt. Man zweifelt nur am dauerhaften Erfolg der betreffenden Bemühungen, weil die Kanzlerin darauf beharrt, die Folgen der Krise zu überwinden. Das klingt zwar zunächst gut, aber man wird doch fragen dürfen, ob man nicht ebenso vehement die Ursachen der Krise überwinden müsste, zumal man sich vornimmt, so eine Krise nicht wieder zu veranstalten, weil man sie doch eher für einen Fehler hält!? Und die Ursachen der Krise mal ganz klar beim Namen zu nennen und nicht die Augen vor der Realität zu verschließen oder mit Sand zu füllen, wie Frau Merkel es fordert, wäre schon eine sehr gute Leistung. Man sollte die Ex-Wissenschaftlerin nur warnen, in der gesellschaftlichen Realität erlebt der gesunde Physikerverstand manchmal sein blaues Wunder, und die Namen der Krisenursachen sind mit sehr mächtigen Kräften verbunden.

Aber mal anders gefragt, wenn das gestärkte Deutschland in Zukunft noch mit Krisen zu rechnen hätte, würde es aus denen auch wieder gestärkt hervorgehen? Bis es eines Tages so stark ist, daß es vor Kraft nicht mehr laufen kann? Wie es einst es tat und in der Folge so was von gestärkt wurde. Wäre dann aber ab und an so ein kleines Krisilein nicht sogar ganz nützlich und sollte nicht vermieden werden? Vielleicht wie eine Impfung. Man müßte nur die Wirkverstärker gut im Griff haben. Das ist aber schon wieder ein ganz anderes Thema.


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 5 vom 15. März 2010, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 13. Jahrgang
Herausgegeben vom Freundeskreis der Weltbühne
Verantwortlich: Wolfgang Sabath
Telefon/Fax: 030 - 47 46 98 70
E-Mail: wsabath@aol.com
Internet: www.Das-Blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2010