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DA/438: FAU Berlin mitten im Kampf für Gewerkschaftsfreiheit


DA - Direkte Aktion Nr. 198, März/April 2010
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)

Ein Dorn im Auge
Unerwünscht, aber hartnäckig: FAU Berlin mitten im Kampf für Gewerkschaftsfreiheit

Von Lars Röhm


"Eine kleine schlagkräftige Gewerkschaft ist vom deutschen Gesetzgeber nicht gewünscht." Deutlicher konnte die Aussage des Richters nicht sein, als am 16. Februar vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erneut darüber verhandelt wurde, ob der FAU Berlin der Boykott als Arbeitskampfmittel im Konflikt mit dem Berliner Kino Babylon Mitte verboten bleibt. Was vor einem Jahr als Auseinandersetzung um Löhne und prekäre Arbeitsbedingungen begann, hat sich mittlerweile zu einem handfesten Streit um die Gewerkschaftsfreiheit ausgewachsen.


Deutscher Sonderweg

Dies mag manche verwundern, da theoretisch jeder in diesem Land das Recht hat, sich frei und unbehindert gewerkschaftlich zu organisieren. Dies beinhaltet logischerweise auch die Bildung von Gewerkschaften. So sehen es die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 23) und deren direkte Übersetzung im Grundgesetz (Art. 9) ebenso vor wie die für Deutschland verbindliche Europäische Sozialcharta und nicht zuletzt die auch von der BRD unterzeichneten ILO-Konventionen. Wenn, ja wenn nicht gerade diese BRD eine Meisterin darin wäre, sich zu jedem Grundrecht auch einen Weg geschaffen zu haben, dieses wieder auszuhebeln.

Laut Grundgesetz darf der Staat einige Rechte und Grundrechte per Gesetz einschränken: Zum Beispiel findet das Recht auf freie Meinungsäußerung seine Schranke im Schutz des Persönlichkeitsrechts; und das Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb setzt eine Vertrauenswürdigkeit der Person voraus. So weit so gut.

Nun wurde der FAU Berlin allerdings auferlegt, sie müsse zunächst erstmal ihre Tariffähigkeit feststellen lassen, um sich so ihre Eintrittskarte in die deutsche Gewerkschaftslandschaft zu erklagen, bevor sie in einen Arbeitskampf um einen Haustarifvertrag trete. Ein Prozess, der sich lange zieht und gerade im Zuge eines bereits laufenden Konfliktes eben diesem leicht das Genick bricht. Das Verbot des Boykotts der FAU Berlin aufgrund nicht geklärter Tariffähigkeit wurde seinerzeit vom Arbeitsgericht damit begründet, Rechtssicherheit für den Arbeitgeber zu garantieren. Dieser Auffassung folgte auch das Landesarbeitsgericht - mit dem Verweis, die FAU Berlin sei nun gehalten, sich um ihre Rechtssicherheit mittels Feststellungsverfahren selbst zu kümmern.

Hier wird es nun interessant: Denn ein Grundrecht ist eben nicht erst einzuklagen, um in seinen Genuss zu kommen. Noch nie hat man wohl von einer frisch gebackenen Journalistin gehört, die sich vor Einreichen des ersten Artikels erst einmal die Pressefreiheit einklagen musste. Selbst das nachrangige Recht auf "eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" mussten sich die Herren Grossman und Hackel vor Eröffnung des Babylon Mitte wohl kaum erst vor Gericht erstreiten. Worum es in den FAU-Verfahren geht, ist also etwas anderes: nämlich um den Kern der bundesdeutschen Rechtslage in puncto Gewerkschaften und deren Rechtssicherheit.


Gegen den Trend

So ist in Deutschland der relativ große Freiraum, den das Gesetz der Regelung von Arbeitsbeziehungen theoretisch lässt, zu guten Teilen nicht weiteren gesetzlichen Regelungen unterworfen, sondern einem seit den 1950ern etablierten Richterrecht. Man muss nicht in den 50ern geboren sein, um sich denken zu können, welch Geistes Kind diese Einschränkungen sind. Zudem hat sich in ähnlicher Weise die Regierung Kohl in den 1980ern dagegen gestemmt, europäische Standards in deutsches Recht aufzunehmen. Dass sich an dieser Frage im Verfahren zu einer einstweiligen Verfügung kein Richter die Finger verbrennen möchte, ist klar, verfassungsrechtlich aber bedenklich. Denn so wird auf Kosten der abhängig Beschäftigten, die sich mit einer gänzlich veränderten Arbeitswelt konfrontiert sehen, die Frage nach ihrem Recht auf selbstbestimmte Organisierung wie eine heiße Kartoffel munter von einer Instanz zur nächsten geworfen.

Und dabei geht es nicht nur um die grundsätzliche Frage, dass es eigentlich allein Angelegenheit der Beschäftigten selbst ist, wie und wo sie sich organisieren. Vielmehr wird hier verzweifelt versucht, an einem überkommenen Modell der Regelung von Arbeitsbeziehungen festzuhalten. Denn gerade angesichts der zunehmenden Tarifflucht der Arbeitgeber in der Fläche, und angesichts zunehmender Handlungsunfähigkeit der Zentralgewerkschaften durch die z.T. gewollte Passivität der Basis, bleibt den abhängig Beschäftigten eigentlich keine andere Wahl, als sich ihrer eigenen Deklassierung vor Ort und im zähen Kampf von Betrieb zu Betrieb entgegenzustellen. Und hier zieht gerade das häufig vorgebrachte Argument nicht, eine Liberalisierung der Rechtsprechung öffne gerade den sog. "gelben" Gewerkschaften Tür und Tor. Dies zeigt sich nicht nur in den Erfolgen der Basisgewerkschaften in Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien. Sondern selbst neo-konservative Theoretiker, die wohl kaum anarchosyndikalistischer Sympathien verdächtig sind, sehen in gewerkschaftlichen Zentralapparaten mit streng vertikalem Aufbau den Garant für niedrige Forderungen der Belegschaften.

In der Geschichte der Bundesrepublik wird überaus deutlich, dass der Gesetzgeber geradezu traditionell kein Interesse an schlagkräftigen Gewerkschaften hat, seien sie nun groß oder klein. Seit einigen Jahren, im Zuge des selbstbewussteren Auftretens der Spartengewerkschaften, werden nun sogar, etwa in FDP-Kreisen, weitergehende Überlegungen zur weiteren Einschränkung des bereits kümmerlichen Streikrechts angestellt. Gerade deshalb ist jetzt eine breite Mobilisierung für die Gewerkschaftsfreiheit in Deutschland sinnvoll ist. Nicht nur für die FAU.


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Quelle:
DA - Direkte Aktion Nr. 198, März/April 2010, Seite 10
anarchosyndikalistische Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union (FAU-IAA)
Herausgeber: Direkte Aktion, c/o FAU München
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2010