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AUFBAU/459: Als die KPF wusste, wie man einen Streik beendet


aufbau Nr. 85, mai/juni 2016
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Als die KPF wusste, wie man einen Streik beendet


GESCHICHTE Vor rund 80 Jahren wurde Frankreich von einer beispiellosen Streikwelle erschüttert. Im Verlaufe der Bewegung wurden über zwölftausend Betriebe bestreikt und rund zwei Drittel davon waren von den ArbeiterInnen besetzt. Die Streiks des Sommers 1936 erzählen uns viel über das Verhältnis von Massenbewegung und Reformismus.


(rabs) In der französischen Erinnerungskultur an dieses Beben werden oft die sozialpartnerschaftlichen Errungenschaften in den Vordergrund gestellt. Es wird als eine besonders intensive Episode in der Herausbildung des Sozialstaats erzählt. Tatsächlich aber waren diese Errungenschaften - wie etwa der Achtstundentag - der Preis, den die Bourgeoisie zahlen musste, um aus einer Situation herauszukommen, welche sie grundsätzlich als Klasse in Frage stellte.

Den Kontext des Generalstreiks bilden die faschistische Bedrohung, die ökonomischen Krisenjahre und der Wahlsieg der Volksfrontregierung. Auch in Frankreich machen sich in den 3Oer Jahren faschistische Schocktrupps breit und greifen Gewerkschaften an. Unter diesem Druck findet die Basis der sozialistischen und kommunistischen Partei Frankreichs auf der Strasse zusammen und die lange gespaltene ArbeiterInnenbewegung im Antifaschismus einen gemeinsamen Ausdruck. Gleichzeitig findet ein Strategiewechsel in der Sowjetunion statt: Der Sieg des Faschismus in Deutschland lässt die KP der Sowjetunion von der Sozialfaschismusthese abrücken und nach stabilen Verbündeten im Kampf gegen Hitler suchen. Deshalb beschliesst die Komintern in Frankreich auf ein Bündnis mit sozialdemokratischen und bürgerlichen Parteien zu setzen, genannt Volksfrontpolitik. Die Propaganda der KPF wird von französischem Nationalismus durchtränkt, die Rote Fahne taucht nur noch neben der Trikolore auf.

Das Programm der Volksfrontregierung ist äusserst zurückhaltend, der einzige sozialpolitische Aspekt ist die "Verbesserung der Kaufkraft". Doch ebenso wie das Kleinbürgertum, fühlt sich die ArbeiterInnenklasse durch die Volksfront repräsentiert und so wird sie mit einem überwältigenden Sieg im Mai 1936 gewählt. Noch bevor sie die Regierungsgeschäfte übernehmen kann, sucht sich das neue Selbstbewusstsein der ArbeiterInnen seinen eigenen Weg: Streiks entflammen und vielerorts werden die Betriebe gleich besetzt, zunächst wohl vor allem als Mittel, um sich gegen StreikbrecherInnen zu verteidigen. Anfänglich gelingen Eindämmungsversuche, die Volksfront-Gewerkschaft CGT vermittelt und ruft zur Respektierung des Eigentumsrechts auf. Doch Ende Mai ergreift die Streikwelle das ganze Land und nahezu alle Branchen.

Es bilden sich Streikkomitees, die keineswegs mit dem Funktionärsapparat der CGT deckungsgleich sind. Letztere versucht, die Dynamik zu bremsen und fordert dazu auf, die Arbeit wieder aufzunehmen, damit Verhandlungen geführt werden können. In der bürgerlichen Presse kommt die Nervosität der Bourgeoisie zum Ausdruck. Die Besetzungen seien revolutionär und als roter Angriff auf Frankreich zu sehen. Doch Hilfe naht: In den Presseorganen der Unternehmer wird die Regierungsübernahme der Volksfront am 4. Juni nahezu bejubelt, da gehofft wird, dass diese das nötige repräsentative Gewicht hat, um den Konflikt zu befrieden.

Als es schliesslich soweit ist, setzt die neue Regierung um Léon Blum tatsächlich alles daran, den ausgebreiteten Klassenkampf wieder in geordnete Bahnen zu führen. Das Programm seiner Regierung entspräche exakt den Forderungen der Streikenden, kein Grund also, um weiter zu kämpfen. Doch die Streikenden verharren. In den besetzten Geländen wird gefestet, diskutiert, rund um die Uhr gewacht, die Maschinen instand gehalten und in Einzelfällen wirft die Belegschaft die Produktion unter Eigenregie wieder an. Es sind nun etwa zwei Millionen Menschen am Streik beteiligt.

Der Unternehmerverband trifft sich zu Notverhandlungen mit der "Arbeiterregierung". Das Ergebnis ist ein Vertrag, der unter anderem eine allgemeine Anhebung des Lohnniveaus vorsieht. Dieser wird am 8. Juni veröffentlicht und von allen ArbeiterInnenorganisationen als die Vollendung des Sieges gefeiert. Doch der Vertrag sieht keinerlei Sanktionen vor, um die Lohnerhöhungen tatsächlich durchzusetzen. Der Streik dauert deshalb an und viele Komitees stellen nun viel weitergehende Forderungen. "Die französische Revolution hat begonnen" schreibt Trotzki am 9. Juni.

Die Regierung fährt nun eine andere Strategie auf: Spaltung und Denunziation. Über Rundfunk warnt Innenminister Salengro vor "bewegungsfremden" Elementen, welche immer noch zum weiterstreiken hetzen würden. Neben der Denunziation von "Bewegungfremden" (also nicht Mitglieder der CGT) werden auch ausländische Streikende behördlich angegriffen und der Streik als antipatriotische Intrige dargestellt. Die Streiks greifen zum Teil auf Kolonien über, wo es zu schweren Zusammenstössen kommt.

Während die sozialdemokratische Volksfrontregierung rund um die Industriezentren von Paris Truppen zusammenzieht, hält Thorez, der Vorsitzende der kommunistischen Partei, seine berühmte Rede: Es sei die Würde der ArbeiterInnen, ihren Sieg zu erkennen und nun solle auch der Streik beendet werden. Der Wind dreht in den folgenden Tagen und die meisten Betriebe werden geräumt. Die errungenen Zugeständnisse sind zwar beträchtlich, doch sobald die Bewegung zu versanden beginnt, holen die Unternehmer zum Gegenschlag aus. Da die Volksfrontregierung keinerlei Massnahmen zur Kontrolle des Kapitals erlassen hat, werden ihr über gezielte Kapitalflucht und Kreditverweigerung alle Mittel entzogen. Innert weniger Monate bricht sie zusammen, die Inflation frisst alle Lohnverbesserungen auf und die Reformprojekte müssen "pausiert" werden. Die Kampfkraft in den Betrieben bricht in der Folge zusammen. Die Streiks von 1936 hätten auch eine andere Wendung nehmen können. Aus ihrem Verlauf kann eine revolutionäre ArbeiterInnenbewegung aber wichtige Lehren ziehen. Reformistische Organisationen können zwar zu Beginn Teil einer Dynamik sein, doch sobald das Konfrontationsniveau steigt, werden sie zum Butler des Status Quo.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 85, mai/juni 2016, Seite 4
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2016

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