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AUFBAU/425: Die Stadt Zürich plant den Großputz


aufbau Nr. 81, mai / juni 2015
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Die Stadt Zürich plant den Großputz


STADTENTWICKLUNG Fast zwei Jahrzehnte lang prangte auf den hohen Wänden des Kasernenareals im Kreis 4 der Schriftzug "... und Geld stinkt doch". Dieser wurde von unserer verstorbenen Genossin Helene angefertigt und war politkulturell weit verbreitet. Nun ist er verschwunden.


(agkkz) Vor einigen Wochen hat die Stadt Zürich alle Wände des Kasernenareals putzen lassen und hat somit nicht nur einen Teil unserer revolutionären Geschichte zunichte gemacht, sondern auch einen weiteren Schritt in der Aufwertung des urbanen Raumes getätigt. Die Putzaktion der Stadt Zürich hat viele erzürnt. Der Schriftzug von Helene war in den Köpfen vieler verankert und war nicht nur Teil dieses unbebauten Ortes mitten im Kreis 4, sondern eben auch Ausdruck der revolutionären Politkultur und ihrer Geschichte. Das Ausradieren des Schriftzugs ist als Angriff von oben zu sehen und passt in die gängige Strategie, wie die Stadt Zürich im letzten Jahrzehnt mit "Unschönem" umgegangen ist: Jegliche Bewegung in den Quartieren wird unterbunden. Von der unbewilligten Demo bis zu unerlaubten Festivitäten wird alles bekämpft, was sich im öffentlichen Raum bewegt und regt. Zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit wird einiges an Mitteln eingesetzt. Die Überwachung via unzähliger Kameras, die Drohneneinsätze an Anlässen wie 1. Mai oder Fussballspielen und die Polizeipräsenz auf Zürcher Strassen hat enorm zugenommen. Betrachtet man die Entwicklung des Kreis 4 in den letzten Jahren, so wird wieder ersichtlich, dass im Namen der Aufwertung nicht nur Wandbilder und Schriftzüge weggeputzt werden, sondern auch Menschen einer bestimmten Personengruppe: Für das "beschönigte" Bild der Stadt werden auch die Süchtigen, die Sexarbeiterinnen, die Dealer, die Jugendlichen und die PolitaktivistInnen von der Strasse gefegt.


Kapitalistische Urbanisierung

Dies geschieht immerzu unter dem Argument, die Stadt als Lebensort müsse für alle sicher und zugänglich sein. In Wahrheit ist die Wahrung der öffentlichen Sicherheit das, was eine Stadt für den internationalen Standortmarkt so attraktiv macht. Denn nur ein sicherer, stabiler Standort ist für potentielle Unternehmen und ihre Geschäfte interessant. Deshalb stehen hinter den Bemühungen der Regierung, die Stadt aufzuwerten, nicht die Interessen der StadtbewohnerInnen, sondern die Interessen des Kapitals. Kapitalistische Urbanisierung ist der Ausdruck, welcher diesen Prozess zusammenfasst. Er schafft es, Sicherheitswahn, die Kontrolle des öffentlichen Raumes, die Aufstandsbekämpfung mit der Stadtaufwertung in einen Zusammenhang zu bringen. Dass an einem Ort der Stadt Mietshäuser abgerissen werden, um neue, teurere Siedlungen entstehen zu lassen und dass an einem anderen Ort Obdachlose und Dealer gefilzt werden, beruht schlussendlich auf demselben: Man will die Stadt als Ort von potentiellen Unternehmen und ihren Investitionen etablieren. Denn die Stadt ist längst nicht mehr nur Ballungsraum von sozialem, kulturellem und wirtschaftlichem Leben. Seit den Wirtschaftskrisen im letzen Jahrzehnt hat es sich gezeigt, dass die Stadt als wirtschaftliches Feld immer wieder zum Zuge gekommen ist, um Krisen abzuschwächen oder hinaus zu zögern. Wenn man Profit nicht mehr erhöhen kann, in dem man Produktivität steigert, Löhne abbaut oder Produktion in die Peripherie verlagert, erweisen sich oftmals Investitionen in Immobilien oder gleich in ganze Stadtteile als Überbrückung in Krisensituationen. Hinter der kapitalistischen Urbanisierung steht also der Drang des Kapitals, sich neue Orte der Entfaltung zu suchen. Dabei wird die Stadt vom Lebensraum der Menschen zu einer Marke oder einem Label, welches sich im internationalen Wettbewerb beweisen muss. Das ist der Grund, weshalb das Bild der Stadt so stark schön gekämmt wird: Neben den wirtschaftsweisenden Aspekten wie gute Standortpolitik oder Sicherheitsgarantie braucht die Stadt nun Eigenschaften, die das Label überhaupt erst sichtbar machen. Möglich macht dies ein Marketing, das nicht nur mit Bildchen-Werbung funktioniert, sondern auch mit dem Verkauf eines spezifischen urbanen Lebensgefühls. Die Folge davon ist zum Einen die Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes, zum Anderen aber auch das Hochschiessen von Luxusbauten und Prestigeobjekten wie dem Prime Tower.


Umbruch im Uni-Quartier

Das neuste, wohl grösste Projekt der Stadt Zürich bisher ist die Neuplanung des Hochschulquartiers rund um die Rämistrasse. Bei der genaueren Betrachtung der Pläne wird ersichtlich, dass es hier nicht allein darum geht, durch Neugestaltung der Gebäude der Universität und des Unispitals den Nutzen für die Bildung und Gesundheit zu optimieren. Vielmehr geht es darum, sich im internationalen Ranking um die besten Bildungs- und Forschungsstätten wieder einen Namen zu machen. Wie an der Pressekonferenz am 8. September 2014 von ETH- und Unileitung sowie der Bildungsdirektorin Regine Aeppli und Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger betont wurde, ist, dass gerade die bestehende Nähe von Forschung und Behandlung den Standort so attraktiv und ergiebig mache. Legitimiert wird das Konzept durch den Verweis auf kommende Generationen. Man wolle etwas schaffen, um den Standort Zürich und sein Lebensgefühl zu erhalten, so dass auch die Menschen der Zukunft noch davon profitieren. Was das Projekt umfasst, ist Folgendes: Während den nächsten 30 Jahren sollen 6 Milliarden verwendet werden, um das Quartier auf den Kopf zu stellen, sprich, ältere Gebäude abzureissen und neue hoch zu ziehen. Vorn Abriss betroffen sind teils auch Häuser, die rein gar nichts mit Uni, ETH oder Unispital zu tun haben und die schon immer als Wohnhäuser genutzt wurden. Bei der Neustrukturierung soll eine Mehrfläche von 35 Fussballfeldern entstehen. Gerade in das Gebiet rund um den Unispital soll viel investiert werden: bestehen bleiben nur Gebäude, die man aufgrund ihres architektonischen oder historischen Wertes nicht abreissen darf. Neben neuen, aufgewerteten Parkanlagen, wie es an der Vorstellung des Masterplans hiess, sollen auch neue Strassenzüge entstehen. So zum Beispiel die Neue Sternwartsstrasse, deren Aufgabe es wäre, Gloriastrasse und Universitätsstrasse zu verbinden. Jedoch ist die Sternwartsstrasse als von Bäumen gesäumte, autobefreite Allee konzipiert, die gar breiter als die Bahnhofstrasse sei, wie betont wurde. Dort soll sich allerhand soziales Leben einfinden, ein Ort für das Quartier und das Quartierleben sozusagen. Dass dies eine Farce ist, weiss man aus der Erfahrung mit dem Konzept Europaallee: Im Vordergrund steht Konsum und Kontrolle, aber sicherlich nicht das freie Verfügen über öffentlichen Raum seitens der BewohnerInnen.


Aufwertung an allen Ecken

Die Vision des neuen, prestigeträchtigen Quartiers rund um die Rämistrasse steht fest, allerdings ist dessen Realisierung noch weit entfernt. Für die Initianten gilt es nun, einige Hürden zu nehmen. Abgesehen von all den Auflagen zu Stadt-, Umwelt- und Verkehrsverträglichkeit ist es schlussendlich auch die Bewohnerschaft des Quartiers, die überzeugt werden muss. Doch wie sich an der Pressekonferenz gezeigt hat, ist allerhand Skepsis vorhanden. Vom Quartierverein Oberstrass bis zu einzelnen BewohnerInnen gab es Meldungen, dass sie mit der Neuplanung ihres Wohnortes nicht einverstanden seien. Wie sich die Vision der Stadt weiterentwickelt, wird sich in 2 Jahren zeigen, wenn erste Architekturvorschläge eingereicht werden. Deutlich wurde allerdings schon bei der Präsentation des Masterplans, dass wie gezeigt in die Projektierung auch Aspekte des Stadtmarketings einfliessen. Aus der Stadt ein Label zu machen, bedeutet eben, ihr Schmuckstücke zu verleihen, wie einzelne besondere Gebäude oder gleich ein ganzes, besonderes Quartier. Deutlich wird mit dem Projekt Uniquartier auch, dass Aufwertung an allen Ecken und Enden der Stadt Zürich passiert. Es sind nicht nur die vermeintlich schmutzigen Wände im Kreis 4, die weissgepinselt werden.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 81, mai / juni 2015, Seite 12
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
aufbau-Jahresabo: 30 Franken, Förderabo ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2015

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