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AUFBAU/377: Südkorea - "Die Leute kämpfen um ihre Existenz"


aufbau Nr. 76, märz / april 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Die Leute kämpfen um ihre Existenz"



SÜDKOREA - Die Reportage(*) geht weiter: Zusammen mit VertreterInnen der japanischen Gewerkschaft Doro-Chiba besucht der deutsche Lokführer die Gewerkschaftsbewegung in Südkorea. Hier ist die Stimmung unvorstellbar militant.


(az) "Im Anschluss an meinen Aufenthalt in Japan bin ich mit der Doro-Chiba-Delegation nach Seoul gereist. Kaum angekommen, sind wir zu einer Kundgebung der prekären Arbeiter gegangen. Dort wurde viel gesungen, es gab sogar buddhistische Unterstützung, die Stimmung war sehr kämpferisch. Demonstrationen in Südkorea unterscheiden sich massiv von den geordneten Demonstrationen in Japan, auch von jenen in Deutschland. Sie sind militant, entschlossen und werden von den Arbeiter_innen getragen.

Am nächsten Tag trafen wir uns vor der Samsung-Zentrale zur Kundgebung. Polizei überall, hier aber nicht so höflich wie in Japan. Als wir kamen, lief die Kundgebung mit 3000 Samsung-Arbeitern bereits. Da sie nicht erlaubt war, war das Polizeiaufgebot entsprechend. Tausende von Polizisten, Hunderte Zivilpolizisten. Unwahrscheinlich viele Polizei-Busse mit wehrdienstleistenden Polizisten. Man konnte ab und zu auch einen Polizeibus sehen, der völlig verbeult von anderen Arbeitskämpfen ist. Die Kämpfe in Südkorea werden hart geführt, es geht um Existenzen und das merkt man. In Seoul sieht man den Widerspruch zwischen arm und reich sehr gut, an einer Ecke ist der Glaspalast, an der nächsten eine Elendsgasse. Es ist eine Stadt von 20 Millionen und das Elend ist spürbar, beispielsweise haben wir am Abend öfter stockbesoffene Menschen gesehen. Da - aber auch wegen der früheren Militärdiktatur - versteht man auch, weshalb mit einer solchen Entschlossenheit gekämpft wird, die Lebensbedingungen der Arbeiter sind sehr schlecht, die Löhne tief.

Ungewohnt für uns war, dass die Polizei mobile Mauern errichtet, um die Glaspaläste der Konzerne - wie Samsung - vor den Arbeiter zu schützen. Diese mobilen Mauern sind gut vier Meter hoch, die Polizei weiß, dass die Arbeiter entschlossen sind, wären die Mauern niedriger, wären sie schnell überwunden.


Selbstmord als Form des Widerstandes

In Südkorea ist der Verzweiflungsakt des Selbstmordes durchaus auch eine Form des aktiven Widerstandes. Immer am zweiten Wochenende im November gibt es Massendemonstrationen in Erinnerung an diese Arbeiter. Die Kundgebung der Samsung-Arbeiter, an der ich war, war zwar angemeldet, aber nicht bewilligt. Nun haben aber die Arbeiter in Südkorea eine Stellung, die macht, dass es für die Polizei nicht möglich wäre, eine Kundgebung so ohne weiteres anzugreifen, ohne in ganz Korea Reaktionen erleben zu müssen. Insofern müssen sie auch vorsichtig sein. Dennoch war mir schon mulmig. Als Besucher kann man ja nicht immer die Situation richtig einschätzen. Die Stimmung ist schon merklich kämpferischer als ich das kenne. Im Anschluss stießen wir von der Samsung-Arbeiter-Demonstration zur grossen Demonstration des Gewerkschaftsverbandes KTCU hinzu. Diese war bewilligt, da waren dann ca. 30.000 Demonstranten und wesentlich weniger Polizei. Die anschließende Demonstration sollte offiziell 1.5 km gehen, doch ging sie einfach weiter, selbstbestimmt durch die teilnehmenden Arbeiter. Die Arbeiter lassen sich in Korea nicht viel sagen, zwischendurch wurde gerannt und so gings quer durch Seoul, irgendwann war dann auch keine Polizei mehr zu sehen. Alles in allem eine sehr anstrengende Art zu demonstrieren, aber auch sehr befreiend. Ein wichtiger Punkt ist, dass viele Polizisten in Korea Wehrpflichtige sind und diese Einsätze nicht mögen. Vor kurzem hat sich ein Polizist sogar umgebracht, weil er es nicht ertrug, gegen Arbeiter vorzugehen.


Angriffe gegen die Gewerkschaften nehmen zu

Am Abend waren wir an einem Fest der KTCU, das war sehr üppig. Nachdem alle Delegationen geredet hatten, gemeinsame Fotos gemacht worden waren, stieg das Fest. Es war auch die verbotene Gewerkschaft der öffentlichen Dienste da, deren Räume anfang des Jahres von der Polizei gestürmt worden sind. Diese ist jetzt verboten, da die Regierung keine Gewerkschaft im Staatsapparat tolerieren will. Auch in anderen Bereichen nehmen die Angriffe zu. So wurde im Dezember 2013 der dreiwöchige Streik der Eisenbahner der KWRU begleitet mit der Stürmung und Durchsuchungen der Gewerkschaftshäuser durch die Polizei. Haftbefehle wurden gegen die Gewerkschaftsführer ausgestellt. Im Schulbereich gibt es Kürzungen und den entlassenen Lehrern wurde verboten, sich in der Lehrergewerkschaft zu organisieren. Sie wollen den Gewerkschaften vorschreiben, wer bei ihnen Mitglied sein darf. Da werden immer wieder Gewerkschaftsräume gestürmt, um das durchzusetzen, aber bei solchen Ereignissen bekommen auch die Polizisten Schläge, das geht nicht ohne Widerstand durch. Grundsätzlich ist aber offensichtlich, wohin es gehen soll: Die Kollegen gehen von einer Verschärfung des Kampfes aus. Im Moment ist die Tochter des ehemaligen Diktators die Präsidentin im Land und die Arbeiter spüren einen Trend zurück zur Diktatur. Nach aussen hin wird wohl der Schein des Parlamentarismus erhalten bleiben, aber die koreanischen Gewerkschafter rechnen mit schweren Angriffen und weiteren Verboten. Es gibt von der Regierung immer wieder Angriffe, sie testet aus, wo der Widerstand nachlässt und wo sie Einschnitte machen kann. Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, die Krise ist sowohl in Japan als auch in Korea genauso spürbar wie in Europa. Das Kapital drängt zu einer völligen Öffnung der Märkte und umfassender Privatisierung, die Rechte der Gewerkschaften stören sie dementsprechend und sollen eingeschränkt werden. Bei der Bahn wird es demnächst weitere grössere Kämpfe geben wegen der Privatisierung. Für den 9. und 16. Januar sind Generalstreiks geplant. Für den 25.02. - zum Amtsantritt der Präsidentin vor einem Jahr - ist ein Volksstreik in ganz Korea vorgesehen.


Der Kalte Krieg

Mitten in Seoul - neben der US-amerikanischen Militärbasis - steht ein riesiges Kriegsmuseum, das einzige Museum, das gratis ist, und Scharen von Kindern werden dort durch die staatliche Propaganda gegen Nordkorea gejagt. Seoul liegt ja sehr nahe an Nordkorea, da ist der Kalte Krieg noch voll in Fahrt. Zwischen Nord- und Südkorea herrscht nur ein Waffenstillstand, kein Frieden. Das Militär ist überall zu sehen und die Hügel rund um Seoul sind militärisches Sperrgebiet. Die amerikanische Präsenz ist nicht offensichtlich, aber wenn man darauf achtet, sieht man sie, denn die Südkoreanische Armee wird scheinbar ausschließlich mit US-amerikanischen Mitteln in den Kalten Krieg gegen Nordkorea geschickt.

Die Gewerkschaft KTCU, bei der wir auf Besuch waren, hat natürlich auch einen politischen Hintergrund und Kontakt nach Nordkorea. Propagieren und zugeben würde sie es auf jeden Fall nicht, das würde ihr den Hals brechen, bei einer starken auch medialen Propaganda gegen das als kommunistisch bezeichnete Nordkorea.

Beeindruckend ist und bleibt für mich, dass es die Arbeiter der Doro-Chiba in Japan und auch die des KCTU in Korea selber sind, die sich für die Verbesserung ihrer Situation stark machen und ihre Gewerkschaften, als das Werkzeug ihres Kampfes, mit aller Macht vor den Angriffen der Polizei und Regierung schützen. Das macht sie stark und entschlossen und zeigt mir, dass es einen gemeinsamen und übergreifenden Kampf über die bisherigen gewerkschaftlichen und kontinentalen Grenzen hinweg geben kann.


(*) Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
siehe im Schattenblick unter www.schattenblick.de → Medien → Alternativ-Presse:
AUFBAU/376: "In Japan ist die Arbeiterbewegung klein, aber äußerst bewusst"

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 76, märz / april 2014, Seite 5
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Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2014