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AUFBAU/362: Alle Schweinchen schnüffeln


aufbau nr. 74, sept/okt 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Alle Schweinchen schnüffeln



ÜBERWACHUNG Bereits im aufbau 12 und 73 haben wir über Hintergründe und aktuelle Entwicklungen der Internetüberwachung berichtet. Inzwischen ist die totale Überwachung der Telekommunikation dank der Enthüllungen des Informatikers Edward Snowden in aller Munde.


(az) Wir verzichten an dieser Stelle darauf, in den Kanon der Empörung einzustimmen. Wer den Staatsschutz als Instrument der herrschenden Klasse versteht, welche über den bürgerlichen Staat ihre Privilegien zu schützen sucht, kann nicht überrascht sein, dass dieser sämtliche technischen Möglichkeiten nutzt, um subversive Subjekte innerhalb der breiten Masse zu identifizieren und nötigenfalls zu verfolgen.


Globale Heuchelei

Nicht zuletzt lenkt der Fokus der aktuellen Debatte auf ausländische Geheimdienste wie die NSA (USA) oder GCHQ (UK) davon ab, dass in jedem Land der Erde die Werktätigen aus Prinzip als potentielle politische Bedrohung wahrgenommen werden und daher präventiv überwacht werden.

So ist denn auch das russische Asyl für Edward Snowden in diesem Licht zu sehen: Nicht zufällig wird die Gewährung des Asyls an die Bedingung geknüpft, dass der Geheimdienst-Techniker weitere Enthüllungen zu unterlassen habe. Dies geschieht nicht aus reiner Gefälligkeit gegenüber den USA, sondern vielmehr aus der berechtigten Sorge, es könnten auch die eigenen Geheimdienste in den Genuss öffentlicher Aufmerksamkeit geraten. Bereits ist klar geworden, dass sowohl der französische Geheimdienst DGSE als auch der deutsche BND vom Überwachungsprogramm der NSA wussten, eigene Überwachungsprogramme in ähnlichem Umfang betrieben und fleissig mit der NSA Daten austauschten, wie der USA-Besuch des deutschen Innenministers Friedrich Anfangs Juli belegt. Die Debatte zeigt aber auch klar, wie positiv sich sämtliche reformistischen Kräfte grundsätzlich auf die Geheimdienste beziehen. Die Staatsaffirmativen fordern lediglich deren Regulation, nicht aber deren Abschaffung.


...und in der Schweiz?

Die Schweiz unterscheidet sich nicht von den anderen Staaten. Der Staatsschutz in der Schweiz besteht im Wesentlichen aus dem zivilen Nachrichtendienst NDB und seinem militärischen Gegenstück MND. Für die Überwachung potentieller Staatsfeinde (lies: jede und jeder) ist der NDB zuständig. Der NDB greift für seine Sammeltätigkeiten in erster Linie auf die Dienste zweier Institutionen zurück: Die dem Militär angehörige Führungsunterstützungsbrigade 41 (FUBr 41) sowie der Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (Dienst ÜPF). Beide betreiben zu diesem Zweck umfangreiche Abhöranlagen:

Im Falle der FUBr 41 handelt es sich um die unter dem Namen "Onyx" bekannt gewordene, im Geheimen errichtete Überwachungsanlage in Leuk. Diese wurde Ende der Neunziger-Jahre für den damaligen strategischen Nachrichtendienst (SND, heute NDB) aufgebaut und dient dem Zweck der Massenüberwachung von Telefonanrufen, Fax, E-Mail und Informatikdaten. Mit Hilfe des 2010 eingeführten Aufklärungssystems IFASS werden zu diesem Zweck Funkübertragungen und Satellitenkommunikation systematisch und massenhaft abgehört.

Der im EJPD angesiedelte Dienst ÜPF hingegen hat seinen Schwerpunkt in der Überwachung der Diensteanbieter. Diese beinhalten nach der Vorstellung der Schnüffler nicht nur Anbieter von Telekommunikationsdienste wie Internet- und Telefonie, sondern neu auch die Anbieter jeglicher Internetdienste wie Cloud Storage ("mydrive.ch") oder Internettelefonie ("sipcall.ch").

Mit der Überarbeitung der gesetzlichen Grundlagen NDG und BÜPF ist die Schweiz gerade dabei, die viel kritisierte Praxis der NSA zu legalisieren, jegliche Daten direkt bei Informatik-Anbietern abzugreifen.


Schweizer 3-Strike-Rule der Überwachung

Überwacht wird auf zwei Ebenen - massenhafte Datensammlung und gezielte Bespitzelung.

Dank Vorratsdatenspeicherung, Kabel- und Satellitenüberwachung, zunehmend flächendeckender Videoüberwachung sowie der automatischen Erfassung von Verkehrskennzeichen ist der Staatsschutz erstmals in der Lage wirklich die gesamte Bevölkerung flächendeckend zu überwachen. Die Speicherung von Vorratsdaten ermöglicht im Bedarfsfall die detaillierte Erstellung von Bewegungsprofilen ("wer hat sich wann wo aufgehalten") und von sozialen Beziehungsnetzen ("wer hat mit wem wie häufig Kontakt", "wer sind zentrale Personen in einem Beziehungsnetz").

Diese umfangreichen Datensammlungen können nun nach Belieben nach verdächtigen Mustern durchsucht werden ("Person X hat sich mit ihrem Telefon wiederholt im Botschaftsviertel aufgehalten", "Fahrzeug Y wurde vor dem WEF dreimal in Davos gesehen").

Wie aus dem Bericht der GPKdel zum Fichenskandal von 2010 hervorgeht, reicht es, dass eine Person in der Datenbank des Staatsschutzes dreimal erwähnt wird, um selber zur Zielperson zu werden. Eine Erwähnung entsteht bereits durch eine (allenfalls negativ beantwortete) Auskunftsanfrage einer beliebigen Behörde.

Die ebenso häufige wie dumme Ausrede, wer nichts zu verstecken habe, habe nichts zu befürchten, bestätigt sich also als blanke Lüge. Wo massenhaft überwacht wird, ist jeder verdächtig.

Ist einmal die Aufmerksamkeit des NDB geweckt, gibt es kein Halten mehr: Einerseits mittels altbekannter Mittel wie Observation und Raumüberwachung, andererseits seit einiger Zeit auch mit elektronischen Hilfsmitteln wird jeder Lebensaspekt der suspekten Zielperson durchleuchtet.

Mit der seit einigen Jahren angewandten Überwachung von privaten Computern, erreicht auch hier die Überwachung eine neue Qualität: Mittels eingeschleuster Software ("Bundestrojaner") wird die Festplatte der Zielperson durchforstet, potentiell sämtliche Ein- und Ausgaben protokolliert, sei es Text, Video oder Sprache. Darüber hinaus bietet eine solche Software (die im Gesetzesentwurf explizit vorgesehene) Möglichkeit, den Computer der Zielperson zu manipulieren. Man braucht sich also nicht zu wundern wenn zukünftig in Gerichtsverfahren mysteriöse "Beweise" auftauchen.


Doch sie kochen auch nur mit Wasser

Glücklicherweise gelten die Gesetze der Physik auch für die Konterrevolution: Der ganzen Schnüfflerei sind technische Grenzen gesetzt. Handschriftlich festgehaltene Gedanken können von einem Bundestrojaner nicht bespitzelt werden. Daten und Kommunikationsinhalte lassen sich verschlüsseln. Verbindungsdaten lassen sich verschleiern. Ein paar grundsätzliche Schutzmassnahmen, die heute niemand mehr ignorieren sollte, sind deshalb:

Die Verschlüsselung des heimischen PCs, die Verschlüsselung sämtlicher Emails mittels PGP sowie auch die Anonymisierung des Internetzugriffs mittels Tor Browser. Somit kann für Inhalte wie auch für Verbindungsdaten ein Mindestmass an Schutz gewährleistet werden.

Nicht zuletzt empfiehlt sich auch der Grundsatz, das Mobiltelefon wenn immer möglich zu Hause zu lassen, um der Protokollierung der eigenen Bewegungen vorzubeugen.

Letztlich erfordert jedoch der erfolgreiche Schutz der eigenen Kommunikation eine minimale Auseinandersetzung mit der Materie. Zu diesem Zweck sei die Website https://prism-break.org/ wärmstens empfohlen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau nr. 74, sept/okt 2013, Seite 11
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Basel@aufbau.ch
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
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Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2013