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AUFBAU/349: Vom Geist, der sich manifestiert


aufbau Nr. 72, märz / april 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Vom Geist, der sich manifestiert



WEF - Am World Economic Forum 2013 lag der Fokus auf der Verbesserung der Widerstandsfähigkeit des Systems. Am Beispiel Griechenland kann gezeigt werden, was das bedeutet - und wo die Grenzen der Vorschläge aus Davos liegen.


(gpw) Vom 23. bis zum 27. Januar trafen sich Spitzen aus Wirtschaft und Politik, um den "Geist von Davos" zu beschwören und sich als Think-tank des Kapitals sowie als Verhandlungsbühne für bilaterale Treffen zu präsentieren. Die Vorbereitungen, welche in spezialisierten Räten zu verschiedenen von den WEF-Strategen festgelegten Brennpunkten stattfanden, ergaben eine inhaltliche Stossrichtung, die die momentane defensive Situation des Kapitalismus im Jahr fünf nach Einbruch der jüngsten Krise widerspiegelt. Nach Jahren des Optimismus, welcher sich in reisserischen Parolen für neue kapitalistische Perspektiven niederschlug, scheint auch im idealistischen Geist des Forums die Nachricht angekommen zu sein, dass selbst der beste Wille einen in seinen Grundfesten kränkelnden Körper nicht heilen kann. Entsprechend erfolgte der Griff zum Werkzeug der Medizin: Wenn keine grundsätzliche Kur für die wiederkehrenden Krisen gefunden werden kann, dann muss eine Widerstandsfähigkeit gegen diese Krisen aufgebaut werden, so dass das System an sich weiter funktionieren kann. So auch Lee Howell; Managing Director beim WEF: "Trotz allen Anstrengungen, wirtschaftliche, soziale und politische Stabilität zu sichern, sind wir immer noch nur einen Schock davon entfernt, dass alles wieder entgleist, was auf die Notwendigkeit grösserer weltweiter Elastizität, Widerstandsfähigkeit (Resilienz) verweist."

Es beim Aufruf zu mehr Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten bewenden zu lassen, wäre dann aber wohl zu wenig optimistisch gewesen. So folgt im zweiten Teil der Parole dann der Begriff, der darauf hinweist, dass in der Defensive die Situation dergestalt zu festigen und verbessern ist, dass sie danach umso idealer auf eine Offensive zugeschnitten ist. Dazu eignet sich nichts besser als der Begriff der Dynamik, der mal für mal im Managerdeutsch so vieles umfasst, was dem Kapital dient.(1) Zusammengefasst ergeben diese Überlegungen die Parole der "widerstandsfähigen Dynamik", die am WEF im Zentrum stand. Selbstverständlich ist es eine weitläufige Parole, hinter der sich vieles verbirgt. Der Blick auf das Programm weist nach, auf welche Punkte sich der öffentlich zugängliche Teil des Forums konzentrieren sollte. Die drei Blöcke widmeten sich den politischen, ökonomischen und sozialen Sphären. So beschäftigte im ersten Block, wie "durch die Widrigkeiten zu führen sei", während der zweite nach einer "Wiederbelebung ökonomischer Dynamik" trachtete und sich der letzte mit der "Stärkung gesellschaftlicher Resilienz" auseinandersetzte. Auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen wurden Ziele formuliert, um die Weltwirtschaft in Richtung der erhofften Widerstandsfähigkeit zu leiten. Das sind beispielsweise Überlegungen, was für Institutionen notwendig sind, um mit den systemischen Risiken des Kapitalismus mitzuhalten oder wie Lohnkosten gesenkt und geistige Eigentümer gesichert werden können, so dass sich Investitionen eher bezahlt machen und nicht durch hohe Löhne oder Pharmagenerika gefährdet werden. Wenn es auch als Bestätigung einer fundamentalen Kapitalismuskritik gesehen werden kann, dass selbst das WEF nun von systemimmanenten Krise spricht, so gilt es gleichzeitig festzuhalten, dass die Überlegungen von oben den Interessen von unten diametral entgegen stehen.


Leichter gesagt als getan

Befasst man sich mit Politik und Wirtschaft, dann ist klar, dass sich kaum je etwas so umsetzen lässt, wie es zu Beginn gedacht sein mag. Bei den Empfehlungen aus der Bergfestung beginnt dies natürlich schon damit, dass sie keinesfalls bindende Vorschläge sind, die von den Teilnehmern umzusetzen wären. Selbst an formelleren Treffen, die in Strukturen wie die UNO oder die EU eingebettet sind, und bei denen die Themen konkreter sind als die Gedanken des Klaus Schwab, stehen die sich widersprechenden Interessen der verschiedenen Kapitalfraktionen nur zu oft im Weg, als dass verbindliche Abmachungen getroffen (und später auch eingehalten) werden können. In der aktuellen Krise verschärfen sich die Widersprüche weiter, so dass es kaum zu erstaunen vermag, dass beim diesjährigen WEF wenig handfestes produziert wurde.

Dennoch: Nur weil den Kapitalisten am Forum nicht der grosse Wurf gelungen ist, der nun global umgesetzt wird, bedeutet dies keinesfalls, dass die dort entwickelten Vorschläge keine Relevanz hätten. Die inhaltlichen Schwerpunkte, die diskutiert wurden, entsprechen einer konkreten Realität. Der Kapitalismus befindet sich in einer Krise und ohne weiteres ist der Übergang zu einem zwischenzeitlichen Aufschwung nicht zu bewerkstelligen, Betrachtet man die aktuelle Situation in Griechenland, so lassen sich verschiedene Fäden weiterspinnen, die auch am WEF aufgenommen wurden.(2) Die faktische Entmachtung der nationalen Regierung Griechenlands durch die Troika und die Position an der Spitze der Krisenentwicklung macht das Land zu einem geeigneten Labor, um Experimente politischer, ökonomischer oder sozialer Natur durchzuführen.(3) Wenn am WEF davon die Rede ist, dass geistige Eigentümer gesichert werden müssen, dann heisst das in Griechenland, dass teurere Originalmedikamente statt Generikas verwendet werden müssen. In einem Gesundheitswesen, in dem Patienten oftmals im Voraus für ihre Behandlung aufkommen müssen, kein Klacks. Die Überlegungen am WEF widerspiegeln sich auch in direkten Angriffen auf die Löhne der Proletarier Griechenlands. Lag das durchschnittliche Einkommen vor der Krise bei etwa 700 Euro, hat es sich nun auf 350 Euro halbiert. Die Preise sind nicht tiefer geworden, vielerorts wird zum ersten Mal seit langem wieder mit Holz geheizt, da die rasant steigenden Heizölkosten unbezahlbar sind. Selbiges gilt für die Stromkosten, die von 2007 bis 2012 um 60 Prozent gestiegen sind.(4) Und das ist nur ein Ausschnitt der aktuellen finanziellen Misere.

Konfrontiert mit einer dergestalt zugespitzten ökonomischen Lage ist es kaum ein Wunder, dass die Mächtigen des Landes sich fragen, was als sozialer Kitt diese Gesellschaft zusammenhalten kann, während es im Gebälk kracht. Das Rezept beinhaltet eine harte Repression gegen politische Bewegungen von links: Hausbesetzungen, die während Jahrzehnten als Zentren der revolutionären Bewegung galten, werden gezielt geräumt und durch Bullen besetzt. Streiks (seien es bei den Mitarbeitern der Metro in Athen oder den Hafenarbeitern in Piräus) werden gebrochen, indem der Staat die Kämpfenden mittels Notstandsverordnung zur Arbeit zwingt. [Parallel dazu wird die faschistische Partei der Goldenen Morgenröte (siehe aufbau 71), mit ihrer engen Verflechtung mit dem Bullenkorps, mit Samthandschuhen angefasst. Eine faschistische Kraft, die die Grundfesten des Kapitalismus nicht erschüttern will, sondern seine Auswüchse zu verschärfen versucht, ist wohl auch zahmer als die Antikapitalisten.]

So werden Fernsehnachrichten, die von anarchistischen Banküberfällen und streikenden Bauern handeln, paradoxerweise durch einen Werbespot beendet, indem sich Griechen für all das bedanken, was Griechenland der Welt gebracht haben soll. Diese Versuche "durch die Widrigkeit zu führen" wirken nicht nur bizarr, sie sind es auch. Von der Regierung, die aus einer WEF-Perspektive dieser Aufgabe nachkommen müsste, wird in der Gesellschaft wenig erwartet. Sinnbildlich dafür ist die Mutter einer der Bankräuber, die den Medien mitteilt, dass sie stolz auf ihren Sohn ist, da von diesem korrupten System nichts zu erwarten sei.


Was bleibt

Es ist falsch zu sagen, dass das WEF das allmächtige Zentrum darstellt, von dem aus die Welt regiert wird, genauso wie es falsch ist, dies von anderen regelmässigen Treffen des Kapitals zu behaupten (wie bspw. die Bilderbergkonferenz). Wer einfache Zusammenhänge erwartet, in denen sich verschiedene Cliquen gegenseitig zu übertrumpfen versuchen wie auf dem Pausenplatz, ist in der Komplexität des Imperialismus schlecht aufgehoben. Zu gross sind die Widersprüche innerhalb der Kapitalistengang, zu unübersichtlich die Umstände, in denen sie zu wirken versuchen. Das WEF liefert einem Barometer gleich eine Übersicht über die Stellen, wo dem Kapital der Schuh ganz besonders drückt. Das ist an sich Gegenstand genug, um sich mit dem Forum zu beschäftigen, denn neben den Stärken unserer Seite sind selbstverständlich auch die Schwächen der Gegenseite relevant. Taucht man weiter in das Thema ein, konsultiert man Teilnehmerlisten und Programme oder beschäftigt man sich mit den Treffen hinter verschlossenen Türen, kann man die tatsächlichen Zusammenhänge aufzeigen, die vom Dunstkreis WEF aus konkret von oben gegen unten wirken. Sind diese Kanäle identifiziert, ist die Möglichkeit zu intervenieren gegeben.


Anmerkungen:

(1) Zur Entstehung von WEF-Parolen siehe aufbau 63
(2) Antonis Samaras, Premierminister Griechenlands, nahm neben Vertretern des griechischen Kapitals am WEF teil.
(3) Zum Krisenrezept in Griechenland siehe aufbau 61.
(4) Eurostat

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 72, märz / april 2013, Seite 10
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2013