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AUFBAU/320: Griechenland - Schritte in Richtung Enteignung


aufbau Nr. 69, mai/juni 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Schritte in Richtung Enteignung

GRIECHENLAND - Immer mehr Aktionen werden bekannt, bei denen die Eigentumsfrage gestellt wird.




(rabs) Vor dem Tor des Stahlwerks Helliniki Halyvourgia in einem Aussenbezirk von Athen haben sich ArbeiterInnen versammelt. Überall hängen Transparente, sofort ist klar, dass die Fabrik von streikenden ArbeiterInnen besetzt ist. Mit dem Streik, der Ende letzten Jahres begann, wehren sie sich gegen die Ankündigung, dass 180 der 400 ArbeiterInnen entlassen werden und gegen eine drastische Lohnkürzung. Die Initiative kam dabei von den ArbeiterInnen und nicht von den Gewerkschaften. die einmal mehr eine traurige Rolle als verlängerter Arm des Kapitals und der Regierung spielte, indem sie die ArbeiterInnen zu spalten versuchte.

Griechenland rutscht immer weiter in die Krise. Eine Auswirkung davon ist, dass es für Unternehmen immer schwieriger wird, zu Geld zu kommen. Das Kapital sucht sich die Anlagemöglichkeiten, die am meisten Rendite abwerfen und fliesst momentan entsprechend in den Finanzmarkt. Unternehmen, die keine Kredite mehr aufnehmen können, stehen schnell vor der Zahlungsunfähigkeit. Sie können weder ihre bisherigen Kredite bedienen, noch die Löhne ihrer Angestellten bezahlen. Andere entlassen massenweise Personal oder kürzen die Löhne.


Sind ArbeiterInnen InvestorInnen?

Wenn eine Firma Konkurs geht, wird sie vorübergehend vor den GläubigerInnen geschützt, damit sie nicht vom Schnellsten geplündert wird und die anderen leer ausgehen. GläubigerInnen sind die AnlegerInnen und Aktionäre, die - das Risiko eines Verlusts in Kauf nehmend - Geld investieren, um den Profit der Firma abzuschöpfen.

Der Artikel 99, der diesen Schutz vorschreibt, wird nun aber auch auf die ArbeiterInnen angewendet, die mit ihren Lohnforderungen als GläubigerInnen betitelt werden - schliesslich, so die Begründung, fordern sie ebenfalls Geld von der Firma. Dabei wird bewusst ausgeklammert, dass die ArbeiterInnen auf den Lohn angewiesen sind um zu überleben. Im Unterschied zu den AktionärInnen, die mehr Geld aus der Firma heraus holen, als sie rein gesteckt haben, haben die Arbeitenden den Lohn durch ihre Arbeit schon erwirtschaftet. Sie haben das Versprechen erhalten, am Ende jedes Monats einen Teil des von ihnen während dieser Zeit produzierten Werts ausbezahlt zu bekommen.

Unternehmen und Staat versuchen nun, diese legitimen Lohnforderungen zu stoppen, indem sie den Artikel 99 auch auf die ArbeiterInnen anwenden. Um sich dagegen zu wehren und ihre Lohnforderungen durchzusetzen - sie erhielten seit August 2011 keinen Lohn mehr - besetzten die Redakteure, JournalistInnen, Korrektoren und weitere Angestellte von Eleftherotypia ihre Büros. Eleftherotypia, eine weit verbreitete linksliberale Zeitung, war unter militanten linken und anarchistischen Gruppen[1] besonders dafür bekannt, dass sie Kommuniqués zu Aktionen oder Anschlägen ohne Kommentar publizierten.


Gegeninformationen

Die ArbeiterInnen beschlossen, weiterhin eine Zeitung heraus zu geben, die sie "Eleftherotypia der Arbeiter" nannten, und an den Kiosken billiger verkauften. Damit konnten sie nicht nur ihre eigene Position und Informationen unter die Leute bringen, sondern auch die Streikkasse füllen und manövrierten sich ein Stück weit auch aus der materiellen Not hinaus, in der sie sich zuvor wegen der verweigerten Lohnzahlungen befunden hatten. Auch die Angestellten des Fernsehsenders Alter TV besetzten ihre Büroräume, hier aus der Angst heraus, dass alles abgebaut und verkauft würde. Sie schafften es auch, nochmals auf Sendung zu gehen, bis die Regierung die Sendestation kurzerhand abstellte.

Den Arbeitsplatz besetzen, nicht nur um zu streiken, sondern auch um weiter zu arbeiten, sich selbst zu organisieren und zu zeigen, dass auch produziert und gearbeitet werden kann, wenn die KapitalistInnen und der kapitalistische Staat nicht mehr ihre Finger im Spiel haben: dies war auch die Devise des Personals des städtischen Spitals in Kilkis, einer Stadt im Norden von Thessaloniki, als es einen Streik begann und das Spital besetzte. Die Arbeitenden stellten zwar ihre normale Arbeit ein, betrieben aber weiterhin die Notfallaufnahme.

Alle diese Initiativen zielen auf das Privateigentum. Sie stellen die aktuellen Besitzverhältnisse in Frage, in denen die KapitalistInnen BesitzerInnen der Produktionsmittel sind und sich den Mehrwert aneignen. Dies ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg des Bewusstseins der Massen, der dazu beiträgt, das ganze System zur Diskussion zu stellen und nicht nur kosmetische Änderungen daran zu verlangen.


Privatisierungen

Die Spitalbesetzung ist auch eine Reaktion auf die angekündigten Sparmassnahmen, bei denen die Anzahl öffentlicher Spitäler drastisch reduziert werden sollte. Dies, obwohl diese weniger Plätze anbieten können, als benötigt werden. Die Reform kann als Manöver der Regierung verstanden werden, die Gesundheitsversorgung weiter zu privatisieren. Private AnbieterInnen würden in die Lücke springen, die die öffentlichen hinterlassen und vor allem die Behandlungen und PatientInnen übernehmen, die am meisten rentieren. Dies würde die schon vorhandene Zweiklassenmedizin nochmals deutlich verschärfen.

Ein weiteres Beispiel der Selbstorganisation, die die Staatsmacht in Frage stellt, ist der Aufruf, die Stromrechnungen nicht mehr zu bezahlen, weil auf die Kosten für den verbrauchten Strom eine Haushaltssteuer geschlagen wurde. Die Taktik der Regierung war, die Rechnung für die ungerechte zusätzliche Steuer nicht direkt zu stellen - sie wäre wohl von den wenigsten bezahlt worden -. sondern mit der Stromrechnung zusammen zu legen, weil dann bei Zahlungsverweigerung als Druckmittel einfach der Strom abgestellt werden konnte. Als dies tatsächlich gemacht wurde, zirkulierten auf dem Internet Bedienungsanleitungen, wie der Strom wieder verbunden werden kann.

Neben dem Verweigern von Steuern, üben sich die GriechInnen auch darin, die Autobahngebühren und die Tickets für den öffentlichen Verkehr nicht zu bezahlen. Auch hier stellen sie die Besitzfrage. Sie fordern, dass die Infrastruktur öffentlich ist und die Allgemeinheit solidarisch dafür aufkommt.

[1] In Griechenland zählen sich die AnarchistInnen nicht zu den linken Kräften.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 69, mai/juni 2012, Seite 7
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2012