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AUFBAU/288: Öffentlicher Raum und revolutionäre Gegenmacht


aufbau Nr. Nr. 65, Mai/Juni 2011
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Öffentlicher Raum und revolutionäre Gegenmacht


REVOLUTIONSTHEORIE - Der Aufbau-Gedanke und damit die Herstellung von revolutionärer Gegenmacht ist ein alter, wiederkehrender Gedanke der kommunistischen Bewegung. Je nach objektiver und subjektiver Lage waren zwar seine Schwerpunkte und damit der Verlauf verschieden, die Grundidee und ihre Prinzipien aber haben sich nicht verändert.


(agkk) Um das Konzept des kontinuierlichen Aufbaus von revolutionärer Gegenmacht deutlich zu machen, ist ein kurzer Blick in die marxistische Revolutionstheorie notwendig.

Während die Revolutionstheorie die Notwendigkeit einer revolutionären, gewaltsamen Überwindung des Kapitalismus begründet, formuliert die revolutionäre Strategie den Weg, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Um die ökonomische, kulturelle, politische und militärische Macht des Kapitals zu brechen, steht die Machtfrage, bzw. der Aufbau von realer, revolutionärer Gegenmacht im Zentrum. Diese Gegenmacht ist nur revolutionär zu denken und schliesst alle Bündnisse mit parlamentaristischen Akteuren aus.

Grundsätzlich gibt es zwei historisch erfolgreiche Konzepte. Im bewaffneten Aufstand, der in unterschiedlichen Formen in der Pariser Kommune, in den Räte Republiken in München, Bremen, Ungarn etc., und vor allem in der Oktober-Revolution in Russland angewandt wurde, erobern die organisierten ProletarierInnen in einem relativ kurzen Prozess die Macht. (Eine andere Frage ist danach die Verteidigung der revolutionären Macht.) Diesem finalen Kampf ging eine lange Phase des Aufbaus von politischer und militärischer Gegenmacht voraus.

Im langandauernden Volkskrieg, ursprünglich in China entwickelt und in verschiedensten revolutionären Prozessen im Trikont angewandt, werden die städtischen Stützpunkte der Herrschenden vor allem von den Bauern-Massen in einem langen Krieg nach und nach umzingelt. Der Aufbau der revolutionären Gegenmacht vollzieht sich in den befreiten Territorien. Dort werden in allen gesellschaftlichen Bereichen revolutionäre Alternativen generiert.

Im aktuellen Volkskrieg in Indien erkämpft und verteidigt die bäuerliche Bevölkerung die kommunistische Gegenmacht in den befreiten ländlichen Räumen gegen die militärische Offensive der Herrschenden. Anderseits wird die Bevölkerung aus ganzen Landstrichen durch die Repressionskräfte vertrieben, weil diese Territorien als Militärübungszentren, Kohle- und Atomkraftwerke oder zum Mineralienabbau für das internationale Kapital benötigt werden. Kapitalismus bedeutet Vertreibung. Aus ländlichen Gebieten und Slums im Trikont, aus proletarischen Vierteln in den Metropolen.


Die Konterrevolution macht mobil

Die Strasse als Handlungsfeld und Schauplatz von Mobilisierungen der revolutionären Linken soll von der herrschenden Staatsmacht rigoros kontrolliert werden. Das neuste Beispiel dafür ist das verhinderte Frauenvolksfest in Zürich, das im Rahmen der 8. März-Kampagne auf dem Helvetiaplatz stattfinden sollte. Der öffentliche Raum in diesem Gebiet wurde von den Bullen präventiv (!) besetzt!

Im Übrigen basteln die Sicherheitsapparate auf europäischer Ebene an der immer perfekteren Überwachung der, für die Herrschenden potentiell gefährlichen, Bevölkerung. Das neuste Monstrum heisst INDECT (Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment), ein Forschungsprogramm, welches alle Überwachungstechnologien zu einem zentralen präventiven, polizeilichen Überwachungsinstrument zusammenfassen soll. Darin spielt die Kontrolle des öffentlichen Raumes naturgemäss eine zentrale Rolle. Bewegliche Objekte (Autos etc.) und Subjekte. (Personen) sollen mit einem urbanen Überwachungssystem, inklusive Kleinsthelikopter, erfasst werden.

Die öffentliche "Ordnung" wird nicht nur durch verschiedene Arten wie Polizeipräsenz, technischen Hilfsmitteln, privaten Sicherheitsdiensten und sozialer Kontrolle bewerkstelligt, sondern ist zeitlich auch unterschiedlich ausgeprägt. Am massivsten interveniert der Staatsapparat an Kampftagen wie dem 1. Mai. An diesen Tagen folgen die Durchsetzungsversuche der bürgerlichen Ordnung einer eigentlichen Strategie, die ihre Grundlage auf formellen juristischen Normen hat wie Demobewilligung etc.


Politik der Strasse

Der Kampf um die Strasse am 1. Mai hat sich mittlerweile generell in den Kampf um den öffentlichen Raum entwickelt, in dem sich eine politische Haltung widerspiegelt: das bürgerliche Rechtssystem und das Gewalt- und Machtmonopol des bürgerlichen Staates wird aus einer revolutionären Sichtweise in Frage gestellt. Der Aufbau von revolutionärer Gegenmacht ist als eine prinzipielle Möglichkeit auch in den Metropolen vorhanden. Eingebettet in ein umfassendes politisches Konzept ist die kollektive, systemsprengende Aktion das Grundelement von Gegenmacht. Es ist wesentlich für die Generierung von Gegenmacht sowie um Ohnmacht, Resignation und Subjektivismus zu überwinden. Politische Ohnmacht ist besiegbar. Dies, indem eigene Werte, Mittel und Methoden für eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse geschaffen werden. Die kollektive Praxis auf der Strasse ist die Grundlage für den Aufbau dieser Mittel und Möglichkeiten - sie ist ein Mittel und sie bietet die Möglichkeit Widerstand zu leisten und daraus den revolutionären Aufbauprozess zu entwickeln.


Definitionsmacht und Gegenöffentlichkeit

Die herrschende, Definitionsmacht "des Politischen" soll jede politische Auseinandersetzung mit revolutionärer Politik verunmöglichen.

Revolutionäre Gegenöffentlichkeit wird allerdings nicht nur vom staatlichen Repressionsapparat bekämpft. Bürgerliche Parteien, inklusive die Sozialdemokratie, wollen im Rahmen ihres Wahlzirkus direkt in den Kampf um die politische und kulturelle Definition des öffentlichen Raums eingreifen. Im Rahmen der jüngsten Klassenauseinandersetzungen gehen auch bürgerliche Kräfte dazu über, ihre AnhängerInnen auf der Strasse zu mobilisieren, denn die jahrzehntelange Entpolitisierung der Massen könnte den Herrschenden auf die eigenen Füsse fallen. Polarisiert sich die Klassensituation, kommt der reaktionären Mobilisierung wieder vermehrt Bedeutung zu. Der bürgerliche Wertezerfall, bzw. ihre Perspektivlosigkeit, bringt es mit sich, dass alter Geist in neuen "demokratischen" Schläuchen serviert wird: antiaufklärerische und irrational-klerikale Erklärungsmuster, rassistische, nationalistische und antimarxistische Werte zur Legitimation ihres kapitalistischen Systems. Dumpfe Repression, hochtechnologisierte Überwachung der eigenen Bevölkerung und imperialistischer Krieg zur Absicherung ihrer Märkte und Interessen.


Kapitalistische Urbanisierung: Angriff auf die Klasse!

Zum Kampf um den öffentlichen Raum gehört auch die Entwicklung in den verschiedenen Quartieren der Stadt Zürich. Die sanierten Häuser im Kreis 3, die neue Gewerbenutzung im Langstrassenquartier usw., stehen für steigende Mietkosten und die Verdrängung der ökonomisch Schwächsten, des Proletariats. Vor allem aber für die Durchsetzung neuer Sozialstrukturen, dem eigentlichen Wesen der urbanen Umstrukturierung. Im Kapitalismus verwandelt sich der Boden selbst zur Ware und unterliegt der Verwertungslogik.

Wie in anderen Städten in Europa können wir auch in den Vierteln Kreis 4 und 3 die Kunst- und Alternativszene in der Rolle der Pioniere bei der Erschliessung neuer Möglichkeiten der Kapitalverwertung beobachten. In einem längeren Prozess sollen kulturelle und lebensstilbezogene Anknüpfungspunkte für die Mittel- und Kleinbourgeoisie geschaffen werden. Das noch vorhandene ArbeiterInnen Milieu soll definitiv vernichtet bzw. vertrieben werden. Auf die 'kulturelle' folgt dann die bauliche Aufwertung, die meistens auch mit einem Eigentümerwechsel verbunden ist. Für grosse Teile der ursprünglichen BewohnerInnen sind die Mieten nicht mehr zu bezahlen und, die hohen Einkommen der neu Hinzuziehenden haben eine völlig neue Sozialstruktur zur Folge. Die 'Diskussionen' (?) die das Projekt Langstrasse plus anbietet, soll ein 'Mitspracherecht' vorgaukeln, das in Tat und Wahrheit ein reines Legitimationsinstrument ist, um einen störungs- und widerstandsfreien Ablauf der Umstrukturierung zu garantieren.


Formen revolutionärer Gegenmacht

Das Wesen der notwendigen revolutionären Gegenmacht besteht darin, dass sie nur Kraft der gemeinsam zu erkämpfenden Interessen mächtig ist. Sie kommt nur durch einen kollektiven Prozess zustande, sei es im Betrieb, in der Schule oder eben auf der Strasse. Dazu muss sich die revolutionäre Linke organisieren. Denn Organisation heisst Einheit, Einheit heisst Gegenmacht.

Der Schlüssel in beiden historischen strategischen Konzepten ist die Etablierung eigener revolutionärer Werte, Normen, Strukturen und Organisationen, so dass der politische Weg zur Machteroberung und die gesellschaftlichen Perspektiven sichtbar zusammenfallen. Auch in unserer aktuellen Situation kann sich der revolutionäre Aufbauprozess an dieser Vorstellung von "paralleler" Macht orientieren.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 65, Mai/Juni 2011, Seite 4
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2011