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AUFBAU/282: Jugend und Geschlechterrollen


aufbau Nr. Nr. 64, März/April 2011
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"ein Mann zwei Kinder"

JUGEND UND GESCHLECHTERROLLEN
Warum sind alte Traditionen und reaktionäre Familienbilder wieder "IN"? Von 2008 bis 2010 erschienen im deutschsprachigen Raum vier Studien, die die Jugend in den Blick nahmen.


(agj/az) Die drei grossen Jugendstudien die im Jahr 2010 veröffentlicht wurden, sind die vom Ölkonzern Shell finanzierte Jugendstudie in Deutschland, das von der Credit Suisse gesponserte "Jugendbarometer" und die vom deutschen Rheingold Institut für Markt- und Medienanalyse in Auftrag gegebene Jugendstudie 2010 "Die Absturz-Panik der Generation Biedermeier". In der 2008 erschienenen Studie der ch-x "Werte und Lebenschancen im Wandel", einer Trendstudie zu den Lebensorientierungen junger Erwachsener in der Schweiz, ist die Rede von Unzufriedenheit gegenüber dem Staat und einer allgemeinen materiellen Verunsicherung.

In den genannten Studien geht es vordergründig um die Befindlichkeit und Zukunftsvorstellung, sowie um Trendforschung von Jugendlichen. Durch die Veröffentlichung solcher Studien wird ein Trend behauptet, der die Herrschaft des Kapitals nicht in Frage stellt. Umfragen stellen immer Fragen, die die Herrschenden für ihre Kontrollbedürfnisse interessieren, dementsprechend sind auch die Antworten. Für uns sind diese Fragen interessant, da wir diese Kontrolle angreifen.


Kleinfamilie als Idylle

Wenn in letzter Zeit über diese Studien in den bürgerlichen Medien berichtet wurde, dann vor allem, dass die Jugendlichen wieder vermehrt den Wunsch nach traditionellen Lebensentwürfen verspüren. Das Bedürfnis nach eigener Familie mit Kindern und Haus sei bei der Jugend wieder sehr gross. Allerorts wird eine Zufriedenheit durch Familie vermittelt und den jungen Menschen als sinnvollen und einzigen Lebensentwurf vorgeschlagen - ohne Alternative: die Kleinfamilie als sicheres Familienidyll. Damals und heute um so mehr. Nur heute ist im Vergleich zu den 70er Jahren keine Frauenbewegung mehr aktiv, um kämpferisch Gegenentwürfe auf die Strasse, in die Schulen, in die Betriebe, in die Familien und in die Ehebetten zu tragen. Das, wogegen damals Millionen von Frauen kämpften: die Isolation der Kleinfamilie mit schlechten prekären Teilzeit-Jobs, wollen heute wieder Millionen von jungen Frauen. Der Wunsch nach dem sicheren Hafen Kleinfamilie ist durchaus verständlich, wenn man die Situation auf dem Arbeitsmarkt anschaut, die durch Prekarität geprägt ist. Ein anderer Teil der Schweizer Jugendlichen hat fortschrittlichere Ideen wie das zukünftige Leben aussehen soll. Sie sprechen sich dafür aus, dass die Hausarbeit geteilt werden soll und sind auch nicht der Idee abgeneigt, dass ein Mann den Haushalt schmeissen könnte.


Düstere Zukunft

Wenn man die Schweizer CS-Studie mit den deutschen Studien vergleicht, zeichnet sich für die Schweizer Jugendlichen ein deutlich zuversichtlicheres Bild der Zukunft ab als für die deutschen Jugendlichen.

Eine Eigenheit der in der Schweiz aufwachsenden jungen Menschen ist nach CS-Studie eine gewisse Wohlstandorientierung, weil der Lebensstandard in der Schweiz höher sei und an dem festgehalten werden möchte.

Nach, der Rheingold Jugendstudie ist "das Lebensgefühl der Jugendlichen stark von Zerrissenheitserfahrungen und Krisen geprägt, sowohl im gesellschaftlichen wie im familiären Rahmen"."Die Angst vor dem Absturz ist zum zentralen Lebensgefühl der Jugendlichen geworden", fasst der Psychologe Grünewald die Ergebnisse der Studie zusammen.

Wie in Deutschland wird in der Schweiz der Anteil der Jugendlichen; welche finanziell und sozial benachteiligt sind, immer weiter steigen. Die Krise verschärft sich, und zu spüren bekommen es die, die eh schon am wenigsten haben. Für viele, die eine weniger gute Schulbildung oder einen Migrationshintergrund haben, ist es schwer eine Lehrstelle, oder nach der Lehre einen Job zu finden. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt momentan bei 4%. Der Arbeitsmarkt wird immer härter und die Jobs immer unberechenbarer und prekärer.

Die heutige Generation der Jugendlichen ist auch die, die erkennt, dass der Sozialstaat mehr und mehr abgebaut wird. Sie sehen ein, dass sie sich wahrscheinlich nicht mehr darauf verlassen können, wie das bis an hin selbstverständlich war.

Zu beachten sind die nach CS-Studie sogenannten "resignierten" Schweizer Jugendlichen, welche am wenigsten zuversichtlich in die Zukunft blicken, meist Teilzeit arbeiten und finanzielle Probleme haben. Vor allem diese wünschen sich am meisten ein Leben im traditionellen Familienmodell. Eine eigene Familie und ein wohlbehütetes Zuhause wird zum Gegenpol des tagtäglichen Kampf in der Arbeitswelt, wo Konkurrenz, Misstrauen und eine Ellenbogenmentalität vorherrscht.


Zukunft in die eigenen Hände nehmen

Der Reformismus hat in der Nachkriegszeit reale Verbesserungen gebracht, gerade auch für die Frauen. Emanzipatorische Projekte und Lebensentwürfe können aber nur unter sicheren Bedingungen entwickelt werden. In der heutigen kapitalistischen Krise, wo die menschliche Existenz prekär ist und die Perspektive unklar, werden die reaktionären Kräfte stärker. Zurück zu alten und traditionellen Werten versprechen Sicherheit. Es liegt an uns, diese Sicherheit als Unterdrückung unter die kapitalistische Produktionsweise zu entlarven. Im Gegenzug müssen wir neue Sicherheiten, kollektive und solidarische Lebensentwürfe, ganz praktisch entwickeln. Z. b. im Selbstvertrauen in die Kollektivität beim Streik oder bei Demonstrationen. Dass die Unzufriedenheit der Jugend sich, laut ch-x Studie, in höherer Beteiligung an Demonstrationen und Streiks ausdrückt, ist doch schon mal gut.



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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 64, März/April 2011, Seite 7
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2011