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AUFBAU/263: Warum hat der Kampf um und auf der Straße strategische Bedeutung?


aufbau Nr. 61, Mai/Juni 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

WIDERSTAND
Warum hat der Kampf um und auf der Strasse strategische Bedeutung?


KLASSENKAMPF - Der Kampf auf der Strasse für eine revolutionäre Perspektive verläuft oft sehr punktuell, dynamisch und unübersichtlich. Daher lassen sich Gesamtkonzept und grundlegende politische Zielsetzungen teilweise nur schwer erkennen. Der Text versucht, die einzelnen Zielsetzungen revolutionärer Politik aufzuzeigen.


(agkk/gpw) An Demos, Aktionen und Kundgebungen werden trotz inhaltlichen Flugblättern, Reden und gezielten Aktionen die konkreten politischen Zielsetzungen und die längerfristigen, strategischen Überlegungen in der Vielfalt des Kampfes nicht immer klar ersichtlich. Trotz dieser politischen Vermittlung ist es oft schwierig konkrete Einzelhandlungen als Teil eines Gesamtkonzeptes in seiner Tiefe zu erfassen. Die konstanten Angriffe der Repressionskräfte (Bullen, Justiz usw.) leisten ihren Teil dazu. Der revolutionären Politik soll ihre Berechtigung entzogen werden; sie wird kriminalisiert und soll als abstraktes Hirngespinst dargestellt werden.


Kein abstraktes, sondern ein praktisches Vorgehen

Der Klassenkampf kann und soll sich nicht nur auf die Verteidigung der ökonomischen Interessen der ProletarierInnen beschränken, und nicht bloss symbolisch geführt, sondern muss praktisch aufgenommen werden. Im Mittelpunkt unserer Strategie stehen die Entwicklung und Umsetzung konkreter Formen von Gegenmacht, d.h. Handlungsweisen, welche den kapitalistischen Alltag mit seinen Unterdrückungsverhältnissen, Werten und Gesetzen durchbrechen. Darunter fällt auch die kreative Rückeroberung des öffentlichen Raums, welcher uns allen durch zunehmende Überwachung streitig gemacht wird. In diesem Kampf ist Kreativität eine Ressource, welche ihre Wirkung und Kraft in der tatsächlichen, originellen Umsetzung entfaltet.


Der Aufbau revolutionärer Gegenmacht

Der Kampf auf der Strasse ist ein Kampf für revolutionäre Gegenmacht. Dort ist der zentrale Ort, wo die verschiedenen Stränge des Klassenkampfes zusammen kommen. Strassen und Plätze sind soziale, kollektive Räume, die ihren BenutzerInnen sowohl den Blick auf gesellschaftliche Auseinandersetzungen als auch die eigene Teilnahme an den verschiedensten Klassenkämpfen ermöglichen.

Den öffentlichen Raum in Beschlag zu nehmen und ihn mit einer politisch-revolutionären Bedeutung zu füllen, kann nur über den Kampf auf der Strasse realisiert werden. Diese Raumaneignung verstehen wir als Ausdruck mobiler Gegenmacht, die in ständiger Bewegung und Veränderung ist. Präsenz auf der Strasse hat zum Ziel, ein politisches Klima zu schaffen, innerhalb dessen auch proletarische Kultur zu gesellschaftlichen Konflikten entsteht und somit Klassenbewusstsein vertieft werden kann.

Daher wollen wir uns den Zugang zu wichtigen Orten und Plätzen erkämpfen und gerade der Aneignung des revolutionären Treffs am 1. Mai in Zürich sprechen wir diese Bedeutung zu. Diese Aneignung der Räume kann sowohl abstrakt wie symbolisch geschehen, aber auch im Konkreten und Praktischen. Sie ist ein Ausdruck von mobiler Gegenmacht, welche sich ständig verändert. Auf den Strassen und Plätzen werden so die gemeinsamen Räume geschaffen, wo die BenutzerInnen der Räume sich mit Blick auf die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen konkret an den verschiedensten Klassenkämpfen beteiligen können.

Der Kampf um die Möglichkeit Demonstrationen durchführen zu können, um die Ergreifung dieses öffentlichen Raums selber, ist zum Gegenstand unserer revolutionären Politik geworden. Auch die herrschenden Bonzen haben die Bedeutung dieses Kampfes um einen rvolutionären Ausdruck auf der Strasse - wie auch immer er sich konkret ausdrückt - begriffen. Wie sonst lässt sich erklären, wie unerbittlich und hart versucht wird, der revolutionären Seite diese Möglichkeiten zu verwehren. Wenn Angst und Verzweiflung zu Wut und Widerstand auf der Strasse werden, beginnen sich die Herrschenden zu fürchten. Nichts fürchten sie mehr als Streiks, Demonstrationen, Sabotageaktionen oder militante, revolutionäre Angriffe.

Denn das Kapital und sein Staat bleiben zwar (vorerst noch) mächtig, sie sind aber gleichzeitig auch angreifbar. Im langfristigen Aufbau von revolutionärer Gegenmacht soll der Charakter, das Wesen des revolutionären Prozesses konkret fassbar werden, d.h. sein befreiender Charakter, der klare Bruch mit dem kapitalistischen System und die Infragestellung der bürgerlichen Macht und ihres Gewaltmonopols in Form von Bullen, Militär und Justiz.


Die Wirkung des Raumes auf den Klassenkampf

Die intakten, resp. klassischen ArbeiterInnenquartiere hatten für die Entstehung des Klassenbewusstseins die Bedeutung, dass in diesen Wohnquartieren die Erfahrungen am Arbeitsplatz mit den Erfahrungen im Alltag ergänzt werden konnten. Aufgrund der gleichen ökonomischen Lebenslage (also wirtschaftliche Erfahrungen im Zusammenhang mit der Arbeit), sind soziale Beziehungen stärker verankert als in heterogenen Quartieren. Doch selbst in Zeiten einer starken ArbeiterInnenbewegung entstanden nicht einfach so aus sich heraus Hochburgen des Klassenkampfes. Vielmehr brauchte es auch von "aussen" hineingetragene politische Initiativen, die eine allgemeinen Sichtweise der gesellschaftlichen Verhältnisse vermittelten und somit das Wachsen des Klassenbewusstsein unterstützen. Seit den 60er Jahren haben sich die räumlichen Verhältnisse verändert. Die ArbeiterInnen wohnen mit Menschen zusammen, die einen anderen ökonomischen Erfahrungshintergrund aufweisen. Die Klasse wurde heterogener. Der sozial-räumliche Klassenzusammenhang löste sich nicht nur im Betrieb, sondern auch in den Quartieren immer stärker in der Vereinzelung auf. Aufgrund dieser räumlichen Trennung wurde auch die Kommunikation innerhalb der Klasse unterbrochen und damit eine Grundlage zerstört, die für die Entstehung eines Problembewusstseins wichtig ist. Denn die Wahrnehmbarkeit der Betroffenheit anderer Menschen und die Möglichkeiten von Zusammenarbeit und Solidarität hängen eng mit der räumlichen Verteilung der Klasse zusammen. Die räumlichen Strukturen beeinflussen soziales Verhalten und somit auch den Klassenkampf. Es gibt auch keinen öffentlichen Raum 'an sich', d.h. alle Räume haben für uns eine Bedeutung: Sei es etwa in Zürich der Paradeplatz, die Bahnhofstrasse oder der Helvetiaplatz, in Basel der Martktplatz oder in Bern der Bundesplatz.

Diesen Plätzen soziale und politische Inhalte zuschreiben, die sie symbolisieren, ist Ausdruck davon, dass der öffentliche Raum im Klassenkampf entstand und seine Wahrnehmung in den darin stattfindenden politischen Prozessen entsteht. Denn kollektives politisches Gedächtnis ist immer in irgendeiner Form an räumliche Bilder gebunden!


Die konkrete Aneignung öffentlicher Gebiete

Den öffentlichen Raum verstehen wir also als gesellschaftlich produzierte Orte, indem versucht wird, eine revolutionäre Gegenmacht zu rekonstruieren. Es ist ein Raum, der durch die Praxis der Klassenkämpfe stetig neu geformt wird. Die Aneignungs- und Produktionsprozesse des öffentlichen Raums widerspiegeln gesellschaftliche Verhältnisse und sind Teil weitergehender Klassenkämpfe. Der öffentliche Raum ist also nicht ein neutraler, objektiver Ort, sondern ist das Resultat verschiedenster Klassenkämpfe und Ausdruck des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen.

Grundsätzlich hat der öffentliche Raum einen dreidimensionalen Charakter, bestehend aus Strassen, Plätzen, Quartieren usw. Teile dieser Gebiete sind auch an bestimmte historische Begebenheiten gebunden, wie in Zürich beispielsweise der Helvetiaplatz (als Platz der ArbeiterInnenbewegung) oder die Bahnhofstrasse (als Strasse, wo die Bonzen sich tummeln). Zum öffentlichen Raum zählen aber auch Wände, an denen Kleber, Plakate oder Sprays angebracht werden können. Die materielle, physische Ebene spielt nur so weit eine Rolle, als dass sie auf unsere Möglichkeiten und Zielsetzungen einengend oder erweiternd wirken kann.

Daher spielt auch die politische Dimension bei der materiellen Gestaltung von Räumen durch die Architekten der Repression eine Rolle. Für alle, die Widerstand leisten, ist erkennbar, dass von oben versucht wird sicherzustellen, dass dieser Widerstand nur noch im Sichtfeld des Kapitals beziehungsweise seines Staats stattfindet. Es gibt schon heute nur noch überwachte und noch-nicht-überwachte Orte, die Strassen und Plätze werden zu Überwachungszonen. Öffentliche Orte, die nicht überwacht sind, soll es in Zukunft nicht mehr geben.


Revolutionärer Ort "Strasse" In den letzten Jahren haben die Herrschenden die grosse Bedeutung der Strasse begriffen und die Kontrolle dieses Raums zu einem Schwerpunkt der Repression gemacht. In diesem politischen Zusammenhang findet auch die jährliche Auseinandersetzung am 1. Mai in Zürich statt. Vom Ergebnis dieses Kampfes hängt vieles ab: Verteidigt und erkämpft sich die revolutionäre Linke diesen Raum auf der Strasse, stärkt sie damit auch ihr Position an anderen Orten des Klassenkampfes (sei es im Betrieb, an der Uni oder in Schulen). Für den Revolutionären Aufbau war und ist die Strasse eine zentrale Achse seiner Praxis. Die Strasse ist die Kampffront, an der sich die einzelnen sozialen und politischen Kämpfe vereinigen. Darum bekämpft uns der Staat auch am 1. Mai mit massiven Repressionsmitteln. Der Kampf um die Strasse am 1. Mai hat sich mittlerweile in einen Kampf um den öffentlichen Raum entwickelt. Darin widerspiegelt sich eine politische Haltung: Das bürgerliche Rechtssystem und das Gewalt- und Machtmonopol des bürgerlichen Staats wird in Frage gestellt - und zwar aus einer revolutionären Position. Der Staat will die Präsenz auf der Strasse unbedingt verhindern, weil durch den Kampf ein politisches Klima geschaffen wird, innerhalb dessen sich revolutionäre Gegenpositionen zu gesellschaftlichen Konflikten entwickeln können und daraus Klassenbewusstsein entstehen kann.


Der revolutionäre Prozess als kulturelles Laboratorium

Auch revolutionäre Kultur ist Teil des Kampfes um öffentlichen Raum. Denn entgegen der Meinung der Bürgerlichen sollen nicht nur die Schönen und Reichen Sie geniessen können. Auch der Klassenkampf wird ästhetisch geführt. Umso intensiver sich die Klassenkonfrontationen entwickeln, umso breiter die Beteiligung der Klasse, umso mehr sprengt sich auch die widerständische, revolutionäre Kultur ihren Raum, um Bedingungen einer von der Herrschaft des Kapitals freien kulturellen Produktion zu schaffen, die nicht im Sinne kapitalistischer Warenproduktion organisiert ist.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Arbeitsgruppe Jugend (agi), Kulturredaktion (kur), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk)


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Quelle:
aufbau Nr. 61, Mai/Juni 2010, S. 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2010