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AUFBAU/246: Die Widerstandsbewegung in Nordirland


aufbau Nr. 59, Dezember/Januar 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Let the fight go on..!

IRLAND - Im aufbau Nr. 58 behandelten wir die Anfänge der modernen Widerstandsbewegung in Irland bis 1972. In diesem Artikel schauen wir den weiteren Verlauf des Konflikts in Nordirland an, die Knastkämpfe, die Entwicklungen innerhalb der Bewegung, das Karfreitagsabkommen und die aktuelle Situation.


(gpw) 1974, fünf Jahre nach dem Anfang der Unruhen, spaltete sich eine Gruppe von der alten reformistischen republikanischen "Official" Bewegung ab und gründeten die Irish Repúblican Socialist Party (IRSP). Obwohl diese Gruppe von Anfang an den reformistischen Kurs der Officials-Führung abgelehnt hatte, war sie 1969 in der "Official" Bewegung geblieben, da sie bei den damals neu entstandenen Provisionals IRA die soziale Frage als zu wenig thematisiert ansah. Die IRSP definierte sich als revolutionäre, marxistische Partei und grenzte sich klar vom Reformismus ab. Auch wurde die bewaffnete Gruppe Irish National Liberation Army (INLA) gegründet, welche ebenfalls marxistische Positionen vertrat.


Knastkämpfe und Hungerstreik

Zur selben Zeit fingen auch die bekannten und tragischen Knastkämpfe an. Bis zum Jahr 1976 hatten alle Gefangenen der Widerstandsbewegung den so genannten "Special Category Status" (Sonderkategoriestatus). Das bedeutete, dass ihre Taten als politisch anerkannt, sowie sie separat von sozialen Gefangenen gehalten wurden und keine Arbeit leisten mussten. Auch durften sie ihre eigenen Kleider behalten und mussten keine Gefängnisuniformen tragen.

1976 wurde dieser Sonderkategoriestatus von der britischen Regierung abgeschafft. Die Gefangenen sollten wie alle anderen nun Gefängnisuniformen tragen und Gefängnisarbeit leisten. Dies sahen die Gefangenen als einen Angriff auf ihre politische Identität an und sie wehrten sich gegen diese repressiven Massnahmen und die Abstempelung als Kriminelle, denn solche waren sie nicht. Kieran Nugent, der erste Gefangene, den diese Kriminalisierung betraf, weigerte sich, die Gefängniskleider anzuziehen. Dazu sagte er den in der Bewegung berühmt gewordenen Satz: "If you want me to wear your prison uniform, you'll have to nail it to my back" (Wenn ihr wollt, dass ich Gefängniskleidung trage, müsst ihr sie mir auf den Rücken nageln). Er bekam jedoch keine anderen Kleider und musste sich stattdessen in eine Decke wickeln. Weitere Gefangene folgten seinem Beispiel. Es entwickelte sich der so genannte Deckenprotest.

Die Gefangenen wurden auch regelmässig von den Wärtern in brutalster Weise geschlagen. Als ein Gefangener fast getötet wurde, zerstörten die Mitgefangenen ihre Zellen und weigerten sich, diese zu verlassen. Aus diesem Grund konnten sie ihre Nachttöpfe nicht leeren und sahen sich gezwungen, die Zellenwände mit ihren Exkrementen zu bestreichen. Diese Kampagne wurde als Dirty Protest bekannt.

Die Regierung Margaret Thatchers, welche auch in der ArbeiterInnenklasse in England und Schottland sehr verhasst war, gab jedoch nicht nach, weshalb die Gefangenen einen Hungerstreik begannen. Etwa 100 Gefangene beteiligten sich daran. Sieben Mitglieder der Provisional IRA und drei Mitglieder der marxistischen Irish National Liberation Army bezahlten mit dem Tod. Bobby Sands verstarb als erster im Frühjahr 1981 nach 66 Tagen. Noch im April 1981 hatte er sich an den Parlamentswahlen beteiligt - ohne dass er die Absicht hatte, die Wahl anzunehmen - und gewann mit über 30.000 Stimmen einen Parlamentssitz in Fermanagh-South Tyrone. Auch andere Hungerstreikende gewannen Sitze im südirischen Parlament. Als Reaktion darauf verbot die Regierung die Teilnahme von Gefangenen an den Wahlen, denn diese grossen Siege widersprachen Thatchers Linie, dass die IRA und die INLA keine Unterstützung hätten und ihre Mitglieder isolierte Mörder seien. Alleine bei Bobby Sands' Beerdigung nahmen über 100.000 Leute teil. Der Hungerstreik wurde schliesslich im gleichen Jahr beendet und einige Monate später bekamen die Gefangenen wieder den Sonderkategoriestatus.


Reformistische Führung und "Karfreitagsabkommen"

Ungefähr zur selben Zeit, als die Bewegung massiv am Wachsen war, entwickelte sich eine "Shoot to kill" Politik der britischen Armee und Polizei. Zahlreiche, zum Teil unbewaffnete IRA Mitglieder, wurden bei Kontrollen und Verhaftungen erschossen. Diverse Familien der Verstorbenen klagten die britische Regierung an, welche in einigen Fällen gezwungen wurde, Kompensationsgelder zu bezahlen.

Während Hungerstreik stärkend auf die Widerstandsbewegung wirkte und die Wahlerfolge die breite Unterstützung, welche sie genoss, zeigte, begann die Führung der Bewegung schleichend einen reformistischen Kurs einzuschlagen. Sie konzentrierte sich nur noch auf die Wahlen. Der bewaffnete Kampf wurde langsam heruntergekurbelt. Als die Entscheidung gefällt wurde, das südirische Parlament anzuerkennen und aktiv im Parlament mitzumachen, ereignete sich aufgrund dieser reformistischen Wende eine weitere Spaltung. Ein kleiner Teil der Bewegung gründete die Partei Republican Sinn Fein. Auch auf der militärischen Seite gab es eine Spaltung. Es entstand die Continuity IRA.

Die ReformistInnen gewannen jedoch immer mehr an Boden. Die Provisional IRA rief 1994 einen Waffenstillstand aus, der anderthalb Jahre andauerte. 1997 wurde er erneut erklärt. Der endgültige Durchbruch der reformistischen Seite erfolgte 1998 unter der Führung von Gerry Adams und Martin McGuinness mit der Unterzeichnung des so genannten Karfreitagsabkommens. Die nordirischen Provinzen sollten ein Parlament erhalten und ein Nord-Süd Ministerrat sollte sich um gesamtirische Belange kümmern. Alle politischen Gefangenen sollten unter der Bedingung freigelassen werden, sich nicht weiter an illegalen Aktivitäten zu beteiligen. Die bestehende Polizei sollte durch eine neue "unparteiische" ersetzt und die britischen Truppen sollten von den Strassen zurückgezogen werden. Aufgrund des Abkommens wurden die Waffen der Provisional IRA vollständig zerstört. Die Partei Sinn Fein begann aktiv im britischen Parlament teilzunehmen und sich in der Polizei zu engagieren. Die ReformistInnen bezeichneten das Abkommen als einen Riesenerfolg. Für die Bevölkerung erreichte es real freilich wenig und viele fühlten sich verraten, dass nach langjährigem Kampf, dies nun der "Erfolg" sein sollte.


Waffenstillstand und Spaltungen

Auch im Zuge des Karfreitagsabkommens gab es Spaltungen in der Bewegung. Aus der Sinn Fein heraus entstand die 32-Grafschaften-Souveränitätsbewegung (County Sovereignty Movement), so benannt, weil ein vereinigtes Irland 32 Grafschaften hätte. Ferner spaltete sich die "Real" IRA aus Protest gegen das Abkommen von der Provisional IRA ab und nahm den bewaffneten Kampf wieder auf. Beispielsweise bekannte sie sich im Frühjahr 2009 zu einem Anschlag auf zwei britische Soldaten nahe Belfast.

Die marxistische INLA erklärte 1998 ebenfalls den Waffenstillstand. Sie begründete diesen Schritt damit, dass die Bedingungen für den bewaffneten Kampf zur Zeit nicht gegeben seien. Gleichzeitig positionierte sie sich gegen das Abkommen und lehnte insbesondere den parlamentaristischen Weg zum Sozialismus weiterhin ab. Im Jahr 2009 erklärte sie jedoch in einer drastischen Kehrwende, dass ihr Krieg vorbei sei und sie den Kampf für ein sozialistisches Irland nur noch mit friedlichen Methoden führen wolle.


Der Kampf geht weiter?

Weiterhin befinden sich in ganz Irland etwas mehr als 100 Personen der Widerstandsbewegung im Knast. Bei vielen musste das Verfahren eingestellt werden, als publik wurde, dass Beweise gefälscht worden waren. Ausserdem sitzen viele, die wegen "Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation" eingesperrt wurden, lediglich auf Grund der Aussage eines einzigen Polizisten. Als Folge des Karfreitagsabkommens haben alle Gefangenen, die nach 1998 verurteilt wurden, keinen Sonderkategoriestatus mehr. Indem sie als Kriminelle dargestellt werden, versucht die Regierung ihre Kampf in der Öffentlichkeit zu entpolitisieren.

Der Widerstand gegen diese Kriminalisierung und der Kampf um den politischen Status der Gefangenen geht jedoch auch heute drinnen wie draussen weiter und und lässt unter den verschiedenen Gruppen eine Zusammenarbeit entstehen, die viele Aktionen und Demonstrationen möglich machen.

Die heutige Situation der Bewegung in Irland kann als eine Aufbauphase betrachtet werden. Die Gruppen, welche das Karfreitagsabkommen ablehnen, haben die Ohnmacht und die Krise, welche dessen Abschluss ausgelöst hatte, langsam überwunden und wachsen beständig. Zudem lässt sich beobachten, dass der Frage nach einer sozialistischen Perspektive von allen Gruppen, dass heisst auch von denen, welche sich nicht explizit als sozialistisch definieren, heute wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Kampf in Irland ist bei weitem nicht tot, wie die Medien dies gerne präsentieren. Die Worte des marxistischen Hungerstreikers Patsy O'Hara, "let the fight go on!" (lasst den Kampf weitergehen!), die er kurz vor seinem Tod 1981 sprach, haben weiterhin ihre Gültigkeit.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 59, Dezember/Januar 2010, Seite 13
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2010