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AUFBAU/224: Aufbau eines kämpferischen Netzwerks


aufbau Nr. 57, Mai/Juni 2009
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Sprung ins kalte Wasser

RÜCK- UND AUSBLICK - Im letzten Jahr wurde die Linke ganz schön gefordert. Nicht nur von der Krise, sondern auch von der kämpferischen Belegschaft der Officine, welche uns auf den Aufbau eines kämpferischen Netzwerks verpflichtete.


(az) Wer dachte, nach dem spektakulären Streik der Officine würde wieder ruhiger Alltag für die Linke und GewerkschaftsaktivistInnen einkehren, irrte. Das Tempo, mit welchem das Streikkomitee ihren Kampf führte, setzte es am 31. Mai mit seiner Initiative für eine neue kämpferische ArbeiterInnenbewegung fort. Damit schmiss sie die klassenkämpferische Linke ins kalte Wasser und diese musste mit dieser Überrumpelung umzugehen lernen. Bis heute können wir bilanzieren, dass es drei grosse gesamtschweizerische Treffen mit 150 bis 300 Leuten gab und dass es in zwei Städten kontinuierliche Solikomitees gibt, welche sich auf das Netzwerk beziehen. Ein Erfolg so denken wir, betrachten wir insbesondere die qualitative Seite. Das Netzwerk hat sich mit dem dritten Treffen konsolidiert, eine Plattform verabschiedet und sich den Namen "Netzwerk für eine kämpferische Bewegung der ArbeiterInnen" gegeben. Die anfängliche Euphorie konnte in kontinuierliche, stabile Zusammenarbeit überführt werden. Die Initiative hat die Beteiligten im richtigen Zeitpunkt erwischt, welche auf sorgfältige und solidarische Weise agierten und vor allem die Entwicklungsdynamik realistisch antizipieren konnten. Bei allen Grenzen, welche uns gesetzt sind, konnte das Netzwerk trotzdem das Mögliche erkennen und bescheiden um diese Schritte kämpfen.


Bleibt alles möglich

Unter anderem anhand verschiedener Erfahrungen aus ähnlichen Projekten in Deutschland konnten wesentliche Kategorien in unseren Vernetzungsversuch einfliessen, welche generelle Problemstellungen der heutigen Klassenkampfpraxis berühren.

Eine solche Kategorie ist die der Öffentlichkeit. Eine Vernetzung kann informeller, lockerer, klandestiner Natur sein, mit dem Ziel praktische Ad-Hoc-Strukturen bei Streiks zur Unterstützung anzubieten oder andere (Gewerkschafts-)Strukturen für solche zu nutzen. Dies bietet sich vor allem dann an, wenn der Gewerkschaftsapparat - wie in Deutschland - die Unvereinbarkeitsbeschlüsse (Ausschluss von KommunistInnen) durchsetzt, oder wenn nur von wenigen kontinuierlichen Kräften ausgegangen werden kann.

Mit dem offensiven Aufruf des Streikkomitees "Giu le mani" setzte das Netzwerk von Beginn an auf eine öffentliche Präsenz und die Lancierung einer Debatte um Strategien der ArbeiterInnenbewegung. Inzwischen hat sich gezeigt, dass das Netzwerk mit dieser Öffentlichkeit die nötige Fassbarkeit und Referenz erreicht hat, um auch Raum für verschiedene weitere Vernetzungsformen zu öffnen. Konkrete Unterstützung bei Kämpfen, wie auch politische Interventionen ergänzen sich, und die öffentlichen Treffen bieten Möglichkeiten, sich auch informell auszutauschen. Die Schwierigkeiten öffentlicher, unverpflichtender Treffen sind aber, dass sie sehr abhängig von Bewegungsdynamiken sind. Deshalb ist neben einer solchen Präsenz auch eine feste Struktur nötig, welche durch kontinuierliche gemeinsame Praxis ein gewisses Mass an Vertrauen und Verpflichtung erarbeitet. Im Netzwerk verkörpern dies vor allem die regionalen Solikomitees. In Zukunft wird die Beweglichkeit der Netzwerk-Strukturen, also der Mut Schritte zurück und Schritte nach vorne zu machen, weiterhin von grosser Bedeutung sein.


Wohlfühlzone "Zwischenraum"

Eine weitere Kategorie ist die der Praxis. Sie betrifft vor allem die antikapitalistische Linke. Diesbezüglich haben die verschiedenen Vernetzungsinitiativen in der Schweiz aber auch in Deutschland geholfen, zu eruieren, welche Kräfte ernsthaft am Klassenkampf interessiert sind. Jedes Terrain oder jeder Sektor des Klassenkampfes zeichnet sich durch spezifische Bedingungen aus. Diese müssen undogmatisch analysiert werden, damit eine diesen angepasste Strategie entwickelt werden kann. Gerade die antikapitalistische Linke tendiert dazu, sich auf rein ideologischem Terrain zu bewegen und um die "richtige Interpretation" zu ringen. Dieser falsche Zugang ist nicht zu vernachlässigen, weil er sich auch in falschen Einschätzungen niederschlägt. Erst, wenn es um den Anspruch geht, "die Welt zu verändern", gehen wir ein praktisch-tätiges Verhältnis zur Umwelt ein. Ohne eine solche Praxis können sich klassische strukturalistische Irrtümer durchsetzen, welche die Gewerkschaft z. B. nur auf ihre Funktion der Verwaltung der Arbeitskraft reduzieren. In letzter Instanz stimmt diese Aussage zwar, aber durch die Reduktion geht die Widersprüchlichkeit, welche in der Gewerkschaft schlummert, verloren. In der Praxis wird klar, dass es durchaus Elemente in der Gewerkschaft gibt, welche ihrer Funktion entgegenwirken. Ähnlich verhält es sich im Arbeitsalltag. Auch dort ist die Unterordnung unter die Arbeitsbedingungen oft logisch nachvollziehbar und auch hier gilt es, die Situationen auszumachen, in denen diese Logik durchbrochen wird. Es sind dies die "Zwischenräume" oder "Graubereiche", in denen etwas möglich ist und wo Politik zur Zeit ihren Raum hat. Es gilt also, die Situation in ihrer Widersprüchlichkeit zu verstehen, in diese praktisch "einzutauchen", um dort den jeweiligen Emanzipations-Hebel zu finden und umzustellen.


Immer flexibel für den Arbeitskampf

Zwar ist die Debatte um Perspektiven sehr wichtig, doch macht sie nur Sinn, wenn es gelingt, sie mit einer Praxis im konkreten Klassenkampf zu verbinden. Im Sektor des Arbeitskampfes ist diese Frage besonders virulent, weil hier der Anspruch einer klassenkämpferischen Linken mit der ernüchternden Erkenntnis zusammenprallt, dass es zur Zeit keine selbständige ArbeiterInnenbewegung gibt. Um nicht einem Fatalismus, Attentismus oder einer Mystifikation der ArbeiterInnenklasse zu verfallen, ist es wichtig, die Bedingungen wirklich so wahrzunehmen, wie sie sind. Das hört sich banal an, erweist sich aber als sehr anstrengend, weil dazu erstens eine aufwendige, zeitintensive Praxis nötig ist und zweitens die Offenheit gegenüber neuen Kampfformen und Bündniskonstellationen auch das Sprengen von Routinen erfordert. Das Netzwerk bietet als Aktionsbündnis genau diesen Rahmen. Hier soll durch den Austausch von Ressourcen und Erfahrungen nicht um abstrakte Positionen, sondern um praktische Handlungsfähigkeit gerungen werden.

Für eine revolutionäre Linke ergeben sich dabei Möglichkeiten, Formen der Widerstandsbewegung in die Arbeitskämpfe einfliessen zu lassen, aber auch die Pflicht, die eigenen Formen an die Notwendigkeiten eines Arbeitskampfes anzupassen. Dies mit der Perspektive eines Zusammengehens der Kämpfe. Und wir müssen mitunter mit der Herausforderung umgehen können, dass Arbeitskämpfe heute schnell an einen Punkt stossen, an welchem die kapitalistische Produktionsweise fundamental in Frage gestellt wird, gleichzeitig aber für deren Gelingen zur Zeit eine politische Offenheit und Breite nötig ist. Beispielhaft ist diesbezüglich wieder der Kampf der Officine. Als praktischer Kampf hat er sich nicht primär an Idealen - also den Wünschen von Philosophen - orientiert, sondern an den Bedürfnissen der Betroffenen, an deren Situation und natürlich an der Hoffnung, dass es auch anders möglich ist. Nach diesen richtete sich der Einbezug von Institutionen wie der UNiA, der Regionalpolitik, usw., welche sich schliesslich den Stempel des Klassenkampfes aufdrücken liessen. Betrachten wir die Verbindung von Tagespolitik mit revolutionärer Perspektive als das A und 0 kommunistischer Politik, so müssen wir uns praktisch mit solchen Strategien auseinandersetzen. Auch dafür bietet das Netzwerk den Raum.


Wir haben hier eine gekürzte Version des Artikels abgedruckt. Den Artikel in ganzer Länge veröffentlichen wir auf unserer Homepage unter der Rubrik "Arbeitskämpfe".


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 57, Mai/Juni 2009, Seite 10
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2009