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ARBEITERSTIMME/384: Herr Kapital und Frau Erde - Blauer Planet im Würgegriff


Arbeiterstimme Nr. 204 - Sommer 2019
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Herr Kapital und Frau Erde.
Blauer Planet im Würgegriff

von Gerhard Armanski


Keine andere Produktionsweise vor ihr hat die Natur vor und außerhalb des unmittelbaren Geltungsbereichs der Gesellschaft derart genutzt und umgewandelt wie die kapitalistische. Anscheinend grenzenlos verwendet sie deren als unendlich und kostenlos angesehenen Stoffe zur Herstellung von Tauschwerten, um gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen. Dabei mißachtet sie deren Besonderheiten und untergräbt dadurch ihre eigenen natürlichen Voraussetzungen. Das liegt schon an der zerstörerischen Wirkungen der naturtransformierenden Arbeit selber; die kapitalistische Produktionsweise versucht jedoch, systematisch die für Erhaltung und Wiederherstellung der menschlichen und natürlichen Bedingungen gezogenen Grenzen beständig zu überspringen. Was ehedem ein Ursprung der frühen Akkumulation war, erweist sich nun als Bumerang.

Wir sehen und wissen, dass sowohl Rohstoffe wie Luft, Wasser und Boden in die landwirtschaftliche und industrielle Produktion sowie in die private und öffentliche Konsumtion eingehen. Auf allen Stufen fällt Energiebedarf an. Naturstoffe werden verbraucht und/oder denaturiert. Die Menschen beanspruchen derzeit 40 % der Nettoprimärproduktion der Erde; 60 % gelten als absolute Grenze. Nach dem 2. thermodynamischen Gesetz entstehen dabei unvermeidliche Verluste in der Stoff- und Energiebilanz, bis irgendwann Stockung eintritt. Die Exkremente dieser Vorgänge werden weggeworfen oder gelangen zur Ausgangsbasis zurück und können nur mit hohem Energieund Arbeitsaufwand wieder nutzbar gemacht werden.

Die Industrieländer sind weit überproportional an der Nutzung der Umwelt und ihrer Ressourcen beteiligt. In der Schweiz etwa verbraucht jeder Bürger jährlich 90 to Grundstoffe, davon 2/3 als Wasser. Ressourcenausbeutung und Umweltzerstörung werden über den Außenhandel auch in viele sich entwickelnde Länder transportiert. Dort zieht ebenfalls ökologische Entropie ein, d.h. Zerfall von energetischen Ordnungsstrukturen, gefolgt von sozialer durch exponentielles Bevölkerungswachstum, sozioökonomischer Unterentwicklung und sich verschlechternder kollektiver Lebensqualität. Am verfügbaren Boden, am Wasser, der Biodiversität und dem Klima hängt die Welternährung. Sie stützt sich zu 75 % auf Weizen, Reis und Mais. In der industrialisierten Landwirtschaft, die fast vollständig auf hohe Dünger- und Insektizidgaben angewiesen ist, wird mehr technische Energie verbraucht als sie an biologischer liefert. Ihr geht es dank massiver Staatsbeihilfen richtig gut, während Ökolandbau und Naturschutz schwer zu kämpfen haben. Ähnlich steht es um den Primärenergieverbrauch, der gegenwärtig zu 80% aus Kohle, Öl und Gas gedeckt wird, dem Lebenssaft kapitalistischer Gesellschaften.Nur der Rest entfällt auf erneuerbare Energien.

Süßwasser birgt (noch) eine relativ zu anderen Umweltssystemen hohe Faunavielfalt. Es wird zur Hälfte vom Menschen vernutzt, zwar in der Menge meist ausreichend, aber oft stark verschmutzt, z.B. durch Fäkalien und Phosphate, und voller Krankheitserreger. 4/5 aller Krankheiten auf der südlichen Erdhalbkugel gehen auf den Verbrauch unsauberen Wassers zurück, aber auch in den USA steigt diese Rate. Malaria, Cholera und Typhus breiten sich erneut aus. Die Hälfte der Weltbevölkerung hat keine angemessenen sanitären Anlagen und ca. eine Mrd. Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Pro Jahr sterben 1,5 Mio Kinder an diesem Mangel und die dadurch ausgelösten Krankheiten. Der Weltwasserverbrauch hat sich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vervierfacht, doppelt so viel wie in der Industrie, die wie die Haushalte das Wasser obendrein verunreinigt, Verluste durch Verdunsten und Versickern nicht gerechnet. Pro Einheit Gebrauchsgut wird das Mehrfache an Wasser verbraucht, was die zur Verfügung stehende Menge übersteigt. Der Quell des Lebens wird in erschreckendem Ausmaß vernutzt, verschmutzt und verschwendet. Eine weltweite Süßwasserkrise droht. Verteilungskämpfe um Wasser stehen an. Die Verbräuche sind in den Industrie- und Entwicklungsländern höchst ungleich. Währenddessen wird es vom Kapital privatisiert und in Wert gesetzt, wobei gewaltige Profite eingestrichen werden oder winken. Der Weltmassermarkt wird auf 400 Mrd. Dollar geschätzt.

Die Veränderung des Weltklimas schreitet drastisch voran. Die gewichtigsten Ursachen des sog. Treibhauseffekts liegen im vermehrten Ausstoß von Klimagasen (Kohlendioxid, Stickoxid und (Fluor)Kohlenwasserstoff), da durch sie die Wärmestrahlung der Erde nicht ins All entweichen kann. Sie werden erzeugt durch eine energie- und stoffintensive Produktions- und Lebensweise. Auftauen der Permafrostböden und Auflösung der Methanhydrate am Meeresboden können rückkoppelnd diesen Prozeß noch verstärken. Entgegen den Gleichgewichtsbedingungen der Atmosphäre seit 10.000 Jahren werden dadurch die grundlegenden biochemischen Zyklen gestört. Die Schätzungen der Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts reichen von einem bis sechs Grad an Zunahme. Nach einer langen Phase der Stabilität erfolgt der Anstieg von Treibhausgasemissionen, Temperaturen und des Meeresspiegels seit Jahrzehnten sprunghaft.

2005 gab es 6,5 Mrd. Menschen auf der Erde, 2040 werden es wahrscheinlich 8 Mrd. sein. Die Zuwachsrate ist jedoch in den letzten Jahren gesunken. Es ist umstritten, inwieweit die Erde eine solche Masse, die körperlich immerhin gut 500 Mrd. kg auf die Waage bringt, vertragen und ernähren kann. Mit Sicherheit hat es Folgen für den Druck auf die Ressourcen, die Kapitalausstattung und Arbeitsproduktivität sowie die Siedlungsdichte. Die bloße Menge der Bevölkerung ist allerdings weniger entscheidend als Ebene und Intensität ihrer ökonomischen Aktivitäten und deren ökologische Konsequenzen. Davon hängt auch der Naturzustand ab.

Ursache und Wirkung

Bisher haben wir einen Blick auf die erscheinende Oberfläche der bereits einsetzenden Ökokrise in der Welt geworfen. Darin tritt sie, gerade weil das allgemein akzeptiert wird, als naturwüchsig auf. Die menschengemachten bzw. politökonomisch hervorgerufenen Ursachen waren bisher nicht im Blick. Dabei geht es hier ums Ganze, nämlich die Quelle des gesellschaftlichen Naturverhältnisses, das, wie wir gesehen haben, von einem erdrückenden Übergewicht menschlicher Faktoren gekennzeichnet ist. Das hat, und noch nicht einmal im kritischen Zweig der ökologischen Wissenschaft, zur Formulierung geführt, dass wir uns im Anthropozän, d.h. eines auf menschlicher Aktivität gegründeten Erdzeitalters befinden, zum ersten Mal, seit es die Erde gibt. Die Reichweite dieser Erkenntnis erschließt sich im analytischen Zugriff auf den bestehenden Zustand wie in der Frage, welche Abhilfen es ihm und den ihm innewohnenden schwerwiegenden Gefahren gegenüber geben müßte und kann. Jegliche Argumentation, die das nicht aufnimmt, muß an den bestehenden Zuständen abgleiten. Wir können weder auf die Selbstheilungskräfte des Planeten noch auf die Einsichtigkeit in den drohenden Zusammenbruch unserer ökologischen Grundlagen bauen. Was wir hingegen brauchen, sind Forschung und Debatte zu den Ursachen, aus denen sich angemessene Gegenstrategien herzuleiten haben. Die Kluft zwischen dem, was wirtschaftlich läuft und dem ökonomisch-ökologisch Möglichen war noch nie so groß wie heute. Natürliche und soziale Armut sind die Zwillingsschwestern der kapitalistischen Überakkumulation.

Die herrschende Produktions- und Lebensweise gestaltet die Umwelt. Indem die Menschen sich durch Arbeit reproduzieren (und den Profit vermehren), setzt sich die "Rationalität okzidentaler Naturbeherrschung" (Max Weber) auch und gerade gegenüber der Natur durch. Im Vordergrund steht heute die tauschwertmaximierende Struktur und Operation des Weltmarkts, in welche (fast) alle Länder, Kulturen und Ressourcen hineingezogen werden. Obgleich selbst nur produziert, erscheinen sie als unumgehbarer Sachzwang. Seit der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals ab der frühen Neuzeit in Europa ist die Ökologie des Menschen und der Natur den Gesetzen der Ökonomie unterworfen worden. Die Kapitalherrschaft bemächtigte sich des Erdballs, auch und gerade der Arbeitskraft. Im neoliberalen Siegeszug mit seiner Vergötzung des Marktes wurde die moderne politische Ökologie als Wissenschaft des gesellschaftlichen Naturverhältnisses geboren; eher aus naturschützenden Kreisen als aus der Arbeiterbewegung, welche die Natur des Arbeitsvermögens gegen das Kapitaldiktat zu schützen hätte.

Die Doppelform der Ware als Stoff und Wertquantum schlägt sich auf dem Markt in Geldform nieder. In ihm realisieren sich Wert und Mehrwert als Grundlage erweiterter Kapitalakkumulation. Natur ist bloße Unterlage dieser Bewegung, welcher sie ansonsten äußerlich und gleichgültig ist. Allerdings ist "sie ebensosehr die Quelle der Gebrauchwerte ... als die Arbeit, die selbst nur Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft." (Marx, MEW 19, 15) Selbstzweck des Prozesses ist die Vermehrung des Kapitalwerts. Konkret-nützliche Arbeit und die Naturgrundlagen sind der Stoff dieser Bewegung, die sich als Macht der Gesellschaft auferlegt. Damit ist ein spezifisches Naturverhältnis etabliert. Die ökonomische Rationalität dieser Gesellschaftsformation, die auf Privateigentum, Eigennutz und Wettbewerb beruht, schließt sich von ihren zerstörerischen ökologischen Folgen ab und zerspaltet die Welt in bewußte Nutzer und 'bewußtlose' zur Warenform Benutzte. Die einen besitzen, die anderen werden besessen. Naturstoffe bilden bloß eine profitbetriebene Werkkammer. Jegliches Verwandtschaftsband ist hier zerschnitten. Der 'große Räuber' Kapital steht an der Spitze der Nahrungs- bzw. Nutzenkette. Er folgt einer (selbst) mörderischen, von der Fülle (nicht) menschlichen Lebens abgekoppelten Rationalität.

Nicht irgendwelche natürlichen Gegenstände bilden den obersten Fetisch dieser Produktionsweise, sondern das Kapital und seine Bewegung in Ware und Geld. "Das bloß atomistische Verhalten der Menschen zu ihrem gesellschaftlichen Produktionsprozeß und daher die von ihrer Kontrolle und ihrem bewußten individuellen Tun unabhängige, sachliche Gestalt ihrer eigenen Produktionsverhältnisse" erscheinen in der von ihnen losgerissenen Warenund Geldform der Produkte. (Marx, Kapital I, MEW 23, 108) Karl Polanyi beschrieb diesen Vorgang als Entbettung. Natur, Arbeit und Leben sind der Kapitalverwertung untergeordnet; deren Verhältnis reproduziert die strukturellen Zwänge der Gesellschaft. Die modernen Produktivkräfte verhalten sich zur Natur als totem Stoff und zum Arbeiter als verdinglichtes Anhängsel der Maschine. Eine winzige Oligarchie beherrscht alle erheblichen ökonomischen, politischen und kulturellen Entscheidungsprozesse, obwohl sie ihnen in Wahrheit nur aufsitzt. Der Neoliberalismus besetzt gegenwärtig die ideologische Leerstelle zwischen der wachsenden Rationalität der Produktionsmethoden und der ausufernden Irrationalität im Ablauf und den Resultaten des Ganzen. Er behauptet, die Steigerung der marktorientierten Prozeduren beseitige die Übel, welche er erst eigentlich hervorrief bzw. verschärft, nämlich eine kaum verantwortliche Produktion und Konsumtion, die zur biosphärischen Degradation und Leid führt. Ein immer größerer Teil des Güterausstoßes ist, gemessen an gesellschaftlich-geschichtlichen Grundbedürfnissen, verschwenderisch, ja destruktiv, denken wir nur an den gewaltigen Rüstungshaushalt der USA. Während das Warenuniversum blüht, ächzt die Erde. Die kapitalistische Inwertsetzung zerstört nicht nur ihre eigenen natürlichen Grundlagen. In der Biotechnologie, intensiven Landwirtschaft oder der Indienstnahme des Meeresbodens und des Weltraums eröffnet sie neue Felder der Kapitalakkumlation. Währenddessen vollziehen sich beispielsweise im land grabbing (Landraub) oder im offshore-farming (Küstenfarmbetrieb) der Fischzucht Momente der ursprünglichen Akkumulation. Die kapitalistische Produktionsweise hat seit je die Erde als ihre Schatzkammer betrachtet, wie Rosa Luxemburg herausarbeitete. Um den produzierten Mehrwert produktiv zu verwenden, erstrebt sie eine möglichst unumschränkte globale Auswahl ihrer Aktivitäten, was zu einer unaufhörlichen Suche nach Investitionsmöglichkeiten, materiellen Ressourcen und Arbeitskräften führt. Die zunehmende Finanzialisierung des Kapitals bedeutet eine weitere Verselbständigung und Abstraktion der wertheckenden Bewegung gegenüber ihrer stofflichen Basis, was eine der Grundvorgänge des neoliberalen Umbaus der Gesellschaften darstellt. Es sind nicht zuletzt die hohen Renditeerwartungen dieses Vorgangs, die auch die Auspowerung der Natur antreiben.

Das was heute die ökologische Krise genannt wird, ist dem Kapitalismus als Folge systemimmanenter gesellschaftlicher Widersprüche eingeschrieben. Für Marx erscheint Natur immer als geschichtlich-gesellschaftlich geformte, aus welcher Beziehung auch ihre krisenhafte Entwicklung stammt. Die Kapitalkkumulation auf wachsender Stufenleiter schließt unweigerlich einen steigenden Materialverbrauch ein, selbst wenn er relativ sinkt. Ihre quasi naturgesetzliche Funktion führt unweigerlich die Ausbeutung des Menschen sowie die Ausplünderung der Natur mit sich. Die Dreiheit von Kapitalismus, Industrie und Fossilregime (Kohle, Erdöl und -gas) bildet das Schwungrad der herrschenden Produktions- und Lebensweise. Was allein zählt, ist die Vermehrung des vorgeschossenen Kapitalwerts. "Die Profitrate ist die treibende Macht in der kapitalistischen Produktion, und es wird nur produziert, was und soweit es mit Profit produziert werden kann." (Marx, Kapital III, MEW 25, 269) Sie allein bewegt den "Koloss des Wirklichen", den schier "subjektlosen Kapitalismus". (Adorno/Horkheimer) Das rationale globale Marktsystem, das unter neoliberaler Obhut die gesellschaftliche Herrschaft beansprucht, ist das Tummelfeld der managerialen "Charaktermasken", die entbettet von sozialen oder ökologischen Belangen zu handeln trachten. Sie muten gegenüber der weiblich aufgefaßten Natur als egoistischkalkulative Herrensubjekte an. Das aktive 'Eine' erlegt sich dem passiven 'Anderen' auf.

In der Konkurrenz der vielen Kapitale wird der Markt konditioniert. Auch Grund und Boden sind ihr ausgeliefert, was derzeit zu absurden Grundstückspreisen und Mieten führt. Sie agiert auch auf dem Sektor der Landwirtschaft und verdrängt nicht kapitalförmige Produzenten. In dieser Bewegung wälzen sich beständig die technischen und gesellschaftlichen Grundlagen der Produktion um. Die natürlichen Bedingungen derselben sind ihr vorgelagert und gehen sie nur nach Reichhaltigkeit und Kosten etwas an. Sie werden teilweise gratis angeeignet wie die Luft oder selbst in Wert gesetzt. Dabei handelt es sich nicht um einen Pappenstiel. In einem Artikel der Zeitschrift "nature" (15.5.1997) wird der Beitrag natürlicher Faktoren zum globalen Reichtum auf 16.000 bis 54.000 Mrd. Dollar geschätzt. Die Bestäubungsleistung von Insekten wird in den USA mit knapp 200 Mrd. Dollar berechnet. Es gibt allerdings keine für die Natur und die Produktion gleichermaßen plausible Recheneinheit.

Die natürlichen Ressourcen scheinen im Grundsatz unendlich zu sein und sind mit ökonomischen Kategorien gar nicht zu erfassen. Wird allerdings die Belastbarkeit der Erde überschritten, tauchen Knappheit und steigende Kosten auf und beeinträchtigen die Kapitalakkumulation. Insoweit liegt hier durchaus eine Schranke der Kapitalverwertung, von Krise und Klassenkampf nicht zu reden. Für Marx standen primär die ökologischen Folgen der kapitalistischen Ökonomie und nicht die möglicherweisen krisenhaften systemischen Grenzen vermittels des Naturverbrauchs im Vordergrund. Der einsetzende ökomarxistische Diskurs nimmt den Charakter des vorhandenen gesellschaftlichen Naturverhältnisses vermehrt und differenzierter in den Blick, auch und gerade um Alternativen noch im Rahmen des Bestehenden aufzuweisen. Denn der Teufel kapitalistischer Naturzerstörung ist kein globaler Totschläge in toto, sondern wird auch eingehegt nicht nur von der ökologischen Bewegung, sondern ebenfalls von den Eigeninteressen seiner Fortexistenz, wie schwach und widersprüchlich auch immer. Jenseits der notwendigen Kritik bleiben die Details mühevoller Kleinarbeit an der gesellschaftlichen Ökologie.

Ökoethik und Klassenkampf

Das Vorgetragene soll helfen, Ursachen, Konturen und Folgen der ökologischen Krise ins Auge zu fassen. Als solche ist sie unleugbar, wenn man denn hinschauen will. Viel wird aber verdrängt. Das liefert gewissermaßen den Zollstock für den human-ökologischen Umbau des Lebenshauses. Information und Kenntnis bilden nur den einen Hebel, den anderen freilich die theoretisch-praktische Aufklärung der Gesellschaft über sich selbst. Dafür wird es unverzichtbar sein, dem herrschenden Profitmotiv mindestens Zügel anzulegen; seine Aushebelung steht angesichts der Verhältnisses der Klassenkräfte nicht unmittelbar an. Das herrschende gesellschaftliche Naturverhältnis ist weder das erste noch das letzte Wort der Geschichte. Individuelle Einsicht und naturverträgliches Handeln dürften für seinen Wandel allerdings nicht genügen.

Schon vor 40 Jahren beschloß die UNO eine "Weltcharta für die Natur". Eine ökologische theologischsozialmoralische Sittenlehre verlangt zuoberst den Schutz der gegebenen wie der evolutionär möglichen Natur. Wir sind in die Rolle der Verantwortung gedrängt. Sie wahrzunehmen erfordert einen klaren Blick und erhebliche Ausdauer. Eine entschiedene basisorientierte Demokratie schlösse auch die Rechte der Natur und jedes (nicht)menschlichen Lebens ein. Gelinge das nicht, spricht der hartgesottene Ökologist, schaufele sich die Menschheit eben ihr eigenes Grab. Eine ökologische Ethik hingegen fußt auf den Umweltfolgen des kapitalistischen Produktivismus und Konsumismus. Was hindert uns am Umdenken und umweltverträglicheren Handeln? Das liegt gewiß auch an einer komplexen und widersprüchlichen aktuellen Lage des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft. Auch haben wir Schwierigkeiten, in weiter entfernte Zeiträume zu schauen.

Wie soll eine moderne Indstriegesellschaft aussehen, die nicht auf steigenden Ressourcenverbrauch, wachsende Umweltzerstörung und Zunahme gefährlicher Emissionen baut? Der französische Enzyklopädist Holbach wußte bereits vor 250 Jahren, daß eine unmäßig lebende Zivilisation sich in Zukunft wird einiges versagen müssen. Der "environmental holocaust" (Jared Diamond) ist im Gang. Die bürgerliche Gesellschaft wird ihre Exzesse fortsetzen, wenn sie nicht daran gehindert wird. Solange sie um den Profitmittelpunkt kreist, wird Frau Erde weiter unter Herrn Kapital leiden. Doch sind keineswegs alle Möglichkeiten, den Stoff- und Energiedurchsatz von Produktion und Konsumtion zu senken, ausgereizt. Letztendlich ist das eine Klassenfrage. Wer bürdet wem welche Lasten auf? Am meisten leiden unter der ökologischen Krise die Ärmsten der Welt. Ohne ein grundlegende Änderung des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist das, wie Naomi Klein betont, nicht zu haben. Viele spirituelle und medidative Praktiken zielen darauf. Wenn es stimmt, dass das gesellschaftliche Verhältnis unter den Menschen das zur Natur bedingt und umgekehrt, muß für einen ökologischen Wandel beides anvisiert werden. Im ökologischen Imperialismus greifen die Entwürdigung der Erde und des Menschen Hand in Hand. Klima- und Arbeitskampf sind von daher zwei Facetten der gleichen Sache, nämlich der Bewahrung der Natur vor dem Zugriff des Kapitals, der gegenwärtig obenan steht.

Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ist allerdings auch und gerade in der Produktion wenig erschüttert. Jeder Erfolg im vielschrittigen Prozeß hin zu einer menschlich-natürlichen Ökologie und die koproduktive Umwälzung des gesellschaftlichen Naturverhältnisses ist an die Klassenzustände gebunden. Die herrschende ökonomische Logik mit ihrer Verdinglichung und Entfremdung des Menschen wird in Frage zu stellen und zu überwinden sein. Naomi Klein spricht die vielen möglichen und notwendigen Aktionen des Widerstands an, auch und gerade gegen die übermäßige Vernutzung der Arbeitskraft, als "blockadia" an. Die materiellen Mittel einer Wende zur Schonung von Mensch und Natur sind durchaus vorhanden. Seit Friedrich Engels haben es gewerkschaftliche und sozialdemokratische Gruppierungen an Äußerungen zu ökologischen Problemen nicht fehlen lassen. Und auch im Alltagskampf geht es um menschenwürdige und naturgerechte Arbeits- und Lebensbedingungen.

Wissen um das real Mögliche ist mit dem Ansatz der radikalen Kritik zu verbinden, um Nah- wie Fernpfade der Befreiung ausfindig zu machen. Die Vorstellung einer künftigen 'Einheit' mit der Natur fordert eine veränderte Wirklichkeit durch befreite Produktion und reintegrierte Phantasie. Es gibt durchaus reformerische Ansätze etwa seitens der WBGU, des wissenschaftlichen Umweltbeirats der Bundesregierung, welche die Verhältnisse aufhellen und mindestens ansatzweise verwirklichbar erscheinen lassen. Es sind Zeichen auf dem Weg zu einem neuen Naturverhältnis. Die Geschichte hat ein solches bislang nicht geliefert, auch und gerade nicht in den sozialistischen Ländern. 1843, in versteinerten Verhältnissen, schrieb Marx an Arnold Ruge: "Wenn ich nicht an ihr (der Gegenwart) verzweifle, so ist es nur ihre eigene verzweifelte Lage, die mich mit Hoffnung erfüllt." (MEW 1, 342).


Die Ausführungen stützen sich u.a. auf mein Buch "Monsieur le Capital und Madame la Terre. Blauer Planet im Würgegriff". Münster: Westfälisches Dampfboot 2015. Darin auch weiterfühende Literatur.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 204 - Sommer 2019, Seite 20 bis 23
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2020

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