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ARBEITERSTIMME/372: Bericht aus dem Vereinigten Königreich


Arbeiterstimme Nr. 200 - Sommer 2018
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Bericht aus dem Vereinigten Königreich


Am 4. Dezember zeigte das BBC-Programm Panorama die Sendung "Jihadis You Pay For" (Dschihadisten, die Sie bezahlen). Sie deckte auf, dass Hilfsgelder der britischen Regierung an islamische terroristische Gruppen in Syrien flossen. Zwei Jahre vorher hatte David Cameron dem Parlament erzählt, dass 70.000 "gemäßigte Rebellen" in Syrien unterstützt werden sollten. Damals sagten Journalisten, die Syrien gut kannten, dass das nicht wahr sei; die wenigen "gemäßigten" seien durchsetzt und dominiert von den Dschihadisten. Die Nusra Front (al-Qaida) erhielt Geld, ebenso die Freie Syrische Polizei, die wegen Hinrichtungen im Schnellverfahren und Folterungen beschuldigt wurde. Global Justice Now warnte, diese Affäre könnte "die Spitze des Eisbergs" sein, da diese Mittel an dubiose Projekte in 40 anderen Ländern gehen, darunter z.B. nach Bahrein, wo die Polizei trainiert wird, wie sie Demonstranten kontrollieren kann.

Journalisten, die in der Region leben oder häufig dorthin fahren wie Robert Fisk oder Patrick Cockburn, haben ständig vor dem Fantasiegemälde gewarnt, das die Regierung zeichnet und das von den meisten Medien kritiklos übernommen wird. Die unabhängige Journalistin Vanessa Beeley veröffentlichte ihren eigenen Account zwei Tage vor der Sendung in Panorama. Sie fand in Ost-Aleppo 2016/17, nachdem die "Rebellen" es verlassen hatten, Dokumente bei der Nusra Front, in Verwaltungsgebäuden von Ost-Aleppo und in Zentren der Weißhelme, welche zeigten, dass die Briten die Oppositionsstrukturen finanzierten. Diese drei Einheiten arbeiteten Seite an Seite; sie teilten oft dieselben Einrichtungen und Gebäude. Das berichten uns die Mainstream-Medien nicht, schrieb sie. Beeley fand Hinweise, dass die Weißhelme von "einigen der härtesten terroristischen Gruppen" angeführt werden. Sie erhielten 200 Millionen Pfund von der britischen Regierung. Der linke Journalist John Pilger beschrieb, dass die Mainstream-Medien über Syrien als ein "komplettes Propaganda-Konstrukt" berichteten. Man sollte sehr vorsichtig sein, Beschuldigungen an das Assad-Regime zu glauben; solche Sachen können konstruiert werden.

Die westlichen imperialistischen Mächte, unterstützt von ihren Verbündeten in den Golfstaaten, die ihre eigenen dschihadistischen Gruppen finanzieren, und von Israel, das mit Luftangriffen, Nachschub und medizinischer Versorgung hilft, betrachten den Sturz des Assad-Regimes als strategisches Ziel. Aber wegen der russischen Intervention haben sie dieses Ziel verfehlt. Das ist eine große Niederlage. Inzwischen glauben Experten, dass Israel sich auf einen neuen Krieg gegen den Libanon vorbereitet, um die Hisbollah zu vernichten, die ein Verbündeter des Iran ist, Israels Hauptfeind.

Der mysteriöse Angriff mit Nervengas auf einen früheren russischen Spion, der zu den Briten überlief, Skripal, und auch seine Tochter ansteckte, war ein Geschenk für Theresa May, mitten im Brexit und vielen anderen Problemen. Sie konnte dies nutzen, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, indem sie ein antirussisches Gefühl in der Art des Kalten Krieges entfachte. Das Nervengas war in einer zentralasiatischen Republik hergestellt worden, die nicht mehr unter russischer Herrschaft ist. Es könnte also von irgendwelchen Leuten genutzt worden sein. Experten fragten sich, warum das Putin-Regime einen Spion angreifen sollte, der Teil eines Gefangenenaustauschs gewesen war. May verhängte hastig eine Vielzahl von Sanktionen. Jeremy Corbyn forderte eine Untersuchung und Beweise, bevor man handelt. Er brachte die Forderung von Labour ein, sich mit den vielen hunderten russischen Oligarchen zu befassen, Freunden von Putin, die in schönen Häusern in London leben, keine Steuern zahlen, ihre Kinder in private Eliteschulen schicken, ihr Geld waschen, indem sie Immobilien kaufen und der Tory-Partei Geld spenden. Corbyn wurde von den Tory-Medien als Putin-Freund und Kommunist porträtiert, obwohl er ein Kritiker der sowjetischen autoritären Herrschaft gewesen ist. Außerdem ist Putin, ebenso wie das heutige Rußland, nicht kommunistisch.

Um Corbyn zu verleumden, behauptete ein früherer tschechoslowakischer Spion, dass dieser und zehn andere Labour-Abgeordnete tschechoslowakische Agenten gewesen seien. Er behauptete, Corbyn große Geldbeträge gegeben zu haben für teure Restaurants, in Unkenntnis von Corbyns spartanischer und vegetarischer Lebensweise. Nachforschungen in Prager Archiven widerlegten diese Erzählung.

Die Linksentwicklung in der Labour Party macht der herrschenden Klasse und ihren Freunden Sorgen. Das Exekutivkomitee von Labour wird jetzt von Unterstützern von Corbyn dominiert. Der rechte Generalsekretär, der alles in seiner Macht stehende unternahm, um Corbyn zu unterminieren, ist zurückgetreten. Die neue Generalsekretärin, Jenny Formby, eine regionale Funktionärin von UNITE, der größten Gewerkschaft, und eine Verbündete von Len McCluskey, der Hauptunterstützer von Corbyn, wurde vom Exekutivkomitee ausgewählt, nachdem sich Jon Lansman, der Gründer von Momentum, zurückzog. Die andere Kandidatin war auch eine linke Gewerkschaftsfunktionärin. Kezia Dugdale, die rechte Parteichefin von Labour in Schottland, trat zurück und ging nach Australien. Sie nahm dort an einer Realityshow im Fernsehen teil, bei der bekannte Leute im Dschungel leben und sich bizarren Herausforderungen stellen. Richard Leonard, ein linker Gewerkschaftsfunktionär, wurden ihrer Stelle gewählt. Nach ihrer Rückkehr begannen Dugdale und ihre Verbündeten, Leonard zu unterminieren. Carwyn Jones, der Vorsitzende von Labour in Wales, verläßt seinen Posten im Herbst. Der Linke Mark Drakeford hat schon die Unterstützung von Linken in Wales. Auch andere Rechte haben den Apparat von Labour verlassen, aber es arbeiten immer noch viele Feinde von Corbyn in der Partei.

Inzwischen geht der Versuch von Rechten und der Israel-Lobby weiter, die Labour Party als voll von Antisemiten darzustellen, die von Corbyn geduldet werden. Im März demonstrierten die rechten Vertreter von Juden in Großbritannien, unterstützt von Corbyns Feinden unter den Labour-Abgeordneten, vor dem Parlament, unter großer Beachtung in den Medien. Jewish Voice for Labour wies darauf hin, dass diese Vertreter nicht nur Netanjahu, die israelischen Siedler und Aktionen der israelischen Armee unterstützen, sondern auch die Partei der Tories und ihr in ihrer Krise helfen wollen. Ihrer Gegendemonstration wurde nicht die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt. Seitdem fahren Lastwagen in ganz London herum mit riesigen Plakaten, auf denen steht, dass Labour institutionell antisemitisch ist. Traditionell wurde Labour als Israel-freundlich und generell als antirassistisch gesehen - Rassisten gingen zu den Tories - aber mit den Angriffen von Israel auf den Gazastreifen, den Libanon und der Unterdrückung in den besetzten Gebieten und der Kolonisierung von palästinensischem Land kann eine jüngere Generation, die sich nicht des Holocaust bewußt ist, sondern nur sieht, wie Zivilisten geschlagen oder gar erschossen werden, manchmal eine Terminologie benutzen, die ganz klar antisemitisch ist, und unrichtige Generalisierungen über Juden als solche machen. Es ist offensichtlich, dass das inakzeptabel ist und angepackt werden muß. Aber es ist nur eine kleine Minderheit, die zu weit geht, wenn sie Israel und den Zionismus kritisiert. In der aktuellen Ausgabe des New Statesman steht ein Artikel von Len McCluskey, dem Führer von UNITE, in welchem er die Handvoll von Corbyn-Hassern unter den Labour-Abgeordneten kritisiert, die mit den Tories, der Israel-Lobby usw. zusammenarbeiten, um Labour als voller Antisemiten, Frauenhassern und Mackern darzustellen. Die Israel-Lobby fordert, dass Ken Livingstone, der linke Ex-OB von London, und Jackie Walker, die beide gegenwärtig suspendiert sind, von Labour ausgeschlossen werden. Livingstone hatte gesagt, dass Hitler ein Zionist war, bevor er überschnappte (nicht ganz richtig: Die Nazis favorisierten die Emigration von Juden nach Palästina, bevor sie die "Endlösung" in die Tat umsetzten; und die revisionistischen Zionisten waren im ideologischen Sinne faschistisch.). Walker ist schwarz und Jüdin; ihre Eltern wurden in der McCarthy-Zeit in den USA verfolgt, sie selbst ist eine linke Antizionistin. Wie bei Moshe Machover zielen die Zionisten und ihre Verbündeten auf antizionistische Juden. Tony Greenstein, sein Leben lang ein Linker und Antizionist, wurde kürzlich aus der Labour ausgeschlossen, ebenso am 27. April der schwarze antirassistische Aktivist Marc Wadsworth, trotz der Unterstützung von linken Labour-Abgeordneten und der Jewish Voice for Labour. Wadsworth hatte diejenigen Labour-Abgeordneten angeprangert, die Corbyn unterminiert hatten bei der Vorstellung des Reports von Chami Chakrabati über den Antisemitismus in der Labour-Party. Die Parlamentsabgeordnete Ruth Smeeth, die die US-Außenpolitik und Israel unterstützt, mit Geschäftsverbindungen in letzteres Land, rannte tränenüberströmt theatralisch hinaus und behauptete, Wadsworth sei ein Antisemit. Corbyn führt in der Labour-Partei nach Blair die Demokratie wieder ein; aber das ist ein langer Prozeß; die Rechte ist gut verwurzelt.

m.j. 30.4.18


Nachtrag

Wie wichtig gerade Israel in den Angelegenheiten des Mittleren Ostens ist, wird illustriert durch die Tatsache, dass Waffen im Wert von 320 Millionen Pfund seit dem Krieg 2014 in Gaza von Großbritannien dorthin exportiert wurden. Das ist zehnmal so viel als zuvor. Darin enthalten sind Teile der Gewehre der Scharfschützen, die von den israelischen Verteidigungsstreitkräften jüngst bei dem Beschuß von unbewaffneten Demonstranten auf der Gaza-Seite der Grenze eingesetzt wurden. General Zvika Fogel gab zu, dass die Streitkräfte absichtlich auf Kinder gezielt haben. Corbyn forderte eine unabhängige Untersuchung des Beschusses und prangerte das Töten und Verwunden von Menschen an, die lediglich nahe der Grenze protestiert hatten.

Am 3. Mai fanden lediglich in vielen Teilen Englands Kommunalwahlen statt, nicht im ganzen Vereinigten Königreich. Labour erzielte die meisten Gewinne, aber nicht so viel, wie erwartet werden war. Die Tories erlitten einige entscheidende Verluste. Sie hielten im Großen und Ganzen aber ihren Stimmenanteil, hauptsächlich wegen des totalen Zusammenbruches von UKIP, der Anti-EU-Partei, deren Wähler zu den Tories zurückkehrten. Labour schnitt in einigen Städten im Süden oder den Midlands nicht gut ab, wo der Anteil der Brexit-Befürworter sehr stark gewesen war. Während das Kabinett von May versucht, eine Lösung zu finden, können seine Pro- und Anti-Brexit-Mitglieder in Bezug auf die Handelspolitik gegenüber der EU übereinstimmen, so scheint sich Labour im Unklaren zu sein über die künftigen Beziehungen mit der EU. Deshalb sehen die Wähler, für die der Brexit das dringendste Problem ist, die Tories als die bessere Wahl an. Die Kampagne der Israel-Lobby, Labour als dem Antisemitismus zugeneigt darzustellen, hatte eine Auswirkung in den Teilen von London mit einer großen jüdischen Community wie auch in Teilen von anderen Städten wie Leeds, Liverpool und Manchester. Dies gab den Feinden von Corbyn eine neue Waffe, mit der sie die linke Führung angreifen können.

m.j. (7.5.18)

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 200 - Sommer 2018, Seite 20 bis 22
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2018

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