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ARBEITERSTIMME/349: Herbstwahl in Tschechien - Wird sie zur Wende?


Arbeiterstimme Nr. 195 - Frühjahr 2017
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Herbstwahl in Tschechien: Wird sie zur Wende?

von Štěpán Steiger


In der ersten Oktoberwoche wird in der Tschechischen Republik eine neue Abgeordnetenkammer gewählt. Eine reguläre Wahl, nach einer regulären vierjährigen Legislaturperiode. Und doch könnte sie zu einer Wende werden. Dies ergibt sich aus der Entwicklung der tschechischen Innenpolitik in den letzten Jahren.

Die bisherige Regierung wird von einem Sozialdemokraten geleitet, weil die SD Sieger der letzten Parlamentswahl wurde. Die zweitstärkste Partei jedoch entwickelte sich während der Zwischenjahre zur stärksten politischen Partei der R, wird mit Sicherheit die Herbstwahl gewinnen und so den politischen Kurs bestimmen.

Anfangs war es eine simple Aktivistengruppe mit dem einfachen Namen Aktion unzufriedener Bürger (im Tschechischen Akce nespokojenÝch občanů abgekürzt ANO). Ihr Gründungsvater ist ein Milliardär namens Andrej Babiš - in den Achtzigerjahren Mitglied er KP -, der "seine" Partei als eine "Partei der Rechten doch mit Sozialgefühl" charakterisiert hat. (Für deutsche Leser ist es nicht ohne Interesse, dass er in Deutschland zwei Firmen besitzt: die Grossbäckerei Lieken sowie das Chemieunternehmen SKW Peteritz.) Auf Anhieb wurde "seine" Partei - denn seiner Meinung nach soll der Staat wie eine Firma verwaltet werden - die zweitstärkste in der Wahl und Andrej Babié der populärste Parlamentarier. Man kann mit Sicherheit annehmen, dass auch seine Vorschläge, die er auf dem letzten Parteikongress (der über's Wochenende 25.-25.Februar tagte) vorgetragen hat, bei ziemlich vielen Wählern/Wählerinnen ankommen: mit der Betonung, dass viel Geld gespart werden konnte, schlug er die Zahl der Abgeordneten von 200 auf 101 zu reduzieren und den Senat überhaupt abzuschaffen. (Kritiker wiesen am nächsten Tag darauf, wie viele negativen Ergebnisse mögliche Verwirklichung dieser Vorschläge hätte - doch da weder die Abgeordneten noch die Senatoren populär sind, wird dieser Politiker gewiss weitere Stimmen für sich buchen.)

Aus dieser wohl flüchtigen Beschreibung kann man manche Schlüsse dieser Politik ziehen. Die Februardaten der neuesten Meinungsumfrage zeigen ausserdem, dass die Popularität der ANO-Partei weiter gestiegen ist - übrigens weisen dies alle Umfragen ohne Unterbrechung auf - und die der SD ziemlich stabil doch weit hinter der ANO zurückbleibt: das Verhältnis ist 31,5 gegen 20,0. Alle anderen Parteien sind nur noch schwächer - die KP sank von 14,91 auf 10,5%, die übrige, meistens klar rechtslastig, sind noch schwächer.

Aus dieser Aufstellung wagen wir folgenden Schluss zu ziehen: da nur im - unwahrscheinlichen - Fall, alle Parteien in der neuen Abgeordnetenkammer würden sich zusammenschliessen, könnte Andrej Babié verhindert werden Ministerpräsident zu werden. Mit 77 Abgeordneten wird seine Partei zweifellos genug Regierungspartner finden. Übrigens, weil - bisher - ein informelles Bündnis zwischen dem ANO-Parteiführer und dem Präsidenten existiert, scheint zumindest in diesem Moment der Weg zu einer politischen Wende in Tschechischen Republik klar vorgezeichnet.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 195 - Frühjahr 2017, Seite 10
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. August 2017

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