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ARBEITERSTIMME/347: Die Kommunalwahlen in Chile und das Abschneiden der Linken


Arbeiterstimme Nr. 194 - Winter 2016
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Die Kommunalwahlen in Chile und das Abschneiden der Linken


Zugewinne für alternative Kandidaturen bei Verlusten für die KP

Das politische Klima Chiles ist geprägt von der Gleichzeitigkeit einer massiven Entpolitisierung und einiger weniger hoch mobilisierter Sektoren. Diese Entpolitisierung war ein Ziel der Militärdiktatur. Seit ihrem Ende wird sie von den Konzernmedien weiter betrieben. Sie haben ein leichtes Spiel da die politische Kaste aus Sicht der Bevölkerung wenig zur Lösung ihrer Probleme beiträgt.

Dazu kommt eine nicht zu Überblickende Zahl von Korruptionsskandalen. Sie betreffen fast alle politischen Richtungen. Als Einzelner verliert man den Überblick ob Vorwürfe berechtigt sind oder die Massenmedien nur einer Person etwas ans Zeug flicken wollen.

Eine Rekordwahlenthaltung

Vor diesem Hintergrund wurden Ende Oktober die Wähler zu den Urnen gerufen. Unglaubliche 65,5% verzichteten auf die Teilnahme. Im Umkehrschluss haben weniger als 35% der Stimmberechtigten es unter sich ausgemacht, wie die lokalen Mandate zu Vergeben sind.

Die politische Landschaft Chiles ist geprägt durch zwei große politische Lager die sich im Kampf gegen das Militärregime, bzw. zu seiner Verteidigung, herausbildeten. Das von ihm hinterlassene binominale Wahlrecht hat die Parteien dazu gezwungen sich einem dieser Blöcke anzuschließen. Andernfalls verschwanden sie aus der öffentlichen Wahrnehmung. So erging es lange Zeit den Kommunisten bis sie vor ca. acht Jahren im Mitte-Links-Block aufgenommen wurden. Das bescherte ihnen nach vielen Jahren die ersten Parlamentssitze. Seit der letzten Präsidentenwahl sind sie sogar Teil der Regierungskoalition.

Eine Forderung der KP war die Abschaffung des Binominalismus. Das konnte letztes Jahr erreicht werden. Seitdem sind viele neue Parteien registriert worden. An dieser Wahl haben sich 29 Organisationen, zusammengeschlossen in 19 Bündnissen und Unterbündnissen, beteiligt. Darunter befinden sich auffallend viele Regionalisten.

Während auf der Ebene der Bürgermeister die alten Allianzen noch weitgehend stehen treten auf der Ebene der Stadträte die Kandidaten der traditionellen Blöcke auch schon gegen ihre nationalen Bündnispartner an. So wird die Nueva Mayoría (NM, Mitte-Links) hier von der Nueva Mayoría Para Chile (Christdemokraten, DC und Sozialisten) und der Nueva Mayoría Por Chile (Kommunisten und PPD, Partei für die Demokratie) vertreten. Auch die Rechte ist mit mehreren Listen an den Start gegangen. Daher gilt dieser Urnengang als Stimmungstest für die nationalen Wahlen im kommenden Jahr.

Stimmungsbarometer Kommunalwahl

Was zeigt das Barometer an? Das ist nur für die Kommunisten leicht zu beantworten, für sie ging es nach unten. Die Rechte sieht sich gestärkt da sie einige herausgehobene Bürgermeisterämter zurückerobern konnten. Das sie mit Valparaiso selber einen prominenten Ort abgeben musste unterschlägt sie. Für die NM ist die Niederlage in Santiago bitter. Carolina Tohá, die bisherige Amtsinhaberin, wird die Fähigkeit zugeschrieben einmal eine Präsidentschaftswahl gewinnen zu können. Der Weg dahin wäre mit einem Erfolg leichter gewesen.

Die linke Zeitschrift Punto Final meint an diesem Beispiel zeigen zu können, dass die Niederlage von Tohá die Folge der hohen Wahlenthaltung ist. Sie ist ausgeprägter bei den Schichten mit niedrigerem Einkommen wo sich die Hauptwählergruppen der NM befinden.

Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Schaut man sich die dortigen Zahlen genauer an, fallen einem die Werte der Sonstigen auf. In Prozenten gerechnet haben sie sich seit der letzten Wahl mehr als verdreifacht (5,4% auf 17,1%) und, wegen der niedrigeren Wahlbeteiligung, in Stimmen immer noch gut verdoppelt. Die stärkste Kraft unter den Kleinen ist mit 6,3% der Kandidat einer Ökologischen Liste. Da die weiteren Wahlvorschläge auch zur Mitte und der Linken gezählt werden können hätte sich bei einer Stichwahl vermutlich Tohá durchgesetzt. So zieht nun ein Rechter mit 46,8% ins Rathaus ein.

Wie sieht es bei den aussagekräftigeren Stadtratswahlen aus? Addiert man die lokalen Resultate zu einer Gesamtschau ergibt sich folgendes Bild. Die Parteien der Rechten haben knapp 315.000 Stimmen eingebüßt. Das hat ihnen aber zu einem plus von 0,17 Prozentpunkten auf jetzt 40,64% verholfen. Das brachte ihnen aber keine weiteren Mandate. Im Gegenteil, ihre Zahl verringerte sich von 967 auf 936. Aus diesem Lager ist noch berichtenswert, dass die rechtsradikale UDI ihre Position als stärkste Partei Chile an die RN abgeben musste.

Auf Seiten der Nueva Mayoría verliefen die Dinge umgekehrt. Sie hat Einbußen von knapp 495.000 Stimmen zu beklagen was ein Verlust von 2,23 Prozentpunkten bedeutet. Mit dem auf 47% abgesenkten Stimmanteil legte sie aber um 39 Mandate auf landesweit 1207 Sitze zu, ein Effekt der geringeren Wahlbeteiligung.

Die Verankerung der Christdemokraten verringerte sich um 225.224 auf jetzt 579.398 (12,75%) Voten, das macht ein Verlust von 2,32 Prozentpunkten aus. Mit diesen niedrigen Werten belegen sie aber weiterhin den 3. Platz im Ranking der Parteien, gefolgt von den Sozialisten mit 10,7%. Damit sind die Christdemokraten weiterhin die stärkste Kraft in der Regierungskoalition und sie leiten daraus Sonderrechte ab. Gleich nach der Wahl verlangten sie von der Präsidentin die weitere Einschränkung der Reformvorhaben.

Das Abschneiden der Kommunisten

Im Gegensatz zur NM erging es den Kommunisten. Sie machten sich Hoffnungen auf Zugewinne. Schließlich sind Veränderungen wie die Abschaffung des binominalen Wahlrechts das Ergebnis ihrer jahrelangen Arbeit. Doch es sollte anders kommen.

Der Stimmanteil der KP verminderte sich um 93.750 auf jetzt 248.312 Stimmen, das bedeutet einen Verlust von 0,93 Prozentpunkten auf jetzt 5,47%. Die Zahl der Sitze verringerte sich von 105 auf 80, das ist ein Verlust von fast 1/4 der Mandate. Die bürgerliche Tageszeitung La Tercera bezeichnet das als Schock für die Partei. Sie ist damit auf das Niveau von 2008 zurückgefallen. Damals entfielen auf das von der KP dominierte Bündnis Juntos Podemos Más 79 Sitze. Dieser Erfolg war der Grund für die Aufnahme der KP in das Mitte-Links-Bündnis.

Bei den kommunistischen Bürgermeistern ist die Lage verwirrend. Die linksalternative Zeitschrift El Ciudadano meldet ihr Absinken von vier auf drei. Dabei stützt sie sich auf die Zahlen der nationalen Wahlbehörde. Dagegen spricht La Tercera von 6 kommunistischen Amtsträgern. Sie zählt die Unabhängigen auf dem Ticket der KP dazu.

Diese Diskussion ist eigentlich überflüssig. Schließlich können Kommunisten diese Ämter nur mit Unterstützung der Anhänger der NM, also auch der Christdemokraten, besetzen. Die NM schickt für diesen Posten nur einen Bewerber ins Rennen, manchmal ist das auch ein Kommunist. Dieser muss über genügend Ansehen verfügen damit er auch vom rechten Flügel der NM gewählt wird.

Wie das im einzelnen läuft zeigt Recoleta. In diesem Stadtteil der Region Santiago konnte Daniel Jadue 1.873 Stimmen hinzu gewinnen. Das sicherte ihm die Wiederwahl mit jetzt 56,2%. Bei den Stadträten konnte die KP aber nur 31,1% einsammeln.

Im Gegensatz dazu verlief es in Pedro Aguirre Cerda, einer in der nähe liegenden Kommune. Die kommunistische Bürgermeisterin Claudina Núñez, sie leitete zwei Wahlperioden lang das Rathaus, musste sich mit nur 31,7% dem Unabhängigen Juan Rozas (47,56%) geschlagen geben.

Das könnte ein Indiz für eine falsche Bündnispolitik sein. Wahrscheinlicher ist aber eine konzertierte Aktion um den kommunistischen Einfluss in diesem Viertel einzudämmen. Hier liegt der Stimmkreis von Guillermo Teillier, dem Präsidenten der KP. Seine Wiederwahl wird nicht einfacher wenn die Unterstützung aus dem Rathaus fehlt.

Für diese Annahme spricht die Person des neuen Bürgermeisters. Vor 4 Jahren wurde er auf der Liste der PPD in den Stadtrat gewählt. Damit gehört er eigentlich zur NM. Es ist zu vermuten, dass er vom rechten Flügel dieser Allianz ins Rennen geschickt wurde um die rote Bastion zu schleifen. Vor diesem Hintergrund sind die 31,7% für Núñez ein gutes Ergebnis, besonders wenn man sie mit den 18,7% für die kommunistische Stadtratsliste vergleicht.

Was sind die Gründe für das schlechte Abschneiden der KP? Zuerst darf man nicht vergessen das die letzte Kommunalwahl kurz nach dem Höhepunkt der Studentenbewegung stattgefunden hat. Damit befand sich die KP im Aufwind. Heute gibt es ebenfalls soziale Bewegungen aber sie sind weit schwächer. Kürzlich wurde zu einem Aktionstag gegen die privaten Rentenversicherungen aufgerufen. Die knapp 100.000 Menschen die sich daran beteiligten entsprechen 1/10 der Teilnehmer des größten Mobilisierungserfolgs der Studentenbewegung.

Diese Studentenbewegung existiert immer noch. Sie hat aber an Kraft verloren. Die dort aktiven sind in ihrer Mehrheit, wie die letzten Wahlen zu Studentenvertretungen zeigen, nicht mehr der KP zugetan. Die Reformvorhaben der NM gehen ihnen nicht weit genug und dafür machen sie auch die Kommunisten verantwortlich. Die KP würde gerne mehr durchsetzen, aber dazu reicht ihre Kraft nicht aus, und mit dem Gegenwind durch die Kommunalwahlen wird das nicht besser.

Die KP vor einer Richtungsentscheidung?

Schon im August wurde die Analyse eines christdemokratischen Politikwissenschaftlers bekannt. Er hat auf Basis vergangener Resultate das Abschneiden der NM und der KP unter den Bedingungen des neuen Wahlgesetzes berechnet. Seine Schlussfolgerung lautet: Tritt die NM ohne die KP an verliert sie ein wenig. Zusammen mit der KP gewinnt sie aber nichts dazu. Bei einer Eigenkandidatur der KP kann diese 5 Mandate erzielen, 4 weniger als im Rahmen der NM. Daraus schließt der Politologe das die KP gezwungen ist in der NM zu bleiben. Er leitet daraus ab, dass die Kommunisten zu einem weniger reformorientierten Wahlprogramm genötigt werden können.

Es sieht so aus als wenn die KP damit vor eine Richtungsentscheidung gestellt wird. Mehr Zugeständnisse machen oder alleine, mit geringeren Möglichkeiten die Öffentlichkeit zu erreichen, weiter zu machen. Die Christdemokraten müssen aber aufpassen das sie sich nicht verrechnen. Sollte landesweit ein neuer Spieler auftreten werden die Karten neu gemischt. Das könnte die Sensation von Valparaiso ankündigen.

Die Sensation von Valparaíso

In dieser Hafenstadt mit seiner langen Linken Tradition hat ein Bündnis aus sozialen Bewegungen den rechten Amtsinhaber gestürzt. Zahlreiche linke Kollektive, aber ohne die KP, verabredeten einen gemeinsamen Kandidaten. Sie kürten ihn im Rahmen einer öffentlichen Vorwahl an der sich mehr als 5.000 Menschen beteiligten. Am Ende ging der junge Anwalt Jorge Sharp ins Rennen. Seine wichtigsten Gegner waren ein DJ und Musikproduzent von der NM und der Amtsinhaber. Am Ende ging Sharp mit unglaublichen 53,7% der Stimmen durchs Ziel.

Das interessante an diesem Ergebnis sind die beteiligten Gruppen, darunter ein Movimiento Autonomista. Auch der neue Rathauschef ist da eingeschrieben. Es sieht so aus als habe sich mit diesem Paukenschlag die linksradikale Strömung der Gesellschaft zurückgemeldet. Sie war nach 1990 so gut wie von der Bildfläche verschwunden. Diese Richtung, ihr Wiedererscheinen zeichnete sich seit ein paar Jahren ab, steht in der Tradition des linken Flügels der Sozialisten und des MIR. Diese Strömungen bereiteten der Regierung Allende massive Schwierigkeiten. Die Frage ist ob sie diesmal eine verantwortungsvollere Politik entwickeln wird.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 194 - Winter 2016, Seite 36 bis 38
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2017

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