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ARBEITERSTIMME/323: 70 Jahre atomare Bedrohung - Teil 2


Arbeiterstimme Nr. 190 - Winter 2015
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

70 Jahre atomare Bedrohung
Atomrüstung, Politik mit Atomwaffen, Kalter Krieg, Teil II


Atomenergie und Atomwaffen kleines Atom-ABC

Atomenergie und Atomwaffen stellen zwei Medaillenseiten der Nutzung der Kernspaltung dar, um eine große Menge Energie freizusetzen. Zwei Wege führen vereinfacht gesagt zur Atombombe (Uran-/Plutoniumbasis): Vom Uranabbau als Erz geht es zunächst über die Uranreingewinnung (Uranoxydpulver, "yellow cake") zur Urananreicherung als gemeinsame Grundvoraussetzung; von da geht es entweder direkt weiter zur Bombenherstellung und bei Einsatz zu Zerstörung, Fallout, Verseuchung/Strahlung etc. oder zum Atomreaktor; vom Atomreaktor wiederum führt der Weg über konventionelle Dampfturbinen zur Energieerzeugung und einer als Zwischenschritt zur Wiederaufbereitung (abgebrannte Brennstäbe); von der Wiederaufbereitung führt je ein Weg weiter wieder zur Bombe und/oder zum Atommüll (abgereicherte, noch immer strahlende Spaltprodukte); vom Reaktor führt ebenfalls ein Weg zum Atommüll in Zwischen- oder Endlagerung, verharmlosend auch "Entsorgung" genannt. Das Ganze stellt stark schematisiert die nukleare Kette dar. Es gibt keinen immer wieder fälschlich behaupteten Atom-Kreislauf, Fallout und Müll sind das unvermeidliche Ende der offenen Kette. Atombomben gibt es auf der Basis von Uran oder Plutonium (die erste Trinity-Testbombe und die Nagasaki-Bombe waren Plutoniumbomben). Das Problem bei der Urananreicherung ist die Frage nach der Menge angereicherten Materials und den dazu benutzten Verfahren. Dies war z. B. auch der entscheidende sachbezogene Aspekt im Streitfall bei den langwierigen politischen Verhandlungen mit dem Iran, die erst jüngst zu einem beiderseitigen Abkommen führten, das von Israel wie zu erwarten scharf kritisiert und abgelehnt wird.

Bei der Urananreicherung findet eine sog. Isotopentrennung statt; Atome bestehen aus einem Kern aus Protonen und Neutronen und einer Hülle aus Elektronen (verantw. vor allem für chem. Eigenschaften); es können sich Neutronen aus dem Kern frei setzen, dabei entstehen Isotope des selben Elements Uran mit identischen chemischen, aber z. T. sehr unterschiedlichen kernphysikalischen Eigenschaften; dies macht sich die Kernwaffen- und Reaktortechnik jeweils zu nutze; nur zu einem sehr geringen Prozentsatz von 0,7 kommt als Uran das Isotop U-235 vor, zu ca. 99,3 das Isotop U-238; als äußerst kettenreaktionsfreudig stellte sich nur das Isotop U-235 heraus, während das Isotop U-238 träge und reaktionsschwach bleibt, also nur schwer spaltbar ist und sich für Bombe oder Reaktor nicht eignet; für einen Reaktor bedarf es eines Anteils von 3-5 %, für eine Bombe ca. 90 % des Isotops U-235, um zu einer sog. kritischen Masse zu gelangen; der Anfall an gewünschten Isotopen wird durch Isotopentrennung erreicht bzw. erhöht, d. h. es wird Uran angereichert, wofür es zwei geläufige Verfahren gibt: die Gasdiffusion unter hohem Energieeinsatz in großen Anlagen und die Gaszentrifugierung mit etwa nur 1/50 an Energiebedarf der Diffusion; das langwierigere Zentrifugieren mit geringerem Ertrag ist gleichzeitig das billigere, Energie sparende Verfahren; man braucht also zu erhöhtem Ertrag ggfs. mehr zusammen gekoppelte Zentrifugen usw.; bereits hier entscheidet sich und lässt sich erkennen, ob es jemand in einem absehbaren Zeitraum "nur" auf eine Reaktor- oder aber (auch) die Bombennutzung abgesehen hat; für eine Bombe auf Uran-235 (od. dem anderen Spaltstoff Plutonium Pu-239) Basis braucht man in einer längs- oder kugelförmigen Anordnung zusätzlich zum spaltbaren Material eine herkömmliche Sprengladung TNT, für den Beschuss eine Neutronenquelle; durch die zusammen schießende Zündung des Sprengstoffs wird der Vorgang aktiviert, der über die kritische Masse zur unkontrollierten Kettenreaktion mit riesiger Energiefreisetzung führt; beim Reaktor ist das Prinzip das gleiche, nur wird hier die Kettenreaktion kontrolliert gehalten durch Kühlkreislauf und eine Leiter-, bzw. Steuerungssubstanz (Graphit, schweres Wasser etc.); der Reaktor darf sich nicht überhitzen und außer Kontrolle geraten, sonst kommt es zum Gau/Supergau (Kernschmelze, "China-Syndrom"). Die erst später entwickelte Wasserstoffbombe stellt eine kompliziertere Weiterentwicklung dieses Prinzips dar, die eine noch viel größere Sprengkraft und radioaktive Strahlung verursacht; wegen ihrer schieren Größe, des Gewichts und weiterer technischer Handicaps (z. B. Kühlvorgänge) galt sie lange als nur schwer handhab- vor allem aber nicht transportierbar; sehr vereinfacht gesprochen wird dabei in einer Anordnung eine A-Bombe mit einem Fusionssprengstoff aus kettenreaktiven Wasserstoffisotopen kombiniert und beides gegeneinander explosiv gezündet (Infos und Darstellung z. T. nach atomwaffenaz.info). Die Atombombentechnik, die sich hier schematisch noch relativ überschaubar ausnimmt, ist in Wirklichkeit ein hoch differenzierter und komplizierter Vorgang, an dem noch weitere chemische Stoffe, kombinierte technische Funktionsweisen und Zündmechanismen beteiligt sind, die im Lauf der Jahrzehnte immer weiter entwickelt wurden und zur Perfektion reiften. Atomwaffen brauchen heutzutage nicht mehr grundsätzlich neu entwickelt, sondern können durch Veränderung von Parametern (Festgrößen) "modernisiert, werden. D. h. ihre Einsatzdoktrin wird auf die aktuelle politische Lage ausgerichtet, ihre Technologie nach Bedarf an den neuesten Stand von Materialverwendung und Funktionsweise (Reichweite, Trägersystem, Treffgenauigkeit, Sprengkraft) modifiziert angepasst. Bei den Abkommen und Verträgen geht es zumeist nur um die Regulierung der Anzahl bzw. das Verbot von Systemen, z. B. von Mittelstreckenraketen. Weniger Waffen bedeutet in der Regel größere Effektivität des verbleibenden Potenzials.

Mit dem oben dargestellten einfachen Schema lässt sich im Grunde die ganze Atomreaktor- und Bombentechnik durch deklinieren und auch die unterschiedlichen Bedingungen und Voraussetzungen beim ersten Bau der Atombombe durch die USA und den Anstrengungen Nazi-Deutschlands, zu einem Atomreaktor zu gelangen, erklären und besser verstehen. So konnten die Deutschen unter erschwerenden äußeren Kriegsbedingungen, bei nur Minimaleinsatz an Technik und Personal, nachrangiger Staatspriorität der Forschung und Entwicklung gegenüber anderen "Geheimwaffen" und nur begrenzt verfügbaren Ausgangsmaterialien (Uran, Isotope, Schwerwasser) zu keiner fertigen Bombe gelangen und arbeiteten vorrangig ganz überwiegend an einem Reaktor (Uranbrenner). Die Amerikaner dagegen konnten dies alles anders und besser machen. Das militärisch straff geführte Manhatten-Projekt hatte oberste Staats geförderte Priorität. Man konnte weitab in der Gebirgswüste New Mexicos und anderswo ungestört arbeiten. Man tat dies insgesamt in einem gigantischen industriellen Ausmaß mit genügend vorhandenem Uran/Plutonium bei der Anreicherung und Isotopentrennung etc. mit weit über hunderttausend beteiligten Menschen und am Ende Kosten von über 2 Mrd. Dollar (nach heutiger Valuta über 20 Mrd. USD). Und man hatte mit den viermotorigen B 29-Bombern "Superfestung" leistungsfähige Langstreckenflugzeuge mit großer Reichweite und Tragkraft, während deutsche Raketenentwickler in Fortsetzung der V2 bereits an Plänen für eine Interkontinentalrakete mit Nuklearsprengsatz arbeiteten, wozu es aber bis Kriegsende nicht mehr kam (siehe dazu Arbeiterstimme Nr. 187).

Deutsche Atompolitik ab 1955

"Wer meint, ohne Atomenergie auskommen zu können, ist entweder ein hoffnungsloser Ignorant oder Demagoge", bemerkte der ab 1955 nur kurze Zeit im Amt befindliche erste deutsche Atomminister Franz Josef Strauß (CSU). Zum Atomsperrvertrag verstieg sich der Atom-"Lobbyist im Staatsamt" (Süddeutsche Zeitung, 2008) sogar später zu der Ansicht, "das ist ein neues Versailles, und zwar eines von kosmischen Ausmaßen". Otto Hahn, der Entdecker der Kernspaltung noch vor dem Krieg, wandte sich 1956 in einem Fernsehinterview gegen zuviel Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber der friedlichen Atomenergie. Auf dem SPD-Parteitag 1956 war die Rede vom "Urfeuer des Universums" als Segen auch für unterentwickelte Länder. In der Präambel des Godesberger Programms 1959 wird es als "Hoffnung dieser Zeit" angesehen, "dass, der Mensch im atomaren Zeitalter sein Leben erheblich von Sorgen befreien und Wohlstand für alle schaffen kann, wenn er seine täglich wachsende Macht über die Naturkräfte nur für friedliche Zwecke einsetzt". Für die sich gerne als Fortschrittspartei ausgebende SPD stellte die Atomkraft ein Mittel zur Überwindung sozialer und gesellschaftlicher Konflikte (!) dar, während Adenauer auf einer Pressekonferenz im April 1957 verharmlosend "taktische Atomwaffen nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie" nannte. Es wurde von Politik und Zivilschutz-Behörden (früher ziviler Bevölkerungs- und Gebäudeschutz) der Glaube genährt, durch einfache improvisierte Schutzmaßnahmen wie Schildkröten artiges "Duck & Cover" (ducken und bedecken) und staatlich propagierten und geförderten privaten Schutzraumbau im Keller des schmucken Eigenheims den Wirkungen eines Atomschlags entkommen zu können. Für die Regierenden und ihr administratives Dienstpersonal gab es wie in zwei ehemaligen Eisenbahntunneln der Eifel nahe Bonn ("Dienststelle Marienthal") in West und Ost "atomsichere" Bunker mit bis zu 60 Tagen Überlebensfrist unter Tage und Platz für max. dreitausend Mitarbeiter. Und dann?

Ein schier unglaublicher naiver Fortschrittsmythos knüpfte sich an die gepriesenen "Segnungen" der Atomenergie. Man dachte an Mini-Reaktoren als Heizungen für Wohnhäuser, an atomare Flugzeug- und Lokomotivantriebe, an gewaltige Erdaushubarbeiten mittels Atomexplosionen, an nuklear betriebene Entsalzungsanlagen zur Bewässerung der Wüsten, an Meteoritenabwehr mit Atomraketen, und - an die nutzbringende Erwärmung mittels Atomenergie der Polargebiete (!). Handelsschiffe wie die deutsche 'Otto Hahn' wurden als Prototyp mit Reaktorantrieb entwickelt. Übrigens so gut wie die einzige atomare Antriebsnutzung, die sich außer bei Kraft strotzenden arktischen Eisbrechern im Bereich von Kriegsmarinen realisieren sollte. Das einzige deutsche Reaktorschiff wurde nach wenigen Jahren wegen Unrentabilität stillgelegt. Schon 1951 forderte der ehemals führende Physiker des Nazi-Uranprojekts, Werner Heisenberg, den baldigen Einstieg in die atomare Energienutzung und trat für München als zentralen Standort künftiger Kernenergieforschung ein, um sich damit vielleicht auch gleich als deren möglicher Leiter zu empfehlen. Als Adenauer sich für Karlsruhe entschied (weil er Heisenberg misstraute), verlor dieser sein Interesse daran und zog sich aus der Reaktorforschung zurück. Unter der Federführung der Deutschen Atomkommission (DAtK) entstand das erste deutsche zivile Atomversuchsprogramm nach dem Krieg zu zivilen Zwecken an den beiden Standorten Karlsruhe und Jülich. Es mag verwundern, aber nicht die Industrie, die eher bremste, sondern der Staat übernahm in der BRD die Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Kernforschung. Millionen DM - damals noch viel Geld - flossen in Forschungsprogramme und Risikobeteiligung. Schon 1957 stand das erste deutsche Nachkriegs-Atomprogramm, "Eltviller Programm" oder auch "500 Megawatt-Programm" genannt, das den Bau von 5 Atomkraftwerken von je 100 Megawatt Leistung vorsah. Auch Bayern erhielt noch sein erstes, markant in den blau-weißen Himmel empor ragendes Kernkraftsymbol, das "Garchinger Atomei" (Forschungsreaktor München I), das es sogar bis zur Verewigung im Stadtwappen brachte. Im Jahr 2000 still gelegt bzw. ersetzt durch den neuen FRM II im Betrieb seit 2004.

Atomenergienutzungs-Wahn

Es war noch ein weiter zäher Weg des Protests, zivilen Ungehorsams und langsamen Bohrens politischer Bretter bis zu einem radikalen öffentlichen Meinungs- und politischen Entscheidungsumschwung für einen Atomenergieausstieg Deutschlands im "Schneckengang" (Jochen Stay, Gorlebenaktivist) bis zum Jahr 2022. Bislang wurden von den 17 vorhandenen AKWs neun abgeschaltet, bis 2019 sollen zwei weitere folgen und die letzten größeren sechs gehen 2021/22 vom Netz. Die bestehenden Forschungsreaktoren sollen ungeachtet dessen weiter im Betrieb bleiben. Man hält sich die Atomoption bewusst offen. Vor dem Hintergrund des Kernkraftwerksgaus von Fukushima 2011 ad hoc parlamentarisch beschlossen ausgerechnet von seinen langjährigen, hartnäckigsten christlich-liberalen Gegnern, die sich den Atomausstieg nicht als Verdienst anrechnen können. Zuvor führte der Widerstand gegen AKWs über inzwischen schon legendäre Stationen: Wyhl am Kaiserstuhl Mitte der 70er Jahre ("Nai hämmer gsait"), die zahlreichen Auseinandersetzungen und Massendemos an AKW-Bauplätzen, Brokdorf an der Unterelbe, Grohnde an der Weser usw., Stromboykott, gesprengte Strommasten (die Südtiroler Aktionsform), Freie Republik Wendland bei Gorleben, Wackersdorf/Oberpfalz (WAAhnsinn), das auf dem Schleichweg der nuklearen Kette einen bombenfähigen Plutoniumanfall geliefert hätte, die Castor-Blockaden (x-tausendmal quer) - um nur an einige markante Ereignisse und Protestformen zu erinnern. Viele daran Beteiligte haben dadurch und daraus gelernt, sich politisiert, sind alternativ aus dem Energie- und Konsumwahn "ausgestiegen", gründeten Öko-Kommunen, Ökodörfer usw. Andere einstige GegnerInnen wurden darüber parlamentarisiert und systemintegriert. Dies mag an dieser Stelle als Darstellung des Geists der Anfangs- und Protestjahre genügen, zu Weiterem sei auf einschlägige kritische Studien verwiesen (Robert Jungk, Holger Strohm; siehe Literaturliste).

Die von dem marxistischen Theoretiker August Thalheimer noch festgestellte "Doppelnatur" der Atomkraft in Form von zivilem Energielieferanten und militärischer Waffenkomponente, erhält aus heutiger Sicht eine weitere Doppelnatur durch die zusätzlich darin angelegte zerstörerische Wirkung ungebändigter Radioaktivität und ungeklärter, ungesicherter Entsorgung radioaktiven Mülls allein schon als Folge der zivilen Energiegewinnung. Atomenergie scheint unter diesen Aspekten überhaupt nur unzureichend bis gar nicht technisch beherrschbar zu sein wie die Beispiele bis zum GAU havarierter Atommeiler im englischen Windscale 1957, Harrisburg/USA 1979 (Three Mile Island), Tschernobyl/SU 1986 und Fukushima/Japan 2011 zeigen, von den frühen schlimmen Atomunfällen in der SU ganz zu schweigen, bei denen Tausende verseucht wurden und starben und riesige Areale verstrahlter "verbotener Zonen" hinterließen. Eine Technologie, die gegen Naturkatastrophen und menschliches wie funktionelles Versagen nicht gebührend gefeit ist und geschützt werden kann und deren Abfallprodukte auf Jahrtausende gelagert gefährlich strahlenaktiv bleiben, ist für humane Zwecke schlicht unbrauchbar, weil lebensgefährdend und lebenszerstörerisch. Radioaktive Strahlung in hoher Akut- wie niederer Dauerdosis greift im Kern direkt die biologische Widerstandsfähigkeit und Lebenskraft von Mensch, Natur und Kreatur an, tötet Körperzellen und wirkt unmittelbar destruktiv auf die genetische Erbsubstanz ein. Die Nuklearmedizin zur Krebsbehandlung bewegt sich hier auf einem zwiespältigen schmalen Grad und wird zunehmend ergänzt/ersetzt durch punktgenaue Lasertechnik. Dabei trat man ursprünglich bei der zivilen Nutzung noch mit großer Zuversicht an, über eine schier unerschöpfliche günstige Energiequelle für alle Zukunft zu verfügen, Hoffnungen, die sich mit den erwähnten folgenschweren Unfällen für jedermensch offensichtlich als trügerisch und unbegründet erwiesen haben. Auch die unter dem Aspekt des großen Nutzens für einen sozialistischen Energiesektor in den Ostblockländern stark geförderte "zivile" Seite der Atomverwertung erwies sich als Trugschluss. Die zahllosen bis heute stillgelegten Atomruinen sind stumme strahlende Zeugen dieses Fehlkalküls.

Das Atomkarussell - Informanten, Schlüsselfiguren

Die Geschichte des Atomdilemmas ist vor allem eine seiner militärischen Seite und Natur. Man Versteht die Atomrüstung nicht ohne Kenntnis der Geschichte der Verbreitung des Wissens um den Bau von Atomwaffen. Diese ist eine Abfolge von geheimen Absprachen, Umwegen, gezielter Spionage, persönlich verwickeltem Offenbarungshandeln, des Diebstahls geheimer Informationen und ihrer Weitergabe. Daran beteiligt sind neben Einzelpersonen Regierungen, Verbündete und einflussreiche Spionage-Netzwerke mit ihren weit gezogenen Machtfäden und Operationsdrehscheiben wie etwa der aserbaidschanischen Erdöl-Metropole Baku am Kaspischen Meer. Baku war und ist geradezu ein Zentrum für den Transit von Spionen und Gütern der Atomspionage auch in den nicht weit entfernten Irak und Iran. Nicht selten spielten dabei eine Verflechtung von Prestige, Geltungsbedürfnis, Machtwillen und natürlich auch finanzielle Erwägungen eine bestimmende Rolle. Die weder von Atomkontroll-Kommissionen noch von geheimen Abwehrdiensten völlig kontrollierbaren, geschweige denn zu unterbindenden Vorgänge stellen ein zentrales chaotisches Element des nuklearen Regimes dar. Eher untypisch ist dabei das Beispiel der an die UdSSR weiter gegebenen Einzelheiten des Manhatten-Projekts zum Bau der US-Atombomben 'Little Boy' und 'Fat Man'. Ohne diese hätte es wohl erst 5-6 Jahre später eine russische Bombe gegeben. Darin mit antifaschistischen Motiven maßgeblich verwickelt war der bereits erwähnte junge deutsche Exilant und Physiker Klaus Fuchs (1911-1988). Er gelangte als von den Nazis verfolgtes KPD-Mitglied 1933 über seine Flucht nach England schließlich in die USA und erhielt im Atomlabor von Los Alamos engsten Zugang zur atomaren Hexenküche der Amerikaner. Damit wurde er zu einem der wichtigsten Geheimnisträger und dann für die Sowjets Informanten (mit gewissem geistigem Eigentumsrecht) der Baupläne und Funktionsweise der zweiten über Nagasaki abgeworfenen Plutonium-Bombe. Auch Theodore Hall, der jüngste Physiker in Los Alamos, wurde zum "Geheimnisverräter" wichtiger Basisdaten der A-Bombe an die Sowjets. Im Gegensatz zu Hall, dem obwohl verdächtig die USA nie nachweislich auf die Schliche kamen, wurde Klaus Fuchs zurück in England 1950 enttarnt, angeklagt und zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt, die er an mehreren Orten absaß. 1959 wurde ihm im üblichen Verfahren der Rest der Strafe erlassen und er kam vorzeitig frei. Er ging in die DDR, wo auch seine Familie lebte und er u. a. an der Universität Dresden Physikdozent wurde. Dort kam es im Studierbetrieb auch zum Kontakt mit chinesischen Studenten und persönlich zur Begegnung mit einem offensichtlich gelehrigen Gesprächspartner und engen Beteiligten am chinesischen Atomprogramm. Man darf mutmaßen, was und wie viel über diesen Austausch noch an brauchbarem, inzwischen etwas veraltetem Atombombenwissen Fuchs' nach China gelangt sein könnte. Chinesische Besucher kamen auch nach Dresden-Rossendorf, wo sich ab 1956 das DDR-Kernforschungszentrum (heute Helmholtz-Zentrum) mit einem 10 Megawatt-Forschungsreaktor befand. Klaus Fuchs war dort bis 1974 stellvertretender Direktor. Noch vor ihrem historischen Ende stellte die DDR ihr Atom-Programm wegen zu hoher Kosten ein und verlegte sich völlig auf die Nutzung der Kohle als im eigenen Land reichlich vorhandenem Energieträger mit allen Negativaspekten für die Umwelt und Gesundheit der Menschen.

Inwiefern man der Einschätzung zustimmen kann, dass das Verhalten von Klaus Fuchs zur Herstellung eines "atomaren Patts" zwischen den beiden großen Weltatommächten USA und SU ein wichtiger Beitrag zur Atomkriegsverhinderung war, bleibt dahin gestellt. Die Spirale des nuklearen Wettrüstens konnte dadurch freilich nicht aufgehalten oder gebannt werden, sondern kam so erst richtig in Gang und verstärkte diese Kriegsgefahr noch. Weitere Atommächte kamen sogar noch hinzu. 2003 und 2011 fanden unter dem Leitbegriff des Gedenkens an Klaus Fuchs zwei interessante Tagungen zur ethischen Verantwortung des Wissenschaftlers und zu Person und Lebenswerk des aus einer religiös-sozialistischen Quäkerfamilie stammenden Fuchs statt. Abgehalten wurden sie von der Berliner Leibniz-Sozietät und in ihren Abhandlungen als Band 21 und 32 dokumentiert (Hrsg. Günter Flach/Klaus Fuchs-Kittowski; trafo Wissenschaftsverlag Berlin). Deren Ergebnisse sowie eine neuere Fuchs-Biografie von Ronald Friedmann (Der Mann, der kein Spion war, 2005) werfen ein weit differenzierteres, aufklärendes Licht auf diesen Fall, als dass dies unter pauschalen Kategorien wie "Spionage" oder "Verrat" angemessen geleistet werden könnte.

China nutzte ohnehin bausteinartig alle möglichen sich ihm erschließenden Quellen, nachdem die SU sich ab Ende der 50er Jahre von den radikalen Weltrevolutionsvorstellungen Mao Tse-tungs befremdet abzuwenden begann (Auseinandersetzung um die "Generallinie"). Sie zog ihre atomtechnischen Berater ab und blockte zunehmend in der Frage atomarer Logistikhilfe. Chruschtschow hielt Maos weltpolitische Vorstellungen nach einem letzten Peking-Besuch 1958 sogar für etwas übergeschnappt. Die von Russland gelieferten nuklearen Pläne und Reaktorversuchsaggregate funktionierten nicht. Nach der Erfahrung atomarer Wehrlosigkeit im Koreakrieg hatte China ab 1955 sein Atomforschungsprogramm aufgenommen. Es gab noch eine weitere sichere Informationsquelle der Chinesen direkt aus den USA: Joan Hinton (gest. 2010), ebenfalls Physikerin und eine der wenigen Wissenschaftlerinnen in Los Alamos, war schon 1942 am Bau des ersten Fermi-Atommeilers in Chicago beteiligt und hatte am Trinity-Versuchstest im Juli 1945 teilgenommen. Auch sie war Kommunistin und der Ansicht, dass nicht nur der Westen über das innerste Atomwissen verfügen sollte. 1949 übersiedelte die überzeugte Mao-Bewunderin nach China, nahm dort Kontakt zur neuen Regierung auf. Sie dürfte vermutlich für eine ganze Weile mit zur wichtigsten Informantin für die chinesischen Atombombenlaboranten gehört haben.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges geriet noch ein brisanter Fund direkt in die Hände der Amerikaner. Japan, das seit 1941 unter dem Atomphysiker J. Nishina an einem eigenen Atomforschungsprogramm arbeitete, hatte Nazi-Deutschland nach Zerstörung seiner im Endaufbau befindlichen Reaktor-Anlagen beim Luftangriff auf Tokio im März '45 um Unterstützung gebeten. Mit wichtigen nuklearen Bau- und Funktionsplänen und beladen mit komplett fertigen Flugzeug- und Raketenbauteilen für eine Me-262 und V2 sowie 560 kg Uranoxyd war das deutsche Langstrecken-U-Boot 234 kurz vor Kriegsende noch nach Japan aufgebrochen. Als die Nachricht der deutschen Kapitulation das Boot erreichte, ergab man sich den verfolgenden Amerikanern ohne das Boot zu versenken. So gelangte neben dem etwa gleichzeitigen Fund des Heisenberg-Reaktors in Süddeutschland durch die ALSOS-Mission das Uran und zusätzlich detailreiches Wissen über den Stand der deutschen nuklearen Kriegsforschung in amerikanischen Besitz. Das Uran aus den tschechischen Joachimsthal-Minen wurde geprüft und in die Urananreicherungsanlage nach Oak Ridge gebracht. Von dort gelangte es gegen Ende Juli nach Los Alamos. Das daraus gewonnene ca. 1/2 kg waffenfähige U-235 reichte zwar nicht für eine Bombe aus, machte aber einen bedeutenden Anteil an der Sprengladung der Hiroshima-Bombe aus. Major John Landscale, der leitende Sicherheitsoffizier des Manhatten-Projekts, bezeichnete die aufgebrachte Uranladung als "Gottesgeschenk zur rechten Zeit am rechten Ort". Das Uran der Nazis, das den Japanern für ihre eigenen Atombombenpläne dienen sollte, wurde nun in den Händen der USA gegen diese selbst verwandt.

Das Karussell drehte sich weiter

Die Verbreitungsstory der Atomgeheimnisse hat eine kriminelle Fortsetzung mit Protagonisten und schillernden Schlüsselgestalten, die das Karussell am Laufen hielten und mit brisanten Informationsgütern und hoch sensiblen Forschungsergebnissen bestückten. Nur sind dabei weit weniger noch hehre Motive der Weitergabe zum paritätischen Wissensausgleich im Spiel. Einer, der davon mit Abstand am meisten umsetzte und daran verdiente, ist der pakistanische Atomingenieur Abdul Qadir Khan und sein weit verzweigtes Netzwerk von Verbindungsleuten und konspirativen Kontakten. Khan gilt als wichtigster Blaupausenlieferant für die Konstruktion der erstmals im Mai 1998 gezündeten pakistanischen Atombombe (Khan Research Laboratories). Er war nicht nur skrupelloser Wissensspion in geheimen europäischen Atomforschungsanlagen, sondern auch ein ausgebuffter Händler mit allem was an Begehrtem auf dem illegalen Atommarkt zu haben war an Dokumenten, Plänen und sogar technischen Einzelteilen zum Bau von Atomanlagen und -bomben. Er stellte lange die große undichte Stelle dar. Hier haben wir es mit einem Transfer von West nach Ost zu tun und es kam dabei erstmals die islamische Karte mit ins Spiel. Im Mai 1974 hatte das Entwicklungsland Indien in der westlichen Wüstenregion von Thar im Bundesstaat Rajasthan nahe der pakistanischen Grenze seine erste A-Bombe "Smiling Buddha" (lächelnder Buddha) gezündet. Sein ziviles Atomprogramm, aus dem es dann sein angereichertes Bombenmaterial bezog, begann schon Ende der 1950er Jahre und konnte besonders von technologischen Transfers aus Kanada und den USA profitieren. Neben China muss man Indien, das den Atomsperrvertrag nie unterzeichnete, inzwischen als die aufstrebendste Atommacht in Südostasien bezeichnen mit schlagkräftigen, eigen entwickelten Komponenten modernsten Standards zu Luft, Land und Wasser. Indiens heute mutmaßlich um die 100 Atomsprengköpfe sind, außer dass sie auch gegen China gerichtet werden könnten, vorrangig als Warnung an die Adresse des islamischen Erzfeindes gedacht, der sich bald nach Indiens Unabhängigkeit 1947 in einem blutigen Bürgerkrieg vom Kernland in ein West- und Ostpakistan (heute Bangladesch) abgespalten hatte. Die politische Motivation für sein Handeln bezog unser Protagonist Khan zuerst noch aus patriotischen Vergeltungserwägungen. 1971 war es in Pakistan erneut zum Bürgerkrieg gekommen, in dem Indien die aufständische Seite unterstützt hatte. Für Khan wurde dies zum Fanal, seinem Land einen großen Dienst zu erweisen. Er hatte bereits an holländischen technischen Universitäten studiert. Von 1972 bis 1976 war er in hoch modernen niederländischen nuklearen Zentrifugierungsanlagen als Techniker beschäftigt, wodurch sich ihm unkontrollierte Gelegenheiten für Zugänge zu geheimsten Abteilungen und Informationen eröffneten. Durch ihn gelangte atomares Know how nicht nur in sein eigenes Land, sondern auch weiter in den Iran, nach Libyen und Nordkorea. Von sich behauptete er stets, nicht aus materiellen Motiven gehandelt zu haben. Heute lebt er als Privatier in einem mondänen Villenvorort der pakistanischen Hauptstadt Islamabad.

Atom-Deals, Verträge, Abkommen

Hier ist nicht der Platz, um über alle verhandelten Verträge und Abkommen zur Atomwaffenbegrenzung und -abbau im Detail zu schreiben (siehe Übersicht in folgender Tabelle). Zum Übrigen muss der Verweis auf die am Ende genannten Quellen und Literatur genügen. Es gab im Laufe der Jahre und Jahrzehnte mit Atomsperrvertrag, ABM, INF, Start-I/-II usw. mehrere Stationen und Entwicklungsschritte in diesem komplexen Prozess von Diplomatie, Konflikt und Vermittlung. Dabei gab es echte Versuche zu handeln und verhandeln und solche, die nur dem Anschein und der Täuschung dienten, was zum Vabanquespiel im Atomdilemma gehört. So befinden wir uns derzeit eher wieder in einer sehr unsicheren Phase, wie die Vertragswerke von früher noch weiter Bestand haben können, da sich faktisch eine neue allgemeine strategisch-technische "Modernisierung" bei Atomwaffen und ihrer Drohszenarien abzeichnet.

Der vielleicht fehl geschlagenste frühe Versuch zur Begrenzung/Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen war das Prinzip "Atoms for Peace" (Atomtechnik für Frieden). AFP basierte auf der gleichnamigen UN-Vollversammlungs-Rede des US-Präsidenten Eisenhower am 8.12.1953, also unmittelbar nach Ende des Koreakriegs. Die Vorstellung war, interessierten Ländern die friedliche Nutzung von Nukleartechnik zur elektrischen Energiegewinnung und Verwendung in der Medizin und wissenschaftlichen Forschung gegen ihren freiwilligen Atomwaffenverzicht anzubieten. Unter dem Dach der dann am 29.7.1957 in Wien gegründeten Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) sollte eine sichere und friedliche Nutzung des radioaktiven Materials und der dazugehörigen Technologie gewährleistet werden. Es ist schon fast ein Hohn und schlechter Scherz, wenn solche Vorschläge von Seiten derer kamen, die sich wie die USA zur gleichen Zeit in einer Hochphase ihrer eigenen eskalierenden Atombombenentwicklung befanden. Das Ganze bekam schnell den Ruch, lediglich dazu zu dienen, sich mit Hilfe von AFP lästige neue Atomkonkurrenten verbindlich vom Leib zu halten und deren absehbares Emporkommen zu verhindern. Zwar hat die IAEA den Fehlschlag des Unternehmens als wichtige übernationale Kontrollinstanz überlebt, aber sie kann nur dort wirksam zu. Kontrollzwecken vorstellig und ggfs. fündig werden, wenn ein Land ihr auch den Zutritt zu eigenen zivilen Atomprojekten etc. gestattet. Das erwies sich besonders als schwierig in den Fällen des Irak und Iran, die beide mit Hinhaltetechniken immer wieder gesetzte Fristen unterliefen und Verhandlungslücken ausnutzten. Kurzum, bestimmte Länder an der Atomschwelle, die heute zu den kleineren Atomenergie nutzenden Ländern gehören, besorgten sich über AFP zeitweilig das nötige Wissen für die zivile Nutzung der Atomspaltung und gelangten so legal in die Lage, damit auch für sich die Straße zur Bombe jederzeit weiter öffnen und verbreitern zu können. Auch Israel verstand es geschickt, AFP für sich früh zu nutzen, obwohl man von vorne herein vor allem daran interessiert war, darüber an indirektes Know-how für die Atomwaffe zu gelangen. Die USA und andere westliche Atomverbündete wussten das und gaben z. T. über verzweigte Wege dennoch "Atome" für nicht garantierten "Frieden" weiter. Plötzlich forschte eine ganze Reihe neuer Länder wie Südafrika, Brasilien, Argentinien, Nationalchina, Saudi-Arabien am kombinierten Energie-Bomben-Pool. AFP war ein Teil des zwischenstaatlichen Atomkarussells geworden und hatte sich in sein genaues Gegenteil verkehrt.

Koreakrieg, Kubakrise, Vietnam

Bereits im Koreakrieg (1950-1953), dem ersten großen "heißen Krieg" in der neuen Ära des sog. Kalten Krieges, wurde von US-Seite erneut der Einsatz von strategischen Atomwaffen ernsthaft erwogen. Gerade erst war die UdSSR zur zweiten Atommacht geworden, doch die USA fühlten sich dagegen technologisch dennoch weit im Vorteil. Wenn, so die Ansicht eines Teils führender US-Militärs im Pentagon, dann sollte jetzt dieser Vorteil entscheidend genutzt werden, um "reinen Tisch" mit Sowjets und Rotchina zu machen. Wissenschaftler wie Edward Teller und Technikspezialisten bastelten bereits erfolgreich an der Entwicklung der noch weitaus zerstörerischen US-Wasserstoffbombe und man verfügte anders als die SU bereits über ein ganzes Arsenal von im Pazifik getesteten Atombomben unterschiedlicher Bau- und Wirkungsart. Unterstützt von Hunderttausenden von "Freiwilligen" der regulären rotchinesischen Streitkräfte und logistischer SU-Militärhilfe vor allem in der Luft durch Einsätze von MIG-Staffeln mit russischen Piloten, konnte die anfänglich überlegen auftretende nordkoreanische Offensive schnell bis weit in den Süden Vorrücken und Gebiete besetzen. Angesichts dieser massiven Übermacht drohte im anfänglichen Verlauf 1950 die unter "freiheitlichem" UN-Deckmantel angeführte "Polizeiaktion" ohne Kriegserklärung der USA gegen die "Ausbreitung des Weltkommunismus" zu scheitern. Die UN-Streitmacht war nahe daran, bis auf einen letzten US-Brückenkopf an der Küste die südliche Koreahalbinsel vollends aufzugeben. Wenn man so will, kann man das als den Auftakt zu einem "dritten Weltkrieg" auf Raten werten. Die US-Präsidenten Truman und dann Eisenhower, selbst General a. D. und einstiger Oberbefehlshaber der US-Invasionstruppen im Zweiten Weltkrieg in Europa, und seine im Pazifikkrieg erfahrenen Generäle wie MacArthur entschieden sich entgegen ihren eigenen ersten Erwägungen jedoch nicht für einen Atomschlag. Neben der Flächenbombardierung des koreanischen Nordens durch die US-Luftwaffe ermöglichte die Rückgewinnung der "strategischen Luftüberlegenheit", die die USA für alle Zeiten bis heute im Koreakrieg begründeten und ihr massiver Material- und Streitkräfteeinsatz es der alliierten westlichen UN-Streitmacht, den status quo ante des als Ergebnis des Zweiten Weltkriegs geteilten Landes wieder herzustellen. Man drang nun 1951 sogar selbst entgegen der UN-Resolution tief in den kommunistischen Norden gebietsweise bis zur chinesischen Grenze vor. Am Ende nach dessen erneuter Gegenoffensive bewegte sich die Front in einem verlustreichen Monate langen Stellungskrieg etwa um die Linie des 38. Breitengrads, der damit zur Marke der späteren Waffenstillstands-Linie bis heute wurde. Gewonnen war damit für beide Seiten im Grunde nichts. Insgesamt verloren auf den Schlachtfeldern und bei Flächenbombardements in Stadt und Land nahezu 4,5 Mio. Soldaten und Zivilisten auf beiden Seiten ihr Leben, davon 40.000 alliierte UN-Soldaten, ganz überwiegend US-Amerikaner, und ca. 400.000 (offiziell 183.000) chinesische Soldaten. Erstmals überstieg die Zahl der Zivil- die der Militärtoten um ungefähr das Dreifache. Fast die ganze Industrie beider Länder war zerstört worden. In der BRD, die erst 1973 Mitglied in der UNO wurde, löste der erneute Krieg in Fernost eine Notbevorratungswelle aus und beförderte die Furcht vor einer "kommunistischen Invasion" aus dem Osten die politische Diskussion und Planung für einen westdeutschen Remilitarisierungsbeitrag im europäischen Bündnis-Rahmen.

Raketenabzug gegen Invasionsverzicht

Auch in der zwei Wochen andauernden Kubakrise im Oktober des Jahres 1962 - "Dritter Weltkrieg" Phase II - drängte ihr Verlauf gefährlich nahe an den Rand eines Atomkriegs zwischen West und Ost. Im ersten und einzigen verdeckten atomaren Poker (Operation ANADYR), den die Sowjets gegenüber dem Westen inszenierten, um am Ende dabei z. T. den Kürzeren zu ziehen, ging es um den Versuch der UdSSR, sich gegenüber der atomaren Eindämmungs- und Einkreisungsstrategie durch nukleare Mittelstreckenraketen der USA vor allem an der Südflanke der SU in der Türkei an anderem Schauplatz in unmittelbarer US-Nähe Luft zu verschaffen. Die heimlich begonnene Stationierung von russischen Kurz- und Mittelstreckenraketen auf der Karibikinsel zum "Schutz" und zur "Verteidigung" des neuen sozialistischen Verbündeten Kuba kaum 100 Meilen südlich der Halbinsel Florida, richtete sich direkt gegen Ziele in nahezu den gesamten mittleren bis östlichen USA. Diese reagierte zunächst mit einer Seeblockade (diplomatisch "Quarantäne" genannt) und im Falle eines Angriffs der Androhung von Luftangriffen und einer Invasion Kubas. Dort waren inzwischen über 40.000 reguläre Soldaten der Sowjetarmee samt schwerem Militärgerät und Atombombern vom Typ Iljushin-95 stationiert worden. Das sog Executive Command (Ex-Comm) wurde auf US-Seite gebildet, dem zur Konsultation und Koordination der Präsident, sein Stellvertreter, der Außen-, Verteidigungs-, Justiz- und Finanzminister sowie weitere ranghöchste Militärvertreter, der CIA-Präsident, wichtige persönliche Assistenten und Rechts- und nationale Sicherheitsberater der NSA angehörten. Mehrmals kam es in großer Flughöhe über 20 km zu provozierenden illegalen Überflügen Kubas mit U2-Spionageflugzeugen der US Air Force bzw. der CIA, um fotografische Beweise sammeln und anklagend vor der UNO-VV präsentieren zu können. Die kubanisch-russische Flakraketen-Abwehr schoss ohne obersten Befehl eigenmächtig einen der US-Aufklärer ab, was letztlich zum einzigen heldenhaften Toten der gesamten Konfrontation auf US-Seite führte. Russische Frachter mit Verdächtiger Raketenladung an Bord wurden von US-Kriegsschiffen aus gestoppt, durchsucht und bei positivem Fund zur Umkehr gezwungen. Andere mit rein zivilen Versorgungsgütern durften passieren.

Das Weiße Haus in Washington mit den beiden Kennedy-Brüdern als Präsidenten und Justizminister reagierte zunehmend hektisch und notfalls sogar zum Krieg entschlossen, was nur einen eskalierenden Atomkrieg bedeuten konnte. Die Lage war auf beiden Seiten bis zur zündelnden Spitze angespannt. Politische und militärische Hardliner auf US-Seite wie der US Air Force General Curtis LeMay wollten den Konflikt nutzen, um in Vergeltung für die zuvor misslungene Schweinebucht-Landung CIA-Freiwilliger und Exilkubaner mit Kuba und seinem gehassten Revolutionsführer Fidel Castro endlich "abzurechnen" und diesmal eine Invasion der Insel im großen Stil einzuleiten. Die Kennedys zögerten, engste Berater wie der irisch stämmige Kenneth O'Donnell rieten ihnen kaum zu dieser schwer wiegenden Konsequenz und suchten mäßigend nach Kompromissen. Also liefen gleichzeitig die diplomatischen Bemühungen um Verhandlungen auf Hochtouren und die unnachgiebigen Wechsel scharfer diplomatischer Noten zwischen der sowjetischen und amerikanischen Seite sind heute bekannt. Auch Chruschtschow blieb erst weiter auf Konfrontationskurs. Einige russische Frachter mit brisanter Ladung drohten unter Begleitschutz russischer atomarer Jagd-U-Boote mit wiederum US-Jagd-U-Booten an ihren Fersen auf ihrem Kurs die Blockade zu durchbrechen. Präsident Kennedy schien bei Beratungen im ExComm zeitweise die Initiative zu entgleiten, die explosive Stimmung war zu Kriegs-Gunsten am kippen. Man bereitete sich in den USA zivilverteidigend auf Schlimmstes vor. Erst ein Geheimtreffen im letzten Moment zwischen Justizminister Robert Kennedy und dem sowjetischen Botschafter Dobrynin brachte nach noch voraus gegangenem Verwirrspiel letztlich den entscheidenden Durchbruch, von dessen eigentlichem Deal die Welt allerdings damals nichts erfuhr. Das geheim gehaltene US-Zugeständnis, an der NATO-Flanke Türkei die dort stationierten, veralteten nuklearen US-Jupiterraketen zurückzuziehen und die Zusage, künftig von einer US-Invasion Kubas abzusehen, veranlasste die UdSSR wiederum zu Truppenreduzierung und Abbau aller Atomraketenstellungen auf Kuba. Für die "freie" Weltpresse allerdings zeigten entschlossene US-Blockade und Kriegsaufmarsch von Flotte und Air Force der USA ihre Wirkung als eindrucksvolle Machtdemonstration. Der Rückzug der Sowjets wurde vom Westen als Sieg verbucht. Zeitversetzt wurde, um den NATO-Bündnispartner nicht allzu sehr zu brüskieren, nach ca. 6 Monaten auch mit dem Raketenrückzug in der Türkei begonnen. Gehalten hat sich bis in unsere Tage das US-Wirtschaftsembargo gegen den Inselstaat. Die Tatsache jedoch, Kuba nicht militärisch ausgeschaltet und u. a. auch für die Mafia-Wirtschaft zurück erobert zu haben, kostete vermutlich den beiden u. a. mit Mafia-Wahlhilfe an die Macht gelangten Kennedys 1963 und 1968 bei politisch motivierten Attentatkomplotts das Leben. Und 1965 erhielt wegen seines Zurückweichens vor den Amerikanern der Kremlführer Chruschtschow im Verlust seiner Führungsposition die Quittung. Bei hart gesottenen Antikommunisten wie General LeMay waren das Kennedy-Brüderduo und seine engsten "irischen Beraterboys" endgültig als nachgiebige Schwächlinge in Ungnade gefallen, deren Zeit, von der Politbühne abzutreten, gekommen war.

Das erste Kriegsdesaster für die USA

Im Vietnamkrieg, in dem sich die USA zwischen 1962 und 1975 mit zunehmender Militärpräsenz und eskalierenden Kriegshandlungen zu Land und in der Luft wiederum für die angeblichen Ziele von Freiheit und Demokratie und gegen den Weltkommunismus engagierten, spielte die atomare Option keine wesentliche aktive Rolle, als Hintergrund wohl schon. Man hatte auch so mit dem Einsatz von Napalm-Bomben, chemischen Entlaubungsmitteln (agent orange), Flächenbombardements über Nordvietnam und zweifelhaften Kommando-Unternehmen vermeintlich probate, wirksame Mittel gefunden, die atomare Karte nicht spielen zu müssen. Den verheerenden Wirkungen von Nukleareinsätzen standen diese in ihrer Kriegs verbrecherischen Qualität und Ausweitung kaum nach. Man schoss in niedriger Höhe aus Hubschraubern mit schweren MGs auf alles, was sich auf dem Boden menschlich bewegte und sich panisch rennend vor den in Pulks anfliegenden Helikopterstaffeln der US-Luftlandeinfanterie in Deckung zu bringen versuchte. Bekannt wurden brutale US-Massaker wie jenes von My Lai 1968, an dem etwa 40 bis 45 US-Elitesoldaten des 1. Platoons der C-Kompanie der Task Force Barker, einer ungefähr 500 Mann zählenden US-Spezialeinheit zur Vietcong-Bekämpfung und Liquidierung ihrer Funktionäre, beteiligt waren. Nur wenige beteiligten sich nicht an den wahllosen Erschießungen von über 500 Männern, Frauen, die vorher oft noch vergewaltigt wurden, Kindern, Greisen und Tieren. Erst das mutige späte Eingreifen eines US-Hubschrauberkommandanten, der damit drohte, jeden weiter marodierenden GI von seinem MG-Schützen erschießen zu lassen, beendete das Abschlachten. Der damals 25-jährige kommandierende Offizier des Platoons, William Calley, rühmte sich in seinen 1972 auf Deutsch erschienenen Erinnerungen mit dem Titelspruch "Ich war gern in Vietnam". Zuerst mit einigen wenigen militärgerichtlich angeklagt und zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt, wurde der sich auf "Befehlsnotstand" berufende Calley bereits 1974 von Präsident Nixon endgültig begnadigt und frei gelassen. Der amerikanische Filmregisseur und selbst Vietnam-Veteran, Oliver Stone, setzte mit seinem Antikriegsfilm "Platoon" den Vorfällen von My Lai und anderen ähnlichen Beispielen ein Denkmal. Um es mit den häretischen Worten des abtrünnigen US-Colonels Kurtz zu sagen, der im Film "Apocalypse Now" von einem von der CIA beauftragten Eliteoffizier liquidiert werden soll, weil er mit seiner wilden Truppe aus US-Deserteuren und Montagnards hinter der Grenze zu Kambodscha ein privates Schreckensregiment ausübt, und sich fragt: Was bedeutet es, wenn Mörder andere Mörder nennen? "Einen Mann in einem Land wie diesem (Vietnam) wegen Mordes zu belangen, ist wie eine Verwarnung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung in einem Autorennen" (W. Kurtz). Vietnam bedeutete eine ungeheure weitere Verrohung und Abstumpfung eines mehr als problematischen soldatischen und militärischen Handelns und den Zerfall militärischer Disziplin in der US-Armee auf breiter Front. Opferbilanz: Ungefähr 1,5 bis 2 Mio. getötete Vietnamesen, ca. 58.000 gefallene US-Soldaten. Letztlich mussten die USA durch ihre Niederlage in Vietnam erstmals erkennen, dass sie den ungleichen (asymmetrisch) geführten "Krieg ohne Fronten" (Bernd Greiner) gegen nicht eindeutig zu identifizierende Kombattanten, die zudem für eine überzeugte Ideologie kämpften und sich in weit verzweigten Tunnelsystemen "unsichtbar" machten, nicht gewinnen konnten. Ihr weiteres Welt ordnendes Vorgehen seither sollte immer mehr solche asymmetrisch angelegten Situationen erzeugen und in diesen operierende gegnerische Kräfte auf den Plan rufen.

Remilitarisierung und Atombewaffnung, Göttinger 18, Atomwaffen-Protest

Die Atomrüstung hatte auch ihre frühen entschiedenen Gegner. Am ausgeprägtesten vielleicht in den USA, England und Westdeutschland. Das Augenmerk soll hier nur auf die deutsche Seite gelegt werden, die freilich aus der angelsächsischen und amerikanischen Protestbewegung nicht unwesentliche Impulse und Anregungen erhielt. Schon vor Gründung der BRD 1949 gab es in den Schubladen nationale Pläne für ein neues deutsches Militär eng an der Seite der westlichen Siegermächte. Doch noch sollte jedem die Hand abfallen, der noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen würde (Aussage F.J. Strauß im Bundestagswahlkampf 1949). Ab 1955 leistete sich die BRD die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und Aufstellung neuer Streitkräfte in Form der Bundeswehr unter dem vollmundigen Zitator Franz Josef Strauß als Verteidigungsminister (zuvor Atomminister). Erste Ausrüstungen an Militärflugzeugen, Kriegsschiffen und Geschützen erhielt die neue westdeutsche Armee noch aus meist ausgemusterten oder veralteten Beständen der US-Armee. Im Eiltempo wurde sukzessive eine eigene Luftwaffe, Kriegsmarine und schlagkräftige Panzerwaffe (Leopard I) des Heeres aufgebaut. Goldene Umsatzzeiten für die sich ebenfalls reorganisierende Rüstungsindustrie in der BRD. Auch ging man sofort nach Wiedererreichen der Souveränität im gleichen Jahr dazu über, an den bis Kriegsende erreichten fortgeschrittenen Stand der Nazi-Atombombenforschung wieder anzuknüpfen (siehe Arbeiterstimme Nr. 187) und eine zunächst zivil ausgerichtete Atomenergieforschung zu betreiben. Das qualifizierte Personal dazu von ehedem sowie nachwachsend war reichlich an Universitäten und in der relevanten Industrie vorhanden und bot sich geradezu selbst an. Nicht dagegen, aber gegen Adenauers und Strauß' Pläne einer atomaren Bewaffnung der neuen BRD-Armee wandte sich eine Gruppe von einst zum Teil eng mit der ehemaligen Nazi-Forschung verbandelten und zur pazifistischen Einsicht gelangten Protagonisten wie etwa C.F. von Weizsäcker, W. Heisenberg, O. Hahn, W. Gerlach, M. von Laue, K. Wirtz u. a. mit ihrem "Göttinger Manifest" vom 11. April 1957. Darin erklärten 18 der bedeutendsten deutschen Atomwissenschaftler, die alle auf Göttingen als ihren einstigen Studienort rekurrierten, dass sie für eine neue Atomwaffenproduktion nicht zur Verfügung stünden. Parallel dazu gab es in protestantischen Kirchenkreisen in dieser Zeit eine einsetzende kontroverse Debatte um die sog. Heidelberger Thesen, die noch eine Art Komplementarität in Form eines uneindeutigen JEIN zur Atombombe als Waffe qua ultima ratio formulierten (Helmut Gollwitzer: Die Christen und die Atomwaffen, 1957). Und als Drittes gab es als nachhallenden Anti-Kriegsreflex in der Folge der politischen Ohne mich - die punktuelle Kampf dem Atomtod-Bewegung als pazifistisch und antimilitaristisch motivierte Stimmung und breite Bewegung in der Bevölkerung, einzelnen Parteien (SPD, GVP, KPD), Gewerkschaften und Jugendverbänden gegen eine westdeutsche Remilitarisierung und Atombewaffnung. Dieser angerichtete Mix aus Forschungs-Wiederaufnahme, politischen Wiederaufrüstungsschritten im neuen NATO-Bündnis und öffentlichen Protesten in Institutionen und auf der Straße bestimmte bis etwa Ende der 50er Jahre das Geschehen um die Atom- und Militärfrage. Das setzte sich dann fort in den damals jedes Jahr von vielen Zehntausenden getragenen Ostermärschen. Vor diesem Hintergrund trat ab Beginn der 60er Jahre dann auch die Student(inn)enbewegung mehr und mehr politisch in Erscheinung, entwickelte sich zur Antikriegs-Protestbewegung (Vietnam) u. a. mit dem bestimmenden Element einer massenhaften Verweigerung des Kriegsdienstes unter Berufung auf das Grundgesetz durch wachsende Teile der westdeutschen männlichen Jugend.

Spiegel-Affäre

Zur regelrechten Regierungs- und Staatskrise mit personellen Folgen entwickelte sich die sog. Spiegel-Affäre im Oktober 1962. Während in der Karibik die Kubakrise gerade ihrem ultimativen Höhepunkt zu trieb und der laufenden Debatten im Bonner Parlament zur Notstands-Verfassung, kam es im Verteidigungszentrum auf der Hardthöhe zu einer undichten Stelle und Indiskretion eines hohen Offiziers im Führungsstab des Heeres. Nicht annähernd so spektakulär wie M. Vanunus "Indiskretionen" über Israels geheimes Atompotenzial 1986 in der Londoner Sunday Times, griff das Nachrichtenmagazin Der Spiegel das teils brisante Material auf und veröffentlichte dazu am 10.10.1962 (Spiegel Nr. 41) einen Artikel, der mit der Schlagzeile "Bedingt abwehrbereit" gleichwohl Sprengkraft bedeutete. Die Spiegel-Autoren Conrad Ahlers, Hans Schmelz, der die Hauptrecherche leistete u. a., setzten sich nach Erstatten einer Anzeige am 11. Oktober damit in den Augen der Bundesstaatsanwaltschaft dem Verdacht des Hochverrats aus. Der Artikel setzte sich kritisch mit im Übrigen anderswo schon offen zugänglichen Auswertungsresultaten zur NATO-Übung Fallex '62 auseinander, stellte aufgrund der genannten Mängel das Konzept des atomaren Erstschlags und die Strauß'sche Rüstungspolitik in Frage und bezweifelte, ob im Sinne des Konzepts der konventionellen Vorneverteidigung der USA die Bundeswehr zu einer wirksamen Abwehr eines Verstoßes des Warschauer Paktes in der Lage wäre. Es wurde weder pazifistischer Widerspruch formuliert noch grundsätzliche geübt, sondern lediglich die Sorge ausgedrückt, ob angesichts der offenbarten Fakten die bestehende Verteidigungsfähigkeit des deutschen Militärs gewährleistet wäre. Doch war dies der Regierungsseite Anlass genug, am 23.10. drakonische Maßnahmen der Ermittlung (verantw. Staatsanwalt Siegfried Buback), Durchsuchung und schließlich Verhaftung der verantwortlichen Autoren und des Herausgebers Rudolf Augstein einzuleiten. Dieser auf bloßen Verdacht erfolgte einmalige Eingriff in die Pressefreiheit und das konzertierte scharfe Vorgehen offizieller Stellen und weniger der "inkriminierende" Inhalt empörte die Öffentlichkeit, führte zur breiter Presse-Solidarisierung und brachte Menschen wütend zu Protesten auf die Straße. Parallelen zum Weltbühne-Prozess 1931 gegen C. von Ossietzky wurden gezogen. Strauß war mit Deckung Adenauers, der ihn gewähren und dann die Sache aber auch ausbaden ließ, Strippenzieher der Maßnahmen im Hintergrund, obwohl er dies zuerst öffentlich leugnete. Selbst der FDP-Justizminister war nicht informiert und eingeweiht. Im November traten dann sämtliche fünf FDP-Minister aus der Koalition mit der CDU/CSU zurück und machten eine Kabinettsumbildung nötig. Als Ergebnis mussten zwei Staatssekretäre gehen und schied Strauß als Minister aus dem Amt aus. Das Misstrauen der Bevölkerung gegen das verdeckte Zusammenspiel von Regierung und Justiz hatte stark zugenommen. Schmelz wurde erst nach 81, Augstein nach 103 Tagen aus der Haft entlassen. Im Mai 1965 stellte ein Urteil des Bundesgerichtshofes fest, dass es keinen Beweis für einen wissentlichen Verrat von Staatsgeheimnissen gegeben hätte. Augsteins erhobene Verfassungsbeschwerde wegen des Recht beugenden Vorgehens gegen ihn und den Spiegel wurde 1966 abgewiesen. Den "undichten" Offizier versetzte man 1969 vorzeitig in den Ruhestand. Im Herbst 1963 war dann auch Adenauers Zeit als Kanzler noch in der laufenden Amtszeit vorbei und trat der beleibte Wohlstandspropagandist Ludwig Erhard als von der Regierungskoalition neu gewählter Nachfolger an seine Stelle (Fakten und Daten teilw. nach wikipedia).

Starfighter-Skandal ("Aufstand der Generäle")

1966 war die Bundeswehr erneut ins öffentliche Zwielicht geraten. Im Jahr zuvor waren von dem ab 1961 in Stückzahl gleich von mehreren Hundert neu angeschafften Abfangjäger "Starfighter" (Sternenkämpfer) der US-Firma Lockheed 27 Maschinen abgestürzt und 17 Luftwaffen-Piloten dabei ums Leben gekommen. Darauf erhoben der Generalinspekteur der Luftwaffe, General Panitzki, u. a. schwere Vorwürfe gegen die politische Führung. Es sei eine reine Anschaffung aus "politischen Gründen" gewesen, man sei zum Stillschweigen über teils gravierende technische Mängel des wie eine Rakete aussehenden schnittigen Fluggeräts verdonnert worden. Bei Vergleichstests für die Anschaffung eines neuen Jägers hauptsächlich zwischen dem einsitzigen Starfighter und einer französischen Mirage III-Version, waren an ihm von Experten schon deutliche Mängel festgestellt und protokolliert worden. Das hielt freilich den CSU-"Rüstungsminister" F.J. Strauß nicht davon ab, sich gegen die technisch zuverlässigere, bessere Mirage und für den störungsanfälligen US-Starfighter zu entscheiden. Grund: der Minister der Vorne-Verteidigung wünschte sich einen schnellen Abfangjäger, der zugleich in großen Höhen als Bomber notfalls auch bis an die russische Westgrenze vordringen und dabei als reale Abschreckungswaffe eine atomare Bombenlast ins Ziel befördern konnte. Die Amerikaner sagten ihm im Fall des Kaufs zu, den Starfighter im Kriegsfall im Rahmen der "nuklearen Teilhabe" der BRD mit taktischen US-Atomsprengköpfen ausrüsten zu können. Mit Paris wäre das nicht zu machen gewesen, da sich die französische Regierung unter de Gaulle einem deutsch-französischen Atombündnis verwehrt hätte. Als dies nun vor nicht langer Zeit Staatspräsident Sarkozy Deutschland anbot, lehnten Merkel und Steinmeier ab. Der damalige Deal, bei dem auch reichlich Schmiergelder der Fa. Lockheed in deutsche Taschen geflossen sein sollen, war somit perfekt. Hinfort mussten sich die noch weitgehend unerfahrenen Bundeswehr-Piloten und Wartungstechniker plötzlich mit einer über Mach 2,2 schnellen Flugzeugrakete und ihren erheblichen unberechenbaren Störanfälligkeiten herumschlagen, denen sie sich trotz vermehrter Schulung nicht wirklich als gewachsen erwiesen. Bald machte das böse Wort vom "Witwenmacher" die Runde. Wieder war es das Magazin Der Spiegel, das in seiner Ausgabe 5/1966 in einem Leitartikel "Ein gewisses Flattern" den Skandal trächtigen Zusammenhang aufgriff. Das chronisch von Pannen, Unfällen und Abstürzen heimgesuchte Jagdflugzeug hätte nie angeschafft werden dürfen. Selbst die USA setzten es in Vietnam nur zwei Jahre lang zwischen 1965 und 67 ein, dann kam das schnelle Aus. Außer seinem schnittigen Design in Silbermetallicfarbe war an diesem Unglücksflieger so gut wie nichts, was ihn für den engen westdeutschen Luftraum mit seinen oft wechselnden Wetterverhältnissen prädestiniert hätte. Sogar die Hühner vergaßen zwei Tage lang das Eierlegen, wenn Starfighter in Doppelformation im Tiefflug über Wälder, Täler und Dörfer in Ohren betäubendem Lärm hinweg donnerten als wäre der Krieg ausgebrochen. Von 916 bis 1991 im Dienst der Bundesluftwaffe befindlichen Maschinen waren bei Übungseinsätzen am Ende 269 abgestürzt. 118 Piloten verloren ohne jede reale Kampfhandlung dabei ihr Leben. Der massiv öffentlich unter Beschuss geratene CDU-Verteidigungsminister Kai Uwe von Hassel ging seinerseits in die Offensive und entließ den widersetzlichen Luftwaffen-Inspekteur und auch den Kommodore Erich "Bubi" Hartmann vom Jagdgeschwader "Richthofen", der sich wegen der lebensgefährlichen Starfighter-Mängel gegen seinen Minister gestellt hatte. Der menschlich sympathische doch stets eigenwillige Hartmann gehörte schon zu den mit Ritterkreuzen hoch dekorierten Fliegerassen der Nazi-Luftwaffe, für die er mehr als jeder andere Kampfpilot der Welt in Luftkämpfen 352 Abschüsse erzielt hatte.

Bundeswehr und Demokratie

Nach den beiden Skandalschüben binnen weniger Jahre rumorte es ordentlich in der Bundeswehr. Ein politisch gewolltes Selbstverständnis einer "dienenden Funktion" sickerte nun allmählich auch in die nachrückenden jüngeren Offiziersreihen ein. Man konnte damals bei jüngeren Feldwebel-, Leutnant- und Hauptmann-Rängen sogar vereinzelt auf Jungsozialisten und Jungdemokraten treffen. Aber sich als militärisch Verantwortliche dem "Primat der Politik" zu unterstellen, etwa dem Verteidigungsstaatssekretär als Stellvertreter des Ministers, fiel dennoch vielen Älteren nach wie vor schwer. In der Bundeswehr kam es mit dem Wechsel zur sozialliberalen Koalition ab 1969 zu einem ersten größeren Reformschub im Sinne der Willy Brandt-Formel von "mehr Demokratie wagen". Gefördert von Generälen wie U. de Maizière, Graf Kielmannsegg, W. Graf von Baudissin u. a., alle drei bereits ranghohe Offiziere in der Hitler-Wehrmacht, die sich z. T. im Dunstkreis des Attentatskomplotts des 20. Juli 1944 bewegt hatten, wurde das neue Prinzip der "Inneren Führung" und des Soldaten als "Bürger in Uniform" eingeführt. Nach rückblickenden kritischen Bekenntnissen von Offizieren der Koblenzer Führungsakademie (FüAk) erwiesen sich die "von oben" verordneten Konzepte jedoch mehr oder weniger als Papiertiger und im Befehl-Gehorsam-Routinealltag der Armee nur schwer umsetzbar. Erst die antimilitaristische und neue Friedensbewegung spülte langsam einen etwas anderen Geist der Unruhe auch in die strammen Militärreihen. Dabei ist weniger an den nur von kurzer Lebensdauer begleiteten Lang-Haar-Erlaß zu denken als an in den 70er Jahren politisch sich betätigende Strömungen unter den Mannschaften wie dem der DKP nahe stehenden Arbeitskreis demokratischer Soldaten (ADS), den unabhängigen Antimilitaristischen Arbeitskreisen (AMAK) oder dem Soldaten- und Reservisten-Komitee (SRK) des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW). Sie traten vornehmlich für eine Verbesserung der materiellen Lage (Solderhöhung, Beschwerderecht, Vertretungsorgane wie Soldaten-Vertrauensleute) der Soldaten und das Recht auf gewerkschaftliche und politische Betätigung im aktiven Dienst ein und organisierten Beratung und Rechtshilfe bei "Dienstvergehen" und Disziplinarkonflikten. Bekannt wurde etwa der Fall des wegen seiner politischen Aktivitäten im ADS 1974 unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassenen Jürgen Pomorin (Jg. 1953). Häufig nahmen an 1. Mai- und Friedensdemonstrationen in Gruppen auch Soldaten in Uniform teil, wohl wissend, damit gegen das Verbot politischer Betätigung in der Armee zu verstoßen.

Im September 1983, als diese ohnehin eher marginalen linken Gruppierungen längst verschwunden waren, gründeten 20 Unteroffiziere und Offiziere den Bundeswehr kritischen Arbeitskreis "Darmstädter Signal" (Ak-DS). Diese um Personen wie Oberstleutnant Helmut Prieß (vormals Major, dann degradiert) und den Oberleutnant Jürgen Rose sich sammelnde Offiziers-Bewegung kritisierte in den 90er Jahren scharf die zunehmend offensivere Neuausrichtung der Bundeswehr (Auslandseinsätze), forderte demgegenüber die Selbstbeschränkung auf den vom Grundgesetz allein vorgegebenen rein defensiven Verteidigungsauftrag innerhalb der Landesgrenzen und wandte sich gegen rechte Einflüsse und Tendenzen in der Armee. Die "Signaler", wie sie sich gerne selbst nennen, stellen die Bundeswehr nicht grundsätzlich in Frage, treten jedoch für deren Verkleinerung und Demokratisierung ein und wenden sich gegen einen Einsatz des Militärs im Innern. Sie sind für die Beteiligung an UNO-Blauhelmmissionen, den Abbau aller Massenvernichtungswaffen, den Abzug der US-Atomsprengköpfe aus Büchel und Ramstein und einen Stopp der Rüstungsexporte. Als einziges kritisches Forum innerhalb der Bundeswehr ist das Darmstädter Signal bis heute aktiv.

(Ende Teil II, Stand: 1.9.15)
E. K., Bremen

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 190 - Winter 2015, Seite 19 bis 28
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2016

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