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ARBEITERSTIMME/275: Tschechische Republik - Der Präsident als Gefahr für die Linke?


Arbeiterstimme Nr. 181 - Herbst 2013
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

CR: Der Präsident als Gefahr für die Linke?

von Stepán Steiger



Wenn Milos Zeman von der Höhe des Präsidentenpalasts aus in die tiefer gelegene Hauptstadt Prag hernieder blickt, hat er für sein Lächeln - das er in der Öffentlichkeit immer aufsetzt - zwei gute Gründe: erstens hat er endlich sein Lebensziel erreicht, Präsident der Republik zu werden, zweitens kann er, dank seiner Bemühung, doch ebenso dem Zufall, die Geschicke seines Landes gleich am Anfang seiner Amtszeit mehr beeinflussen als er (oder sonst jemand) hat erwarten können.

Da er das erste direkt vom Volk gewählte Staatsoberhaupt in der Geschichte der Tschechischen Republik ist, behauptet er, mehr Legitimität zu haben als seine zwei vom Parlament gewählten Vorgänger, Václav Havel und Václav Klaus - obwohl die Verfassung ihm trotz der direkten Wahl nicht mehr Vollmachten zubilligt. Außerdem kann er nie vergessen, dass er 2003, bei seinem ersten Versuch, den Präsidentenposten zu erobern - als er zwar Kandidat der Sozialdemokraten war, doch 27 sozialdemokratische Abgeordnete in der Geheimwahl nicht für ihn stimmten - scheiterte, was ihn bewog, die Partei zu verlassen und der Politik abzuschwören. Das hielt ihn aber nicht davon ab, 2009 eine Partei zu gründen, welche zum eigentlichen Namen Partei der Bürgerrechte unmissverständlich Zemanovci hinzufügte (deutsch etwa Zeman-Gefolgschaft). Um es gleich klar zu machen: der heutige tschechische Präsident, obwohl sechs Jahre, zwischen 1993 und 1999, Vorsitzender der Sozialdemokraten und als solcher Ministerpräsident (1998 - 2002), ist nach Ansicht des Schreibers dieser Zeilen nie ein "richtiger", also prinzipientreuer Sozialdemokrat gewesen, was man früher schon erkennen konnte und was jetzt in seinem Gebaren und seiner Politik als Präsident immer mehr an den Tag kommt. Auf seine Versuche, seine ehemalige Partei zu spalten (wie man immer wieder in Kommentaren lesen kann), werden wir noch zurückkommen. Diesen kurzen Blick mussten wir jedoch dem ersten Mann des Staates gleich zu Beginn widmen, da er, vom Zufall begünstigt, in seiner Präsidentenrolle zu einem viel wichtigeren politischen Spieler wurde als zuerst angenommen.

Ein Zufall hat Zeman in seinem autoritären Vorgehen sehr geholfen. Was nie vorher geschehen ist, wurde am 22. Juni wahr: die Polizeisektion, die die Korruption bekämpft, intervenierte spät nachts im Sitz der Regierung und nahm mehrere Personen in Haft - unter ihnen auch die Chefsekretärin des Ministerpräsidenten (der man schon lange eine enge Beziehung zum Regierungschef nachsagte und die u. a. beschuldigt wurde, seine Gemahlin vom Armee-Nachrichtendienst beschatten zu lassen). Es handelte sich um eine Untersuchung, die seit Sommer 2012 im Gang war und Verbindungen zwischen hohen Politikern und einigen Mafia-Bossen aufdecken sollte. Ohne in Einzelheiten zu gehen: infolge des Skandals resignierte der Ministerpräsident Petr Necas, und in der Folge auch die ganze Regierung.

Einige Worte über diese Regierung sind nötig: Es war fast in jeder Beziehung die schlimmste Regierung in der kurzen (zwanzigjährigen) Geschichte der Tschechischen Republik. Unter dem Banner einer "Regierung der Budget-Verantwortung" schreckte sie zuerst die Bürger mit dem Gespenst einer möglichen "Griechenland-Lösung", sollten nicht Kürzungen im Staatshaushalt vorgenommen werden - und machte rasante Abstriche in allen sozialen Bereichen. Der Finanzminister - ein ehemaliger Christdemokrat - brüstete sich, das Budgetdefizit nach Weisungen aus Brüssel unter der 3 %-Grenze zu halten - und ließ außer Acht, dass auch dadurch die Wirtschaftslage des Landes immer schlimmer wurde. (Erst nach 3 Jahren, Anfang 2013, fing der Ministerpräsident an, über "wachstumsfreundliche" Maßnahmen zu sprechen.) Die Öffentlichkeit wurde immer mehr aufgebracht und zornig, der Unmut steigerte sich - Meinungsumfragen zeigten konsequent immer größere Unzufriedenheit, zuletzt bis 80 % - doch die Regierung wich von ihrem Kurs nicht ab, trotz wiederholter Demonstrationen und Protesten.

Dazu gesellte sich politisch eine Schau, die die Regierung zum Ziel von Spott und Abscheu machte. Sie bestand anfangs aus drei Parteien, zwei davon waren erst vor kurzer Zeit entstanden. Die stärkste - Bürgerliche Demokratische Partei, abgekürzt ODS - wurde von Václav Klaus gegründet und geführt - bis er, obwohl zum Ehrenvorsitzenden gewählt, seine Partei verließ. Die zweite - deren Abkürzung TOP 09 aus Anfangsbuchstaben der Worte Tradition, Verantwortung, Prosperität besteht und an das Gründungsjahr erinnert - entstand als Abspaltung von der Christdemokratischen Partei, und obwohl vom Miroslav Kalousek gegründet (der zum Finanzminister wurde und als der starke Mann der Regierung galt), wählte sie Karel Schwarzenberg zum Parteivorsitzenden (als "Maskottchen" - da sehr populär, in der direkten Präsidentenwahl der Rivale von Milos Zeman, dem er in der zweiten Runde unterlag). Der dritte im Bunde war die kleinste Partei (abgekürzt VV, Öffentliche Angelegenheiten). Die bald zu öffentlich aufgeführten Rede- und Meinungsduellen gewordenen Streitereien der Minister machten nicht nur die einzelnen Politiker, sondern auch die ganze Koalition lächerlich; ganz besonders, als die VV-Partei, welche von ihrem Vorsitzenden, Inhaber eines "Ermittlungsbureaus", auch finanziert wurde, infolge von Skandalen und innerparteilichen Streitigkeiten zerfiel und 16 von ihren Abgeordneten die Regierung verließen, derweil 8 andere blieben.

Diese "politischen" Geschehnisse waren natürlich oft nur possenhafte Blasen auf der Oberfläche. Die materielle Grundlage weckte nach und nach mehr Furcht, als immer mehr sichtbar wurde, dass diese Regierung selber zur Verschlimmerung der Lage von breiten Bevölkerungsschichten viel beitrug. Im dritten Jahr ihres Waltens, wie bereits vermerkt, raffte sie sich zur Erkenntnis auf, - da sie ihre Voraussage, die im April 2013 noch für dieses Jahr eine Wirtschaftsstagnation prophezeite, auf ein Minus von 1,5 % korrigieren musste - nur neue Investitionen könnten der Belebung der Wirtschaft helfen. Durchschnittliche Bruttolöhne sanken im 1. Vierteljahr dieses Jahres, wobei man bedenken muss, dass zwei Drittel der Beschäftigten ohnehin den Durchschnittslohn nicht erreichen. Die Arbeitslosigkeit hat sich z. Z. auf 7,5 % eingependelt, 2014 erwartet man 7,6 %.

Alle diese Indikatoren tragen u. a. dazu bei, dass viele Bürger keine Hoffnung haben, ihre Situation könnte besser werden. Die Hoffnungslosigkeit und Frustration machen es z. T. verständlich, dass sie an Ausbrüchen teilnehmen, die kein Ausweg sind, jedoch das Bild eines "Feindes" anbieten und wo ihre Wut sich austoben kann. In vielen Orten der Republik gibt es Ghettos, von "Ausgestoßenen" bevölkert - sehr oft Roma. Wie aus dem neuesten Bericht des Sicherheitsinformationsdienstes (BIS, mit dem deutschen BND vergleichbar) hervorgeht, nehmen immer mehr "einfache" Bürger an Anti-Roma-Demonstrationen teil. Die Autoren dieses Berichts warnen, es sei ein weit gefährlicheres Phänomen als die nur von der kleinen rechtsextremen Arbeiterpartei (!) veranstalteten Proteste in Roma-Vierteln. (Die letzte massenhafte Anti-Roma-Demonstration fand an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden in der südböhmischen Stadt Ceské Budejovice statt. Es ist bemerkenswert, dass kein Politiker sich bei einer dieser Begebenheiten sehen ließ - obwohl diese Stadt z. B. im Wahlbezirk des Vorsitzenden der KP liegt. Auch der von vielen Bürgern immer noch als ein Linker angesehene Präsident fand keine Gelegenheit, sich zu diesen Ereignissen zu äußern.)

Alle Medien widmen jetzt die größte Aufmerksamkeit den Umständen, welche die neuen Regierung begleiten. Als nämlich, wie erwähnt, unter dem Druck der Untersuchung der Korruptionsskandale - Einzelheiten, weil hohe politische Instanzen betroffen sind, sind natürlich von Interesse, doch sie würden zu viel Platz einnehmen - die Koalitionsregierung resignierte, nahm verfassungsgemäß der Präsident das Steuer in die Hand. Und Milos Zeman verstand es selbstverständlich, diese Gelegenheit als ein von Gott gegebenes Moment mit voller Wucht für seine politische Macht zu benutzen. Da in einer solchen Situation das Staatsoberhaupt der Verfassung gemäß den Ministerpräsident ernennt, wählte er - entgegen der Tradition, nach der es üblich ist, dass ein Parlamentsmitglied beauftragt wird - einen Mann, der nicht einmal im Moment mit der Politik zu tun hat. Sein Name ist Jirí Rusnok - ein Ökonom, der einst Minister in Zemans Regierung Anfang des Jahrhunderts war, vor ein paar Jahren für Zemans Partei (erfolglos) kandidierte, im Wirtschaftsrat der resignierten Regierung(!) fungierte und zuletzt Vorsitzender eines Pensionsfonds war. In zwei Wochen setzte er seine Mannschaft zusammen (mit einer weiblichen Ausnahme). Weil die Verfassung vorschreibt, dass eine neue Regierung innerhalb von 30 Tagen im Abgeordnetenhaus die Vertrauensfrage stellen muss, wird es am 8. August auch Jirí Rusnok tun.

Diese Situation ist mindestens aus zwei Gründen der bekannte Tropfen, der die politische Krise dieses Staates vollends widerspiegelt: erstens, die Politik ist mit der Korruption so verwachsen, dass schon eine polizeiliche Untersuchung, obwohl noch nicht beendet, zu einer Regierungskrise wird, zweitens, dass das Parlament umgangen werden kann und plötzlich wird in einer parlamentarischen Demokratie ein aktivistischer Präsident zur wichtigsten/mächtigsten Person des Landes.

Zeman zeigt nun, wie autokratisch er regieren kann (und will). Es ist noch nicht völlig sicher, ob seine Pläne aufgehen, doch man nimmt an, seine Strategie könnte erfolgreich sein. Die Parteien der früheren Koalition haben im Abgeordnetenhaus eine - wenn auch nur hauchdünne - Mehrheit von 101 Stimmen. (Die Kammer hat 200 Mitglieder, zwei Abgeordnete sind jedoch im Gefängnis - übrigens wegen Korruption -, sodass 101 Stimmen genügen, um das Misstrauen auszusprechen.) Sie sind Feuer und Flamme, höchst erzürnt über eine Regierung, die eigentlich nur eine einzige Stütze hat - nämlich den Präsidenten - und die aus nicht gewählten Personen besteht. Die linken Parteien, die Sozialdemokratie wie auch die KP, haben noch keine klare Entscheidung getroffen: einerseits wollen sie nicht gegen Zeman auftreten, andererseits: Gegen diese Regierung zu stimmen, bedeutet auch, dass die erneute Regierung der alten Koalition einen Schritt näher rückt. Die Lage wird kompliziert, weil im Mai des nächsten Jahres reguläre Parlamentswahlen anstehen. Wenn nichts allzu Unerwartetes geschieht, wird als sicher angenommen, dass die Linke sie gewinnen wird. Auch aus diesem Grunde schlägt seit dem Fall der Koalitionsregierung die Sozialdemokratie baldmöglichste Wahlen vor - denn nur so könnte die verworrene Lage gelöst werden. Diesen Vorschlag lehnen die Rechtsparteien ab. Die Abgeordnetenkammer kann sich jedoch nur selbst auflösen, wenn zwei Drittel ihrer Mitglieder dafür stimmen - dazu hat die Linke nicht genügend Stimmen, denn die Sozialdemokratie samt den Kommunisten und mit Hilfe der kleinen VV-Restpartei bringt es nur auf 91. Dem Präsidenten erlaubt die Verfassung zwei Versuche, einen Ministerpräsidenten zu ernennen. In beiden Fällen muss der Beauftragte natürlich um Vertrauen nachsuchen. Scheitern beide Versuche, ist es der - diesmal die - Vorsitzende der Abgeordnetenkammer, die jemand mit der Regierungsbildung beauftragt. Weil es sich diesmal um eine ODS-Abgeordnete handelt, würde in einem solchen Fall die "alte" Regierung ihre Auferstehung feiern - wenn auch nur für einige Monate vor der Wahl. Der Präsident will das offensichtlich nicht zulassen. Er muss also so manövrieren, dass es keinen dritten Versuch gibt. Höchstwahrscheinlich wird es Zeman also so machen, dass nach dem 8. August, wenn die von ihm eingesetzte Regierung das Vertrauensvotum verliert, er eine gewisse Zeit verfließen lässt, bevor er jemand mit der Regierungsbildung beauftragt. Diese Person hat dann wieder Zeit, dies zu tun und erst danach wieder binnen 30 Tagen im Parlament vorstellig zu werden. Dieses Spiel mit der Zeit - falls er keinen anderen Trick findet - könnte es Zeman erlauben, unbehindert zu regieren.

Da sechzig Tage vor der regulären Wahl keine neue Regierungsbildung erlaubt ist, würde der Präsident eine lange Zeit eigentlich ein Alleinherrscher bleiben.

Weil die Sozialdemokraten in Bezug auf die Vertrauensfrage der Rusnok-Regierung gespalten sind - Zeman hat in der Partei seit langem viele wichtige Sympatisanten; in der Regierung sitzen übrigens zwei Parteimitglieder trotz des Parteibeschlusses, an der Regierung nicht teilzunehmen - und diese Spaltung auch im Hinblick auf manche Pläne des Präsidenten sich im Laufe der Zeit vor der Wahl vertiefen würde - kann Zeman seinen Einfluss innerhalb seiner ehemaligen Partei nur verstärken. Er kann hoffen, besonders wenn seine eigene kleine Partei nach der Wahl ins Parlament einziehen würde und die Linke als Ganzes im Parlament die Mehrheit hätte, auf diese Weise seine eigenen Pläne durchsetzen zu können - nicht die Pläne, die man als "links" bezeichnen könnte. Das ist die Gefahr, die dieses Staatsoberhaupt für die tschechische Linke darstellt.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Juni 2013, rassistische Demonstranten in Ceské Budejovice

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 181 - Herbst 2013, Seite 7 bis 9
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2013