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ARBEITERSTIMME/269: Keine Schicksalwahl


Arbeiterstimme Nr. 180 - Sommer 2013
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Keine Schicksalswahl

von Hans Steiger



Am 22. September findet die Wahl zum Bundestag statt, eine Woche vorher sind bayerische Landtagswahlen.

Es ist also an der Zeit, sich verstärkt der Innenpolitik zuzuwenden. Dabei gilt der Vorbehalt, dass sich bis zum September noch manches ereignen kann; vielleicht sogar Entscheidendes, sollte sich die Krise des Kapitalismus auch in Deutschland zuspitzen. Die BRD ist ja keine Insel der Seeligen ...

Fest steht heute schon, trotz allen Wahlgetöses: Diese Bundestagswahl wird keine "Schicksalswahl". Solange der Masse der Lohnabhängigen ein Klassenbewusstsein abgeht, kann von vornherein der Kampf der Arbeiterklasse gegen die herrschende Ausbeuterklasse nicht offensiv geführt werden - wobei klar ist, dass durch Wahlen allein kein Herrschaftssystem überwunden werden kann. Im heutigen Deutschland gibt es gegenwärtig nicht mal relevante Bewegungen, die die Voraussetzungen dafür schaffen könnten. Schon zur letzten Bundestagswahl im Sommer 2009 hatten wir in der Arbeiterstimme ausgeführt: "Marxisten wissen, dass sich durch Wahlen in der bürgerlichen Gesellschaft nichts Grundlegendes ändern wird, weder an den Macht- und Ausbeutungsverhältnissen zwischen der herrschenden Kapitalistenklasse und den ausgebeuteten Lohnabhängigen, noch kommen solche Wahlen wirklich demokratisch zustande, angesichts der Medienmacht und des Geldeinsatzes der systemtragenden Klasse und ihrer Parteien.

Doch obwohl sich die Parteien politisch immer mehr einander angleichen, gibt es noch gewisse Unterschiede, den Traditionen und der jeweiligen Klientel angepasst, wo über die leeren Versprechungen hinaus deren Interessen vertreten werden. Obwohl gerade unter Krisenbedingungen die ungünstigen Verhältnisse den Spielraum der Parteien einengen und alle potentiellen Regierungsparteien die Krisenlasten auf die Massen abwälzen werden, wird das Wahlergebnis den Rahmen für zukünftige gesellschaftliche und gewerkschaftliche Auseinandersetzungen neu abstecken. In den zwar schwindenden, aber trotzdem noch vorhandenen Unterschieden der Parteien liegt die aktuelle Bedeutung von Wahlen, die wir trotz der generellen Rechtstendenz beachten und nützen sollten".

Das Spiel zur Bundestagswahl heißt diesmal Merkel gegen Steinbrück - woraus leicht Merkel und Steinbrück werden kann, wie es doch schon mal war. Sie hatten sich damals schon gut verstanden, kein Wunder bei so vielen politischen Gemeinsamkeiten. Eine echte Alternative zur bisherigen neoliberalen Politik und zum bisherigen erfolglosen Versuch der Krisenbewältigung hat durch das Übergewicht der kapitalistischen Einheitsparteien von vornherein keine Chance. Denn selbst wenn sie diese Chance unter anderen Umständen hätte - dann wären Wahlen längst verboten. Für die entsprechende Stimmung durch die Medien wird übrigens schon vorher, im Fernsehen und in der bürgerlichen Presse gesorgt.


Was steht zur "Auswahl", in dem geschilderten begrenzten Rahmen?

Umfragewerte, die sich ja noch ändern können, haben mehrmals ähnliche Werte ergeben. Danach würde die Union ca. 40 bis 41 Prozent erzielen, die FDP 5 bis 6 Prozent, die SPD etwa 27 Prozent und die Grünen um die 14 Prozent. Die neugegründete Anti-Euro-Partei AfD mit 14.000 Mitgliedern wird auf etwa 2 Prozent eingeschätzt und die Piraten ebenfalls auf 2 Prozent; die Rechtsradikalen kämen noch schlechter weg, ebenso wie die "Freien Wähler". Trotz großer Rückschläge dürfte Die Linke mit 6 bis 7 Prozent die Sperrklausel wieder überwinden. Die etablierten Parteien führen den Wahlkampf als "Lagerwahlkampf", was das Versprechen beinhaltet, sich bei Erfolg auf eine bestimmte Koalition festzulegen: die Union mit der FDP, die SPD mit den Grünen. Doch wird es für beide Varianten kaum reichen. Union und FDP könnten mit 46 Prozent knapp scheitern, sollte die FDP überhaupt die Sperrgrenze überwinden. Die Medien werden, wie gehabt, letztere kräftig unterstützen. Bei dem sogenannten "linken Lager" schaut es noch schlechter aus. 27 Prozent + 14 Prozent ergäben 41 Prozent, was nicht reicht, da die Partei Die Linke von den beiden Parteien als zusätzlicher Koalitionspartner strikt abgelehnt wird. Die Mehrzahl der Linken möchte gerne mitregieren und hat große Illusionen über das "Linkssein" der beiden verkommenen Partnerparteien SPD und Grüne. Der Begriff "Lagerwahl" vertuscht, dass in Wirklichkeit jede neoliberale Partei mit jeder anderen kann und ihre politischen Ausrichtungen immer ähnlicher werden, da können auch die polemischen Ausfälle nicht darüber hinwegtäuschen. Das ist eben Wahlkampf. Bleibt es bei den obigen Zahlen, würde es nur für eine Regierungskoalition von schwarz-grün reichen - oder, was wahrscheinlicher ist, für eine große Koalition Union-SPD.

Die deutsche Bourgeoisie ist jedenfalls in der günstigen Lage, auf verschiedene Varianten der Machtausübung zurückgreifen zu können. Bei dem, was in den nächsten Jahren an "Krisenpolitik" und verstärkter Abwälzung der finanziellen Lasten nach "unten" ansteht, regiert es sich für die Union leichter, wenn sie die den Gewerkschaften verbundenen SPD als Juniorpartner mit ins Boot nimmt. Bei unpopulären Maßnahmen, in einer solchen von Angela Merkel dominierten Koalition, können CDU/CSU oder SPD je nach Bedarf behaupten, der Partner hätte sie zu einer solchen Politik genötigt. Würde es doch auch darum gehen, Proteste und Unruhen im Zaum zu halten.

Bezeichnend für die Politik des sozialdemokratischen DGB-Vorsitzenden Sommer und seine gleichgesinnten Vorstandskollegen ist leider auch die neuerliche Annäherung von Gewerkschaften und Bundeswehr.



Der Block der Verweigerer nimmt zu

Es gibt viel Missstimmung im Lande. Wir müssen uns fragen, worauf beruht der Zustimmungserfolg aller neoliberalen Parteien? Noch gibt es einen großen Block sozial Befriedeter, die eine der vier tragenden Parteien wählen, eine Mehrheit, die meist materiell noch etwas zu verlieren hat. Doch dieser gesellschaftliche "Erfolg" ist beileibe nicht so glänzend, wie die Umfragewerte vorgeben. Die Bundesrepublik ist im letzten Jahrzehnt verstärkt eine Raffgier-Republik geworden. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Millionen von Niedriglöhnern und Hartz IV-Empfängern stehen Profiteuren gegenüber, die immer dreister werden. Der Werteverfall bei den Reichen und Mächtigen schafft großes Unbehagen. Noch reicht die soziale Ausgliederung von Millionen prekär Arbeitender nicht für offene Empörung, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Arbeiterklasse sozial gespalten ist; zudem ist eine politisch erreichbare Alternative nicht in Sicht. So verharren viele, die "im Schatten stehen", in Verweigerung oder Resignation. Ein Schritt der Verweigerung ist der Wahlboykott.

Die Zahl jener, die nicht zur Urne gehen, wird immer größer. Der Block der Nichtwähler ist bereits größer als die Wählerschaft der erfolgreichsten Partei. Eine andere Art, ein ablehnendes Zeichen zu setzen, ist das oft kurzlebige Engagement bei kleinen, neuen Parteigruppierungen, wie den Piraten oder bei der angeblichen "Alternative für Deutschland", mit der Ablehnung des Euro. Bei einer weiteren Zuspitzung der sozialen Lage könnte hier die Gefahr einer Rechtsaußen-Sammlung bestehen, wie sie in Österreich schon wieder aufscheint.



Rückschläge für Die Linke

Auch die Resistenz der Linkspartei zeigt, dass sie trotz Streit und Krisen ein vorerst bleibender Faktor des Widerstands gegen die neoliberale Übermacht bleibt und Front macht gegen die "Normalisierung" militärischer Gewalt zum Nutzen des deutschen "Nationalinteresses", was nichts anders heißt, als zum Nutzen der Kapitalistenklasse in Deutschland. Kann die Partei auch auf Grund ihrer heterogenen Zusammensetzung bundespolitisch wenig Alternatives durchsetzen, so sind ihre Forderungen und Mahnungen für die politische Bewusstseinsbildung vieler Menschen von großer Wichtigkeit. Das hat seine Grenzen, da die Partei keine marxistische Partei ist, wenn auch Marxisten in ihr mitarbeiten. Wo linkes Gedankengut von ihr verbreitet werden kann und linker Widerstand von ihr organisiert wird, ist das unterstützenswert. Wo sie, wie bei der Berliner, Mecklenburger Brandenburger Regierungsbeteiligung geschehen, nach rechts nachgibt und versagt, bleibt die Quittung nicht aus. Es ist heute schon abzusehen, dass die Linkspartei gegenüber der Bundestagswahl vor vier Jahren über 40 % der Stimmen einbüßen wird. Das liegt nicht allein an ihren inneren Streitereien oder an ihrem Programm. Hauptgrund dafür ist, dass die Linke diesmal von keiner sozialen Bewegung getragen wird, wie es damals die Anti-Hartz IV-Proteste waren (zu erinnern sei an die Montagsdemonstrationen). Dazu kommt, dass mit dem Aufkommen der Piratenpartei Protestwähler wegfallen und die SPD schlauerweise sich wieder einen linkeren Anstrich gibt. Themen wie die populären Forderungen nach Mindestlöhnen und "Reichensteuer" wurden Der Linken von SPD, Grünen und Teilen der Union einfach weggeklaut und dabei allerdings verschwiegen, wie man sie zum Teil des Inhalts beraubt. 2009 war auch der Horror vor einer erneuten Großen Koalition weit verbreitet. Dazu kommt: Lafontaines Rückzug wird sich negativ auswirken, ebenso wie das Ausscheiden von Wolfgang Neskovic (MdB, Cottbus), der vor den Parteirechten das Handtuch wirft. Vor Sarah Wagenknechts aus Taktik (?) vollzogenem Purzelbaum "Wir brauchen Märkte", und bei ihrer Lobhudelei auf den neoliberalen Ludwig Erhard, bleibt einem einfach die Spucke weg. Klarheit und Profil werden so nicht gestärkt. So werden den Wählern jedenfalls keine Alternativen angeboten.

Prof. Rudolf Hickel zur Debatte über Ludwig Erhard: "Das Konzept Soziale Marktwirtschaft war nicht seine Idee. Im Gegenteil, in seiner praktischen Politik nahm er Müller-Armack, der das Modell des gebändigten Kapitalismus prägte, nicht allzu ernst. Insgesamt war Erhard ein konservativer Politiker, der die entfesselten Marktkräfte beschwor. Die neoliberal Angehauchten nutzen ihn zu Recht als Gallionsfigur. ... Es ginge um die ideologische Legitimation systemischer Ungerechtigkeit." (Spiegel 3/2013)

Indem die Sozialdemokraten sich im Wahlkampf einen linken Anstrich geben, kehren manche Linken-Wähler von 2009 wieder zurück zu Steinbrück, Steinmeier & Co. Die Wählertäuschung dieser Partei hat ja schon öfter in ihrer Geschichte funktioniert; am folgenschwersten nach dem I. Weltkrieg, als sie den Sozialismus in Etappen versprach und die Arbeiterklasse damit den Rechtskräften auslieferte. Heute heißt das Täuschungsmanöver wieder: Links blinken - rechts fahren!


Das Täuschungsmanöver der SPD: Links blinken - rechts fahren

Man weiß nicht, über was man am ärgsten den Kopf schütteln muss: Über die Dreistigkeit und Frechheit der SPD, die im Wahlkampf gerade das Thema "Soziale Gerechtigkeit" in den Mittelpunkt stellt - oder über die Vergesslichkeit und Ignoranz jenes Teils der früheren SPD-Wähler, die trotz des sozialen Verrats der Partei unter Agenda-Kanzler Schröder und der krachenden Niederlage der Partei 2009 angeben, wieder SPD wählen zu wollen. Stimmen die Umfragen, so stünde die Zunahme von SPD-Stimmen von 23 Prozent 2013 auf etwa 25 bis 27 % bevor. Ein Zuwachs der SPD-Wähler von ca. 10 bis 20 Prozent wäre demnach zu erwarten, obwohl die Schröder-Regierung mit ihren sozialen Untaten wie Hartz IV und Rente mit 67 ihre Versprechen gebrochen hatte und sich zudem am völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien beteiligte. Dies bedeutete einen massiven Bruch mit der bis dahin bestehenden Militärpolitik seit Aufstellung der Bundeswehr. Aber vielleicht sehen es diese "Vergesslichen" ja auch so wie die SPD-Prominenz: SPD-Vorsitzender Müntefering rechtfertigte 2006 den Wahlbetrug mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 % mit den Worten: "Ich bleibe dabei. Dass wir oft an Wahlkampfaussagen gemessen werden, ist nicht gerecht."

Die SPD als Parteiorganisation hat sich von ihrem Verrat sozialer Grundsätze durch die Schröder-Fischer-Regierung nicht mehr erholt. Sie hat 200.000 Mitglieder und Aktivisten verloren und ist abgerutscht auf nur noch 477.000 Mitglieder. Vor einem Jahr waren es noch 12.000 mehr. Ihr Niedergang geht also weiter, auch werden Gesinnungsaktivisten immer mehr von Opportunisten abgelöst.

Wieder verspricht die Partei eine Reihe von "Wohltaten" für die unteren Schichten. An erster Stelle steht die populäre Forderung nach Mindestlöhnen, obwohl selbst in der angepeilten Höhe kaum jemand davon leben kann. Weiter fordert das Wahlprogramm u.a. bezahlbare Mieten, Steuererhöhungen bei den Reichen und gleicher Lohn für Leiharbeiter. Als die SPD zusammen mit den Grünen noch in der Regierung war, hatten sie in den meisten Punkten das Gegenteil beschlossen, z.B. die Arbeitslosenunterstützung und das Gesundheitssystem verschlechtert.

Selbst wenn sie heute ihre damalige Entscheidung revidieren wollte, wäre der Weg durch die "Schuldenbremse" verbaut, die Merkel sogar mit Zustimmung der beiden Oppositionsparteien durchsetzte. Geradezu grotesk ist, dass die SPD für die angebliche Durchsetzung der sozialen Korrekturen den ehemaligen Finanzminister der Regierung Merkel, Peer Steinbrück, als Kanzlerkandidaten bestellt hat. Es geht gar nicht so sehr um seine Tollpatschigkeiten, die ihm seither unterliefen. Er verkörpert doch geradezu den Rechtsschwenk seiner Partei, wie er unter Schröder stattfand, und manifestiert damit ihre Unglaubwürdigkeit. Noch heute fordert Steinbrück, die SPD müsse den Mut haben, sich voll zur Agenda 2010 zu bekennen. Er nannte diese folgenschwere Umkrempelung des Arbeits- und Sozialwesens "eine der größten politischen Leistungen der Nachkriegszeit". (Spiegel 2/2013) Darin ist er sich mit SPD-Fraktionschef Steinmeier einig, für den die Agenda 2010 ein "Ausbruch aus der Abwärtsspirale gewesen sei". Auch Parteichef Gabriel gibt an, darauf jetzt noch "stolz" zu sein. Er wolle die "Reforminhalte" nicht abräumen.

Im Buch "Zug um Zug" hat Peer Steinbrück ungewollt zur Selbstentlarvung der SPD-Politik beigetragen: "Nur eine Sozialdemokratie wird erkennbar erfolgreich darin sein können, z.B. das Renteneintrittsalter auf 67 zu erhöhen, weil sie die Gegenwehr aus dem Bereich der organisierten Arbeitnehmerschaft und weit darüber hinaus auffängt." Damit hat ein führender Sozialdemokrat einmal offen die Funktion der SPD im bürgerlichen Staat angesprochen, nämlich die Klassenherrschaft der Kapitalisten möglichst reibungslos abzusichern, indem man den eigenen Anhängern Sand in die Augen streut. Ein Falschspiel der SPD - das eigentlich für jeden politisch Engagierten offensichtlich sein sollte. Nicht so für den DGB-Vorsitzenden Michael Sommer. Er befand, das vom SPD-Bundesparteitag beschlossene Programm für die Bundestagswahl stoße beim Deutschen Gewerkschaftsbund auf Zustimmung. Die SPD sei jetzt wieder die Partei der kleinen Leute. (Saarbrücker Zeitung)

Aus wahltaktischen Gründen hat die Parteiführung dem Kanzlerkandidaten Steinbrück ein Spitzenteam zur Seite gestellt. Zur Überraschung aller wurde der Gewerkschaftsvorsitzende Klaus Wiesehügel von der IG Bau Agrar Umwelt als potentieller Arbeitsminister einer gewünschten rosa-grünen Bundesregierung dem Wähler präsentiert. Wiesehügel stand immer am linken Flügel und hatte all die Jahre heftig gegen die Agenda-Politik der Schröder-Regierung opponiert. Schröder nannte er einen "asozialen Desperado"! Mit dem viel gelobten "Klartext" von Steinbrück ist es da wohl nicht weit her, wenn in der Spitze der Partei direkt gegensätzliche Positionen vertreten werden. Da drängt sich stark der Verdacht auf, der ganze Linksruck ist nur ein Wahlmanöver. In einer Großen Koalition bräuchte man dafür nicht mehr geradestehen: Der Koalitionspartner lässt eben eine Verwirklichung der Wahlversprechen nicht zu, bietet sich als Ausrede an. Die unpopulären Maßnahmen, die eine neue große Koalition der Ratlosen angesichts einer Krisenverschärfung treffen müsste, wären auch im Bundesrat besser durchzusetzen, da 9 von 16 Länderregierungen SPD-dominiert sind.



Die Grünen sind im Aufwind

Die olivgrünen Bildungsbürger sammeln sich in der einstigen pazifistischen Ökopartei, die auch immer angepasster wird. Der Pazifismus ist längst dahin. Wie die Sozialdemokraten auch, sind die Grünen für die Auslandsinterventionen, waren mitverantwortlich für die Kosovoopfer. Manche berechtigte Anliegen der Grünen sind inzwischen von anderen Parteien ganz oder teilweise übernommen worden. Die Frage der Atomkraft wurde durch die Reaktorkatastrophe entschieden. Die weltweit drohende Umweltvernichtung geht weiter. Sie kann im kapitalistischen System auch nicht verhindert, sondern höchstens verzögert werden. Die Grünen stehen in Konkurrenz zur FDP in der Betonung der Bürgerrechte und bei der hedonistischen Grundeinstellung, wobei ihnen manche Stimmen aus liberalen Kreisen zugute kommen. Trotz dem Antreten der "Piraten", die wegen Beschränkung auf eindimensionale Themen scheitern werden, ist mit einer leichten Zunahme der Grünen bei der Bundestagswahl zu rechnen. Die meisten ihrer Steuervorschläge zielen vor allem auf die Interessenswahrnehmung der unteren Mittelschichten. Beim Streit um die Endlager für Atommüll ist noch nichts entschieden, ebenso wie die Frage, wer die die Kosten für die Energiewende tragen soll.



Das soziale und politische Unbehagen

geht mehr oder weniger über alle Parteigrenzen hinweg. Bei einer Verschärfung der Verhältnisse könnte es eines Tages in Empörung umschlagen.

Wie der Parteitag der Grünen unterstrichen hat, ist auch die Öko-Partei etwas nach links gerückt, z.B. mit dem Vorschlag einer "Bürgerversicherung". Das entspricht einer wenn auch etwas diffusen Grundstimmung in der Bevölkerung, was das Thema soziale Gerechtigkeit anbelangt. Die Missstände werden ja auch immer sichtbarer und spürbarer: Die zunehmende Kluft zwischen arm und reich, die Ausplünderung durch die Konzerne (Energie, Benzin, Pharmazie und Nahrungsmittel), die Mietpreissteigerungen, das Stagnieren von Reallöhnen und Renten, die Verweigerung von gesetzlichen Mindestlöhnen, der Absturz von ca. 16 Prozent der Bevölkerung in die Armut - während die Gewinne ständig steigen und der Reichtum der Reichen hat teils skandalöse Formen angenommen. Trotz Konjunktur hat Deutschland den Makel von ca. 3,5 Millionen Arbeitslosen. Während der Regierung Schröder-Fischer wurde die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gekürzt und Langzeitarbeitslose werden heute wie Sozialhilfeempfänger behandelt. Sieben Millionen Menschen verdienen weniger als 8,50 Euro; 1,3 Millionen Menschen weniger als fünf Euro in der Stunde. In der BRD gibt es immer noch 900.000 Leiharbeiter, die 40 bis 50 % weniger Lohn erhalten als die Kollegen der Stammbelegschaft. Jeder zweite neue Arbeitsvertrag ist befristet. Frauen verdienen immer noch weniger als Männer. Die reichsten 10 Prozent der Haushalte verfügen über 53 % des gesamten Nettovermögens. In der Ära Schröder wurde zudem noch der Spitzensteuersatz der Reichen gesenkt. Wahrlich, der Klassenkampf von oben hat sich gelohnt.

Die Liste der gesellschaftliche Missstände ließe sich noch weiter fortsetzten. Dazu kämen noch schwierigere Probleme, sollte Deutschland in die unausbleibliche Phase geraten, für die Krise des Kapitalismus zur vorläufigen Abrechnung gezwungen zu sein. Die labile soziale Lage würde sich verschärfen, mit der Gefahr von Turbulenzen oder gar Unruhen. So etwas ist immer schädlich bei der Profithackerei. Das ist wohl auch der Grund, wenn sich Merkel und die CDU/CSU manchmal moderater geben, als es dem Kräfteverhältnis und ihren Wünsche entspricht. Die Union kann auch nicht so offen für die Kapitalinteressen auftreten wie die FDP, muss sie doch auch die Wähler aus der Unterschicht gewinnen. Über die FDP viel zu sagen, ist müßig! Sie vertritt auf allen Ebenen die Kapitalinteressen. Ein besonders krasses Beispiel soll genügen. So schreibt der Freitag (19.6.2013) über Wirtschaftsminister Röslers "Politik für Aktionäre":

"Der FDP-Chef hat zu verantworten, dass das Solidarprinzip der Energiewende ausgehebelt wurde: 600 stromintensive Stahl-, Aluminium-, Zement- oder Chemiekonzerne sind von der EEG-Umlage befreit. Damit sparen sie jährlich 1,8 Milliarden Euro - Geld, das die anderen Stromkunden mitzahlen müssen. Vergünstigungen bei der Stromsteuer für rund 20.000 energieintensive Unternehmen summieren sich zudem mittlerweile auf mehr als fünf Milliarden Euro."


Die Dominanz der Union steht oder fällt mit der wirtschaftlichen Lage

Auch die Union kann nicht ohne Falschspiel auskommen. Der stockkonservative Anhang schrumpft durch die Verstädterung und Modernisierung rapide. Dem müssen CDU und CSU Rechnung tragen. Bundeskanzlerin Merkel gelingt es immer wieder, den Anschein zu erwecken, von den Oppositionsparteien progressive Forderungen zu übernehmen und ihnen damit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Den Anschein deshalb, weil es sich nicht um den vollen Inhalt handelt, sondern bestenfalls um eine halbe Sache. Ob Energiewende, Atomfrage, Finanztransaktionssteuer, Frauenquote, Kitaplätze, Homogesetzgebung usw.; fast alles hat einen Pferdefuß. Mindestlohn ja - aber kein allgemein gesetzlicher! Täuschung, wohin man blickt; es geht eben um Wählerstimmen. Auch Seehofer, dessen CSU nur darum zu kämpfen braucht, ob sie nach der Landtagswahl in Bayern allein regieren kann oder mit einem schwachen Koalitionspartner, ist darin Meister. Während ringsherum die Regierungen die Schulden drücken, verkündet er von München aus den "schuldenfreien Haushalt". Er "vergisst" dabei nur die Kleinigkeit des 10 Milliarden Euro Bankrotts der Bayrischen Landesbank, den die CSU-Regierung unter Stoiber zu verantworten hatte. Aber nein: Die wurden ja in einen "Schattenhaushalt" ausgegliedert!

Die Bundeskanzlerin hat noch eine größere Zustimmung als ihre Partei, die durch zu viel Kakophonie belastet ist. Zwei Drittel der Wähler wollen angeblich Angela Merkel wiederhaben, gilt sie doch als zwar zaudernde, doch besonnene Frau, die die letzten Krisen gemeistert habe. Abwrackprämie, Kurzarbeitergeld und Finanzspritzen waren 2008 die keynesianistischen Mittel der vorläufigen Eindämmung. Das lässt sich nicht beliebig oft wiederholen. Dass Deutschland nun mit 700 Milliarden Euro in der Garantie steht und die Lage in Ländern wie Griechenland und Spanien sich noch verschlimmert hat, wird von vielen verdrängt, wie auch die eigene Schuldenkrise. Was sind schon 2 Billionen Euro? Die europäische Zentralbank garantiert bereits Kredite von über 1.200 Milliarden Euro.

Die nächste Regierung wird in ihrer Legislaturperiode eine Lawine von ernstlichen Problemen auf sich zukommen sehen. Das Vor-Sich-Herschieben wird immer schwieriger. Für eine grundlegende Lösung der kapitalistischen Weltkrise sind die Systemwidersprüche zu groß. Eine Politik nach den kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten untergräbt die bürgerliche Demokratie immer weiter. Nicht nebulöse "Finanzmärkte" diktieren das politische Geschehen, sondern die Hochfinanz als Teil der kapitalistische Klasse. Eine von links durchsetzbare politische Alternative kann bei der bestehenden Schwäche der Arbeiterklasse nicht entstehen. Doch ist es durchaus des Kampfes wert, wie die Lasten verteilt werden und wegen der Bedingungen im Ringen um demokratische Rechte, im Widerstand gegen Konzernmacht und gegen das Treiben Rechtsradikaler.

Die Partei Die Linke hat sich viele dieser Anliegen auf ihre Fahnen geschrieben. Sie ist die einzige Bundestagspartei, die sich scharf gegen die deutsche Aufrüstung, gegen Rüstungsexporte und gegen eine deutsche Kriegsbeteiligung im Ausland wendet. Bereits das Bestehen der Linken übt einen gewissen Druck auf andere Parteien, besonders auf die SPD aus.

Wir werden deshalb die Partei Die Linke kritisch unterstützen und rufen zur Wahl der Partei DIE LINKE auf!

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 180 - Sommer 2013, Seite 1 + 3 bis 6
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2013