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ARBEITERSTIMME/196: Tschechische Kommunisten - Wie geht es weiter?


Arbeiterstimme, Sommer 2009, Nr. 164
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Tschechische Kommunisten: Wie geht es weiter?

Von Stepán Steiger


Die Gegenwart

Von aussen gesehen ist die Kommunistische Partei von Böhmen und Mähren - Komunistická strana Cech a Moravy, so ihr tschechischer Name - eine starke politische Kraft. In der Abgeordnetenkammer (die 200 Mitglieder zählt) ist sie mit 26 Abgeordneten vertreten, im Senat (der 81 Mitglieder hat) hat sie jetzt 2 Senatoren sowie 1 Senatorin. In den letzten Parlamentswahlen 2006 errang sie 12,81 Prozent der Stimmen, in den Kommunalwahlen 200610,79%, in den Regionalwahlen im letzten Herbst stimmten für sie 15,03% der Wähler. In der Wahl fürs Europa-Parlament 2004 gewann die Partei 6 der 24 tschechischen Abgeordneten und nahm so den zweiten Platz nach der in Tschechien regierenden ODS (damals noch nach dem jetzigen Präsidenten benannten "Klaus-Partei").

Andere Zahlen sprechen jedoch eine weniger günstige Sprache: der Anteil der kommunistischen Wähler bleibt bestenfalls ungefähr derselbe, d.h. er stagniert. Wenn man ihn nicht an den Regionalwahlen misst, die oft eine niedrige Wahlbeteiligung aufweisen, - und da ist der Anteil der KSCM von 21,16 im Jahre 2000 auf 15,03 Prozent in 2008 zurückgegangen - so sank dieser Anteil auch in den Kommunalwahlen: von 14,49% in 2002 ging er in 2006 auf 10,79%. Dies ist ein viel wichtigeres Omen, denn auf lokaler Ebene hat u.a. auch die dauerhafte antikommunistische Propaganda einen sehr viel schwächeren Einfluss als auf höheren Ebenen. (Lokal "kennt man sich" - politische Meinungsunterschiede kommen in Anbetracht örtlicher Bedürfnisse weniger zum Vorschein.) Um das Bild abzurunden, hier noch der Anteil der Stimmen, die die KSCM in den Parlamentswahlen gewann (in Prozent): 1998: 11,03; 2002: 18,51; 2006: 12,81. (Natürlich müsste man in diesem Zusammenhang auch nähere Umstände der jeweiligen Wahl in Betracht ziehen, doch im Grunde würde das den Trend nicht ändern.)

Mit 77.000 Mitgliedern (dies die letzte offizielle Ziffer von 2007) ist zwar die KSCM die stärkste tschechische politische Partei (zum Vergleich: die Sozialdemokraten haften 2008 rund 18.500, die erwähnte ODS 2007 um die 29.500, die Grünen 2008 2.800. Man muss sich jedoch vergegenwärtigen, dass noch 1992 die KP 350.000 Mitglieder hatte.) Allerdings, während jährlich 0,6 - 0,68% neue Mitglieder eintreten, beläuft sich die Zahl derer, die Partei auf irgendeine Weise verlassen, auf 6 - 7%. Am Vortag des letzten Kongresses im Mai 2008 stellte man fest, dass die Partei täglich 16 Mitglieder verliert. Das Durchschnittsalter der Mitglieder bewegt sich um 70 Jahre (in Prag sogar um 75). Dabei lag dieser Durchschnitt in 2004, vor dem vorletzten Kongress, bei 68,1 Jahren.

Auch die Angaben über die soziale Zusammensetzung der Mitgliedschaft sind nicht allzu optimistisch: 67% sind Rentner, 15% Arbeiter. Mehr als die Hälfte hat nur eine Grundschulausbildung, ein Drittel hat eine Mittelschule absolviert, nur ungefähr 10 Prozent haben Hochschulbildung (obwohl die Zahl derer mit höherer Bildung in den letzten Jahren im Wachsen begriffen ist). Das Verhältnis der Männer zu Frauen ist 55,5 zu 44,5. (Diese Zahlen sind dem Bericht entnommen, der dem Kongress von 2008 vorlag.)


Die Vergangenheit

Schon aus dem Gesagten ergibt sich einer der wichtigsten Faktoren, die die KP prägen und die in einem anderen Zusammenhang der (dem Alter nach jüngste) stellvertretende Vorsitzende Dolejs erwähnte: "Wir schleppen die Mitgliederbasis aus der vergangenen Zeit hinter uns." Tatsächlich ist die KSCM alt in jeder Hinsicht. Obwohl formal jung, trägt sie immer noch eine sehr schwierige Vergangenheit, die es ihr verunmöglicht, sich so zu modernisieren bzw. zu verändern, wie es die Zeit, das Land und auch die Arbeitenden eigentlich verlangen müssten.

Formal ist die Partei jung. Im Dezember 1989 entschied nämlich die - damals noch tschechoslowakische - KP kurz nach dem "samtene Revolution" genannten Umbruch, eine territoriale Organisation der tschechischen, d.h. auf dem Gebiet von Böhmen und Mähren lebenden, Kommunisten zu schaffen. Bis zu der Zeit gab es nämlich in der Tschechoslowakei als formal autonom nur die slowakische KP. Die neue, "tschechische" Partei hielt dann ihren Gründungskongress am 31. März 1990 ab. Man diskutierte zunächst eine föderale, d.h. gemeinsame Struktur der tschechischen und slowakischen Partei, doch da es am 1. Januar 1993 zu einer Teilung des Staates kam - die Slowakei entstand als ein völlig unabhängiges Subjekt - und der 1. Kongress der tschechischen Partei schon 1992 ein neues Programm angenommen hatte (das "die kommunistische Orientierung der Partei unter neuen Bedingungen" zum Ausdruck brachte), bestätigte der 3. Kongress im Juni 1993 den Namen der Partei als "Kommunistische Partei von Böhmen und Mähren" sowie das Programm. In diesem - und, kann man sagen, nur in diesem Sinn - ist die heutige KSCM neu.

Der Ballast, den die neu entstandene Kommunistische Partei bis heute mitschleppt, ist also doppelter Natur. Das Beharrungsvermögen ergibt sich einerseits aus der Tatsache, dass der Grossteil der heutigen Mitgliedschaft aus alten (im doppelten Sinne des Wortes) Mitgliedern - einschliesslich "alten" Funktionären der ehemaligen KP - besteht, die auch der Denkart der KP vor 1989 verpflichtet sind und den "neuen" Verhältnissen gegenüber nicht eine kritische, sondern ablehnende Stellung einnehmen. Andererseits verpasste die Leitung der quasi neuen Partei auch deshalb den richtigen Augenblick, sich nicht nur von der damaligen KPTsch loszusagen (was sie in Worten mehrmals tat), sondern die Vergangenheit dieser Partei und damit auch des ganzen Regimes - das immerhin 40 Jahre den Staat verkörpert hat - kritisch aufzuarbeiten. In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wäre es ihr auch möglich gewesen, verschiedene linke Gruppen an sich zu ziehen und zu einer wirklich modernen Linkspartei zu werden. Die Sozialdemokratie war erst im Entstehen begriffen (nachdem sie unter dem kommunistischen Regime aufgehört hatte, zu existieren) und auf der politischen Szene formierten sich verschiedene linke Gruppen. Einzeln waren sie weder stark noch bedeutend, für eine kurze Zeit schien es jedoch, sie hätten ideologisch etwas zu sagen. Hätten die Kommunisten diesen Augenblick wahrgenommen, um sich zu modernisieren, hätten sie zu einem ebenbürtigen Partner der Sozialdemokraten werden können. Da sie es jedoch nicht taten, machen sie es bis heute u. a. auch dem hasserfüllten Antikommunismus der Rechten leicht, immer wieder die Verbrechen jenes Regimes ins Gedächtnis der jungen Generation zu rufen und die KSCM zu verteufeln. Ausserdem können jetzt die sog. Pragmatiker in der Parteileitung die Parteibasis nicht vor den Kopf stossen, wenn sie ihre Stimmen in den Wahlen brauchen. (Diese Zwiespältigkeit kommt auch darin zum Ausdruck, dass es manche lokale Parteiorganisationen gibt - besonders in einigen Stadtteilen von Prag - die immer noch ganz im Geist der "alten" KPTsch verfahren, ab und zu gegen die Parteileitung handeln und eigentlich vollends stalinistisch sind.)

Programmatisch nennt die KSCM als ihr Ziel "Sozialismus, eine demokratische Gesellschaft freier, gleichberechtigter Bürger, eine politisch sowie wirtschaftlich pluralistische Gesellschaft, die maximal auf bürgerlicher Selbstverwaltung basiert, prosperiert und sozial gerecht ist,für die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Umwelt Sorge trägt, den Menschen einen würdevollen Lebensstandard sichert und Sicherheit und Frieden durchsetzt." Ausserdem geht das Programm von der marxistischen Theorie aus, die einem Dialog mit internationalen sozialistischen und linken Bewegungen offen steht ebenso wie neuen Ideen und Erkenntnissen. Die Partei bemühe sich, behauptet sie weiter in ihrem Programm, eine Massenpartei zu sein, die auf der Grundlage kollektiven Handelns und Entscheidung, Selbstverwaltungsprinzipien und breiter innerparteilicher Demokratie arbeitet.

Wenn auch die diesjährige Lage der Wirtschaftskrise wegen, die natürlich auch die Tschechische Republik mehr und mehr hart trifft, sowie in Anbetracht der politischen Verhältnisse im Lande nicht "normal" ist, werden die Europa-Wahl im Juni und mehr noch die vorgezogenen, für Anfang Oktober angekündigten Parlamentswahlen sehr viel über die zukünftige Ausrichtung der KSCM aussagen. Obwohl sie auf lokaler Ebene mit jeder anderen Partei zusammenzuarbeiten im Stande ist, kann sie sich an der Regierung nicht effektiv beteiligen, denn ihr einzig möglicher Verbündeter, die Sozialdemokratische Partei, beharrt auf ihrem Kongressbeschluss, der es ihr verbietet, auf Regierungsebene mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten. In dieser Hinsicht ist es also für die KSCM nicht möglich, sich ihren Zielen praktisch zu nähern. Als starke Oppositionskraft kann sie die Regierung - sowohl eine mit sozialdemokratischer als auch eine mit rechtsgerichteter Mehrheit - kritisieren, doch diese Kritik geht in der praktischen Politik ins Leere.

In einem gewissen Sinne bleibt deshalb die KSCM in einem Ghetto, aus dem es wohl kaum einen Ausweg gibt. Sie ragt zwar aus dem Meer - oder vielleicht Teich - der tschechischen Politik heraus, doch nur noch als ein nicht wegzudenkendes Überbleibsel der Zeiten, die von den BürgerInnen der Tschechischen Republik - mit Ausnahme der alten Parteimitglieder - nicht mehr herbeigewünscht werden, auf die jedoch die Partei mit verstohlenem Blick nostalgisch zurückschaut.


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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 164, Sommer 2009, S. 23-24
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2009