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INTERVIEW/037: Einwurf Kunst - Hoffnung, Not und Bilder ...    Hermann Josef Hack im Gespräch (SB)


Gegenwart und Zukunft des Klimawandels in künstlerischer Perspektive

Interview am 9. Juli 2015


Hermann Josef Hack ist ein politisch engagierter Künstler, der sich in seinen häufig im öffentlichen Raum stattfindenden Interventionen seit längerem mit den sozialen Folgen des Klimawandels auseinandersetzt. So umfaßt die Installation "World Climate Refugee Camp" über tausend Miniaturzelte, die von dem Künstler gefertigt und bemalt wurden, um Bewußtsein für das Thema der Klimaflüchtlinge zu schaffen. Seine jüngste Arbeit "Sorry 2050!" wird seit dem 2. Juli vor dem ICE-Bahnhof in Siegburg präsentiert. Mit dieser zum Zweck öffentlichen Kondolierens eingerichteten Blumenablagestätte ermöglicht der Künstler den Passanten, die Perspektive einer nicht allzufernen Zukunft einzunehmen, in der die katastrophalen Folgen des Klimawandels vollends manifest werden, und sich so mit den Folgen des eigenen Tuns respektive Nichttuns zu konfrontieren.

Anläßlich der Ausstellung SHOUT HIN! - Positionen politisch motivierter Kunst im Pumpwerk Siegburg, auf der Hermann Josef Hack mit einigen Exponaten vertreten ist, befragte der Schattenblick den in Siegburg lebenden Künstler zu seiner jüngsten Arbeit wie zu seiner Exkursion in den Libanon, wo er zusammen mit Flüchtlingen "bewohnbare Bilder" schaffte, die er unter anderem vor dem Kölner Hauptbahnhof ausstellte.


Der Künstler mit Globus - Foto: © 2015 by Dr. Andreas Pohlmann714

Hermann Josef Hack
Foto: © 2015 by Dr. Andreas Pohlmann714

Schattenblick (SB): Herr Hack, mit der Aktion "Sorry 2050!" antizipieren Sie die Trauer über die zukünftigen Opfer des Klimawandels. Sie sind ein langjähriger Streiter für Klimagerechtigkeit, drückt sich darin auch so etwas wie Ungeduld oder sogar Resignation aus in Anbetracht dessen, daß nicht so viel zur Begrenzung des Klimawandels erreicht wurde?

Hermann Josef Hack (HJH): Das kann man schon sagen. Ich bearbeite das Thema schließlich nicht erst seit den letzten zwei, drei Jahren, sondern habe das Global Brainstorming Project bereits 1991 gegründet. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon Interesse am globalen Wandel im weitesten Sinne. Der Klimawandel kam ein bißchen später, die Diskussion drehte sich seinerzeit vor allem um das Ozonloch. Die ersten Bedenken des Club of Rome waren bereits bekannt, und ich hatte damals die vielleicht naive Hoffnung, daß man diese Entwicklung, wenn viele Menschen gleichzeitig etwas machen, vielleicht noch in den Griff bekommt. Ich habe die Hoffnung zwar nicht aufgegeben, aber erkenne immer mehr, daß wir sehenden Auges in die Katastrophe hineinlaufen. Im Prinzip muß man, so sehe ich das jedenfalls, den Druck erhöhen oder die Aktionen etwas verschärfen. Ich glaube nicht, daß man mit einer harmlosen Anklage etwas ausrichten kann, sondern gleichzeitig immer auch Dinge anbieten muß, bei denen die Leute mitmachen können und wobei auch ihr Bewußtsein geschärft wird.


Gerüst mit aufgesteckten Bildern und davor ausliegenden Blumen - Foto: 2015 by Susanne Fasbender

Installation "Sorry 2050!" am Tag der Eröffnung in Siegburg
Foto: 2015 by Susanne Fasbender

Ich habe mich schon damit abgefunden, daß wir die Katastrophe nicht mehr verhindern können, und finde es schlimm, daß wir die letzten Jahre mitansehen mußten, daß alle Anstrengungen in die Richtung gehen, uns dem Klimawandel anzupassen, nach dem Motto: Wie können wir erreichen, daß uns möglichst wenig passiert und es uns in den wohlhabenden Regionen noch einigermaßen gut geht. Das geht natürlich nur auf Kosten der anderen, aber dieser Nachsatz wird dann gerne verschluckt, das möchte man nicht erwähnen. Es ist nun nicht so, daß die Energie nachlassen und ich resignieren würde, sondern dies spornt mich im Gegenteil noch mehr an zu sagen, jetzt erst recht, wir müssen etwas machen und können das nicht einfach so hinnehmen. Bei vielen Leuten erlebe ich diese Resignation tatsächlich. Sie sagen, wir können ohnehin nichts mehr ändern, das betrifft uns Gott sei dank nicht mehr, weil wir schon so alt sind. In meiner Generation höre ich das immer wieder. Ich bin gerade Großvater geworden, und die Verantwortung den nachfolgenden Generationen gegenüber spüre ich sehr deutlich, daher möchte ich das in meiner Arbeit zum Tragen kommen lassen.

SB: Ihre Installation appelliert an eine Art individuelles Schuldbewußtsein. Ist das eine adäquate Herangehensweise an das Problem, wenn man bedenkt, daß die Verbrauchs- und Konsumgesellschaft maßgeblich von Kapitalverwertungs- und Industrieinteressen bestimmt wird, an denen der einzelne nicht viel ändern kann?

HJH: Man muß beides im Auge behalten. Man darf die großen Machtinteressen nicht einfach sich selbst überlassen und sich in den privaten Raum zurückziehen, sondern sollte auf beiden Feldern aktiv werden. Es gilt, auf der politischen Ebene immer wieder anzuklopfen, zu fordern, sich einzumischen, aber sich gleichzeitig nicht darauf zu verlassen, daß die großen Einrichtungen, Parteien, Konzerne, NGOs und so weiter alles richten werden. Ich bin davon überzeugt, daß es mehr bringt, wenn wir in unserem eigenen Umfeld aktiv werden, wenn wir uns auch im kleinen Kreis engagieren und vorbildlich sind, wenn wir kleine regionale Unternehmungen unterstützen, anstatt in eine Romantik zu verfallen, bei der ich meinen kleinen Bauernhof bestelle, und außerhalb des Weidezauns interessiert mich die Welt nicht mehr. Es geht darum, die politischen Forderungen aufrechtzuerhalten, auch den großen Konzernen Dampf zu machen, auf die Straße zu gehen, aber gleichzeitig auch Alternativen zu schaffen.


Wand der Installation - Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Demonstrative Verletzlichkeit
Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Wir haben keine Zeit mehr zum Warten. Die letzten Jahrzehnte sind verstrichen in der Hoffnung, daß die Grünen, Greenpeace und alle möglichen Organisationen etwas für uns machen. Aber wenn man sieht, was aus politischen Figuren wie Fischer, Schröder und so weiter geworden ist, dann führt uns dies wunderbar vor Augen, wie wenig man auf diese Leute setzen kann. Man muß die Sache selber in die Hand nehmen und gerade seine eigenen Kinder und Enkel durch vorbildliche Handlungen an die Problematik heranführen, anstatt zu warten, bis irgendeiner für die gesamte Gesellschaft eine Lösung findet.

SB: Sie haben mit dieser Installation eine künstlerische Form von hohem sozialen Symbolwert gewählt, bei der es mehr um die Lebenden als um die Toten geht. Kann man das vielleicht auch als Kommentar zu dieser Art von öffentlichem Trauern verstehen, das in den 90er Jahren mit den großen öffentlichen Blumenniederlegungen zum Tod von Prinzessin Diana angefangen hat? Nehmen Sie damit vielleicht auch solche ritualisierten Formen des Gedenkens auf die Hörner?

HJH: Ich versuche einfach, diese Form zu benutzen und sie ein bißchen umzudrehen. Ich will sie nicht einmal ironisieren, es steckt ja eine ernstgemeinte Trauer dahinter. Was die Menschen zum Ausdruck bringen, ist keineswegs so schlagerhaft oder kitschig, wie sich das in gewisser Weise äußert. Die Gefühle, die dahinter stehen, sind ernst und echt. Ich finde es unfaßbar, daß das Schicksal von Millionen Menschen gar nicht wahrgenommen wird, aber zugleich ein Einzelschicksal, das viel mediale Aufmerksamkeit erhält, große Sympathien erfährt. Auf der einen Seite sind wir Menschen wohl nicht so abgestumpft, wie es scheint, und trauern, wenn jemand entführt oder überfahren wird. Auf der anderen Seite gibt es millionenfaches Leid, das unempfunden bleibt. Wenn eine Fabrik in Bangladesch abbrennt und zusammenstürzt, dann sagen die Leute, das tut mir leid, aber im Endeffekt kenne ich die Menschen nicht. Es ist weit weg, vielleicht spende ich anonym, aber es entsteht kaum echte Betroffenheit.


Beileidsbriefe und Babykissen - Fotos: 2015 by Susanne Fasbender   Beileidsbriefe und Babykissen - Fotos: 2015 by Susanne Fasbender

Späte Erkenntnis
Fotos: 2015 by Susanne Fasbender

Wenn Urlauber am Strand die angeschwemmten Leichen der vielen ertrunkenen Lampedusa-Flüchtlinge entdecken, sagen sie vielleicht, jetzt kann ich keinen Urlaub mehr machen, das ist ja eklig. Der Widerspruch dazu, bei seiner Sympathie und Anteilnahme zu verharren, interessiert mich auch. Ich versuche, das zu benutzen, indem ich ein Denkmal errichte und schaue, ob andere Menschen sich dem anschließen und auch Blumen ablegen. Oder bin ich jetzt der einzige, der das macht? Und wie gehen die Leute damit um? Es ist auf jeden Fall ein Medium, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken, und funktioniert sehr gut. Man braucht nicht lange zu warten, bis die ersten Leute stehenbleiben. Das gilt eigentlich für alle, die an der Installation vorbeikommen, die sich in der Nähe des Bahnhofsausgangs befindet, wo viel Verkehr herrscht. Wenn junge Mütter mit Kindern die Babyfotos sehen, bleiben sie stehen, es funktioniert schon, daß darüber Aufmerksamkeit entsteht und Sympathie geteilt wird.

SB: Im Rahmen Ihres Eintretens für Flüchtlinge haben Sie eine Aktion gemacht, um ihnen privaten Wohnraum zu ermöglichen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt, der sich seinerseits dafür einsetzte, privaten Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, hat in einem Interview[1] berichtet, daß von den rund 1000 Reaktionen auf seine Forderung vier Fünftel haßerfüllt waren und bis zu Morddrohungen reichten. Haben Sie etwas ähnliches in bezug auf Ihr Eintreten für Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten erlebt?

HJH: So schrecklich war das bei mir nicht, ich bin noch nicht bedroht worden, aber es gibt auch hier sehr abfällige bis haßvolle Bemerkungen, nach dem Motto: "Was soll der Dreck!" oder "Was fällt Ihnen denn ein, das soll Kunst sein, haben wir dafür auch noch bezahlt?" Das waren die ersten Reaktionen von dieser Anti-Fraktion. Aber schlimmeres geschah noch nicht. Ich habe das allerdings auch ein bißchen übertrieben dargestellt. Ich habe zum Beispiel vor acht Jahren die Bundeskunsthalle in Bonn zum Klimaflüchtlingslager erklärt und gefordert, die betroffenen Menschen in diesen der Kunst gewidmeten Räumen unterzubringen.

Bei den Aktionen zum Klimaflüchtlingslager haben mich die Leute häufig nur verständnislos angestarrt, weil nicht einmal das Thema der politischen Flüchtlinge in der Öffentlichkeit besonders vertreten war. Nach den Kriegen im Nahen Osten ist es jedoch nähergerückt. Als ich später erklärte, ich könne als Künstler nichts anderes machen, als meine Bilder an Flüchtlinge zu verschenken, denn Wohnraum habe ich keinen, könnt ihr nicht vielleicht Wohnraum zur Verfügung stellen, da haben die Leute mich wirklich schräg angeschaut.


Bahnhofsfassade mit Vorplatz, auf dem bemalte Planen liegen - Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Präsentation der "bewohnbaren Bilder" vor dem Hauptbahnhof Köln
Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

SB: Sie haben in einer Installation vor dem Hauptbahnhof in Köln Zeltplanen gezeigt, die in einem Flüchtlingslager im Libanon bemalt wurden. Was haben Sie bei Ihrer Reise in den Libanon erlebt und welchen Flüchtlingen sind Sie dort begegnet?

HJH: Dazu muß ich etwas weiter ausholen. Die Idee mit den bewohnbaren Bildern hatte ich bereits vorher, weil ich schon lange Jahre auf dieser Zeltplane male. Es ist ein Material, das außerhalb des hehren Museums steht und diese Weiße-Handschuhe-Ästhetik des musealen Betriebs herausfordert. Die Sachen entstehen meistens unter freiem Himmel und haben einen starken Bezug zur Straße. Ich konnte den Flüchtlingen zwar nicht mein Atelier zum Wohnen zur Verfügung stellen, wollte aber zeigen, daß die Kunst aufgerufen ist, etwas zu tun und nicht einfach nur zu ästhetisieren und beschreibend tätig zu sein. Dann kam mir der Gedanke, diese Plane an Flüchtlinge zu verschenken. Die Menschen können damit Notbehausungen bauen, aus einem großen Stück Plane machen sie einen Unterstand und leben darunter. Nachdem das UNHCR mit meiner Idee nichts anfangen konnte, habe ich mich an die Hilfsorganisation Care gewandt. Dort fand man das Konzept interessant, und dann habe ich ein Jahr lang diese bewohnbaren Bilder öffentlich ausgestellt, etwa vor dem Reichstag oder in Köln auf der Hohe Straße und im Einkaufszentrum. Damals war noch nicht klar, ob sie sie in Jordanien oder im Libanon zu Flüchtlingen bringen werden.

Ich wollte die Menschen auch kennenlernen, wollte wissen, wie sie leben, was sie brauchen, was ihnen Kultur bedeutet und mit ihnen arbeiten. Ich bin der Überzeugung, daß es neben Essen, Trinken, Hygiene und so weiter genauso wichtig ist, daß die Menschen ihre Kultur leben dürfen, ob nun Musizieren oder Kunst machen. Es geht doch um mehr als nur darum, Menschen wie Tiere im Camp am Leben zu halten, sondern sie sollen sich auch äußern können. Ich wollte vermitteln, daß diese Menschen auch eine kulturelle Betätigung brauchen, nicht als eine Art Traumatherapie, sondern als Inhalt zur selbstbestimmten Nutzung.


Herrman Josef Hack und Andreas Pohlmann mit Transparent - Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Kunstakteure im Flüchtlingslager Tripoli
Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Mit meinem Kollegen Andreas Pohlmann, mit dem ich solche Projekte öfter zusammen mache und der das Ganze fotografisch dokumentiert hat, bin ich mit Care in den Libanon gefahren, um dort zwei verschiedene Flüchtlingslager zu besuchen und dort mit zwei Gruppen von Flüchtlingen zu arbeiten. Das eine liegt in der Stadt Tripoli, die eigentlich für Touristen verboten ist, weil die Lage im Norden des Landes in der Nähe zu Syrien sehr gefährlich ist. Dort haben wir an einem Tag mit ungefähr 40 Flüchtlingen zusammen gemalt, überwiegend waren es Kinder, aber auch ihre Mütter und Väter beteiligten sich daran. Die Menschen leben auf einer ehemaligen Farm, die man sich jedoch nicht wie einen Bauernhof bei uns vorstellen kann. Es handelt sich um ganz kleine Stallungen, die vielleicht so groß wie eine Autogarage sind. Aneinandergereiht in einer unverputzten, dreckigen Ranch werden diese Ställe von einem Privatier für 200 US-Dollar im Monat vermietet. In einem dieser Verschläge leben zwei Familien mit je fünf bis sechs Personen. Die Miete müssen sie selbst aufbringen.

Wir haben diese Familien dort besucht und konnten uns mit ihnen ein bißchen unterhalten, was in der peinlichen Enge auch für sie eine schwierige Situation war. Sie waren aber glücklich und froh, daß wir uns um sie gekümmert haben. So gaben sie uns zu verstehen, daß wir die ersten und einzigen sind, die sich dafür interessieren, wie sie leben und wo sie herkommen. Die Familie, bei der wir zu Gast waren, lebte von der Landwirtschaft in Syrien, stammte aber ursprünglich aus Palästina. Sie hatten sich dort eine Existenz aufgebaut, besaßen eigenes Land, wurden jedoch, wie der Vater berichtet hat, von Vertretern des Regimes erpreßt. Da sie nicht bezahlen konnten, wurden sie als Geiseln genommen und gefoltert. Schließlich haben sie ihre Verwandten zusammengetrommelt, die ihnen ein paar Tausend Dollar zur Verfügung stellten, um sich freizukaufen. Nachdem sie freigekommen waren, flohen sie mit Kind und Kegel sofort in den Libanon und sind jetzt natürlich ihren Besitz los. Sie haben nur Schulden, die sie ihren Verwandten zurückzahlen müssen, und keine Einkünfte. Sie leben mit einem Touristenvisum, was alle drei Monate verlängert werden muß, was pro Person circa 50 US-Dollar kostet.

Weil sie nicht arbeiten dürfen, können sie bestenfalls Schwarzarbeit verrichten. Der Vater erzählte uns, daß er wegen einer gefährlichen Augenentzündung zum Arzt mußte. Um die Behandlung bezahlen zu können, gab es einen Monat lang praktisch nur Wasser zu trinken und nichts zu essen. So existenziell ist ihre Situation. Die Kinder haben zwar die Möglichkeit, vor Ort in die Schule zu gehen, aber die Mütter lassen sie nicht raus, weil sie zu Recht befürchten müssen, daß die Kinder verschleppt und als Arbeitssklaven verkauft werden. Insofern klammern sich die letzten Überlebenden der Sippe an ihre Kinder und verlangen natürlich eigene Schulen.

Das ist zur Zeit aber nicht möglich, daher sagten sie uns, wenn ihr uns irgendwie helfen wollt, dann sorgt dafür, daß wir Schulen bekommen. Die Kinder verlieren ihre Zukunft, kriegen keine Ausbildung, können weder rechnen, lesen noch schreiben. Selbst die ältesten Kinder sind Analphabeten und können sich nicht weiterentwickeln. Abgesehen davon leiden sie natürlich unter der Perspektivlosigkeit. Sie wollen in ihre Heimat in Syrien zurück. Da einige Bekannte von ihnen auf der Fluchtroute über das Mittelmeer ertrunken sind, haben sie überhaupt kein Interesse, weiter in Richtung Europa zu ziehen.


Parkanlage mit Planen, auf die gemalt wird - Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Viel Platz für öffentliches Malen
Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Für einen Tag hatte Care für die Flüchtlinge einen Ausflug in einen kleinen Park organisiert, wo es auch Spielgeräte, Schaukeln und Sandkästen gab. Die Kinder haben sich darauf gestürzt, weil sie so etwas zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen haben. Nachdem sie ein wenig gespielt hatten, breiteten wir die vier Meter lange und zwei Meter breite Plane aus und stellten Farben und Malgerät zur Verfügung. Nachdem wir mit dem Malen angefangen hatten, schlossen sich die Flüchtlinge schnell an. Das ging geradezu explosionsartig, erst die Kinder, dann die Mütter, die ihrer Rolle gemäß scheuer sind und immer ein bißchen zurückbleiben müssen. Sie sind nachher alle aus sich herausgegangen, haben zum Pinsel gegriffen und mit uns gemalt, vier, fünf Bilder gleichzeitig nebeneinander. Ich erklärte ihnen, warum wir hier sind und was wir vorher gemacht haben. Wir haben ihnen auch Fotos von den Zelten gezeigt, die ich in Köln, vor dem Parlament in Berlin und so weiter aufgebaut hatte. Daran waren sie sehr interessiert und haben auch sofort gemerkt, daß der Reichstag wohl ein wichtiges Gebäude sein muß. Ich habe die Fotos nachher verschenkt, und sie wurden wie Trophäen behandelt.

Beim Malen haben die Kinder überwiegend nach vorne geschaut. Sie haben Schulen gemalt, weil es ihr größter Wunsch ist, endlich zur Schule gehen zu können. Dann malten sie Gärten, ein heiles Leben mit vielen Pflanzen und Tieren, eben all das, was in ihrer Heimat in Schutt und Asche liegt. Sie haben ihr Schicksal jedoch nicht beklagt, sondern nach vorne geschaut. Eines der Kinder hat allerdings gemeinsam mit der Mutter eine Schaukel gemalt, auf der ein Kind saß. Die Mutter erklärte mir, daß ihre Tochter miterleben mußte, wie ihre beste Freundin auf einer Schaukel erschossen worden ist. Solche Geschichten sind sehr dramatisch. Typisch an den Bildmotiven waren die Sehnsüchte, aus dem Ghetto herauszuwollen, mit anderen Kindern zu spielen, einen Garten, Tiere und so weiter zu sehen, zur Schule zu gehen.

Eine Gruppe junger Männer, die alle über ein abgeschlossenes Studium verfügten, aber keine Perspektive auf eine Anstellung besitzen, haben dagegen gezeichnet, wie ihre Uni zerbombt wurde. Sie haben brennende Panzer, blutende Leichen und die ganze Konfliktsituation, aber auch Fahnen und Symbole ihrer verbotenen Organisation in Palästina gemalt. Diese Gruppe brachte einen politischen Aspekt in die Kunst. Die Generation der Väter hat dagegen vielfach Schlüssel gemalt. Das ist ein ganz wichtiges Symbol dafür, daß sie in ihre Heimat zurückkehren wollen, in erster Linie nach Syrien, aber letzten Endes nach Palästina. Eine in der Region typische Figur ist ein Mann, der dem Betrachter seine auf dem Rücken verschränkten Arme zukehrt und in die ferne Heimat schaut. Diese Ikone haben sie überall hineingemalt, um auszudrücken, "wir wollen wieder zurück, wir kehren euch den Rücken zu, weil wir nicht hierbleiben, sondern in unsere Heimat zurück wollen". Wenn man das ein bißchen lesen kann, dann sieht man, wie stark die Zugehörigkeit zu ihrer Identität ist.


Malen auf Planen im Freien - Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Malaktion in Tripoli
Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Wir haben einige Tage danach noch eine Besprechung im Goethe-Institut gehabt, zu der die Teilnehmer der Aktion eingeladen wurden. Sie haben noch einmal erklärt, wie wichtig es für sie war, zum ersten Mal seit langem wieder etwas zusammen machen zu dürfen. Durch das Malen hatten sie ein sehr starkes Zusammengehörigkeitsgefühl erfahren. Während ansonsten jeder vor sich hin vegetiert und seine eigenen Sorgen hat, erlebten sie, wie sie mir sagten, zum ersten Mal wieder das Gefühl, gemeinsam an etwas zu arbeiten.

Nach diesem Tag in Tripoli sind wir noch in eine kleine Stadt, etwa eine halbe Autostunde von Beirut entfernt, gefahren. Dort leben einige von Care betreute palästinensische Syrer, die aber in dezentralen Flüchtlingsunterkunften wie auch privaten Hochhauswohnungen untergebracht sind. Darunter waren sozial höhergestellte Leute und auch ehemalige Regierungsbeamte. Eine Künstlerin, die in Syrien Bildhauerarbeiten gemacht hatte, erzählte uns, wie glücklich sie war, daß sie mit uns etwas machen konnte. Weil sie kein Geld für Material hatte, arbeitete sie mit Kinderknete. Auch dort war die Beteiligung sehr intensiv, zumal wir einander auf Augenhöhe begegneten. Wir haben ihnen vermittelt, daß nicht Leute aus Europa gekommen sind, um ihnen zu zeigen, wie der Pinsel zu schwingen ist, sondern daß wir von ihnen lernen und auch wissen wollten, wie ihr Alltag ist und was wir unseren Leuten in Deutschland über ihre Interessen und Wünsche berichten sollen. Was heißt Kultur für euch als Flüchtlinge, vermißt ihr die Kunst, gibt sie euch etwas, das euch im Alltag helfen kann?

Sie haben unseren Eindruck, daß diese Aktion für sie sehr wichtig und nicht nur eine nette Beschäftigung war, vollauf bestätigt. Die Vertreter der Hilfsorganisation Care haben darüber gestaunt, daß die Menschen innerhalb von fünf Minuten so aus sich herausgegangen sind. Sie haben nicht nur in Rekordzeit ihre Geschichten heruntergemalt, sondern anschließend auch noch erklärt, wieso und warum sie es auf diese oder jene Weise gemacht haben. Wir haben die Aktion dann auch Beirut Communication Camp genannt. Die Flüchtlinge waren so kommunikativ wie nie zuvor, denn es ging darum, daß man einander zuhört und auch erfährt, was mit ihnen geschehen ist. Dies soll fortgesetzt werden, indem wir diese Arbeiten in Form von Zelten anderen zeigen, um das Thema der Flüchtlinge zu aktualisieren und Kommunikationspunkte zu schaffen.


Hack mit Zeltgestänge und Planen - Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Aufbau der Installation in Köln
Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

SB: Stimmt es mit Ihrem Eindruck überein, daß bis zu einem Drittel der Menschen im Libanon Flüchtlinge sind?

HJH: Auf ein Viertel der Bevölkerung trifft das ganz bestimmt zu, vielleicht sind es auch mehr. Jedenfalls ist ihre Anwesenheit allgegenwärtig. Allerdings fühlen sich die palästinensischen Syrier dort als Menschen zweiter Klasse, zumal sie diskriminiert werden, wie sie uns sagten. Es ist nicht so, daß sie dort alle gern gesehen sind. Dennoch muß man sagen, daß die Menschen im Libanon sehr tolerant sind und die Flüchtlinge als Brüder und Schwestern aufnehmen. Man sieht es auch im Stadtbild, das sehr heterogen ist. Überall ragen neue Wolkenkratzer in die Höhe, während direkt daneben irgendwelche Ruinen abgerissen werden. In diesen Ruinen wohnen Menschen, dazwischen gibt es aber auch Unterkünfte, die aus ein paar Planen gefertigt sind wie diejenigen, auf denen meine Bilder gemalt sind. Das sind aber keine großen Camps mit Tausenden nebeneinander aufgereihten Zelten, sondern eher dezentrale, in der Stadtarchitektur versteckte Notlager. Jeder baut sich selber etwas und schaut zu, wie er klarkommt. Bemerkenswert fand ich das Nebeneinander der Religionen und Kulturen, das dort sehr gut zu funktionieren scheint. Da ich erstmals im Libanon war, hat mich die freizügige Kleidung der jungen Menschen überrascht, was man von einem mehrheitlich islamischen Land gar nicht erwartet hätte. Von daher ist man den Flüchtlingskindern gegenüber sehr offen. Schätzungsweise acht Millionen Libanesen leben ohnehin im Ausland, so daß dort eine ganz andere Haltung als bei uns vorherrscht.

SB: Der ursprüngliche Anlaß dieses Interviews ist Ihre Beteiligung an der Ausstellung SHOUT HIN! im Pumpwerk. Sie leben in Siegburg und haben schon früher verschiedene Projekte an diesem Ausstellungsort gezeigt. Was halten sie davon, wenn politisch motivierte Kunst in der Provinz, wie man aus großstädtischer Perspektive sagen würde, präsentiert wird?

HJH: Ich lebe seit über zehn Jahren in Siegburg und habe hier auch mein Atelier. Für mich ist an diesem Wohnort die Nähe zu Köln interessant. Insofern bin ich nicht unbedingt ein Verfechter der Provinz, aber teste dennoch einige Aktionen in Siegburg gerne aus, frei nach dem Motto: "Denke global und handle lokal". Ich muß jetzt nicht nach Berlin ziehen, um meine Arbeiten zu präsentieren. Ich will auch Leuten, die hier leben, die Möglichkeit geben, sich einzumischen, auch wenn man natürlich spürt, daß Kunst den Leuten hier nicht so unter den Nägeln brennt. Siegburg ist kein sozialer Brennpunkt, in dieser Stadt gibt es viele Leute, denen es gut geht und die ausgesorgt haben. Hier herrscht am Rande zwar auch Arbeitslosigkeit, aber im Speckgürtel von Bonn kennen die Leute keine wirkliche Armut. Insofern müssen sie für diese Problematik erst einmal gewonnen werden.


Exponate an Wänden mit schattigem Licht - Foto: 2015 by Schattenblick

Hermann Josef Hack im Pumpwerk Siegburg
Foto: 2015 by Schattenblick

Im Jahr 2000 haben Andreas Pohlmann und ich im Pumpwerk eine Ausstellung zum Thema Weltgedächtnis gemacht, bei der es um die Dauerhaftigkeit von Speichermedien ging. Bei der Eröffnung wurde das einmal durch die Zeitung gejagt, und damit war es auch schon abgefrühstückt. Hier interessieren sich nicht viele Leute für Kunstausstellungen, kaum jemand kommt, um sich das einmal in aller Ruhe anzuschauen. Wer wirkliches Interesse an der Kunst hat, fährt gleich nach Köln. Wenn man auch nur einigermaßen Niveau in die Provinz bringen möchte, muß man mit den Leuten konkurrieren, die Mitglied im Verein sind und sich selbst als Künstler empfinden und, weil sie jahrelang eingezahlt haben, auch für ihre Landschaftsbilder eine Ausstellung fordern. Dann wird es natürlich noch schwieriger, politische Kunst zu präsentieren. Die Leute kennen mich hier in Siegburg, weil ich meine Aktionen gut kommuniziere, und vielleicht steckt auch ein gewisser Stolz dahinter, wenn sie darauf verweisen, daß unser Siegburger hier etwas macht. Tatsächlich schauen nur wenige kulturell über den eigenen Tellerrand hinaus, während das Gros lieber im Café ein Stück Kuchen ißt oder sich im Gartenbaumarkt ein paar Pflanzen mit passendem Dekor dazu holt. Solche gibt es natürlich auch in Berlin und Hamburg.

SB: Herr Hack, vielen Dank für das Gespräch.


Eintrag ins Kondolenzbuch - Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack

Anteilnahme und Reflexion
Foto: © 2015 by Hermann Josef Hack


Fußnoten:


[1] https://www.jungewelt.de/2015/07-04/004.php

Beiträge zur Ausstellung SHOUT HIN! - Positionen politisch motivierter Kunst im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → KUNST → REPORT:

BERICHT/046: Einwurf Kunst - Präsentative Rebellion ... (SB)
INTERVIEW/033: Einwurf Kunst - Anstoß ohne Gegenstand ...    Oliver Breitenstein im Gespräch (SB)
INTERVIEW/034: Einwurf Kunst - Urbane Fronten ...    Benoît Tremsal im Gespräch (SB)
INTERVIEW/035: Einwurf Kunst - Neustartkonverter ...    Reinhard Lättgen im Gespräch (SB)

24. Juli 2015


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