Schattenblick →INFOPOOL →KUNST → REPORT

INTERVIEW/027: Museum, Kunst und Träume - Primat der Ästhetik politisch neutral, Reinhard Spieler im Gespräch (SB)


"Wir sind heute genauso unmoralisch wie die Menschen damals"

Interview im Sprengel Museum Hannover am 7. März 2014



Dr. Reinhard Spieler ist Kunsthistoriker und seit Februar 2014 Direktor des Sprengel Museums Hannover. Im Anschluß an eine Führung durch die Einzelausstellung MICHAEL RAEDECKER. tour, die vom 9. März bis 15. Juni 2014 zu sehen ist, beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Reinhard Spieler
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Sie sind erst seit einem Monat Direktor des Sprengel Museum Hannover. Können Sie kurz erläutern, wie Sie sich Ihre Tätigkeit hier vorstellen, was Ihr persönlicher Schwerpunkt ist und ob es da vielleicht Unterschiede zu Ihren Vorgängern gibt?

Reinhard Spieler: Es gibt jetzt erst einmal große Arbeitsschwerpunkte. Das ist der Neubau des Museums und damit verbunden entwickeln wir eine komplette Neueinrichtung der Sammlung. Das wird ganz neu erarbeitet und wird dann natürlich auch deutlich anders aussehen. Grundsätzlich definiere ich meine jetzige Tätigkeit nicht darüber, ob ich alles anders machen will als mein Vorgänger. Wir haben Sammlungsschwerpunkte, mit denen wir weiterarbeiten werden. Das betrifft die Klassische Moderne. Ich habe über Max Beckmann promoviert, bin also schon in der Gegenwartskunst zu Hause.

Wir werden die Ausstellungsthemen ähnlich wie schon zuvor aus der Sammlung heraus entwickeln, und mit Sicherheit wird es dann eine etwas andere Handschrift werden. Aber das heißt nicht, daß ich mit einer Fahne herumlaufe und sage, ich mache jetzt alles anders. Ich finde, das müssen dann andere beurteilen, wie sie das Profil lesen.

SB: Es gibt hier im Museum viele Bilder aus der Zeit des Expressionismus, die durch ihre große gesellschaftliche Relevanz beeindrucken, häufig einen kommentierenden Charakter haben und sich damit - so zumindest stellt sich das aus der Sicht eines Laien dar - sehr von der Kunst der abstrakten Moderne unterscheiden. Wie schätzen Sie diese Malerei in ihrer historischen Bedeutung ein? Hat der Expressionismus den Menschen heute noch etwas zu sagen?

RS: Ja, natürlich hat sie uns etwas zu sagen. Das gilt für jede Kunst aus allen Zeiten. Auch die mittelalterliche Kunst hat uns noch etwas zu sagen. Es sind immer Facetten des Menschen, die sich da ausdrücken, auch wenn es eine kulturelle Prägung oder eine Zeitprägung in irgendeiner bestimmten Epoche gibt. Deswegen beschäftigen wir uns damit. Ich würde das auch nicht unbedingt grundsätzlich bewerten und sagen: Die 50er Jahre sind langweilig und der Expressionismus ist total interessant. In den 50er Jahren hatte man eben andere Aufgaben in der Gesellschaft, da war der Krieg gerade vorbei. Da mußte man vielleicht nicht so inhaltlich sein und hat versucht, sich erst einmal andere Felder zu erschließen. Es gab sicher auch einen ästhetischen Aufholbedarf bei uns nach dem Dritten Reich, da hat man sich die Abstraktion erschlossen. Das war nicht nur in Deutschland so, sondern auch in Rußland, in Italien. In den Diktaturen war diese Entwicklung der Moderne abgebrochen, und die hat man wieder aufgegriffen. Jede Zeit bringt ihre Fragen hervor.

SB: Es gab vor kurzem in der Bundeskunsthalle in Bonn eine Ausstellung "1914 - Die Avantgarden im Kampf", die auch hier im Museum ausgestellte Exponate betrifft. Angesichts der aktuellen Weltlage könnte man den Eindruck erhalten, als hätten die Menschen vor hundert Jahren kaum andere Probleme gehabt als heute. Täuscht der Eindruck, daß viele der damals aus sozialer Not oder Kriegsdrohung verhandelten Fragen in der Kunst heute kein Thema mehr zu sein scheinen?

RS: Natürlich beschäftigen sich auch heute noch sehr viele Künstler mit Krieg und Gewalt. Ich glaube, gerade vor dem Ersten Weltkrieg war die Position bei vielen noch eine ganz andere, weil es die Erfahrung eines solchen Krieges einfach damals noch nicht gegeben hatte. Deswegen ist wahrscheinlich manche Einschätzung des Krieges vor dem Ersten Weltkrieg noch deutlich positiver ausgefallen, als es nach dieser Erfahrung jemals sein konnte. Ich glaube, der Erste Weltkrieg war einfach ein total tiefer Einschnitt in der Erfahrung der Menschheit, weil man so einen maschinisierten Krieg, diesen Stellungskrieg, dieses Grauen einfach noch nicht erlebt hatte. Diese Massentötungsapparate gab es vorher nicht. Ich glaube, nach dem Ersten Weltkrieg gibt es eigentlich kaum mehr einen Künstler, der den Krieg noch irgendwie euphorisch gesehen hätte. Und natürlich haben wir, wenn wir uns heute mit Gewalt auseinandersetzen, gleich die Erfahrung von zwei Weltkriegen hinter uns, das hat uns schon entscheidend geprägt.

Erklärend vor Ausstellungsexponat - Foto: © 2014 by Schattenblick

Kundige Führung - Reinhard Spieler präsentiert Michael Raedecker
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: In der FAZ wurde dem auch im Sprengel Museum vertretenen Maler Emil Nolde angelastet, "Mehr Sympathisant als Widerständler" [1] gewesen zu sein, weil er das von den Nazis über ihn verhängte Malverbot nicht eingehalten habe. Es wurde gefragt, was von seinem Werk bleibt, wenn er doch mehr als bisher bekannt war kollaboriert haben soll. Halten Sie solche Fragen für relevant, wenn es um die Beurteilung von Kunstwerken geht?

RS: Für die Beurteilung der Kunstwerke nicht unbedingt, aber man bewertet ja nicht nur die Kunst, sondern auch die Person, und dann sind es schon Fragen, die einen beschäftigen. Und man interessiert sich auch dafür, in welchem Kontext Werke entstehen. Bei Nolde ist es eigentlich schon erstaunlich, daß seine persönliche Einstellung und seine Kunst in jener Zeit und in ihrem Verhältnis zum politischen System so diametral waren. Er ist als Künstler radikal abgelehnt worden und hat selber schon mit aller Vehemenz versucht, in dem System Fuß zu fassen. Er war als Künstler dann doch so authentisch, sich in der Hinsicht überhaupt nicht anpassen zu wollen und ist dann auch irgendwie tragisch gescheitert. Das ist für mich jetzt kein Grund, seine Kunst grundsätzlich abzulehnen. Da muß man schon vorsichtig sein.

Abgesehen davon bin ich auch ein bißchen zurückhaltend, Menschen immer in Bausch und Bogen zu verurteilen. Der Antisemitismus in jener Zeit - ich möchte ihn überhaupt nicht in Schutz nehmen - entsprang einer anderen Zeit als heute. Heute ist es einfach, nicht Antisemit zu sein, aber damals war das halt sehr viel salonfähiger. Zu Nolde würde ich auch noch sagen, daß er sehr ehrgeizig war. Die Ambition, in einem System anerkannt zu werden, bringt viele Menschen einfach zu Dingen, die sie dann antreiben. Das ist heute nicht anders. Denken Sie nur an Jörg Immendorff oder Markus Lüpertz, die lehnt auch keiner ab, wenn sie einen Staatsauftrag bekommen und irgendwie Anerkennung finden.

Ich frage mich manchmal auch, welcher Künstler steht denn heute auf und sagt irgendwelchen Sammlern, russischen Oligarchen oder Waffenhändlern, die diese Werke kaufen, euch verkaufe ich meine Kunst nicht, da will ich keinen Erfolg haben. Das würde ich wirklich ein bißchen vorsichtiger beurteilen. Wir sind heute genauso unmoralisch wie die Menschen damals. Es ist aus heutiger Sicht immer leicht, jemanden zu verurteilen. Und die Gemengelage ist sehr komplex, das muß man sich dann schon genau angucken. Ich selber habe das Dritte Reich natürlich nicht miterlebt, aber was wir in meiner Generation noch miterlebt haben, war die DDR.

Wie komplex war diese Spitzelgeschichte? Die ganze Literaturszene am Prenzlauer Berg war so durchsetzt von Spitzeln - wer konnte das noch unterscheiden? Sascha Anderson hat dann trotzdem progressive Literatur gemacht und war gleichzeitig ein Spitzel. Das ist schwer auseinanderzuhalten. Ich finde, da kann man nicht so einfach urteilen. Wenn man diesem Druck eines Systems ausgesetzt ist, ist vieles nicht so eindeutig. So wird versucht, bis zu einem gewissen Punkt mitzugehen, um sich Freiheiten zu verschaffen und zugleich die Möglichkeit zu erhalten, auch dagegen zu sein. Ich persönlich tue mich sehr schwer, da ganz klare Verurteilungen zu schaffen.

SB: Sie haben vorhin gesagt, daß Sie als Museum nicht bereit sind, Kunstwerke nach ihrem Marktwert zu bewerten. Heißt das, daß Sie Kunst nicht über diesen Wert erklären wollen?

RS: So ist es. Natürlich muß mich das auch interessieren. Wenn wir ein Werk kaufen wollen, muß ich mich damit auseinandersetzen, wie teuer es ist. Doch ich möchte mich explizit dagegen wenden, im Museum diese Kategorien einzuführen. Gerade im Museum ist es unser Job zu vermitteln, warum wir ein Kunstwerk gut finden - nicht weil es teuer ist, sondern aus bestimmten ästhetischen und künstlerischen Gründen, und die müssen wir erklären. Wenn ich sagen würde, das Bild kostet eine Million, dann gehen die meisten Leute in die Knie und sagen: "Oh!" Aber das will ich nicht. Deswegen sollen sie nicht in die Knie gehen. Sie sollen das aus künstlerischen Gründen gut finden oder vielleicht auch ablehnen und sich selber damit auseinandersetzen. Aber der Preis ist da ein Kriterium, das mir wenig weiterführend erscheint.

SB: Wie wird das Haus getragen? Was gibt dem Museum die Möglichkeit, auf eine Weise kunstpädagogisch zu agieren, die nicht unter starkem Vermarktungsdruck steht?

RS: Dieser Druck ist eigentlich nicht besonders stark. Natürlich freut sich jede Stadtverwaltung wie auch das Land, wenn wir viele Besucher haben und mehr Einnahmen generieren, und wir freuen uns auch, wenn die Leute uns besuchen. Aber ich habe jetzt keine total strenge Vorgabe von Besuchern, die ich unbedingt erfüllen müßte. Wir haben ein sehr intensives Vermittlungsprogramm. Das erscheint mir jetzt erst einmal wichtiger als die nackte Besucherzahl. Unser Job im Museum ist es, so verstehe ich ihn zumindest, intensive Begegnungen mit der Kunst zu ermöglichen. Wir freuen uns, wenn viele Menschen diese intensive Begegnung haben. Aber man muß sich auch klar darüber sein, daß das ab einem bestimmten Besucherandrang kontraproduktiv wird und zu Lasten der Intensität geht. Wenn Sie 400.000 Leute durch eine Dürer-Ausstellung schleifen, ist die Begegnung vielleicht nicht so intensiv.

Nachhaltig für die Zukunft ist bestimmt nicht die nackte Zahl der Besucher, sondern es müssen bestimmte, wichtige Besucher wirklich berührt werden, dann tragen die das weiter. Es verändert ihr Leben und dann ändern sie sich persönlich-menschlich, vielleicht aber auch im künstlerischen Bereich. Harald Szeemann hat 1968 "When Attitudes Become Form" gemacht, und diese Ausstellung haben nur tausend Leute gesehen. Das ist eine der bekanntesten Ausstellungen, die es nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt gegeben hat. Da spielt es keine Rolle, wieviele sie gesehen haben. Es waren eben nicht 500.000, sondern 1000. Sie hat ihre Wirkung gehabt, weil die tausend Besucher, die sie gesehen haben, wichtig waren. Das waren bestimmte Künstler und Museumsleute, die ihre Eindrücke später weitergetragen haben.

SB: Wird Ihr Haus von öffentlichen Mitteln getragen?

RS: Ja, es ist ein städtisches Haus, und das Land bezahlt über 50 Prozent der Kosten.

SB: Ist das in deutschen Museen eher die Regel oder die Ausnahme?

RS: Es gibt ganz unterschiedliche Modelle der Trägerschaft. Die Kunsthalle Bremen ist eigentlich ein Kunstverein, der bürgerlich getragen wird. Die bekommen trotzdem Subventionen von Land und Stadt. Aber selbstdeckend können sie so ein Museum nicht führen, das geht nicht. Ich finde, das ist immer so eine Schwierigkeit, wenn der Wirtschaftsdruck erhöht wird. Es ist eine absurde Idee zu glauben, daß ein Museum wirtschaftlich sein müßte. Wenn man Geld verdienen will, braucht man eine andere unternehmerische Idee als ein Museum. Wir haben auch einen Bildungsauftrag. Vieles in unserer Gesellschaft hat sich da merkwürdigerweise verkehrt. Wenn ein Krankenhaus und eine Schule rentabel sein müssen, gerät man irgendwie an Grenzen.

SB: Herr Spieler, vielen Dank für dieses Gespräch.

Offene Dachkonstruktion vor Haupteingang - Foto: © 2014 by Schattenblick

Eingangsbereich des Sprengel Museums
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/emil-nolde-im-frankfurter-staedel-mehr-sympathisant-als-widerstaendler-12831711.html

Zur Ausstellung MICHAEL RAEDECKER. tour im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → KUNST → REPORT:

BERICHT/040: Museum, Kunst und Träume - Fadenschein und Pinsel (SB)
INTERVIEW/026: Museum, Kunst und Träume - Leinwand, Fäden und Co., Michael Raedecker im Gespräch (SB)

19. März 2014