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INTERVIEW/025: Mythos Chanel in Hamburg - Kulturgeschichte als Modemarketing? Dr. Maria Spitz im Gespräch (SB)


Mythos Chanel - Kulturgeschichte als Modemarketing?

Interview mit der Kuratorin Dr. Maria Spitz am 27. Februar 2014



Haute Couture im Museum? Die Beweggründe, eine Ausstellung von High End-Mode in Museen zu zeigen, sind vielschichtig. Modedesigner, denen daran liegt, jeglichen Zweifel an der Exklusivität ihrer Produkte aus dem Weg zu räumen, stellen ihre Modelle oft in einer karg sterilen Atmosphäre großräumiger Ladengeschäfte aus, die an den konzentrierten Minimalismus des "white cubes" erinnern soll. Die hohe Qualität der zumeist aus edlen Stoffen in Handarbeit gefertigten Designerentwürfe, denen auf eventartig organisierten saisonalen Modenschauen die Funktion eines werbenden Stellvertreters für die seriell produzierte Prêt-à-porter-Mode zukommt, ist unbestritten. Fragen lässt sich jedoch nach der kulturellen Bedeutung dieser aktuellen Mode, die seit Beginn der 90er Jahre immer öfter in Museen ausgestellt wird, ohne dass sie zwingend ihren zeitgenössischen Zenit überschritten haben muss. Die Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Gertrud Lehnert hat dieses Phänomen in ihrem Buch "Mode. Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis" (2013) untersucht und weist auf die Wechselwirkung zwischen musealer Ausstellungspraxis und industriellen Marketingstrategien hin:

Die Beteiligung der ModemacherInnen verändert das Museum insofern, als es Ideen von Menschen aufnimmt, die zwar künstlerisch arbeiten, aber immer auch Produkte für einen (Luxus)Markt produzieren und naturgemäß Interesse am Absatz haben. Der Drang der Mode ins Museum verändert außerdem die Modewelt. Denn diejenigen Designer, deren Kreationen schon bald im Museum landen, sind ein für alle Mal (so scheint es) dem Kanon der großen ModemacherInnen zugehörig. Ihre Entwürfe sind fortan unverzichtbarer Teil einer auf Höhenkammmode setzenden Modegeschichtsschreibung. Sie sind gleichsam geadelt durch eine Institution, die Dinge sammelt und vor dem Vergessen bewahrt, die den Anspruch erhebt, kulturelles Gedächtnis zu sein und das Publikum ästhetisch oder kulturgeschichtlich zu bilden.[1]
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Horst P. Horst
Coco Chanel, 1937
Silbergelatine
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Auf der Pressekonferenz zur aktuellen Ausstellung "Mythos Chanel", die vom 28. Februar bis zum 18. Mai 2014 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen ist, hatte der Schattenblick die Gelegenheit, der verantwortlichen Kuratorin Dr. Maria Spitz einige Fragen zu stellen. "Mythos Chanel" darf beispielhaft als Modeausstellung gelten, die sich nicht allein in den Dienst der kulturellen Veredelung eines Markenkonzepts hat nehmen lassen, sondern durchaus das Potential vorhält, auf kulturgeschichtliche Zusammenhänge hinzuweisen. Auch die Entwicklung des nur scheinbar statischen Stils Coco Chanels korrespondierte mit historischen Umbrüchen, die die Marke CHANEL unter dem künstlerischen Leiter Karl Lagerfeld bis heute beeinflussen.

Schattenblick (SB): Coco Chanel wurde bekannt durch ihre klassische Eleganz. Was war das Besondere und Bahnbrechende daran?

Dr. Maria Spitz (MS): Die Schlichtheit. Am Anfang ihrer Karriere fertigt sie Hüte, die im Vergleich zu den Kopfbedeckungen ihrer Zeit auffallend schlicht gestaltet sind, und als im ersten Weltkrieg Stoffknappheit herrschte, transferiert sie den Jersey, ein Material, das überwiegend in der Herrenunterwäsche verarbeitet wurde, in die Damenoberbekleidung. Heute kann man sich Mode gar nicht mehr ohne Jersey vorstellen. Es gibt so viele Jersey-Kleider oder T-Shirts, alles aus diesem Material, das Coco Chanel so gern benutzte.

SB: Der Begriff des Mythos bezeichnet ja landläufig etwas Märchen- oder Sagenhaftes und inkludiert damit auch Übertreibungen, irrationale Glorifizierungen oder auch Falschmeldungen. Was meint aus Ihrer Sicht der "Mythos Chanel" und was verknüpfen Sie damit?

MS: Chanel ist ein Label, das die meisten kennen, es ist eines der berühmtesten Labels überhaupt. So viele Menschen haben eine klare Vorstellung davon, und die Frage ist, was verbinden sie damit. Für mich war es sehr spannend herauszuarbeiten, wo die Gründe für dieses Bild von Chanel liegen könnten. Meines Erachtens sind es drei Quellen oder Pfeiler, die auch diese Ausstellung thematisiert: Einmal Coco Chanel selbst, ihre Persönlichkeit, wie sie sich inszeniert hat, und die von ihr entwickelten Modelle; dann Karl Lagerfeld, der es seit über 30 Jahren immer wieder schafft, ihren Stil zu aktualisieren, und als Drittes, parallel zu beidem, die "Frauen von der Straße", die im Chanel-Stil gekleidet sind. Es gab so viele Trägerinnen der 50er und 60er Jahre, die sich Chanel nie hätten leisten können, die zu Hause eine Nähmaschine hatten und ihre eigene Kleidung genäht haben. Sie trugen dann Kostüme, die so aussahen, als seien sie von Chanel, auch wenn sie qualitativ nicht mit den Originalen vergleichbar sind. Das finde ich faszinierend.

© 2014 by Schattenblick

Federführende Kuratorin Dr. Maria Spitz auf der Pressekonferenz im MKG
© 2014 by Schattenblick

SB: Inwiefern war der neue Stil von Coco Chanel in den 20er und in den 60er Jahren vielleicht auch eine politische Stellungnahme?

MS: Ich glaube, Coco Chanel war keine politische Frau.

SB: Und ihr selbstbewusster und offensiver Umgang mit Weiblichkeit, war das aus Ihrer Sicht eine eher persönliche Befreiung? Hatte sie nach Ihrer Kenntnis auch Verbindungen zu den feministischen Kreisen des Frankreichs der Jahrhundertwende?

MS: Nein, das hatte sie nicht. Für sie war das Wichtige Bequemlichkeit, Komfort, sich in ihrer Kleidung bewegen zu können, sie ritt sehr gerne. Wenn man sich vorstellt, wie die Kleider um 1900/1910 beschaffen waren, dann waren sie nicht wirklich komfortabel, da gab es ein körperverformendes Korsett und einen umständlichen Hut dazu. Chanel aber wollte sich bewegen.

SB: In einer aktuelleren Biografie von Hal Vaughan wird kritisch über die politischen Ambitionen von Coco Chanel während des Zweiten Weltkriegs berichtet. So hat sie in Paris möglicherweise mit den Nationalsozialisten kollaboriert. Können Sie unseren Lesern darüber Näheres sagen? Nutzt das Buch verlässliche Quellen? Wie würden Sie den Text einordnen?

MS: Mehr als in diesem Buch ist zu dem Thema an keiner anderen Stelle publiziert. Was dort steht, ist auf jeden Fall möglich, denn Coco Chanel ist bis 1945, also bis nach Kriegsende, in Paris geblieben.

SB: Wann kam die Marke Chanel nach Deutschland und welchen Einfluss hatte Chanel auf die Mode hierzulande?

MS: Die Zeitschriften waren seit den 20er Jahren bis zu ihrem Tod das Verbreitungsmedium überhaupt. Wenn von Modenschauen berichtet wurde oder wenn beispielsweise die "Burda" wieder ein Schnittmuster für ein Kostüm im Stile Chanels anbot, dann war das der Weg, über den Chanel nach Deutschland und in die ganze Welt getragen wurde.

SB: Was veranlasste die Brenninkmeijersche Draiflessen Collection in Mettingen gerade jetzt, die Ausstellung über Coco Chanel auszurichten?

MS: Da gab es keinen speziellen Grund. Coco Chanel ist als so bedeutende Modeschöpferin einfach ein wichtiges Thema für Modeausstellungen. Ich habe das schon seit vielen Jahren im Kopf gehabt.

SB: Chanel hatte kein Problem mit sogenannten "Lookalikes", also Nachbildungen ihrer Kreationen. War das aus Ihrer Sicht eine sehr moderne Marketingstrategie oder zeigt es eher die Großzügigkeit einer selbstbewussten, freiheitsliebenden Frau?

MS: Eine Marketingstrategie war es nicht, glaube ich. Es war für sie persönlich ein Erfolg, wenn sie Frauen in ihrem Stil gekleidet sah, und Stil war für sie wichtiger als die ständig wechselnde Mode. Ich denke, das ist ein bedeutsamer Faktor für diesen Mythos, dass Chanel zwar bestimmte Modeikonen entwickelte, die sie immer wieder in sich veränderte, aber nicht jedes halbe Jahr etwas ganz Neues auf den Markt brachte.

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Nach Chanel-Schnitten genähte Kostüme (links) stehen Original Chanel-Kostümen aus den 60er Jahren (rechts) gegenüber
Ausstellungsansicht 3
Foto: Michaela Hille
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

SB: Coco Chanels Leben erzählt die Geschichte vom Aufstieg eines armen Waisenmädchen zu einer der berühmtesten Stilikonen des 20. Jahrhunderts. Welchen Preis hat sie aus Ihrer Sicht dafür gezahlt, gab es Kompromisse, die sie eingehen musste?

MS: Das lässt sich sehr schwer sagen. Wenn man die vielen Chanel-Biografien liest, die alle erst nach ihrem Tod erschienen sind, dann sind sie nicht immer einheitlich, auch da, in ihrer Persönlichkeit, liegt ja ein wichtiger Grundstein für den Mythos.

SB: Mehrere Museen hatten sich darum beworben, Ihre Ausstellung zeigen zu dürfen, aus welchem Grund haben Sie das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe nach der Draiflessen Collection in Mettingen und dem Gemeentemuseum in Den Haag als dritten Ausstellungsort für "Mythos Chanel" gewählt? Gibt es einen Hamburger Zuschnitt?

MS: Die Ausstellung ist nach Hamburg gekommen, weil das MKG ein großartiges Museum mit einer sehr guten Modesammlung ist und sehr viele Leihgaben, die an allen drei Stationen zu sehen waren bzw. sind, von hier kamen. Der Hamburger Zuschnitt betrifft die Tatsache, dass manche Museen ihre Leihgaben nur an zwei Stationen gegeben haben, was sehr üblich ist, da die erhaltenen Kleidungsstücke so empfindlich sind. Zusammen mit der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen wurden hier aber elf Neuerwerbungen möglich, zum Beispiel ein seltenes Kostüm und ein wunderbarer Mantel Coco Chanels aus den 20er Jahren, die die Ausstellung noch einmal sehr bereichert haben.

SB: Zeitlich parallel zur Chanel-Ausstellung läuft in der Hamburger Kunsthalle aktuell die Schau "Feuerbachs Musen - Lagerfelds Models". Wie erklären Sie sich, dass Modedesigner wie Karl Lagerfeld sich immer öfter der Kunst zuwenden und Mode im Zusammenhang mit Kunst präsentiert wird?

MS: Ich muss gestehen, ich habe die Ausstellung noch nicht gesehen, dafür bin ich zu kurz hier in Hamburg. Karl Lagerfeld ist jemand, bei dem ich mich oft frage, wie viele Stunden bei ihm ein Tag hat. Das alles, was er für Chanel entwirft, für die Kollektionen, für sein eigenes Label, Fotografien, Filme, das finde ich absolut beeindruckend.

SB: Dabei versteht er sich als Handwerker und nicht als Künstler.

MS: Da steht er ganz in der Tradition von Coco Chanel, die sich auch nicht als Künstlerin sah.

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Kreationen Karl Lagerfelds in der Ausstellung "Mythos Chanel"
Ausstellungsansicht 6
Foto: Michaela Hille
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

SB: Wo liegen die besonderen Herausforderungen, Mode in einer musealen Ausstellung zu präsentieren, die das Museum nicht zur Boutique machen möchte?

MS: Wie auch in jeder Kunstausstellung kann man zwischen den Objekten hindurch gehen und sagen: Das gefällt mir, das gefällt mir nicht, dieses möchte ich bei mir im Wohnzimmer hängen haben oder in meinem Kleiderschrank und jenes nicht. So kann man jede Ausstellung betrachten, natürlich auch jede Modeausstellung. Letztendlich war es hier wichtig, die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema zu suchen und dies mit der Frage: Warum ist Chanel zum Mythos geworden?

SB: Frau Dr. Spitz, vielen Dank für das Gespräch.


Anmerkung:

[1] Gertrud Lehnert: Mode. Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis. Bielefeld 2013, S. 52.


10. März 2014