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INTERVIEW/018: Szene Berlin - Kunst für das Volk und aus dem Volk (SB)


Interessen von Kunstschaffenden zur Durchsetzung verhelfen



Gespräch mit Andrea Hense am 26. September 2012

Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin präsentiert noch bis 14. Oktober das Ausstellungsprojekt "A Burnt-out Case?" [1]. Andrea Hense gehört der fünfköpfigen Projektgruppe der Ausstellung an. Sie hat Soziologie und Erziehungswissenschaft an der Universität Trier studiert und ist seit 2004 als Wissenschaftlerin an den Universitäten Heidelberg, Trier, Duisburg-Essen und Bielefeld sowie dem Wissenschaftszentrum Berlin tätig. Promoviert zum Thema Prekaritätswahrnehmung arbeitet sie aktuell im Sonderforschungsbereich "Von Heterogenitäten zu Ungleichheiten" an der Universität Bielefeld zu betrieblichen und individuellen Ursachen und Folgen von Recalls. Ihre beruflichen Schwerpunkte sind Arbeitssoziologie, Lebensverlaufsforschung und Soziale Ungleichheit. Nach einem Besuch der Ausstellung in der Oranienstraße 25 im Berliner Stadtteil Kreuzberg hatte der Schattenblick wenige Tage später Gelegenheit, ein Gespräch mit Andrea Hense zu führen.

Schattenblick: Könnten Sie unseren Lesern einen kurzen Überblick geben, wie lange es die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst schon gibt und welches Konzept sie hat?

Andrea Hense: Die neue Gesellschaft für Bildende Kunst wurde 1969 gegründet und ist ein Kunstverein mit ca. 850 ehrenamtlichen Mitgliedern. Sehr spannend daran ist, daß es sich meines Erachtens um den einzigen basisdemokratischen Kunstverein handelt, den es in Berlin gibt. Er ist hinsichtlich seiner Mitgliederstruktur sehr gemixt, da sowohl Kulturschaffende als auch WissenschaftlerInnen beteiligt sind. Ich selbst bin ja Wissenschaftlerin, und es sind auch Architekten, KünstlerInnen, zum Teil auch politische Aktivisten im Verein vertreten. Er ist deshalb basisdemokratisch, weil das Programm von den Mitgliedern selbst ausgewählt wird. Die Mitglieder können auf der Jahreshauptversammlung Vorschläge für Ausstellungen oder sonstige Veranstaltungen machen, die im darauffolgenden Jahr realisiert werden sollen, und dann stimmen alle darüber ab, was im nächsten Jahr stattfinden wird. Dadurch kommen immer sehr heterogene Programme zustande, die häufig einen politischen Bezug haben und sich zwischen Kunst und sozialpolitischen Themen bewegen. Deshalb sind beispielsweise gesellschaftliche Fragestellungen wie Zukunftsmodelle von Arbeit, Arbeitsstrukturen, Gender-Aspekte und partizipative Modelle zeitgenössischer Kunst immer wieder Themenfeld gewesen.

SB: Wie kam die interdisziplinäre Arbeitsgruppe, die für die Ausstellung "A Burnt-out Case?" zusammengestellt wurde, zustande und wer hat darin mitgearbeitet?

AH: Die Arbeitsgruppe hat fünf Mitglieder, die einander nicht alle vorher kannten. Initiiert wurde sie von Annika Niemann, Nadin Reschke und Karen Weinert, die auch zuvor schon eine Ausstellung realisiert hatten. Alle drei sind Künstlerinnen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Annika Niemann beispielsweise ist vor allem Kunstvermittlerin und Kuratorin, sie arbeitet unter anderem auch in der ifa-Galerie in Berlin. Nadin Reschke ist selbst Künstlerin und hat lange Zeit in Weimar Kunst gelehrt, Karen Weinert lebt in Dresden und arbeitet sehr viel als Fotografin im Bereich visuelle Kommunikation. Die drei haben dann Sabine Richter, die auch in Dresden lebt und Psychotherapeutin ist, also einen psychologischen oder medizinischen Zugang zum Thema hat, und mich angesprochen. Ich selbst bin Soziologin hauptsächlich im Bereich Arbeitsmarktsoziologe, Prekarität und Ungleichheitsforschung. Wir kamen zunächst zusammen, um zu überlegen, ob man nicht zum Thema Burnout etwas machen sollte. Nachdem sich die Gruppe zusammengefunden hatte, haben wir gemeinsam einen Antrag geschrieben und ihn auf der Hauptversammlung zur Entscheidung vorgelegt.

SB: Das Thema Burnout ist in der Art und Weise, wie es gegenwärtig behandelt wird, sehr breit angelegt. Es könnte also in der Auseinandersetzung in sehr verschiedene Richtungen entwickelt werden. Würden Sie diesen Komplex eher als individuelles Problem behandeln oder vorzugsweise die gesellschaftlichen Aspekte hervorheben?

AH: Auf diese Frage gibt es meines Erachtens zwei Antworten. Uns ist auf jeden Fall wichtig, das Phänomen Burnout in der Interaktion zwischen gesellschaftlichen Mechanismen oder Strukturen und individuellen Umgangsformen anzusiedeln. Das bedeutet unserer Ansicht nach zu untersuchen, wie sich Arbeitsstrukturen und Entlohnungsstrukturen verändert haben und dadurch vieles schwieriger wenn nicht gar prekärer geworden ist. Wenngleich es zweifellos mit diesem Umbau von Arbeits- oder auch Unterstützungsstrukturen zu tun hat, kommt es natürlich andererseits auch darauf an, die individuellen Ressourcen und Bewältigungsstrategien herauszuarbeiten, die der einzelne durch Sozialisation oder andere Umstände mitbringt. Beides ist also für uns wichtig, wobei wir selbst einen stärkeren Fokus auf die gesellschaftlichen Aspekte gelegt haben.

Als wir die Ausstellung planten, traten diese Aspekte in der öffentlichen Diskussion eher in den Hintergrund. Vielmehr wurde Burnout vor allem als individuelle Krankheit thematisiert. Worauf es uns ankam, war zum einen die Kontextualisierung dieses Phänomens und zum zweiten der Blick darauf, worauf Burnout fernab von der Krankheit sonst noch verweist. Gibt es nicht auch Potentiale, denn immerhin hat jemand, der ausgebrannt ist, zuvor für irgend etwas gebrannt? Ein dritter Aspekt war, sich das ganze auch im Kunstkontext anzuschauen, da die NGBK ja eine Institution im Kunstbereich ist. Das wäre die eine Antwort.

Die zweite Antwort lautet, daß wir unabhängig von diesen Überlegungen, die ich gerade skizziert habe, in der Ausstellung Wert darauf legen, nicht einfach nur eine Diagnose oder Antworten zu liefern, sondern Künstlerinnen und Künstler gebeten haben, unterschiedliche Perspektiven hinsichtlich dieses Phänomens zu entwerfen und zum Teil auch Lösungsvorschläge zu entwickeln. Dabei sind verschiedene Antworten oder Umgangsweisen entstanden, die Besucher der Ausstellung inspirieren sollen, auf ganz neue Aspekte aufmerksam zu werden oder auf andere Weise als zuvor über das Thema nachzudenken. Was man sicherlich nicht in der Ausstellung findet, sind rein wissenschaftliche Diagnosen oder ganz klare Antworten oder Arbeitsanweisungen, die unserer Meinung nach in vielen Publikationen ohnehin schon thematisiert worden sind.

SB: Wie Sie schon hervorgehoben haben gibt es auf der Ausstellung viele verschiedene Ansätze zu sehen. Wenn ich etwa an Kaoru Hirano denke, die den tägliche Arbeitsprozeß auf sehr beeindruckender Weise darstellt, oder um im Kontrast nur ein weiteres Beispiel zu nennen, die Holzkiste "Burnout-Box" von Gesa Glück, bekommt man sehr einprägsame Impressionen, wie die Künstlerinnen und Künstler an das Thema herangegangen sind. Welche Erfahrungen haben Sie hinsichtlich einer Rückmeldung auf Ihre Ausstellung gemacht? Hatten Sie Gelegenheit, mit Besuchern zu sprechen?

AH: Wir hatten Gelegenheit, mit Besuchern zu sprechen. Mir fiel dabei sehr positiv auf, daß es jeweils unterschiedliche Objekte waren, die die Leute besonders inspiriert haben. Ausstellungsstücke, die dem einen Besucher vielleicht nicht so viel gegeben hatten, waren für den anderen wichtig. In dieser Rezeption sind noch einmal ganz neue Aspekte hinzugekommen. Insgesamt war das Echo sehr positiv. Wir führen zusätzlich zur Ausstellung ein Begleitprogramm durch, in dessen Rahmen zum einen ein eintägiges Symposium stattgefunden hat. Hinzu kamen jede Woche noch einzelne Veranstaltungen, in denen auch wissenschaftliche Aspekte verstärkt diskutiert oder andere eigenständige künstlerische Zugänge gesucht wurden, und auch das ist sehr gut angekommen.

Künstlerin sitzend bei der Arbeit - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kaoru Hirano trennt auf und verwebt ohne Ende
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Burnout ist eine Problematik, die Künstlerinnen und Künstler aufgrund ihrer Lebenssituation selbst in hohem Maße betrifft. Könnte man sagen, daß die Ausstellung nicht zuletzt auch die eigene Arbeits- und Lebensproblematik der Kunstschaffenden thematisiert?

AH: Das war in unserem Call definitiv ein wichtiger Unterpunkt. Wir haben die Bewerber angeregt, gern auch ihre eigene Situation zu problematisieren, sofern sie das wollten. Generell würde ich sagen, daß es sehr schwierig ist, objektive Aussagen darüber zu machen, weil Burnout im Kunstbereich meines Wissens nicht explizit erfaßt wird. Dessen ungeachtet lassen sich Gespräche mit Künstlerinnen und Künstlern über dieses Thema dahingehend verallgemeinern, daß diese Problematik für sie durchaus von Bedeutung sein kann. Das gilt insbesondere im Falle prekärer Beschäftigung, geringer Einkünfte und unregelmäßiger Tätigkeit. Wenn man immer wieder Konzepte für Ausstellungen oder sonstige Projekte einreicht, von denen nur ein minimaler Teil und noch dazu zu geringen Ressourcen realisiert wird, kann man zumindest potentiell von Burnout betroffen sein.

Entlastend kann sich meiner Einschätzung nach auswirken, daß man in einem künstlerischen Umfeld nicht zwangsläufig in eine Außenseiterposition gedrängt wird, wenn man prekär oder mit geringem Einkommen beschäftigt ist. Verglichen mit anderen Sektoren der Gesellschaft treten hier zumindest partiell spezifische Bewältigungsstrategien in Erscheinung, da so etwas wie das Künstlerethos in gewissem Umfang eine Existenzweise unterstützt, in der man sich gerade nicht verkauft und dafür auch Anerkennung erfährt. Hinzu kommt, daß Kreativität auch ein Moment sein kann, sich der Belastung in gewissem Umfang zu entziehen. Meines Erachtens findet man im Kunstkontext auf jeden Fall Aspekte, die das befördern können, wie es auch Ressourcen gibt, die helfen können, sich dem Druck entgegenzustellen. Unser Anliegen war es ja, Burnout in der Kunst explizit zu thematisieren sowohl mit Blick darauf, welche Visionen oder Perspektiven man entwickeln kann, die wiederum andere aufgreifen können, als auch in Gestalt einer Auseinandersetzung mit der eigenen künstlerischen Tätigkeit und deren Umfeld.

SB: Ich würde Ihnen gern noch eine abschließende Frage stellen. Sehen Sie Möglichkeiten, daß sich Künstlerinnen und Künstler auf irgendeine Weise für ihre gemeinsamen Interessen auch zusammen einsetzen? Im Vorfeld der Ausstellung war beispielsweise die Möglichkeit eines Künstlerstreiks thematisiert worden. Halten Sie solche Aktionen für realistisch und unterstützenswert?

AH: Ich halte sie auf jeden Fall für realistisch, zumal es einige historische Belege dafür gibt. Der Künstlerstreik, den Sie angesprochen haben, wurde im Rahmen des Ausstellungsprojekts von Anders Smebye und Ulf Aminde aufgegriffen, die sich auf die Artworkers' Coalition in New York beziehen, die es ja de facto gegeben hat. Ein anderes bekanntes Beispiel wäre der Streik der Drehbuchschreiber in Hollywood vor etwa vier Jahren. Auch in Berlin gibt es Zusammenschlüsse zu dem Zweck, den Interessen von Künstlerinnen und Künstlern zur Durchsetzung zu verhelfen. Ich möchte in diesem Zusammenhang zum einen die Initiative "Haben und Brauchen" [2] nennen, die im vergangenen Jahr in Reaktion auf die Kulturpolitik der Stadt gegründet wurde. Es gab damals die Ausstellung "based in Berlin", die mit erheblichen Mitteln unterstützt wurde. Demgegenüber wurde von der Basis her die Forderung erhoben, daß etwas anderes viel wichtiger sei, nämlich eine Finanzierung von freien Projekträumen und anderen alternativen Möglichkeiten. Daraufhin kam es zu beträchtlichen Auseinandersetzungen wie auch einer Vernetzung innerhalb der Kunstszene, aus der zahlreiche Positionspapiere hervorgegangen sind. Das ist auf jeden Fall ein Zusammenschluß, bei dem es zwar nicht direkt um Streik geht, aber doch um eine Vernetzung innerhalb der Szene und auch eine politische Artikulation nach außen, bei der thematisiert wird, was man braucht, um gute Arbeits- und Produktionsbedingungen zu haben.

Zum zweiten gibt es hier in Berlin die "Koalition der Freien Szene" [3], die sich strukturell etwas anders zusammensetzt weil daran eher Intendanten oder Häuser beteiligt sind, die jedoch ein ähnliches Anliegen haben und sagen, wir brauchen vernünftige Ressourcen, damit wir unsere Ensembles adäquat unterstützen können. Dieser Koalition gehören außer der NGBK beispielsweise auch das HAU [4] oder das Radialsystem V [5] und vergleichbare Institutionen an. Ich möchte daher unterstreichen, daß die Situation von Künstlerinnen und Künstlern gegenwärtig durchaus thematisiert wird und strukturelle Bemühungen klar zu erkennen sind. Wozu das letztendlich führt, kann man meines Erachtens momentan noch nicht sagen.

SB: Frau Hense, vielen Dank für dieses Gespräch.

Fußnoten:
[1] http://www.burnt-out-case.de/ausstellung.html

[2] http://www.habenundbrauchen.de/

[3] http://www.bbk-berlin.de/con/bbk/front_content.php?idart=2085&refId=199

[4] Hebbel am Ufer (HAU) ist eine Berliner Theaterinstitution, die seit der Spielzeit 2003/2004 drei vorher selbständige Bühnen umfaßt (Hebbel-Theater, Theater am Halleschen Ufer und Schaubühne am Halleschen Ufer). Das HAU zeichnet sich durch einen ausgeprägten politischen und avantgardistischen Anspruch aus. Es spielt für ein überwiegend junges Publikum.

[5] Das Radialsystem V ist ein Kultur- und Veranstaltungszentrum in Berlin. Es besteht aus der denkmalgeschützten Maschinenhalle des ehemaligen Abwasserpumpwerks V sowie einem 2006 hinzugefügten neuen Gebäudeteil. In den Räumlichkeiten werde sowohl künstlerische Programme produziert und aufgeführt als auch Veranstaltungen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien durchgeführt.

12. September 2012