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INTERVIEW/011: Gefesselte Kunst - Helmut Draxler über das Politische in der Kunst (SB)


Gesellschaftliche Bedingungen künstlerischer Praxis



Interview mit Helmut Draxler am 8. Februar 2012 in Berlin

Der Kunsttheoretiker und freie Kurator Helmut Draxler lehrt Ästhetische Theorie an der Merz Akademie Stuttgart. Publikationen wie "Gefährliche Substanzen. Zum Verhältnis von Kritik und Kunst" und "Die Gewalt des Zusammenhangs. Raum Referenz und Repräsentation bei Fareed Armaly" wie seine Beteiligung an zahlreichen Ausstellungen und Tagungen begründen seinen Ruf als Kunsthistoriker und -kritiker. Nach dem Forum "Art in public space, art as public space, and art in the public interest" auf der Konferenz "radius of art" im Gebäude der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte, an dem er als Referent teilnahm, beantwortete Helmut Draxler dem Schattenblick einige Fragen.

Helmut Draxler - Foto: © 2012 by Schattenblick

Helmut Draxler
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Mit Ihrem Plädoyer für den streitbaren Künstler und die produktive Wirkung virulenter Widersprüche auf die Kunst haben Sie einen erfrischenden Akzent gesetzt. Kommt dies Ihrer Ansicht nach in der bildenden Kunst heutzutage zu kurz?

Helmut Draxler: Nicht unbedingt, aber die Frage ist doch, welche Art von Problemen man adressiert. Ich denke, daß es sehr viele Künstler gibt, die aus einem bestimmten Problembewußtsein heraus agieren. Mir erscheint dieses Problembewußtsein aber oft etwas phantasmatisch, sich zuständig zu fühlen für alle Probleme der Welt. Aber die eigene Positionierung und Artikulationsform sowie das politische Verhältnis, das man in den Settings eingeht, innerhalb derer man arbeitet, als auch in Bezug auf die Anliegen, die man hat, bleiben dabei oft unklar. Deshalb würde ich sagen, daß sich das Trouble-Making, das Probleme schaffen sozusagen, in erster Linie auf diese eigenen Formen des Inerscheinungtretens beziehen muß. Erst von da an kann man das Politische überhaupt denken.

SB: Würden Sie darunter auch die ganz profanen Produktionsbedingungen von Kunst fassen, bei denen es um die individuelle Überlebenssicherung geht? Es existiert ja eine Art kulturelles Prekariat, da viele Künstler im Grunde auf der Basis von Selbstausbeutung tätig sind.

HD: Natürlich impliziert das die ganze Bandbreite möglicher Fragestellungen. Das kulturelle Proletariat hat natürlich damit zu tun, daß Kunstakademien so funktionieren, wie sie funktionieren, und höchstens zehn Prozent der Leute überhaupt Künstler werden. Das ist noch sehr beschönigend gesagt. Gerade jetzt wird über die Proteste gegen Bologna noch einmal Buch gehalten. Es ist dieses alte autoritäre Meisterklassensystem, das genau so etwas produziert. Natürlich geht es darum, sich auf die prekären Verhältnisse zu beziehen, die die eigene Existenzweise mitbestimmen.

SB: Wie beurteilen Sie die Rolle der Wirtschaft, die als Kultursponsor eine große Bedeutung hat, auch wenn diese teilweise abnimmt? Sind Sie der Meinung, daß zu sehr inhaltlich Einfluß auf die eigentliche Kunstproduktion oder sogar auf die Reflexion der eigenen Stellung in der Gesellschaft genommen wird, wenn Kunst von der Wirtschaft gesponsort wird?

HD: Ich habe keine kategorische Meinung dazu. Viele Freunde von mir würden eine Veranstaltung, die Siemens oder die Deutsche Bank finanzieren, nicht wahrnehmen. Ich habe eher eine Take-the-money-and- run-Position dazu, also durchaus das Geld zu nehmen, aber sich natürlich auf keinen Fall den Mund verbieten zu lassen. Ich habe strategisch überhaupt kein Problem damit, die Möglichkeiten, die vorhanden sind, auszunutzen und so gewissermaßen den Antikapitalismus in die Firmen hineinzutragen. Das ist eine rein taktische Frage.

Ich finde es eher problematisch und nicht zielführend, daraus eine grundsätzlich moralische Frage zu machen. Von daher, denke ich, kann man sich die Organisationen und Art Foundations, die es so gibt, etwas entspannter anschauen. Darunter sind auch solche, die nach rein künstlerischen Kriterien ganz gut funktionieren und ernsthafte Museumsarbeit machen. Allerdings gibt es auch andere wie EON zum Beispiel, die einfach rote Kunstwerke sammeln, weil das die Corporate Identity-Farbe ist. Sie werden nach einer bestimmten Zeit schon mitbekommen, daß das den Leuten nicht gefällt, und sich dann fragen, was das leisten soll. Und vielleicht werden sie dann Geld auch zu anderen Bedingungen anbieten.

SB: Sie haben den Künstler als privilegiert dargestellt, weil er Dinge tun kann, die einem normal gebildeten und sozialisierten Menschen so nicht möglich sind. Wie verhält es sich im umgekehrten Fall, wenn der Künstler aufgrund der geringen Rezeption durch die breite Öffentlichkeit gar nicht in der Lage ist, sich zu vermitteln?

HD: Auf die prekären Bedingungen können wir uns relativ schnell einigen wie auch darauf, daß das Überleben für die Künstler schwierig ist. Daß aber so viele Menschen mehr denn je Künstler werden wollen und derzeit weltweit Hunderttausende von jungen Leuten ihren MFA, ihren Master of Fine Arts, bekommen oder sonst irgendeinen künstlerischen Abschluß machen, zeigt, welches hohe soziale Prestige es bekommen hat, Künstler zu sein trotz der prekären materiellen Bedingungen. Da lautet die Frage natürlich, was daran so interessant ist? Wie funktioniert das gesellschaftlich Imaginäre auf diese ganz besondere genial aufgeladene Position? Ich denke, das Wichtige dabei ist, daß man diese Rolle nicht nur einfach erfüllt, sondern sie auch zu reflektieren versucht. Welchen Spielraum gibt mir die Gesellschaft eigentlich? Natürlich ist dieser Spielraum interessant. Sie tut es aufgrund ideologisch komplett dubioser Gründe, aber sie tut es, wie auch das Geld der Banken, die Kunstförderung betreiben, dubiosen Gründen dient. Deswegen, finde ich, kann man trotzdem das Geld benutzen und auch die Rollen, die die Gesellschaft einem zuschreibt. Natürlich ist es irgendwie absurd, Künstler zu sein. Es gibt keinen Inhalt und keine Funktion, die das auffüllen würden, aber es ist genau das, was sich für alles mögliche benutzen läßt.

SB: Könnte die Kunst vor dem Hintergrund, daß viele Menschen ein großes Bedürfnis nach Selbstbestimmung haben, aber auch darunter leiden, in einer Endlosschleife des Konsums gefangen zu sein, nicht durchaus zur Verwirklichung dieses Wunsches beitragen, auch wenn das mit sehr vielen Widersprüchen verbunden ist?

HD: Diese Idee von Kunst und Künstlersein hat natürlich ganz stark mit dem Authentizitätsversprechen und den Idealen der frühen Moderne zu tun. Deswegen ist sie ja überhaupt so stark geworden. Das Faszinierende daran ist, in einer nicht entfremdeten Realität zu leben, nur denke ich, daß das letztlich nicht aufrechtzuerhalten ist. Diese rein positive Bestimmung von Kunst und Künstlertum, so wie bei Adorno noch als klare Entgegensetzung von Kunst und Entfremdung, imaginiert einen freien Raum, aber dieses Versprechen hat etwas sehr Entfremdendes. Es ist eben nicht die Erlösung. Vielmehr kommt es darauf an, was dabei passiert. Das kann in die eine oder andere Richtung gehen, aber der Raum selbst - das sollte man dabei nicht übersehen - ist eben hochideologisch vorgeprägt. Genau in dieser Funktion, autonome oder authentische Freiräume zu gewähren, erfüllt die Kunst natürlich eine stark legitimierende Funktion für den Rest der Gesellschaft.

SB: Was wiederum bedeuten würde, daß im Grunde das Versprechen auf Authentizität eine neue Schleife der Produktivität von Irrationalität sein könnte.

HD: Ganz genau. Das treibt sich weiter, weil dieses Versprechen eben nie eingelöst werden kann, und so wird es immer von einem Punkt zum nächsten verschoben. Das ist auch mein Hauptproblem mit sogenannter politischer oder öffentlicher Kunst, daß sie nämlich nur in dieser Schleife funktioniert und als Projektionsfläche aufgefaßt wird, von der man sozusagen das Eigentliche erwartet, daß das Politische daran das Authentizitätsversprechen der Kunst einlöst. Was da aber passiert, ist dann etwas höchst Unpolitisches.

SB: Wo würden Sie angesichts einer völlig zerrissenen und in sich widersprüchlichen Subjektivität, die sich dieser Art von reproduktiver Vervielfältigung gar nicht mehr entziehen kann, den Ansatzpunkt setzen für einen Befreiungsschlag in der Kunst?

HD: Ich bin, was grundsätzliche Befreiungsschläge betrifft, relativ skeptisch. Wir erleben im Augenblick ja permanent Revolutionen, die nicht wahnsinnig viel ändern. Gegenüber dieser Aufladung, die in den letzten Jahren in der Theorie im Namen des kommenden Ereignisses passiert ist, habe ich so meine Zweifel. Mich interessiert hingegen sehr, was nach dem Ereignis passiert. Was kann gemacht werden? Welche Ideen gibt es? Ist der Weg vom Ereignis in das Scheitern irgendwie vorgezeichnet oder gibt es andere Wege, damit umzugehen? Das sind ganz konkrete politische Fragen. Dazu kann Kunst vielleicht auch etwas beitragen, aber aus meiner Sicht sind das keine essentiell künstlerischen Fragen.

Der wirklich interessante Punkt kommt erst nach dem Ereignis, nämlich wie sich die Elemente der unterschiedlichen gesellschaftlichen Situationen, wenn sie einmal aufbrechen, neu arrangieren lassen und inwieweit wir uns da involvieren wollen. Die Frage ist, welche Perspektiven aus dem Imaginären heraustreten und so über diese Ereignisse selbst hinausweisen, weil das Ereignis an sich ja auch nur ein nutzungsgeladenes Versprechen ist, von dem wir nicht wissen, was es wirklich bringen soll. Was wir am Tag nach der Revolution machen, ist eine bis heute von ganz wenigen Leuten auf einen gute Art und Weise beantwortete Frage.

SB: Sie bezweifeln also, daß die Kunst diese Entwürfe sinnvoll ausfüllen bzw. diese Perspektiven überhaupt ausleuchten kann?

HD: Ich denke, sie müssen ganz klar politisch ausgefüllt werden. Kunst kann bestenfalls gesellschaftliche Spielräume öffnen, in denen das eine oder andere möglich ist. Sie kann dazu beitragen, daß tatsächlich wieder eine Revolution irgendwo stattfindet oder andere Formen gesellschaftlicher Veränderungen eintreten. Wir sollten da nicht so fixiert bleiben auf den Begriff der Revolution, sondern uns eher auf eine Vielfalt von Veränderungen hin öffnen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Spielräume, in denen gewisse Konstellationen ausgetestet werden können. Das ist ja das Interessante am Kunstbegriff, daß er verschieden beansprucht werden kann. Insofern bin ich skeptisch und sehe darin den Nachhall der idealistischen Tradition, von der Kunst konkret zu verlangen oder zu erwarten, daß sie die Lösung beinhaltet. Ich bin mir ganz sicher, daß sie das nicht tut.

SB: Wie wird Ihre Kritik in der theoriebildenden Kunstszene aufgenommen? Welche Erfahrungen haben sie dabei gemacht?

HD: Es gibt einige Leute, die das so wie ich sehen, andere betonen die Wichtigkeit, es trotzdem immer wieder zu versuchen. Für mich ist die Auseinandersetzung mit diesen politischen Ansprüchen auch innerhalb der Kunst ganz elementar und wichtig, und deswegen schätze ich das, was die Leute machen, auch wenn ich im Detail, vor allem in den Begründungsfiguren, die textliche Produktion, die oft damit verbunden ist, gelinde gesagt, nicht besonders mag.

SB: Sehen Sie diese Konferenz vielleicht als Ausgangspunkt, um in dieser Debatte weiterzukommen, zumal sie stark an der Verbindung von Sozialem, Gesellschaftlichem und Kunst orientiert ist?

HD: Das ist grundsätzlich immer interessant. Wir sind ja in der Kunstwelt in Enklaven versammelt. Die Einladungen richten sich immer nur an ein ganz bestimmtes Publikum. Von daher ist es für mich ganz toll, ein anderes Publikum und ein anderes Setting zu haben. Das heißt aber nicht, daß ich das idealisiere, sondern ich sehe darin ein anderes Problemfeld und eine andere gesellschaftliche Konstellation, die wie dieser Raum hier, in dem wir stehen, sehr interessant ist, weil er diese Codes des Öffentlichen mittransportiert und damit gewissermaßen in seiner Form schon eine Inhaltlichkeit bereitstellt, die als architektonisches Konzept eben nicht eingelöst werden kann, die aber diskursiv eingelöst werden muß.

SB: Herr Draxler, vielen Dank für dieses Gespräch.

Konferenzzentrum Beletage  - Foto: © 2012 by Schattenblick

Eingeglast und separiert - Diskursraum Heinrich-Böll-Stiftung Foto: © 2012 by Schattenblick

11.‍ ‍April 2012