Schattenblick → INFOPOOL → KUNST → REPORT


BERICHT/069: Puppentheater - Kunst, Kultur und Wissenschaft ... (SB)



Breitohrclown trifft Elektrischen Spuk

Magdeburger Ausstellung überrascht mit Handpuppen und Grafik von Paul Klee sowie neuen Bauhaus-Spuren

von Christiane Baumann, September 2019


Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Plakat zur Sonderausstellung mit Breitohrclown
Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Als Maler und Grafiker ist der Bauhaus-Meister Paul Klee (1879-1940) jedem Kunstinteressierten ein Begriff, als Marionettenbauer vermutlich kaum. Das ist auch nicht verwunderlich, schuf er doch seine fünfzig Handpuppen eigentlich für den Hausgebrauch, denn er erfüllte seinem 1907 geborenen Sohn Felix damit den Wunsch nach eigenen Handpuppen. Und nicht nur das. Es entstand eine kleine Puppenbühne, um dem Spiel den adäquaten Aktionsraum zu geben. So wurde Paul Klee Handpuppen-Bauer, was ihn bis in sein grafisches Werk beschäftigte. Zeichnungen wie Die Puppe wird frühstücken oder Die Puppe schläft deuten auf die Faszination "Marionette", von der man bei einem Dichter wie Heinrich von Kleist in seinem berühmten Aufsatz Über das Marionettentheater lesen kann und die auch Goethe in seinem Roman Wilhelm Meister erkennen lässt, um zwei bedeutende Beispiele zu nennen, die das Inspirierende des Figurentheaters belegen. Diese anregende Wirkung auf andere Künste und Kunstschaffende sichtbar zu machen, darauf zielt die kürzlich eröffnete Ausstellung Die Puppe wird frühstücken. Paul Klee: Puppen - Grafik - Bauhaus in der Magdeburger villa p., der Figurenspielsammlung Mitteldeutschland. Dabei greift das Konzept der kleinen, aber gut durchdachten Exposition weiter als der Titel andeutet. Paul Klees Handpuppen, von denen fünf in der Ausstellung zu sehen sind, liefern das "Gerüst" der Präsentation, die zugleich den Bogen zum Marionettentheater-Projekt des Bauhauses im Jahr 1923 unter Oskar Schlemmer schlägt und eine bislang unbekannte Bauhaus-Spur im Umfeld der Magdeburger Reformschulpädagogik aufdeckt, die sich an den Bauhaus-Schüler Hans Pistorius knüpft.


Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Michael Kempchen, Intendant des Puppentheaters Magdeburg, bei der Eröffnung
Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Beim Besuch der drei Ausstellungsräume bewegt man sich in einem modularen Baukasten-System, das nach allen Richtungen offen ist und überraschende Einblicke und Blickwinkel ermöglicht. Die Puppen schweben beinah im Raum, Materialien in Kästen weisen auf den Entstehungsprozess. Alles erweckt den Eindruck der Bewegung, der Anarchie, die einer höheren Ordnung zu folgen scheint. Die fünf Klee-Handpuppen sind über die Ausstellungsräume verteilt. Es handelt sich um exakt nachgebaute Puppen, da die Originale aufgrund ihres konservatorischen Zustandes nicht mehr verliehen werden können, sich daher die Klee-Nachfahren entschlossen, Repliken fertigen zu lassen. Mittels einer aufwändigen 3-D-Röntgen-Computertomografie wurden Materialien und Herstellungsprozess analysiert, um die fünf Exemplare nachzugestalten. Stoffe wurden nachgewebt und nachträglich mit Gebrauchsspuren versehen. Für den faszinierenden Breitohrclown kam dabei sogar Zeitungspapier aus den 1920er Jahren zum Einsatz, denn Klee verarbeitete alles Mögliche beim Puppenbau: Flicken, Knöpfe, Steckdosen, Knochen, Zeitungen oder Nussschalen. Fertigte er zunächst das klassische Puppenspiel-Ensemble mit Kasperl, Gretl, Tod und Polizist, so folgten geradezu avantgardistisch anmutende Puppen wie der Dada-inspirierte Elektrische Spuk oder der streng geometrisch geformte Breitohrclown mit seiner Rot-Schwarz-Weiß-Farbgebung, der das bauhaustypische Bemühen um Funktionalität und Farbreduktion sichtbar macht, was nicht zuletzt auf den Einfluss der niederländischen De-Stijl-Bewegung und auf Klee als Bauhaus-Lehrer für "bildnerische Formlehre" deutet. Der Breitohrclown berührt sich mit - in der Ausstellung nicht gezeigten - Bildern wie dem Selbstporträt (1924) des Klee-Schülers Andor Weininger, in dem eine Puppe wie eine Maschine durch Fäden einen mechanischen Kreislauf in Gang setzt.


Foto: © 2019 by Puppentheater Magdeburg

Klee: Ohne Titel (Selbstporträt), 1922; Replik (2003)
Foto: © 2019 by Puppentheater Magdeburg


Paul Klee - Fotografin: Lily Klee

Paul Klee vor der Staffelei, Dessau - 1926
Fotografin: Lily Klee - Zentrum Paul Klee, Bern - Schenkung Familie Klee


Foto: © 2019 by Puppentheater Magdeburg

Klee: Die Puppe wird frühstücken. 1938 Bleistiftzeichnung Paul Klee.
Foto: © 2019 by Puppentheater Magdeburg

Ganz anders dagegen präsentiert sich die mit "Selbstporträt" betitelte Figur, die Klee 1922 in der Weimarer Bauhaus-Zeit schuf und die den dem Künstler gewidmeten Raum dominiert. Diese Puppe ist deshalb außergewöhnlich, weil sie eines der "wenigen Selbstbildnisse" (Christine Hopfengart) Klees darstellt. Mit wachem, aber ernstem Blick schaut der Künstler, gekleidet in einen dunklen Umhang, der abgetragen und mit Flicken besetzt ist, in die Welt. Die Figur verkörpert eine Persönlichkeit, die aufrecht, aber vom Leben "gebeutelt" wirkt. Von ganz eigenem Charme ist auch die Puppenbühne, die die Berliner Künstler Barbara und Günter Weinhold unterstützt vom Klee-Enkel Alexander nach Fotos und Erinnerungen eigens für die Magdeburger Ausstellung nachbauten. Zwei Puppen haben in der Ausstellung auf dieser Bühne ihren Platz gefunden: Gekrönter Dichter und Vogelscheuchengespenst. Nicht zuletzt sind Bühne und Puppen per Film in Aktion zu erleben.


Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Die nachgebaute Puppenbühne von Paul Klee
Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Neben Paul Klee als Handpuppen-Bauer gibt es noch eine weitere Linie, die das Figurenspiel mit dem Bauhaus verbindet und die in der Ausstellung in den Fokus gerückt wird. Es ist ein Puppentheaterprojekt, das 1923 von Schülerinnen und Schülern um den Bauhaus-Meister Oskar Schlemmer geplant wurde. Ganz dem Märchenboom der frühen 1920er Jahre verpflichtet, sollten Die Abenteuer des kleinen Buckligen aus Tausendundeinernacht zur Aufführung kommen. Dafür wurden Marionetten entworfen, die auf den gestalterischen Grundprinzipien des Bauhauses, Kreis, Dreieck und Quadrat, basierten. Das Märchen kam letztlich nicht zur Aufführung, da sich die Figuren als nicht funktionstüchtig erwiesen. Die Marionetten gelangten später in die Puppentheatersammlung Dresden. In der Magdeburger Exposition sind von Peter Lutz gefertigte Repliken wie die "Frau des Schneiders" zu sehen, an denen sich die Formprinzipien des Bauhauses beispielhaft nachvollziehen lassen und die in ihrer Farbigkeit und Originalität faszinieren. Diese nachgebauten Figuren werden in der Magdeburger villa p. künftig auch in der Dauerausstellung zu sehen sein.


Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Bauhaus Weimar, Die Frau des Schneiders, Weimar 1923, Nachbau Peter Lutz, 2019
Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Die Bauhaus-Idee, die die Verbindung von Kunst und Volk postulierte und, aus den Schrecknissen des Ersten Weltkriegs geboren, die Kunst in den Dienst des "neuen Menschen" stellen wollte und soziale Wirksamkeit anstrebte, suchten zahlreiche Schüler auch an anderen Orten zu verwirklichen. Zu ihnen gehörte der Reformschullehrer Hans Pistorius, der 1921/22 am Bauhaus in Weimar studiert hatte. Er war bis 1940 in Magdeburg als Kunstpädagoge an der Berthold-Otto-Schule, einer im Zuge der Reformpädagogik gegründeten "Versuchsschule", tätig, an der Mädchen und Jungen gemeinsam lernten und künstlerische Kreativität besonders gefördert wurde. Pistorius entwarf 1931/32 in einer seiner Kunstklassen Marionetten, Bühne und Requisiten für ein Puppenspiel. 1936 baute er für seine Töchter ebenfalls Handpuppen, die inzwischen in der Magdeburger Figurenspielsammlung zu sehen sind.

1936, als Pistorius seine Handpuppen baute, hatte der Bauhaus-Meister Paul Klee Deutschland bereits verlassen. Seine Werke wurden von den Nationalsozialisten als "entartete Kunst" gebrandmarkt und aus den Museen verbannt. Auch daran erinnert der kleine Ausstellungsführer, den die Theaterwissenschaftlerin Miriam Locker entwarf, die auch für das Gesamtkonzept der Exposition verantwortlich zeichnete. Vielseitigkeit, Kreativität und Experimentfreude lassen sich in der Ausstellung erleben, die zeigt, wie zu allen Zeiten Kunstschaffende sich von der Welt der Marionetten immer wieder haben bezaubern und anregen lassen. Noch bis zum 14. Januar kann man in diese kleine Magdeburger Exposition, die auch ein Beitrag zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum ist, in der villa p. eintauchen.


Foto: © 2019 by Puppentheater Magdeburg

Klee: Ohne Titel (Elektrischer Spuk), 1923; Replik (2003)
Foto: © 2019 by Puppentheater Magdeburg


Foto: © 2019 by Puppentheater Magdeburg

Klee: Gruppenfoto
Foto: © 2019 by Puppentheater Magdeburg


30. September 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang