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BERICHT/061: Bauhausarchitektur - der Blick des Volkes ... (SB)



"Es hat sich ausgeweimart, wir gehen jetzt dessauern!":
Dessauer Bauhaus-Architektur zwischen sozialer Utopie und gesellschaftlicher Realität

Festival !Architektur! !Radikal! startet 100-Tage-Count-Down bis zur Eröffnung des Bauhaus-Museums Dessau

von Christiane Baumann, Juni 2019


Wer kennt sie nicht, die Stahlrohrmöbel Marcel Breuers oder die berühmte Bauhaus-Kugelleuchte, kreiert von Wilhelm Wagenfeld und Carl Jakob Jucker, das Holzspielzeug von Alma Buscher, die klaren, schnörkellosen Formen der Bauhaus-Architektur. Der vor einhundert Jahren geborene Bauhaus-Stil ist heute Teil unseres Alltagslebens und vielfach Standard. Das Gestaltungsprinzip "Form folgt Funktion" hat sich durchgesetzt. Im Jubiläumsjahr machen Festivals, neue Museen und Ausstellungen gebündelt in einer bundesweiten "Grand Tour der Moderne" auf Leistungen der Bauhaus-Architekten und -Künstler aufmerksam und lassen dabei kaum Wünsche offen. Im April markierte die Eröffnung des neuen Bauhaus-Museums in Weimar, wo die Geschichte des Bauhauses ihren Anfang nahm, einen Höhepunkt. Nun hat Dessau mit dem Festival !Architektur! !Radikal! die heiße Phase des Jubiläumsjahres eingeläutet. Es sind noch einhundert Tage, bis auch dort ein neues Bauhaus-Museum mit der weltweit zweitgrößten Sammlung am 8. September seine Tore öffnet.


Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Festival Logo
Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Bauhaus-Kunst war radikal, was sich in der Formensprache bis zur Typographie widerspiegelte. "warum groß schreiben, wenn man nicht groß sprechen kann?", stand ab 1925 auf den Briefbögen. Doch radikal war sie zuerst in ihrem gesellschaftlichen Anspruch, was häufig vergessen wird. Das Dessauer Festival !Architektur! !Radikal! rückte dies in den Fokus, indem es die Bauhausbauten als "Manifestationen einer sozial motivierten Idee" diskutierte und die sich daran knüpfenden Fragen in ihrer Aktualität für heutiges Planen und Bauen, für unser gesellschaftliches Miteinander sichtbar machte. Wenn Gropius 1924 anlässlich der Stuttgarter Bau-Ausstellung fragte: "Wie werden wir wohnen, wie werden wir siedeln, welche Formen des Gemeinwesens wollen wir erstreben?", dann zielt das ins Herz unserer Zeit.

Mit Dessau verbindet sich die "Hoch"-Zeit der Bauhaus-Protagonisten um Walter Gropius. Das dort von 1925 bis zur Schließung durch die Nationalsozialisten 1932 entstandene Gebäude-Ensemble machte Dessau bekannt und das Bauhaus zu einer international renommierten Pilgerstätte für moderne Architektur. Das "Aus" für das Bauhaus in Weimar wurde für Dessau zum Glücksfall, um den sich der dortige sozialdemokratische Bürgermeister Fritz Hesse allerdings hartnäckig bemüht hatte. Als nach den Wahlen in Thüringen am 10. Februar 1924 die rechtskonservativen Parteien, die sich im Thüringer Ordnungsbund zusammengeschlossen hatten, an die Macht kamen und dem Weimarer Bauhaus, dem kommunistische Ideen und Tendenzen anhafteten, sukzessive den Geldhahn zudrehten, war es der Dessauer Sozialdemokrat Hesse, der alle Hebel in Bewegung setzte, um das Bauhaus an die Mulde zu holen. "Es hat sich ausgeweimart, wir gehen jetzt dessauern!", frohlockte Lyonel Feininger, ein Bauhaus-Meister. Eine Million Deutsche Reichsmark stellte die Stadt für den Bau eines selbst entworfenen, 1926 eingeweihten Gebäudes zur Verfügung, das wir heute als "Bauhaus" kennen.


Dessauer Bauhaus - Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Bauhaus
Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Das Dessauer Bauhausgebäude setzte die Ideen des neuen Bauens konsequent um und wurde mit seiner funktionalen Anordnung, Konstruktion und sensationellen Glasfassade schnell zum Inbegriff der Moderne, ebenso die danach entstandenen Meisterhäuser, in denen neben Gropius die Bauhaus-Meister Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger, László Moholy-Nagy, Georg Muche und Oskar Schlemmer wohnten - eine einzigartige Konzentration von Avantgarde-Künstlern in einer kleinen Industriestadt.


Kleine weiße funktionale Wohnhäuser - Foto: © 2019 by Christiane Baumann Kleine weiße funktionale Wohnhäuser - Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Meisterhäuser
Fotos: © 2019 by Christiane Baumann


Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Gropiusbau
Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Stand in Weimar die Verbindung von Kunst und Handwerk auf der Agenda, so fanden nun Kunst und Technik zu einer neuen Symbiose. Mit dem Dessauer Arbeitsamt konnte Gropius einen modernen Verwaltungsbau realisieren, einen Rundbau, in dem die Architektur der Funktionalität diente. Dessau mit seinem industriellen Umfeld wie den Junkers-Werken oder auch dem Versandhandel Seiler machte die Verbindung von Architektur, Kunst und Design mit industrieller Produktion möglich. Die Stadt, die sich aufgrund des rasanten Anstiegs der Arbeiterschaft im Zuge der Industrialisierung vor schwierige soziale Fragen gestellt sah und dringend bezahlbaren Wohnraum benötigte, bot Gropius die Möglichkeit, mit der Siedlung Dessau-Törten Prinzipien des rationellen Bauens zu erproben, das Architektur und Bauen mit normierten, industriell vorgefertigten Teilen verband. Preiswerter Wohnraum, den sich auch Arbeiter leisten konnten, mit einer neuen Funktionalität und Hygiene war das Ergebnis.


Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Arbeitsamt, Gropius-Bau
Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Sein von der Idee des Gesamtkunstwerkes geprägtes, sozial motiviertes Programm legte Gropius bereits im ersten Bauhaus-Manifest von 1919, unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, nieder:

"Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk! Denn es gibt keine 'Kunst von Beruf'. Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker [...] Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte! Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens."

Ziel war die Verbindung von Kunst und Volk, eine Kunst für das Volk. Am Bauhaus gab es folglich keine "Professoren" als Lehrende, sondern, den mittelalterlichen Dombauhütten nachempfunden, "Meister", Handwerker, Gesellen und Werkstätten. Auf dem Titelblatt des Manifests prangte Lyonel Feiningers Holzschnitt Kathedrale, der auf die gotische Dom-Baukunst Bezug nahm. Dieses Werk, häufig auch "Kathedrale des Sozialismus" genannt, symbolisierte die Einheit der Künste wie auch eine starke Gemeinschaft. Nach den Schrecken des Krieges bestimmte die Hoffnung auf Weltverbesserung und der Wunsch, für den "neuen Menschen" zu wirken, das Denken vieler Künstler. Walter Gropius wie auch der dritte und letzte Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe gehörten zur Novembergruppe, einer im Dezember 1918 im Reflex auf die Novemberrevolution in Deutschland gegründeten Künstlervereinigung, die gesellschaftliche Veränderungen anstrebte. Menschheitsdämmerung nannte Kurt Pinthus 1919 seine berühmt gewordene expressionistische Anthologie, der ein sozial-utopisches Moment eingeschrieben war. Im gleichen Jahr fanden sich in Magdeburg bildende Künstler, Schriftsteller und Musiker in der Künstlervereinigung Die Kugel zusammen und hofften auf die "Erweckung einer neuen Menschheit".


Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Bauhaus Verbinder
Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Diese "Erweckung" wurde auch am Bauhaus unterschiedlich gedacht, verlief widersprüchlich und führte zu Konflikten und Brüchen. So versammelten sich in Weimar unter dem Dach des Bauhauses Anhänger sozialistischer, anarchistischer, lebensreformerischer und esoterischer Ideen. Zahlreichen Frauen wurde, gemäß dem propagierten Gleichheitsgrundsatz, der Weg in die Werkstätten eröffnet. Doch das gängige patriarchalische Korsett führte auch im Bauhaus sehr schnell zur Erneuerung alter Geschlechterstereotype. Nur wenigen Frauen, darunter Marianne Brandt und Alma Buscher, gelang es, sich in der Metall- bzw. Möbelwerkstatt zu behaupten und nicht in die Weberei abgeschoben zu werden. Doch bei aller Widersprüchlichkeit und Heterogenität zielte die Bauhaus-Idee immer auf soziale Wirksamkeit. Eine Dessauer Führung, die "unsichtbare Bauhausorte" in Erinnerung ruft, nimmt diese gesellschaftliche Rolle in den Blick. Das Wirken der Bauhaus-Künstler beim Siedlungsbau Dessau-Törten, ihre Zusammenarbeit mit rund einhundert Dessauer Firmen, ihre Interieur- und Fassadengestaltungen sowie Theateraufführungen bis zu den Galerien, die in den 1920er Jahren Bilder von Feininger, Klee und Kandinsky kauften und ausstellten, dazu vierzehn Bauhausbücher und die Zeitschrift bauhaus - überall lassen sich im öffentlichen Raum Spuren ausmachen.

Nach dem Rücktritt von Walter Gropius als Bauhausdirektor Anfang 1928 übernahm der Schweizer Architekt Hannes Meyer für drei Jahre das Amt. Erstaunlicherweise ist von ihm nur wenig bekannt, was auf seine politische Haltung zurückzuführen ist. Aus Meyers Sicht hatte sich das Bauhaus von seinen einstigen Idealen entfernt. Er leitete eine umfassende Reform der Werkstätten ein. Meyers Neuausrichtung des Bauhauses folgte dem Grundsatz "Volksbedarf statt Luxusbedarf". Das Bauhaus sollte für den "Volksbedarf", für den Arbeiter, modellhaft wirken. Sein Ziel war es beispielsweise, Standardmöbel zu entwerfen, die in Serie gefertigt, für breite Bevölkerungsschichten bezahlbar waren. In einer Musterwohnung, der "Volkswohnung", wurde dieser soziale Ansatz seines gestalterischen Konzepts realisiert. Diese Politisierung und sein Bekenntnis zu marxistischen Positionen sowie das Erstarken der kommunistischen Studierenden am Bauhaus, deren Aktivitäten Meyer nicht unterband, führten schließlich 1930 zu seiner Entlassung. Aber auch der Amtsnachfolger Mies van der Rohe, der Meyers Reformkonzept radikal zurückdrehte und für ein "unpolitisches Bauhaus" einstehen sollte, konnte die Hochschule nicht retten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf Kommunal- und Landesebene wurde im August 1932 die Schließung des Bauhauses in Dessau besiegelt. Angebote aus den noch sozialdemokratisch regierten Städten Magdeburg und Leipzig zog Mies van der Rohe nicht in Erwägung, da er das Bauhaus in Berlin als private Schule führen wollte, doch auch diese Bemühungen vereitelten die Nazis, so dass sich die Hochschule am 19. Juli 1932 auflöste.

Die Bauhaus-Idee, aus der sozialen Katastrophe eines Krieges geboren, vernichtete der aufziehende Nationalsozialismus, der direkt in den nächsten Weltkrieg führte. Werke zahlreicher Bauhaus-Protagonisten, darunter Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee und Oskar Schlemmer, galten schon bald in Nazideutschland als "entartete Kunst". Ein Besuch der einzigartigen Bauhaus-Stätten in Dessau kann unser Bewusstsein für diese politischen Kontexte und unsere Geschichte schärfen.


Foto: © 2019 by Christiane Baumann

Bauhaus Glasfassade (Atelierteil)
Foto: © 2019 by Christiane Baumann


Zitate aus:

bauhaus-archiv berlin u. magdalena droste:
bauhaus 1919-1933
TASCHEN
BIBLIOTHECA UNIVERSALIS
2019
549 Seiten,
15,00 Euro,
ISBN: 978-3-8365-6551-6


Mehr Informationen:

100 Jahre Bauhaus
artspezial
Das Sonderheft zum Jubiläum
2019

www.bauhaus100.de


3. Juni 2019


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